Nur wenn der Kapitalismus an Grenzen stößt (siehe »Bauernartikel«) gibt es ernsthafte Aussichten auf eine das Kapitalverhältnis radikal umstürzende Revolution – deshalb schauen wir uns die aktuelle Krise an. Seit der »Ölkrise« Mitte der 70er Jahre lauert in jedem Konjunkturabschwung die Systemkrise. Aber in der letzten Krise war »das System« selbst in Argentinien, wo es zu Aufständen kam, nie ernsthaft in Gefahr, weil die strategischen Sektoren weiter funktionierten; die Leute gingen zwar abends auf die Demo, arbeiteten aber tagsüber weiter. Diese Klassenspaltung haben wir auch in der BRD in den letzten Jahren erlebt: Streiks nehmen zu, finden aber nicht in den strategischen Sektoren der Exportbranchen statt.

Klar stellt die aktuelle Krise eine »Grenze« des Kapitalismus dar. Aber ist sie nur ein Konjunkturabschwung oder läuft sie auf einen Crash zu? Bleibt sie weitgehend auf die Finanzwelt beschränkt oder greift sie auf die »Realwirtschaft« über? An den vielen Kämpfen weltweit gegen die Auswirkungen der Krise (Fahrerstreiks, »Nahrungsmittelrevolten« und andere Kämpfe gegen die Teuerung), interessiert uns, ob es in ihnen zu einer Neuzusammensetzung (siehe Ägyptenartikel) kommt, und ob in ihnen Perspektiven entstehen, die über den Kapitalismus hinausweisen.

Krise mit Ansage

Seit über vier Jahren wird über die Immobilienblase in den USA diskutiert, und wenn jemand »Blase« sagt, meint er damit, dass das Ding früher oder später platzen wird! Die Deutsche Bank beispielsweise wettete schon 2006 auf Zahlungsausfälle bei Subprime-Krediten, JP Morgan Chase begann im Frühjahr 2007 mit Absicherungsmaßnahmen, andere Banken kauften ab Anfang 2007 bestimmte Schuldeninstrumente nicht mehr. Dennoch bzw. gerade deswegen wurde Ende 2006, als die ersten hohen Subprime-Ausfälle bekannt wurden, die Meinung in die Öffentlichkeit gepumpt, das System werde dies wegstecken. Die US-Regierung ließ z.B. verlauten, die Verluste aus der Subprime-Krise würden sich auf maximal 50 bis 100 Mrd. Dollar belaufen – Peanuts!

Peanuts vor dem Hintergrund eines außergewöhnlich innovativen Jahrzehnts der Banken. Sie entwickelten immer neue Wege, Darlehen neu zu sortieren, umzuschichten, aufzuhübschen und in Verbriefungen zu verwandeln, die sich verkaufen lassen. Da diese Geschäfte größtenteils außerhalb der Bilanzen abliefen, kennt niemand das genaue Volumen. Es wird geschätzt, dass zwischen 2000 und 2006 der Nominalwert ausgegebener Kreditinstrumente weltweit von 250 Mrd. Dollar jährlich auf 3000 Mrd. Dollar angestiegen ist. Besonders ab 2004 ging es sprunghaft nach oben. 50-100 Mrd. einmalige Ausfälle bei einem jährlichen Umsatz von 3000 Mrd.? Peanuts!

Als aber im Juli 2007 die kleine IKB vor dem Kollaps steht, weil ihre Zweckgesellschaft Rhineland Funding sich auf dem US-Hypothekenmarkt verspekuliert hat, warnt die deutsche Finanzaufsicht BaFin vor der »schwersten Bankenkrise seit 1931«. Und als die Europäische Zentralbank (EZB) daraufhin am 9. August 2007 »zur Beruhigung der Märkte« 95 Mrd. Euro in den Markt pumpt und kurz darauf die amerikanische Zentralbank (Fed) nachzieht, führt das zu Panik an eben diesen Märkten.

Was war passiert?

Das hauptsächliche Mittel zur Ausweitung des Kreditvolumens in den letzten Jahren war die Verbriefung (engl.: securitization), das heißt man macht aus Forderungen (= zukünftige Zahlungsströme) oder Eigentumsrechten im weitesten Sinne handelbare Wertpapiere (engl.: securities). Im dot.com-Crash hatten sich Aktien als unsicher erwiesen; die Blasenbildung seither beruhte auf den angeblich sicher(steigend)en Immobilien(preisen) in den USA. Der Käufer solcher Wertpapiere refinanziert seinen Kauf durch die Ausgabe von weiteren Papieren auf dem Kapitalmarkt. Beispiele für verbriefte Wertpapiere sind: Mortgage Backed Securities (MBS), Collateralized Debt Obligation (CDO) usw. usf. (es gibt noch ABCPs, CLOs, CBOs … wie gesagt, ein »innovatives Jahrzehnt«!) Die Verbriefung lief meistens über Zweckgesellschaften (wie Rhineland Funding), deren einziger Zweck die Emission dieser Wertpapiere war.

