23.02.2005 [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]

 


Die Erfahrungen der Pariser Solidaritätskomitees: Eine neue Stufe

Überlegungen zu den Streiks bei Pizza Hut, McDonald's und Frog Pub

G. Soriano

aus: La question sociale, No. 1, Printemps-Été 2004

laquestionsociale@hotmail.com


Nach den erfolgreichen Streiks 2001-2002 mussten die Pariser Solidaritätskollektive unvorhergesehene Situationen meistern im Rahmen von Kämpfen mit nicht immer glücklichem Ausgang. Doch gerade die Widersprüche und Schwierigkeiten machen den Reichtum dieser Erfahrungen aus. Kämpfen und Siegen lernt man nur im Handgemenge

Mit Beginn des ersten Streiks bei McDonald's Strasbourg-Saint-Denis entstand ein Solidaritätskollektiv, das dazu beitrug, dass der Streik nach einhundertfünfzig Tagen erfolgreich endete, und das danach die Streiks bei FNAC, Virgin und Eurodisney unterstützte. 1 Nach dem Streikende bei McDonald's ging es weiter. Mit teilweise denselben Leuten entstand ein Kollektiv um den Streik der Putzfrauen bei Arcade.

Am 4. März 2003 ist dieser Streik nach einem Jahr erfolgreich beendet und die Frauen nehmen die Arbeit wieder auf.2 Das Kollektiv trifft sich ein letztes Mal, um eine kurze Einschätzung seiner Aktionen zu verfassen und um sich dann aufzulösen, erschöpft von den Aktivitäten der letzten Monate. Aber in der Zwischenzeit ist ein Streik bei Pizza Hut an der Metro-Station Bonne-Nouvelle ausgebrochen und einige Leute des Kollektivs gehen los, um sich mit den Streikenden zu treffen.


Pizza Hut an der Bonne-Nouvelle

Der Streik hat am 28 Februar begonnen, unterstützt von Kollegen von McDonald's Restaurant in der Rue Strasbourg-Saint-Denis, das nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Die Streikenden sind sehr jung (deutlich jünger als die bei McDonald's) und sehr unerfahren, was die Unterstützung durch die McDo's um so wertvoller machte. Acuh die Ortgruppe der CGT des 10. Arrondissement gibt logistische Hilfe, aber die aktive Unterstützung bleibt schwach. Das Kollektiv, das zwei Jahre zuvor dem McDonald's-Streik zur Seite gestanden hatte, konstituiert sich erst wieder. Das unklare Verhalten der CGT hat damit zu tun, dass unklar ist: wollen sie unsere Hilfe oder nicht? Die paar Genossen, die kamen und Kontakt aufnahmen, waren sicherlich keine Groupies der CGT, sondern wollten den Streikenden helfen. So entsteht ein kleiner Kern von Leuten, die erst den Streik bei McDonald's 2001 und später bei Arcade unterstützt hatten. Der Grund des Streiks ist vor allem der mangelnde Respekt des Managements gegenüber den Beschäftigten (das Verhalten eines Chefs grenzte an Belästigung und drückte Verachtung aus), aber es geht auch um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und die Rücknahme aller Sanktionen, die gegen die Beschäftigten verhängt worden waren.3

Der Streik wird nur von einem Teil der Beschäftigten getragen (insgesamt mehr als zwanzig), aber er führt schnell zur Schließung des Restaurants durch den Geschäftsführer. Dies wiederholt sich mehrere Male mit kurzen Arbeitsniederlegungen, die lang genug sind, um den Chef unter Druck zu setzen und die Moral der Streikenden zu heben. Diese stehen abwechselnd von morgens bis abends vor dem Restaurant. Die Unterstützung und Mitwirkung der McDos von nebenan helfen ihnen beim Durchhalten. Die Presse – durch die Serie der Streiks der vergangenen zwei Jahre wachgekitzelt – berichtet über den Ausstand und zuweilen scheint die Geschäftsleitung sogar verhandeln zu wollen.

