Großbritannien

Die Inflation in Großbritannien ist mit 5 Prozent höher als in der Euro-Zone, der Wirtschaftsrückgang stärker, im zweiten Quartal 2008 haben z.B. 15 Prozent mehr Unternehmen Insolvenz angemeldet. Die Leute spüren die steigenden Preise sehr stark, aber »Experten« und Regierung sprachen die ganze Zeit lediglich von einer »wirtschaftlichen Abkühlung«. Real sind Lebensmittel im Juli etwa elf Prozent, Grundnahrungsmittel (Fleisch, Brot, Cerealien, Öl und Fett) sogar ein Drittel teurer als vor einem Jahr. Die Kosten für Benzin, Elektrizität und Gas dürften mehr als 60 Prozent gestiegen sein (gerade wird bekannt, dass British Gas den Gaspreis nochmal um 35 Prozent erhöhen will). Die niedrigsten Einkommen sind am stärksten von der Inflation betroffen; und die Bezüge von Arbeitslosen, Rentnern und z.B. von alleinstehenden Müttern auf benefit werden nur einmal im Jahr an die (künstlich runtergerechnete) Inflation angepasst. Aber auch Beamte in den unteren Lohngruppen leiden unter der Regierungsvorgabe, die Gehälter im Öffentlichen Dienst nicht mehr als 2,5 Prozent zu erhöhen. Zwei Studien zufolge haben etwa 30 Prozent der Bevölkerung so wenig Ersparnisse, dass sie davon keine zwei Wochen leben können.
Ende Juli setzt Krisenhysterie ein. Die Sun, Großbritanniens wichtigstes Revolverblatt, nennt die Folgen des Kriseneinbruchs einen »Horrorfilm«. Und als die Bank of England Mitte August in einem Bericht zum ersten Mal öffentlich erklärt, dass das Wirtschaftswachstum »stagniert«, stürzt das britische Pfund ab.
Die Pfändung von Häusern und Wohnungen nimmt stark zu: Im ersten Halbjahr 2008 gab es 48 Prozent mehr Häuserpfändungen, im gesamten Jahr sollen es 45 000 werden (bei insgesamt 11,74 Millionen Hypothekenbesitzern in GB). Zum Vergleich: In den USA war bereits Anfang 2008 jeder zehnte Hypothekenkredit notleidend; es gab mehr als eine Million Zwangsversteigerungen und 3,9 Millionen unverkaufte Einfamilienhäuser, die Hauspreise fielen im Mai 2008 stärker als in der Weltwirtschaftskrise 1929, nämlich um 15,8 Prozent. In GB sind sie bisher »nur« um 8,8 Prozent gefallen, aber bei weiter fallenden Preisen werden viele Haus»besitzer« in die Situation kommen, für ihre Hypothek mehr bezahlen zu müssen, als das Haus wert ist – in den USA droht das 25 Millionen Hausbesitzern! – und sie werden weniger Schulden auf ihre ›Hypothek‹ machen können (auch die britische Arbeiterklasse hat ihren Lebensstandard zum großen Teil über steigende Verschuldung gehalten; der gesamte ›private‹ Schuldenberg beträgt angeblich eine Billion Pfund).
Die Bewilligung von neuen Hypothekendarlehen ist noch stärker gefallen als in Spanien: um 69 Prozent. Dadurch steigen die sowieso schon exorbitanten Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt weiter an und die Baubranche bricht noch stärker ein (der industrielle Output ist seit Jahren im Minus). Die Regierung hat größere Projekte eingefroren und verstärkt somit den Trend. Entlassene Bauarbeiter finden keine neuen Jobs; der Guardian schätzt, dass die Arbeitslosenrate von 5,4 Prozent im Moment auf mehr als 7 Prozent steigen wird. Die Entlassungswelle greift zunehmend auf Dienstleistungen und Finanzbranche über: bis Ende 2009 sollen in der City 350 000 Leute entlassen werden (v.a. bei Goldman Sachs, Citigroup und Lehman Brothers). Auch im Einzelhandel wird es viele Entlassungen geben, kleinere Läden gehen bereits bankrott.
Konflikte: Im Juni haben Shell-Tankwagenfahrer vier Tage lang gestreikt. Die Treibstoffversorgung der Tankstellen war lahmgelegt; andere Fahrer zeigten sich solidarisch. Kurz vor der zweiten angekündigten Streikaktion bekamen sie 14 Prozent Lohnerhöhung über zwei Jahre (9 Prozent im ersten Jahr). Weitere Streiks aufgrund der hohen Inflation: Kommunale Beschäftigte streikten im Frühjahr einen Tag lang landesweit, ebenso Lehrkräfte, die in der Weiterbildung arbeiten. Im Juli die Angestellten im Öffentlichen Dienst in ganz GB – etwa 300  000 bis 500  000 – zwei Tage lang, Pass-Beamte sogar drei Tage. Seit März hat mehrfach die Küstenwache gestreikt, sie fordern nicht nur Inflationsausgleich sondern auch Angleichung ihrer Löhne an die in den anderen Notdiensten (sie verdienen etwa 30 Prozent weniger als Polizei, Feuerwehr usw.). Trotzdem sind die Löhne im Durchschnitt nur um 3,4 Prozent gestiegen, also unterhalb der Inflationsrate.