Zur Verbriefung hinzu kam die Vermischung: Zur Risikoabsicherung tauschten die Banken untereinander kreuz und quer diese Papiere. Die neuen Käufer schnürten die in den Papieren enthaltenen »Kreditbündel« häufig auf, verknüpften sie mit anderen Paketen und verkauften sie weiter. »Kontrolliert« wurden diese Kreisläufe durch die Prüfnoten der Ratingagenturen. Am Ende wusste niemand mehr, wer die riskanten Kredite eigentlich besaß, weil die Geschäfte der Zweckgesellschaften nicht in den Bilanzen der Banken auftauchten. Diese beiden Prozesse (Aufblähung des Kreditvolumens; Verstecken/Streuen des Risikos) multiplizieren sich in der aktuellen Krisenentwicklung.

Aber wo kommen die »riskanten Kredite« her? Diese Kreisläufe lebten davon, dass sie sich ständig ausweiteten. Zu dem Zweck wurden auch Leute reingezogen, die sich gar kein Haus hätten leisten können. Schätzungen zufolge soll der sogenannte Subprime-Markt ein Volumen von 1000 Mrd. (eine Billion) Dollar erreicht haben. Die Krise hat ihren Namen daher, dass das Kartenhaus von diesem Ende her zu bröckeln begann: viele Leute mit niedrigem Einkommen konnten ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen, und die Banken konnten zwar die Häuser pfänden, wurden sie aber bei fallenden Immobilienpreisen nicht mehr los.

Der Begriff Subprime-Krise verdeckt, dass es eine allgemeine »Schuldenkrise« ist (Häuser, Kreditkarten, Autokredite, Unternehmenskredite…), die sich sofort zu einer Bankenkrise ausgeweitet hat und inzwischen die »Realwirtschaft« errreicht.

Als erste Banken in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, wurde sofort klar, dass die CDOs das gesamte Bankensystem »radioaktiv verseucht« hatten: niemand weiß, welche Banken vor dem Kollaps stehen (»Vertrauenskrise«). Mit wenigen Ausnahmen wie z.B. GoldmanSachs, die an der Krise viel verdient hat, indem sie auf den Zusammenbruch spekulierte, sind alle großen multinationalen Banken betroffen (CityGroup, Morgan Stanley, Merrill Lynch, UBS, Société générale, Deutsche Bank usw.).

Nach dem Einbruch wollte niemand mehr diese »strukturierten Produkte« kaufen. Das löste bei vielen Investmentvehikeln eine sofortige Liquiditätskrise aus. Die Banken konnten Forderungen wie Hypotheken nicht mehr zu Subprime-Titeln gebündelt weiterverkaufen und gerieten in Kapitalnot. Befürchtet wurde, dass der Zugang zu Krediten für Unternehmer schwieriger wird (»Kreditklemme«), was seither auch teilweise eingetreten ist.

Tatsächlich hat aber die Finanzkrise in ihrem ersten Jahr weit weniger »realwirtschaftlichen Schaden angerichtet«, als es die gigantischen Summen erwarten ließen. Der Chefökonom der Financial Times Deutschland sprach am 8. August hämisch von der »zauberhaften Katastrophe« und merkte an, dass auch nach dem Aktiencrash 1987 und nach der Asienkrise 1998 die »befürchtete Rezession« ausgeblieben war.

Man könnte dem »Chefökonomen« zwei Dutzend Artikel entgegenhalten, in denen er selber von der »größten Finanzkrise aller Zeiten«, dem drohenden »Kollaps des internationalen Finanzsystems« usw. schreibt. Aber Propaganda spielt beim handling von Finanzkrisen eine ganz wichtige Rolle. Und die Trendvorhersagen der »Experten« sind mehr oder weniger zufällig, weil sie nur die Entwicklung der jeweils letzten Tage weiterrechnen; die Krise entwickelt sich aber ganz deutlich in Stufen. Und drittens: Es stimmt tatsächlich, dass nach 1987 und 1998 die Rezession ausblieb – und zwar deswegen, weil alle Krisen der letzten Jahrzehnte damit gelöst wurden, dass die Zentralbanken, vor allem die Fed, riesige Mengen Kreditgeld in die Wirtschaft gepumpt haben. Damit konnten sie verhindern, dass die Krise zum Crash wird – damit haben sie aber auch jedes Mal die Grundlagen für die nächste Krise gelegt. So auch diesmal.

Krise in Stufen

Nach einem Jahr »Finanzkrise« sind wir beim Übergang von der ersten zur zweiten Phase. Ihren Höhepunkt wird die Krise erst 2009 oder sogar 2010 erreichen. Die Entwicklung hat ihren Ursprung darin, wie die Krise Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre »gelöst« wurde. Die Unternehmer flohen vor Profitratenfall, steigenden Reallöhnen und widerspenstigen ArbeiterInnen in Finanzanlagen. Von 1969 bis 1971 verdoppelten sich die an den weltweiten Finanzmärkten gehandelten Dollarströme, sie nahmen in drei Jahren soviel zu wie in den vorhergehenden Jahrhunderten (allerdings geht es hierbei um Summen, die uns heute lächerlich vorkommen). In Reaktion darauf löste der damalige US-Präsident Nixon am 15.8.1971 den Dollar von seiner Goldparität, wertete ihn gegen den Yen und die DM ab, erhob Sonderzölle auf Importe in die USA und verhängte einen »Lohn- und Preisstopp« (fünf Prozent). Das war das Ende von Bretton Woods, des nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehandelten Währungssystems. Durch die freigehandelten Währungen mussten sich international tätige Unternehmen gegen Währungsschwankungen absichern; daraus entstand der Derivatehandel (wodurch die Finanzströme um so stärker anwuchsen). Und viele Unternehmer erkannten, dass sich mit Währungsspekulation leichter Geld verdienen ließ als mit produktiven Investitionen (wodurch die Finanzströmen noch viel stärker anwuchsen).