Der Streik zieht sich hin, lässt aber nicht nach, denn ein harter Kern hält stand und macht es der Mehrheit der Streikenden möglich, dem Druck zu widerstehen, den der Arbeitgeber mittels Familien und Kollegen ausübt.

Am 11. März treten die Beschäftigten von McDo-SSD ihrerseits in Streik und besetzen auf Anhieb ihr Restaurant, das schnell der Treffpunkt zum Aktivisten wird, die schon beim letzten Streik dabei waren. Schnell werden Aktionen gegen die beiden Restaurantketten gemeinsam geführt, so die Besetzungen von Pizza Hut und von McDo d'Opéra – wo die Beschäftigten sich solidarisch zeigten.

Mehr als ein Mal ruft das Management von Pizza Hut Wachschutz oder Polizei zu Hilfe, um das Restaurant wieder zu öffnen. Aber auf Grund der Entschlossenheit der Streikenden kommt er nicht zum Ziel. Die Streikenden ergreifen die Gelegenheit um mit Gewalt in das Restaurant einzudringen und es zu besetzen, Auge in Auge mit Bütteln und Wachschutz. Schließlich nimmt die Geschäftsleitung Verhandlungen auf, wobei sie immer wieder versucht, Abdel Mabrouki auszuschließen, den die Streikenden zu ihrem Vertreter gewählt hatten.4 Am 28. März 2003 unterschreiben Geschäftsleitung und der Vertreter der Streikenden ein Protokoll über das Ende des Konflikts. Was wurde erreicht: die Zahlung einer Schuhprämie von jährlich 30 Euro; die Erstattung der Taxikosten für die Nachtschicht (um in der Nacht von der Arbeit nach Hause zurückzukommen) in Höhe von 15,24 Euro; Bereitstellung von Arbeitskleidung; Einrichtung einer Dusche und eines Pausenraums im Restaurant; Aufhebung aller Sanktionen, die vom neuen Manager seit 9. Januar des Vorjahres getroffen worden sind; Aussetzung von Versetzungen für ein Jahr; Zahlung aller Streiktage mit 50 Prozent (den Rest decken die von den Unterstützern organisierten Sammlungen).

Die Vereinbarung erfüllt natürlich nicht alle gestellten Forderungen, was sich vor allem durch die mangelnde Einheit unter den Beschäftigten erklärt. Dennoch scheinen die Streikenden alles in allem zufrieden, wenn auch einige sagen, sie seien bereit weiter zu kämpfen, um insbesondere bei den Löhnen mehr zu erreichen. Die Tatsache, dass sie mit ihrem ersten Streik der Geschäftsleitung Zugeständnisse abgerungen haben, seien sie auch beschränkt, lässt sie erhobenen Hauptes an die Arbeit zurückkehren.

Ein Teil der Streikenden hält die Verbindung zu den McDonald's-Beschäftigten weiter aufrecht und zeigt sich mit ihrem Streik solidarisch.


McDonald's de Strasbourg-Saint-Denis

Am 11. März beginnt der Streik, der ein Jahr andauern wird. Wir stellen ihn nur in einigen Grundzügen dar.

Warum gibt es diese neue Auseinandersetzung, gut dreizehn Monate nach Beendigung des erfolgreichen ersten Streiks? Die Beschäftigten gelangen zur überzeugung, dass McDonald's ihr Restaurant schließen möchte und dazu einen Franchise-Nehmer eingesetzt hat, der "den Laden aufräumen soll". Dieser Pächter tut alles, um die Belegschaft zu verkleinern (die Beschäftigtenzahl wurde innerhalb von zwei Jahren von 50 auf 30 im März 2003 reduziert) und die Bilanzen zu manipulieren, um beweisen zu können, dass das Restaurant nicht mehr rentabel und damit die Schließung aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt ist. Aber der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt, ist das Verschwinden von Lebensmitteln und Lieferungen und die darauf folgende Entlassung von Tino, dem stellvertretenden Restaurantleiter und Gewerkschaftsdelegierten der CGC [confédération française de l'encadrement – Gewerkschaft für Führungskräfte], der sich gegen die Tricks des Franchise-Nehmers stellt und diese offiziell zur Anzeige bringt. Schließlich beginnt der Streik und die Besetzung. Der Franchise-Nehmer reagiert auf die Besetzung mit einer einstweiligen Verfügung, um die Räumung des Lokals zu erreichen. Aber die Streikenden erhalten die Vollmacht, die Besetzung fortzusetzen – ein Faktum von äußerstem Seltenheitswert, der den Rechtsberatern der CGT zu verdanken ist. Der Chef versucht wiederholt, Gewalt einzusetzen, indem er Wachschutz anschleppt, das Wasser abstellt und versucht, den Strom sperren zu lassen. Das stärkt aber jedes Mal nur die Entschlossenheit der Besetzer und verbreitert die Unterstützung.

