Der WTO-Gipfel im Juli 2008 scheiterte – zumindest propagandistisch – an der Frage der »armen indischen Bauern«. Die Beilage in diesem Heft kommt mehrfach drauf zu sprechen, dass sich die Situation in den neuen Industriezentren Indiens und die Dynamik der dortigen Klassenkämpfe nur vor dem Hintergrund der Situation auf dem Land verstehen lassen. Und in den letzten Jahren standen immer wieder die »Neuen Bauernbewegungen« im Mittelpunkt globaler Kampagnen. Ihre Kämpfe thematisieren die wirklich grundlegenden Fragen: die Lage eines Großteils der (armen) Weltbevölkerung, Umweltprobleme, wie produzieren wir unsere Nahrungsmittel – und geben Antworten! Eine »andere Welt« scheint in der Aneignung von Produktions-/Lebensmitteln z.B. in Form von Landbesetzungen, direkt greifbar zu werden. Und in »jahrhundertelangen« Kämpfen einiger ›kleiner Einheiten‹ dieser Bewegungen, z.B. den Indígenas in Ländern Mittel- und Südamerikas, bündelt sich die Geschichte von »500 Jahren Kapitalismus«. Die globalen Bewegungen im Kampf gegen Agrarkonzerne, WTO und Weltbank sind faktisch die neue »Internationale« – im Unterschied zu den weltweit aufgesplitterten Ausbeutungssituationen in Fabriken, Call Centern und Büros. Dem gegenüber stellte der Historiker Hobsbawm Mitte der 90er Jahre den »Untergang des Bauerntums« fest. In der Tatsache, dass nicht mehr die Mehrheit der Menschen mit der unmittelbaren Lebensmittelproduktion beschäftigt ist und auf dem Land lebt, sah er »die größte Umwälzung von Klassenverhältnissen seit der Jungsteinzeit«. In früheren geschichtlichen Phasen produzierten die Menschen ihre Lebensmittel in kleinen Gemeinschaften und waren abhängig von natürlichen Produktionsschwankungen. Dagegen schuf der Kapitalismus von Anfang an den Weltmarkt, und seine wesentliche Produktivkraft (Maschinerie) ist selber produziert. Der Gesamtzusammenhang einer globalen Gesellschaft wird zur Grundlage unserer Reproduktion und unserer Existenz (»zweite Natur«) und in diesem Sinne zum realen Gemeinwesen. Erst seitdem die Menschen von gesellschaftlicher statt individueller Arbeit leben, lässt sich die Frage nach der kollektiven Aneignung der Produktion überhaupt stellen – und nun wirklich weltweit!
Im Unterschied zur Russischen Revolution und zur Phase der »nationalen Befreiungsbewegungen« nach 1945 geht es heute nicht mehr um ein »Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern«. Wir müssen endlich die leninistische (»Arbeiteravantgarde verbündet sich mit den Bauern«) und die maoistische (»Einkreisung der Städte vom Land her«) Perspektiven aus den Köpfen kriegen; beides waren Ideologien, die Entwicklungsdiktaturen nachholender kapitalistischer Entwicklung rechtfertigten. Heute geht es aber nicht mehr um kapitalistische Entwicklung »von oben«, sondern um die Neuzusammensetzung als globale Klasse von unten. Als Beitrag zu dieser Fragestellung versucht der folgende Artikel eine Einschätzung der sogenannten »Neuen Bauernbewegungen«.