Der sogenannte »Neoliberalismus« mit der »Deregulierung der Finanzmärkte« hat sich von Ausweg zu Ausweg aus Krisenkonstellationen entwickelt. Es waren Reaktionen und keine »unabhängigen politischen Entscheidungen«, der Mechanismus war strukturell immer derselbe: Kapital sucht nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten, die Gewinnchancen am Kapitalmarkt scheinen Unternehmern sicherer als die Investition in die eigene Firma. Im letzten Zyklus waren es u.a. die Rentenfonds. Sie verwalten riesige Summen und sind gesetzlich verpflichtet, nur in »AAA« geratete Papiere zu investieren, so viele gibt es aber gar nicht! Die »Lösung« bestand in der oben beschriebenen »Innovation«: Banken schnürten »reguläre« Papiere mit weniger regulären und mit völlig faulen zum neuen »Anlageprodukt« CDO. Verkauft wurden diese über eigens gegründete Conduits (engl.: Structured Investment Vehicle), um die Eigenkapitalvorschriften der Bankenaufsicht zu umgehen.

Das Ausweichen in die Finanzsphäre ist eine normale Verlaufsform kapitalistischer Krisen, Marx hat das anhand der ersten Weltwirtschaftskrise 1857 bereits analysiert und dafür den Begriff »fiktives Kapital« geprägt (siehe die Artikel von Loren Goldner). Und ebenfalls schon sehr früh wurden im Kapitalismus »hedging«-Instrumente zum Spekulieren benutzt (schon im 17. Jahrhundert sicherten sich Bauern mit futures gegen den Preisverfall ihrer Ernten ab; und seit 1848 wird an der Warenterminbörse in Chicago mit der »verbrieften« Form solcher futures gehandelt, also spekuliert). Aber im Unterschied zu früheren Verlaufsformen kam es in den Krisen seit 1973 nicht zu einer massenhaften Entwertung der angehäuften Spekulations- und Kreditmassen (»Deflation«); deshalb steht das Verhältnis zwischen Finanzkapital und in Sachwerten angelegtem Kapital heute in einem Verhältnis, das es noch nie gab. Und deshalb scheint in jedem konjunkturellen Abschwung die »Systemkrise« auf.

Das Ende von Bretton Woods II

Nach dem Ende von Bretton Woods existierten seine Institutionen (IWF und Weltbank) fort, und die G7 wurde als neue Institution gegründet, um die Folgen der einseitigen Aufkündigung des alten Vertragswerks durch Nixon einigermaßen abzufangen. Es kam zu keinem neuen Vertrag, stattdessen bildete sich »vertragslos« etwas heraus, das seit einigen Jahren als Bretton Woods II bezeichnet wird. Es basiert darauf, dass die USA in riesigem Umfang Industrieprodukte aus Asien importieren. Da weder China noch Japan viel in den USA kaufen, kommt es zu einem hohen und ständig steigenden US-Außenhandelsdefizit. Im Gegenzug kaufen Japan und vor allem China US-Anleihen und Dollars, die sie als Währungsreserven halten. Die USA mussten also lediglich Dollar drucken, um das System in Gang zu halten. Entgegen der landläufigen Meinung ist nicht das hohe Außenhandelsdefizit der USA das Problem (es wird aufgewogen durch die zurückfließenden Profite der US-Multis; z.B. hat Wal-Mart mehr als 700 Fabriken in China), sondern die hohe Verschuldung. Von 1987 bis Ende 2007 stieg die Gesamtverschuldung der USA (Haushaltsdefizit, Schulden der Bundesstaaten, Schulden der Unternehmen) von 11 auf 48 Billionen Dollar (zum Vergleich: das Weltsozialprodukt beträgt ca. 61 Billionen Dollar), und sie wächst weiter: Allein der Regierungshaushalt 2009 sieht 482 Mrd. Dollar neue Schulden vor. Um diese Kredite bedienen zu können, brauchen die USA jährlich Kapitalzuflüsse von 400-500 Milliarden Dollar. Mit den massiven Zinssenkungen der Fed 2007 und der starken Abwertung des Dollars 2008 ist Bretton Woods II zusammengebrochen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik des Herabdrückens der Reallöhne und der gleichzeitigen Aufrechterhaltung der Binnennachfrage durch Ausweitung des Kredits ist erschöpft. Es ist unklar, wie ein neues, temporär »stabiles« System aussehen könnte.