Diese Besetzung hat einen entscheidenden Einfluss auf den ganzen Verlauf des Streiks. Auf der Ebene der konkreten Aktion ist sie zunächst natürlich ein Zeichen der Stärke - die Beschäftigten müssen nicht, wie beim Streik vor zwei Jahren, monatelang frierend vor der Tür stehen. Auf der symbolischen Ebene ist die Gerichtsentscheidung in gewisser Weise eine Anerkennung der Legitimität ihrer Aktion. Es wäre möglich die besetzten Räume in einen Treffpunkt aller aktuellen Kämpfe und Initiativen von Paris und der Region zu verwandeln, aber die Streikenden sind anscheinend sehr vorsichtig: dieser Vorschlag des Unterstützungskollektivs wird nur widerstrebend ohne große Begeisterung unterstützt und wird schließlich vergessen, weil auf Seiten der Besetzer der Wille dazu fehlt.

Sie wissen, dass sie einen langen und harten Streik zu erwarten haben: die Unternehmensleitung von McDonald's hat ein gutes Gedächtnis und entschieden, sich dieses Restaurants, das ihrer Geschäftsstrategie im Wege steht, zu entledigen. Die Streikenden bringen daher viel Energie für die Aufrechterhaltung der Besetzung auf. Aber das erweist sich auch als Kehrseite der Medaille. Diejenigen, die vorher die Aktivsten waren, verbringen nun ihre Nächte in dem Lokal und sind tagsüber erschöpft. Dies und die Tatsache, dass mehrere Streikende sich gezwungen sehen, kleine Jobs zu suchen, um finanziell durchzuhalten, begrenzt die verfügbaren Kräfte für andere Aktionsformen der Aktion, die notwendig gewesen wären, damit der Streik öffentlich wahrnehmbar bleibt. Denn die Sichtbarkeit hatte die eigentliche Kraft des letzten Streiks ausgemacht, indem man sich mitten im Zentrum einer Touristenmetropole mit dem Image von McDonald's anlegte: jeder Tourist wurde allein dadurch, dass er den Streik um sich herum bekannt machte, zu seinem internationalen Kurier.

Ein weitere Schwäche des Konflikts tritt schnell zu Tage: es ist schwierig, den Ausstand auf die Beschäftigten anderer Restaurants der Kette auszuweiten. Beim vorherigen Streik war die Agitation in anderen Restaurants der Kette, wo es den Beschäftigten ebenfalls nicht an Problemen mangelte, der Direktion von McDonald's am unangenehmsten. Diese Taktik der Streikenden hatte es ermöglicht, die Solidarität mit den Streikenden von McDo-SSD mit restaurauntspezifischen Forderungen zu verbinden und so die verschiedenen Franchisenehmer dazu gebracht, auf die Unternehmensleitung von McDonald's France Druck auszuüben, das Problem zu regeln. Diesmal gestaltet sich diese Aufgabe erheblich schwieriger – jedenfalls nehmen die Streikenden es so wahr. In den ersten Monaten wird Kontakt zu Beschäftigten in anderen Filialen aufgenommen - in der Avenue Parmentier, die dem gleichen Pächter gehörte, aber auch Av. Montreuil, Saint-Cloud und Boulogne – damit diese den Streik unterstützen. Das bringt kaum Ergebnisse: der Kampfwille ist in diesen Filialen schnell wieder gesunken, was bei den Streikenden von McDo-SSD Verbitterung auslöst. In anderen Restaurants, die zuvor das Ziel gemeinsamer Aktionen waren, haben die Aktivsten inzwischen selbst gekündigt oder sind wegen ihrer aufsässigen Haltung entlassen worden. Das Resultat: Im Ergebnis fühlen sich die Streikenden isoliert, vor einer Mauer, was dazu führt, dass sie sich weiter abkapseln, überzeugt, dass nur sie selbst diesen Job werden machen können, wenn es ihre Gewerkschaft nicht tut.

