»Spaniens Wirtschaft fällt am tiefsten«

titelte die Financial Times Deutschland am 11. August. »Spaniens Wirtschaft legt derzeit eine Vollbremsung hin, die an Tempo und Heftigkeit alle anderen großen Ökonomien in Europa in den Schatten stellt.« Die Industrieproduktion brach im Juni um neun Prozent ein. Spanische Unternehmen haben durchschnittlich sehr wenig Eigenkapital und werden von steigenden Kreditkosten und geringerer Kreditvergabe der Banken viel härter als Firmen in anderen Ländern getroffen. Die Arbeitslosenrate stieg schon im Juni auf 10,4 Prozent, die offizielle Inflation auf 5,3 Prozent. Der Absatz v.a. von dauerhaften Konsumgütern bricht ein (im Juni minus 20 Prozent), im Juli (in Spanien traditionell einer der verkaufstärksten Monate) ging der Autoabsatz sogar um 27,5 Prozent zurück.
In den letzten zehn Jahren wurde in Spanien (45 Mio. Einwohner) mehr gebaut als in der BRD, Frankreich und Italien zusammen. Der Bauboom beruhte auf steigender Nachfrage nach Wohnraum durch Millionen neue Immigranten, durch junge Leute, die aus dem Elternhaus auszogen, und durch Touristen, die sich ihren Traum von einer Ferienwohnung am Mittelmeer erfüllten. Der lange spanische Boom beruhte fast ausschließlich auf den Branchen Tourismus und Bau, beide trugen jeweils fast ein Fünftel zum Bruttosozialprodukt bei, die Industrie nur 13,4 Prozent. Spanien hat ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit – und kann, anders als während der letzten Krise Anfang der 1990er Jahre, seine Währung nicht mehr abwerten, um die Exporte anzukurbeln. Deshalb wackelt das ganze Land, bisher scheint lediglich die Tourismusbranche nicht unter der Krise zu leiden (sie hängt aber stark am Ölpreis und an der Konsumlaune in anderen Ländern).
Etwa seit Beginn diesen Jahres bestimmt die »Krise« das bisweilen hysterische Mediengeplärr und die Gespräche des täglichen Lebens. Seit dem größten Bankrott in der Geschichte des Landes, der Pleite der Immobiliengesellschaft Martinsa, setzt sich die Einsicht durch, dass die Krise gerade erst begonnen hat. Für viele geht es ans Eingemachte, andere haben ziemlichen Reibach gemacht mit dem Monopoly der letzten Jahre. In der Krise der Bauindustrie werden zuerst die MigrantInnen entlassen (in Spanien leben offiziell um die vier Millionen AusländerInnen legal; nichts hat die spanische Gesellschaft derart verändert, wie die Immigration der letzten Jahre), auch von ihnen haben viele Kredite für ein Auto oder eine Wohnung aufgenommen.
Jahrelang wurden halb »illegale« Kredite für den Wohnungkauf vergeben (fast ohne Eigenkapital und auf der Grundlage von Gutachten, die den Wert der Wohnungen viel höher als den Kaufpreis setzten; solange die Preise stark stiegen – von 1997 bis 2006 um elf Prozent jährlich! –, war das Risiko gering). Inzwischen gibt es viel mehr Wohnungen als zahlungskräftige Nachfrage (es soll um die 1,5 Mio. unverkaufte Häuser auf dem Markt geben) und die Preise für Wohnungen und Büros fallen in den Keller. Aber die Zinsen auf die Schulden und die Hypotheken steigen, sie haben in Spanien variable Zinsen, und der Zinssatz ist in den letzten 18 Monaten extrem gestiegen. Der Wohnimmobilienmarkt ist in den letzten Monaten um ein Drittel eingebrochen, die Vergabe von Hypotheken ist um 40 Prozent zurückgegangen. Der Anteil an ›faulen‹ Krediten hat sich im Jahr 2007 mehr als verdoppelt, Tendenz steigend.
Trotzdem haben die Leute in meinem Bekannten- und Freundeskreis bis heute nicht aufgehört, schuldenfinanzierte Unterkünfte zu erwerben, und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die alle irgendwann an die Luft gesetzt werden. Vielleicht erleben wir bald statt eines Mietstreiks einen Zinsstreik. Die Banken in den USA und auch in Spanien unternehmen längst alles erdenkliche, was bereits einem weichen Zinsstreik entspricht: Kredite werden verlängert, umgeschichtet und verringert, bloß um nicht die offene Anerkennung der Nichteinforderbarkeit an die große Glocke zu hängen.
Konflikte gab es bisher eher wenige. Im Mai und Juni gab es noch wichtige Streiks und Protestaktionen von den Lastwagenfahrern, Fischern und Bauern, mit heftiger Repression. Aber seitdem scheint es ruhig zu sein. es gibt eine große Unzufriedenheit und alle erwarten von der Regierung, dass sie was macht. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Herbst heiß wird.