Das aus der Immobilienblase abfließende Kapital auf der Suche nach sicheren Anlagen hat Rohstoffe (Kupfer, Gold, Erdöl, auch Wasser!) und Nahrungsmittel entdeckt. Dieses »Überangebot an Geld« löste eine weltweite Inflation aus, vor allem Nahrungsmittel und Energie aller Art verteuerten sich im Frühjahr 2008 dramatisch und weltweit. Die Preise für Erdöl stiegen stark an, obwohl die Nachfrage nur noch langsam wuchs und etwa seit Mitte 2008 stagniert (Zeichen der schrumpfenden Weltwirtschaft; in den letzten Wochen ist der Preis für Erdöl deshalb wieder stark gefallen). Aber zurück zu unserer Frage: Zerstören diese Finanz-Tsunamis nur die Lebensbedingungen vieler Millionen Menschen und haben womöglich gar keinen Einfluss aufs »Kapital«? Wo bleibt der Crash?

Bankenkrise

Die größte Krise in der Geschichte der Banken ist noch keineswegs vorbei. Da unklar ist, wo überall faule Kredite stecken, leihen sich die Banken untereinander kein Geld mehr. Es gibt eine »Vertrauenskrise«. Und Vertrauen in den geregelten Gang der Geschäfte ist eine materielle Voraussetzung des Kapitalismus. Bisher haben die Banken weltweit 450 Milliarden Dollar abgeschrieben, weniger als die Hälfte an ›faulen Krediten‹. Ende Juli verkaufte Merrill Lynch vergiftete Papiere mit einem Abschlag von 78 Prozent. Die Preise auf dem US-Häusermarkt fallen weiter. Die Zahl der Kreditausfälle nimmt zu, im Juli um 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am Ende der Krise könnte die Hälfte des gesamten haftenden Eigenkapitals der größten Bankkonzerne in den USA, Europa und Japan pulverisiert sein. Mehr als 100 kleinere US-Banken könnten bankrott gehen.

Größere Banken (wie die Sachsen LB, Northern Rock in GB, in den USA Bear Stearns im März und IndyMac im Juli 2008) waren zahlungsunfähig. Beim Bankrott von Bear Stearns wäre um ein Haar das internationale Finanzsystem kollabiert. Deshalb wurden all diese Banken gerettet, entweder indem der Staat oder die Zentralbank für ihre faulen Kredite garantierte und sie zu einem Spottpreis an eine andere Bank verkauft wurden, oder sie wurden, so wie IndyMac, die zweitgrößte gecrashte Bank in der US-Geschichte, im August vom staatlichen Einlagensicherungsfonds der US-Banken übernommen. Falls nicht doch noch das ganze internationale Finanzsystem crasht, wird der Bankensektor massiv konzentriert. (Dies gilt übrigens für die gesamte Ökonomie; siehe Autoindustrie!)

Im Sommer 2008 kommt die Krise bei den Versicherungen an (AIG, Münchener Rück, Hannover Rück, Allianz, Swiss Re usw.). Das war logisch und zu erwarten. Sie springt aber sofort auf die »konsumnahen Branchen« Einzelhandel und Autoindustrie über, die schon länger kriseln.

Die Autoindustrie in der Krise

Als erste Industriebranche wurde die Autoindustrie von der Krise erfasst. Daimler, BMW, Fiat, Toyota kommen unter Druck; General Motors, Ford und Chrysler, die bereits vorher wackelten, sind nun sogar von der Pleite bedroht.

Der Autoverkauf bricht ein, weil das Benzin teurer wird und weil die Konsumenten in der Krise ärmer werden. Zudem wurden die Rohstoffe und somit die Autos selber teurer, was die Absatzprobleme verschärft. Die Automultis kommen außerdem in die Bredouille, weil ihre Aktienkurse eingebrochen sind und sie von Ratingagenturen runtergestuft wurden (die Aktienkurse der erwähnten Automultis fielen im ersten Halbjahr zwischen 20 und 40 Prozent; die Ratingagenturen stuften GM und Chrysler auf B- runter, das ist fast junkbond-Niveau!). Konzerne, die niedrig geratet sind, müssen hohe Zinsen zahlen, um sich Geld am Kapitalmarkt zu beschaffen. Sie brauchen aber viel Geld, um durch technologische Innovationen aus der »Erdölfalle« rauszukommen. Als wäre das alles nicht genug, ist auch noch das Geschäftsmodell »Autobanken« zusammgebrochen. In den USA werden 80 Prozent der Autos auf Pump gekauft, die Finanzierung dieser Verträge war bisher so lukrativ, dass die Autobanken als »Geldmaschinen« galten. Seit November 2007 kamen sie aber durch hohe Kreditausfälle in Schieflage, Leasing lohnt sich für die Firmen bei einbrechenden Gebrauchtwagenpreisen gar nicht mehr.