Dafür glauben sie, McDonald's Frankreich mit ein paar wohlorganisierten Glanzstücken in die Knie zwingen zu können, wie den wiederholten Blockaden des Stützpunkts LR Services, der alle Restaurants der Île-de-France beliefert, oder der Besetzung von McDonald's auf den Champs-Élysées, der größten Filiale in Europa. Es ist ihnen dabei nicht klar, dass sie sich so vom guten Willen und der Verfügbarkeit der Unterorganisation der CGT abhängig machten, die allein fähig ist, die Infrastruktur und die Anzahl von Leuten bereitzustellen, die für diese nächtlichen Blockaden notwendig sind. Beim letzten Streik war es die "Konkurrenz" anderer Unterstützer, die die CGT dazu brachte, aktiv zu werden und eine Aufgeschlossenheit zu zeigen, die für sie ungewöhnlich ist.

Die Fédération du Commerce der CGT verweigert die finanzielle Unterstützung des Streiks nicht, aber die Hilfe scheint diesmal doch bescheidener, was der geringeren Medienpräsenz des Streiks zuzuschreiben ist. Die Spendensammlungen vor dem besetzten Restaurant gehen weiter, ebenso wie der Verkauf von T-Shirts auf allen Demos im Frühling 2003, aber die Schwäche der Blockadeaktionen vor den Pariser Restaurants führt zu einer Abwärtsspirale: die Samstagstreffen der Aktivisten werden seltener und die Aktionen werden ein ums andere Mal verschoben. Deshalb kann die Ausweitung, die 2001-2002 zu beobachten war, nicht funktionieren und das kleine Solidaritätskollektiv hat es schwer, eine wirksame Kampagne zur Popularisierung des Konflikts zu führen. Den lokalen Strukturen der CGT – die in den ersten Monaten eine gewisse Präsenz garantieren und bei den Streikenden die Erwartung auslösen, dass diese Hilfe bis zum Ende andauern wird, was sich natürlich nicht erfüllt, weil diese Strukturen zu keiner langfristigen praktischen Unterstützung in der Lage sind – scheint außerdem die Konkurrenz des Solidaritätskollektivs nichts auszumachen. Die Anwälte der Gewerkschaft verfolgen in ihrer Ecke ihre juristisch-politische Strategie, über die sie einige der Streikenden informieren, aber fast ohne dabei die Verbindung zu den Aktionen vor Ort herzustellen. Die Streikenden sehen sich daher mehr als ein Mal in der Verlegenheit, zwischen den verschiedenen Instanzen (Anwälten, CGT-Strukturen, Solidaritätskollektiv) jonglieren zu müssen, die ihrerseits alle auffallend ohne Kommunikation miteinander arbeiten und unterschiedliche und sich manchmal widersprechende Strategien anweden. Ganz im Gegensatz zum vorigen Streik, wo sich alle regelmäßig am selben Tisch getroffen hatten, was die zentrifugalen Tendenzen neutralisierte. Außerdem haben die Streikenden Mühe, sich zu treffen und miteinander zu diskutieren, was einige kollektive Entscheidungen wenig transparent macht und die internen Spannungen verstärkt. Mehrere am Solidaritätskollektiv Beteiligte fragen sich mehr als ein Mal offen, ob die schwache Beteiligung der Streikenden nicht dazu führt, dass den Streikenden die Verantwortung für den Streik abgenommen wird.