Seit Jahren bauen die Autokonzerne riesige Überkapazitäten auf. 2008 brechen die Absätze in der »Triade« (USA, Westeuropa, Japan) ein. Hier wurden 2008 bisher acht Prozent weniger Autos verkauft, in den USA sogar 18 Prozent; General Motors hat bereits vier Autofabriken geschlossen. Gleichzeitig geht der Aufbau neuer Fabriken in den BRIC-Ländern weiter. Dass die Krise dort erst mit Zeitverschiebung ankommt, führt zu irrwitzigen »Trendrechnungen der Experten«, ein weiter steigender Absatz in Brasilien, Russland, Indien und China könne den Kriseneinbruch verhindern. Was allerdings sicher ist: die Automultis, die die Krise überleben, werden danach eine völlig andere Standortverteilung haben; tendenziell werden in der BRD z.B. keine Kleinwagen mehr hergestellt.

Die Autoindustrie, Schlüsselbranche und Namensgeber des Fordismus, und das Auto, Schlüsselprodukt der modernen Industriegesellschaft überhaupt, stehen beide vor radikalen Veränderungen.

Nach der Autoindustrie sind Maschinenbau und Technologie, Stahl und Chemie gefährdet. Sie alle sind »Spätzykliker«, d.h. die Krise trifft sie später. Auto, Chemie, Stahl, Maschinenbau… – die strategischen Branchen der BRD-Ökonomie.

Der Exportweltmeister geht krachen

Anfang 2008 feierte die Bundesregierung die fünfte Exportweltmeisterschaft in Folge: »Deutsche Unternehmen haben sich hervorragend auf die Erfordernisse der Globalisierung eingestellt«, klopfte man sich auf die Schulter. Die BRD exportierte 2007 Waren im Wert von 969,1 Milliarden Euro, bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2 423 Milliarden. Chemie- und Autoindustrie setzen sogar weit mehr als die Hälfte ihrer Produktion im Ausland ab. Der Außenhandelsüberschuss stieg von einem Minus von 17 Milliarden Euro in der Krise im Jahr 2000 auf 198 Milliarden 2007. Diese aggressive Außenhandelsstruktur ist Ergebnis einer gezielten Wirtschaftspolitik, die für umfangreiche Steuersenkungen für Unternehmer und massive Verbilligung der Ware Arbeitskraft sorgte.

Seit der Steuerreform des Schröder-Regimes ist die BRD ein Steuerparadies für Kapitalisten. Schon 2005 machten die Unternehmenssteuern nur noch 0,6 Prozent des BIP aus, während es im EU-Durchschnitt 2,4 Prozent sind (sogar im neoliberalen Musterland Slowakei mit dem einheitlichen Steuersatz Flat-Tax sind es 2,7 Prozent).

Hartz IV drückte die Löhne auf breiter Front. Die bewusst kalkulierte Verelendung der ALG-II-Bezieher soll alle abschrecken, die sich Lohnkürzungen oder unerträglichen Arbeitszeitverlängerungen widersetzen wollen. Damit wurde ein Niedriglohnsektor aufgebaut, in dem fast ein Viertel aller Beschäftigten in der BRD schuftet. (Vom Regime als »Zunahme der Erwerbstätigkeit« bejubelt.)

Die Netto-Lohnquote, der Anteil der Löhne an den verfügbaren Einkünften aller privaten Haushalte, ist von 48,1 Prozent im Jahr 1991 auf 41,2 Prozent 2005 gesunken – 1960 hatte sie noch bei 55,8 Prozent gelegen! Der durchschnittliche Stundenlohn stagniert seit 1991, inflationsbereinigt lag er 1991 bei 11,17 pro Stunde, 2006 bei 11,68. Die BRD ist – neben den USA – eins der wenigen Industrieländer, in denen die Reallöhne in den vergangenen Jahrzehnten nicht gestiegen sind. Deutsche Waren sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, weil sie unter hoher Produktivität von – im Verhältnis zu anderen, ähnlich produktiven Industriestaaten – gering bezahlten Arbeitskräften produziert werden: Die Lohnstückkosten waren in der BRD 2005 niedriger als 1995, während sie im übrigen Europa teilweise erheblich stiegen.

Der letzte Aufschwung basierte fast ausschließlich auf einem gewaltigen Schub der Auslandsnachfrage.

Seit dem Frühjahr findet mit enormem Tempo ein Wechsel von Wachstum auf Rückgang statt, besonders drastisch im Exportgeschäft. Denn die vier wichtigsten europäischen Abnehmerländer deutscher Exporte kriseln: Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien (die USA liegen in etwa mit GB gleichauf). Die extreme Ausrichtung der deutschen Ökonomie auf den Export wird in der globalen Krise zur Achillesferse (siehe Autoindustrie). Diese Krise wird die BRD besonders hart treffen, und sie wird in eine Bevölkerung einschlagen, in der breite Teile in den letzten Jahren einem Pauperisierungsprozess unterworfen wurden (es gibt heute eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger als im Jahr 2000). Viele Firmen haben in den letzten Wochen Massenentlassungen angekündigt: BMW, Infineon, Telekom, WestLB usw. Die Arbeitslosenzahlen werden ansteigen, die Auseinandersetzungen schärfer werden.