Dennoch bleibt ein Kern der Streikenden standhaft, hält den Kontakt mit den verschiedenen Unterstützern und versucht manchmal Verbindung zu den Kämpfen anderer Bereiche aufzunehmen. Z.B. begleitet man die "Intermittents", die Saisonbeschäftigten im Kulturbereich, bei handstreichartigen Aktionen, die zahlreiche Teilnehmer erfordern.

Die Besetzung des Lokals hat eine weitere negative Auswirkung, wenn man berücksichtigt, dass McDonald's Frankreich stark genug ist, den Streik totlaufen zu lassen: die letzten Widerstand Leistenden werden in ihrem kleinen gallischen Dorf eingeschlossen, verbarrikadiert hinter Flugblättern, Plakaten und Transparenten, bleiben aber unfähig, dem Image und vor allem den Erträgen des Unternehmens Schaden zuzufügen, die weiter ungestört eingefahren werden.

Aber nehmen wir den Faden der Ereignisse wieder auf. In den ersten zwei Wochen entwickelt sich der Streik in sehr aktiver Weise: die Unterstützung der Streikenden bei Pizza Hut mobilisiert die McDonald's-Beschäftigten nicht nur schon vor dem Ausbruch ihres eigenen Ausstandes, sondern bringt ihnen im Gegenzug die Unterstützung der Pizza Hut-Beschäftigten und führt dazu, dass der harte Kern des alten Solidatitätskollektivs, der schon den letzten Konflikt unterstützt hat, sich um einige Aktivisten herum wieder konstituiert. Diese Dynamik dauert über die Monate April und Mai an. Die 2. und 10. Ortsgruppe und die Organisation des Pariser Departements der CGT steuern wertvolle logistische und finanzielle Unterstützung bei. In der Zwischenzeit weitet sich die Bewegung der Lehrer und gegen die Rentenreform aus und die Demonstrationen häufen sich. Das ist die Gelegenheit für die Streikenden, an die finanzielle Solidarität einer Bewegung zu appellieren, die im Wesentlichen aus Beschäftigten des öffentlichen Sektors besteht und die sich freuen, dass Beschäftigte des Privatsektors aus einem derart symbolträchtigen Bereich wie McDo an ihren Demonstrationen teilnehmen. Die Schwäche dieser Verbindung bleibt jedoch einem aufmerksamen Beobachter nicht verborgen: die Kontakte beschränken sich auf Spendensammlungen und Unterstützungsverkauf auf Demos, es gibt kein solidarisches Engagement in konkreten Aktionen. Die führt zu der weit verbreiteten Ansicht, dass die Streikenden von McDo Solidarität nur konsumieren, aber nicht zu gegenseitiger Unterstützung fähig seien.

Am 23. April kommen Streikende von Frog Pubs in Begleitung von Leuten ihres Unterstützungskomitees zur Versammlung des Solidaritätskollektivs, um ihren gerade beginnenden Kampf bekannt zu machen und die Unterstützung dafür auszuweiten. Sie sind sehr tatkräftig und wollen gemeinsame Aktionen durchführen, schließlich kommen sie aus derselben Branche. Dass sie anders als die Leute von McDonald's der CNT angehören, macht niemandem Probleme. Schon von der folgenden Woche an nehmen sie als Block an den Demonstrationen der Frühjahrsbewegung teil, wähend jede Gruppe weiterhin für sich um finanzielle Unterstützung bittet. Bis zum Sommer folgen weitere gemeinsame Aktionen der beiden Streikgruppen und ihrer jeweiligen Unterstützer, die sich teilweise überschneiden, und außerdem organisieren sie einige Solidaritätskonzerte, deren Einnahmen gleichmäßig geteilt werden. Diese gemeinsamen Aktionen, die die oft räumlich eng beieinander liegenden Restaurants der zwei Ketten zum Ziel haben, werden nicht von allen gern gesehen.5

Die Verhaftung von Ryad wegen Beamtenbeleidigung und Widerstand infolge der Besetzung von McDo Boulogne am 30. Mai, die auf Betreiben der dort in Streik getretenen Beschäftigten durchgeführt wird, ist ein harter Schlag für die Moral der Streikenden. Ryad wird nach dreißig Stunden im Polizeigewahrsam freigelassen und am 2. Juli zu einer Geldstrafe verurteilt.

Zwischen Sommer und Herbst 2003 verstärkt der Niedergang der Kampfbewegungen das Gefühl der Müdigkeit. Es ist schwierig, Kampfkraft zu beweisen. Die Aktionen werden immer spärlicher und durch einige überraschungs-Blockaden von LR Services ersetzt, bei denen Mitglieder der Bewegung der Saisonbeschäftigten im Kulturbereich an die Stelle der Ortsgruppe der CGT treten, die nicht immer verfügbar ist.

Das Europäische Sozialforum, das im November in der Pariser Region stattfindet, ermöglicht es, genügend Kraft zu sammeln, um wieder Druck auf McDonald's Frankreich auszuüben (in erster Linie durch die Blockade des Restaurants auf den Champs-Élysées) und einen internationalen Solidaritätstag mit dem Streik bei McDo SSD durchzuführen. Der Erfolg dieses Tages dementsprechend relativ, aber er bringt die Idee hervor, die zur Verfügung stehenden internationalen Kontakte für Unterstützungsaktionen in anderen Ländern zu beleben – was dann in den letzten Monaten des Streiks in Kolumbien, Deutschland und Italien auch Auswirkungen hat.

Gegen Ende des Jahres werden die Blockadeaktionen gegen die Restaurants im Stadtzentrum wieder aufgenommen und die lange andauernde Mutlosigkeit der Streikenden beendet. Sie finden in einer Phase statt – erst Weihnachtsgeschäft, dann Schlussverkauf – die günstig ist für eine Veränderung des Kräfteverhältnisses im Handel. Gleichzeitig steigt aber auch die Kampfbereitschaft in der Branche wieder. Im Dezember brechen mehrere Streiks aus, von denen einige gewonnen werden6: in der Buchhandlung Flammarion im Centre Pompidou fordern die Beschäftigten ein dreizehntes Monatsgehalt und bekommen es nach einem Monat Streik (Dadurch angeregt mobilisieren sich die Garderobieren des Centre Pompidou, die bei einem anderen Unternehmer beschäftigt sind, für höhere Löhne und eine Neuregelung der Sonntagsarbeit.); bei Planet Hollywood profitiert der Streik für höhere Löhne vom günstigen Kräfteverhältnis in der Vorweihnachtszeit; bei Chicago Pizza Paille erreichen die Beschäftigten eine Lohnerhöhung um die zehn Prozent für die unteren Lohngruppen und fünf Prozent für die mittleren sowie eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen; bei Virgin organisiert sich die Solidarität für Cédric, den Gewerkschaftsdelegierten der CGT, der wegen "moralischer Belästigung seines Vorgesetzten" gefeuert worden ist7 (vor den Filialen und dem Firmensitz finden zwei Solidaritäts-Kundgebungen); bei Go Sport, einem traditionell ruhigen Laden, fest im Griff von Gewerkschaften, die mit dem Unternehmer gemeinsame Sache machen, hat die CGT zur Beunruhigung der Geschäftsleitung ungewöhnlichen Erfolg bei den Gewerkschaftswahlen; bei Pizza Hut geht der Streik der Filialleiter weiter, der am 29. November durch die Entlassung eines Supervisors ausgelöst worden war. Er läuft sich nicht tot, sondern bekommt die Unterstützung eines Großteils der Belegschaft. Dieser ungewöhnliche Streik, der sich offensichtlich auf der Verallgemeinerung mieser Arbeitsbedingungen auch auf die bis dahin ausgesparten Schichten bezieht, zeigt in aller öffentlichkeit, dass die Unternehmer keine Treue gegenüber ihrem Führungspersonal kennen: wie die kleinen Beschäftigten werden wie Zitronen ausgepresst und dann rausgeschmissen.8

Fügen wir diesem Gesamtbild noch hinzu, dass die Saisonbeschäftigten im Kulturbereich in Bewegung bleiben und genügend Schwung haben, um bei anderen streikenden Lohnabhängigen ein bisschen nachzuhelfen – so intervenieren sie massiv am 13. Dezember in der Nationalbibliothek bei einer AusstellungserÖffnung in Anwesenheit des Kultusministers, was dem streikenden Sicherheitspersonal des Subunternehmens Securitas sehr konkret hilfte, da ihm gerichtlich verboten ist, Streikposten aufzustellen.