Globale Krise…

Die aktuelle Krise ist so weltweit wie noch nie eine Krise war. »Subprime« war nur der Auslöser, Inflation nur der (vorübergehende) Ausdruck. Der Mechanismus »Herabdrücken der Löhne« und schuldenfinanzierter Konsum von Rohstoffen und Industrieprodukten »aus der Peripherie« ist zerbrochen. Dahinter wird mit aller Macht der Kern der Krise sichtbar: Überakkumulation. Das Kapital ist in mehr als drei Jahrzehnten einmal um die Erde geflüchtet auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Nun ist der Kreis rund. Aus der aktuellen Krise gibt es nicht mehr den Ausweg, den es Mitte der 70er einschlug: Verlagerung, »Industrialisierung der Peripherie«. Die Peripherie ist heute industrialisiert.

Mit zurückgehender Nachfrage in den USA und den anderen G7-Staaten werden die »neu industrialisierten Länder« stark getroffen. Die BRIC-Staaten werden – mit Zeitverschiebung – tief in die Krise rutschen. Seit Oktober 2007 sind die Aktien in China um mehr als 60 Prozent abgestürzt. Im Juli 2008 war die Produktion erstmals seit 2005 rückläufig. Russland hatte bereits 2007 eine offizielle Inflationsrate von fast 12 Prozent, der Lebensstandard der Leute sinkt; die Lohnerhöhungen liegen unter der Inflationsrate, Nahrungsmittel haben sich um bis zu 50 Prozent verteuert. Die Investitionen gingen im ersten Quartal um 42,8 Prozent zurück. Die russische Ökonomie ist besonders verwundbar, weil sie völlig vom Export von Erdöl und Erdgas, sowie in geringem Maß von Erdöl-Raffinaten abhängt. Indien sieht schlechten Zeiten entgegen, die Inflation ist auf Rekordhöhen, das Bruttosozialprodukt wächst schwächer, 15 Prozent aller Ausfuhren gehen in die USA. Anders sieht es zur Zeit noch in Brasilien aus, das nach wie vor boomt.

Seit Mitte der 70er Jahre hat die Proletarisierung der Weltbevölkerung wie noch nie in der Geschichte zugenommen. In der Krise bildet sich nun ein weltweiter Arbeitsmarkt heraus, den wir uns aber nicht als etwas homogenes vorstellen dürfen, im Gegenteil wird die internationale Arbeitsteilung noch schärfer aufgespalten werden, womöglich wird sich die bereits zu beobachtende Re-Industrialisierung einiger Metropolen (»Rückverlagerung«) verstärken. Krisenbedingt werden sich die Migrationsströme weltweit noch einmal massiv verschieben – z.B. werden innerhalb von Europa Millionen OsteuropäerInnen aus den Krisengebieten (Irland, England, Spanien) wieder abwandern.

In diesen Prozessen wird eine weltweite Arbeiterklasse sichtbar.

… in Zeitlupe

Im Juli stieg die Inflation in den USA auf 5,6 Prozent – den höchsten Wert seit Dezember 1990. Besonders zu Buche schlugen gestiegene Preise für Bekleidung (die Importe aus China werden teurer). Die Arbeitslosigkeit ist den siebten Monat in Folge gestiegen und liegt nun offiziell bei 5,7 Prozent, Viele Großunternehmen entlassen: General Motors 5000 Leute, United Airlines 7000, American Airlines 6840 usw. usw. Aufgrund einer Etatkrise verkündete Gouverneur Schwarzenegger Ende Juli den Abbau von 22  000 Stellen im Öffentlichen Dienst Kaliforniens.

Die Verschuldung in den USA wächst weiter. Jeder Steuerbürger bekam einen Scheck von der Regierung, im Juli summierten sich diese auf 30 Mrd. Dollar. Zusätzlich verschuldeten sich die Privathaushalte um weitere 14,3 Mrd. Dollar. Trotzdem setzte der Einzelhandel lediglich 0,1 Prozent mehr um. Den Anstieg des BIP um 1,8 Prozent im zweiten Quartal 2008 nahmen viele Experten – mal wieder! – als Ende der Krise in den USA.

Der Euro(raum)

Die EZB erhöhte Anfang Juli den Leitzins auf 4,25 Prozent und hielt an dieser Entscheidung auch auf ihrer Sitzung Anfang August fest. Die Kommentatoren rätseln, viele kritisieren, manche fragen: wissen die was, was wir nicht wissen? Keynesianer spielen sich mal wieder als die »besseren Nationalökonomen« auf, denn volkswirtschaftlich gesehen ist es natürlich irrsinnig, die Zinsen in einer Rezession zu erhöhen. Hatte die EZB was verpennt?

Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Die EZB kämpft auf der einen Seite gegen die Klasse auf der anderen Seite gegen den Dollar. Der Euro war mit dem Ziel etabliert worden, die Vormachtstellung des Dollar aufzubrechen, und er hat wichtige Schritte in dieser Richtung gemacht. Zwar werden die meisten Rohstoffe nach wie vor in Dollar gehandelt und der Großteil der weltweiten Währungsreserven in Dollar gehalten, aber in vielen Ländern rund um die Eurozone ist der Euro informelle Zweitwährung, im illegalen Waffen- und Drogenhandel hat er angeblich den Dollar weitgehend verdrängt (das bedeutet hohe zinslose Kredite!), und vor allem werden inzwischen mehr internationale Anleihen in Euro begeben als in Dollar, der Euro knabbert somit an dem Privileg der USA, sich im Ausland in der eigenen Landeswährung verschulden zu können. Um in dieser Richtung weiterzukommen, muss er sich als starke Währung präsentieren. Das ist die eine Erklärung für den geldpolitischen Kurs der EZB: Angriff auf den Dollar. Die Zinserhöhung der EZB nahm der Fed die Möglichkeit, die Zinsen in den USA weiter zu senken (zuvor hatte diese siebenmal in Folge den Leitzins auf zuletzt zwei Prozent gesenkt). Die Fed steckt in einem Zwiespalt zwischen drohender Rezession und zu hoher Inflation und kann das nicht mehr durch Dollar Drucken ausgleichen.

Für uns wichtiger ist das – erklärte – Ziel der EZB, es nicht zu einer Preis-Lohn-Spirale kommen zu lassen (die Lohnforderungen werden höher, um die Inflation auszugleichen), was sie frecherweise »Lohn-Preis-Spirale« nennen: »In einem solchen Kontext ist es nach wie vor von entscheidender Bedeutung, breit angelegte Zweitrundeneffekte bei der Lohn- und Preissetzung zu vermeiden.« Der EZB-Rat beobachte deswegen die Tarifverhandlungen im Euro-Raum »mit besonderer Aufmerksamkeit«. (EZB-Monatsbericht, August 2008)

Eine knallharte Kampfansage, während sich die Krise entfaltet.

Inflation

ProletarierInnen haben nur Geld, kein anderes Vermögen, deshalb verlieren sie in einer Inflation mehr als andere; die prozentual viel stärker gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel und Energie treffen sie doppelt, weil diese Kosten einen viel größeren Anteil ihrer Ausgaben ausmachen. Noch viel mehr schlägt die Teuerung in Ländern wie Indien durch, wo Leute die unterhalb der Armutsschwelle leben, durchschnittlich mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Strukturell ähnliche Entwicklungen gibt es aber in den Metropolen: Zum Beispiel gab Anfang der 90er Jahre ein durchschnittlicher Haushalt in den USA 25 Prozent seines Einkommens für Wohnen aus, heute 50 bis 60 Prozent! Denn im letzten Aufschwung sind die Löhne nicht gestiegen: 2006 hatte das mittlere Realeinkommen US-amerikanischer Familien noch nicht wieder das Niveau des Jahres 2000 erreicht, somit geht die Durchschnittsfamilie mit einem Einkommen in diese Rezession, das unter dem liegt, was sie vor der vorigen Rezession hatte. Das gab es bislang erst einmal, nämlich 1981 in einer Rezession mit doppeltem Tiefpunkt. Die Krise trifft also auf bereits »geschwächte Verbraucher«, die sehr stark verschuldet sind. In den früheren Krisenangriffen konnte die US-amerikanische Arbeiterklasse bei sinkenden Reallöhnen ihren Lebensstandard nur durch Zweit- und Drittjobs halten – im letzten Angriff nur durch Schulden. Diese wurden bei irrwitzig steigenden Immobilienpreisen oft in Form von Hypotheken, evtl. subprime, aufgenommen.

Berichte

Da die Krise in der BRD immer mit etwas Verspätung, dafür dann umso heftiger ankommt, sollten wir uns vorbereiten! Wir haben deshalb im Juni FreundInnen auf der ganzen Welt angeschrieben und um Antworten auf zwei Fragen gebeten: Wie wirkt sich bei Euch die Krise sozial aus (Job weg, Wohnung weg, Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln und Energie…)? Welche Kämpfe gibt es an dieser Front? Als wir beim letzten Irakkrieg eine ähnliche Aktion starteten, bekamen wir in kurzer Zeit sehr viele Zuschriften, diesmal viel weniger. Auf Nachfragen stellte sich raus, dass schon die Beantwortung der ersten Frage schwer fällt (was ist Krisengeschrei, was sind reale Entwicklungen, was ist Gesundbeterei und was ist Panikmache?). Das Folgende ist – zusammen mit den Artikeln zu Ägypten und zu Rumänien – nur ein Anfang.

Vieles deutet daraufhin, dass die Krise in Europa vor allem in den neuen Beitrittsländern zuschlagen wird, die noch nicht den Euro eingeführt haben. Die baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien… die bisherigen Boomregionen befinden sich in einem starken Abschwung bei hoher Inflation (um die 20 Prozent). Die Nahrungsmittelpreise sind in der EU um 7,1 Prozent gestiegen, in Bulgarien und den Baltischen Staaten fast um 30 Prozent. Im Abschwung wird überall deutlich, dass der Aufschwung kreditfinanziert war, und dass v.a. der Konsum der Arbeiterklasse auf Pump beruhte.

Die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems?

»In der Krise des entwickelten Kapitalismus schimmert auch immer die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems auf: denn Krisen sind nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor Ausdruck des Mangels, sondern des Überflusses: es gibt zuviel Waren, zuviel Arbeitskräfte, zuviel akkumuliertes Kapital: Überproduktion, Arbeitslosigkeit, Konkurse … D.h. in der Krise wird handgreiflich klar, was »das Kapital« eigentlich ist: die Entfremdung der produktiven Möglichkeiten (!) der vergesellschafteten Menschen zu einer ihnen feindlichen, destruktiven und sie beherrschenden Macht…« (Wildcat-Zirkular 56, Mai 2000)

Wo finden wir diese Möglichkeiten aktuell?

Es ist gar nicht die Frage, ob Unternehmer und Staat die Krise wieder als Gelegenheit ergreifen, unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen mit weiteren »Dammbrüchen« zu verwüsten – das tun sie bereits, wie in allen bisherigen Kriseneinbrüchen! Und es ist nicht die Frage, ob es Widerstand dagegen geben wird – der hat bereits angefangen (siehe die food riots weltweit, siehe die Artikel zu Ägypten und Rumänien…). Die Frage ist, ob sich aus dem Widerstand Perspektiven entwickeln, in denen »die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems« deutlich wird. Ob aus Widerstand Angriff wird. Das lässt sich aus den drei Berichten nicht erkennen – dazu ist es auch noch etwas zu früh!

In der letzten großen Wirtschaftskrise kam es im Gefolge einer starken Rezession 1998/99 und einem Kollaps des Finanzsystems zu Aufständen und breiten Massenbewegungen in Argentinien. Aber letztlich waren die Herrschenden schneller als die Aufständischen. Die Folgen der Krise wurden auf die Proleten abgewälzt, und »die Wirtschaft« ist seit 2003 wieder auf Wachstumskurs.

Was ist zu tun, wenn es zu ähnlichen Entwicklungen kommt?

Seit dem Manifestwerden der Krise klammert sich die Linke beinahe instinktiv an die Verteidigung des Status quo und des Sozialstaats, somit mal wieder an den eigenen Nationalstaat. Eine Variante davon ist, dass sich einige als die besseren Volkswirtschaftler empfehlen und »Keynesianismus« als Lösung vorschlagen. Wenn das Leute tun, die an die Regierung wollen – PDS, Lafontaine –, brauchen wir das nicht weiter kommentieren, wenn es aber im ak propagiert wird, zeigt das, dass die radikale Linke mit der Entwicklung nicht mehr mitkommt. Noch vor zehn Jahren gingen diese Leute von drei Annahmen aus: Der Prozess der Globalisierung sei weitgehend abgeschlossen; wir haben es mit dem »Ende der Arbeit(erklasse)« zu tun; und wir müssen gegen den Neoliberalismus kämpfen. Der »Neoliberalismus« ist am Ende, die Arbeiterklasse keineswegs – sich jetzt auch noch damit auseinandersetzen, dass »Globalisierung« Ausdruck einer krisenhaften Entwicklung war, die nun an ihr Ende gekommen ist?! Das ist offensichtlich zuviel!

Immer nur Alternativen zum Regierungsprogramm zu formulieren, macht den Quark nicht fett: Schröder koppelt den Sozialstaat vom Lohn ab und führt mit ALG II ein miserables Grundeinkommen ein – die Linke fordert ein höheres Mindesteinkommen. Merkel faselt vom Klimagipfel – die Linke macht Klimacamps… Die Gewerkschaften wollen ihre Krise durch organizing überwinden – die Linken machen mit…

Solche sozialliberalen Positionen haben keine Antwort auf die neuen krisenhaften Entwicklungen des Kapitalismus. Der Finanz-Keynesianismus der letzten Jahre, der aus dem Crash des IT-Booms entstand und eine Immobilien- und Konsumentenkreditblase aufpumpte, ist geplatzt. Die Rückkehr zu einem »richtigen« Keynesianismus ist nicht machbar – selbst von den Kommandobrücken aus, auf die linke Denker sich so gerne stellen. Im nationalen Rahmen funktioniert das heute nicht mehr. Auf europäischer Ebene wurden die bisherigen Divergenzen durch die Erweiterung der EU so sehr verstärkt, dass ein europaweiter Keynesianismus gar keine Grundlage hätte. Übrigens konnte der historische Keynesianismus die Wirtschaftskrise erst im Zweiten Weltkrieg lösen.

Solche Programme müssten Forderungen in den Kämpfen zum Antrieb für die kapitalistische Entwicklung umbiegen. So was könnte in China passen, wo das Streikrecht konstitutionell verankert werden soll und Gewerkschaften entstehen – aber in Europa? Aber selbst wenn die Linken bereit wären, als Grenzträger der Macht alle Oppositionsbewegungen an den Staat zu binden und neue Instrumente zur Befriedung von Arbeiterkämpfen bereit zu stellen – wozu Die Linke natürlich konstitutiv da ist! – bräuchte es einen neuen säkularen Aufschwung, um den Kapitalismus zu stabilisieren. Ist das realistisch? Wird es nochmal zu einem »goldenen kapitalistischen Zeitalter« kommen?

Lieber die Kommandobrücken verlassen und »von unten« gucken, wie sich die Widersprüche zwischen den Bedürfnissen der Menschen gegen die krisenhafte Entwicklung des Kapitals in politische Kämpfe übersetzen! Kämpfe, die in sich die Potenzen haben, die ganze Scheiße zu überwinden. Die Macht liegt im Maschinenraum!