Kurz vor dem ersten Jahrestags des Streiks werden die Verhandlungen mit McDonald's France wieder aufgenommen und intensiviert. Nach 363 Streiktagen kann man endlich von einem Sieg sprechen9. Die Streikenden erreichen: die Absetzung des Franchisenehmers, der versucht hat, das Restaurant runterzuwirtschaften, und die Vergabe an einen neuen, den die Streikenden bereits kennen und der ihnen korrekt erscheint; die Wiedereinstellung von Tino, vorerst für acht Monate in einem Restaurant desselben Franchisenehmers, danach wieder in der Filiale von Strasbourg-Saint-Denis; die Zahlung aller Streiktage mit 35 Prozent und zusätzlich Neueinstellungen in unbestimmter Höhe; Garantien bei Wiederaufnahme der Arbeit: es wird keine neuen Manager geben, die interne Beförderun hat Vorrang; die Beschäftigten werden weiterhin ein Kontrollrecht bei Neueinstellungen und der Organisation des Arbeitsplans haben.

Keinen Fortschritt gibt es in der Frage der Löhne. Wegen der nicht bezahlten überstunden in den fünf Jahren vor dem Streik beabsichtigen die Beschäftigten, falls sich das Problem nicht anders regeln lässt, die Angelegenheit vor das Arbeitsgericht zu bringen. Von diesen Einschränkungen abgesehen lässt sich sagen, dass die Streikenden in allen wesentlichen Punkten, die Anlass für den Streik waren, gewonnen haben.10

Parallel zu diesen Verhandlungen haben fünf Beschäftigte (deren Entlassungen im Oktober 2001 als Ergebnis von 115 Tagen Streik zurückgenommen wurden) ihr Ausscheiden gegen hohe Abfindungen ausgehandelt. Dieser Handel hat ohne Zweifel zum günstigen Ausgang des Konflikts beigetragen, zieht man in Betracht, wie sehr sich McDonald's Frankreich in ihrem Fall festgelegt hatte (die im Herbst 2001 gegen sie erhobene Klage ist schließlich zurückgezogen worden): Da diese Verhandlung in aller öffentlichkeit, vor den Augen der anderen Beschäftigten, führte sie nicht zur Spaltung und schwächte den Kampf nicht.. Die CGT, von ihrer Kultur her natürlich nicht ArbeiterInnen Recht geben kann, die einen unbefriedigenden Arbeitsplatz aufgeben, zog es vor, Stillschweigen über diesen Teil der Verhandlungen zu bewahren, obwohl sich alles vor den Augen und mit Wissen aller beteiligten Parteien abspielte. Der Text der Vereinbarung ist den Beschäftigten nach der Unterzeichnung nicht ausgehändigt worden. Das Kollektiv hat sich daher einige Fragen gestellt: War der unterschriebene Text ein formgerechtes Dokument über das Streikende oder eher eine übereinkommen zwischen Rechtsvertretern? Gibt es eine Vertraulichkeitsklausel, weswegen die Beschäftigten den Text nicht erhielten? Jedenfalls hielt es die CGT wie auch die Anwälte für wichtiger hielten, eine Pressekonferenz abzuhalten (und ihre Informationen für die Journalisten zu reservieren), als alle Beschäftigten und die, die sie über Monate aktiv unterstützt hatten, direkt zu informieren. Aber das ist nur die logische Fortsetzung ihres Verhaltens während des Streiks.

Auf seinem letzten Treffen zog das Solidaritätskollektiv zusammen mit einigen Streikenden eine kurze Bilanz des Streiks. Es wurde offen über die Rolle des Komitees während des Streiks diskutiert, wo seine Arbeit unzulänglich war und wo es versagt hatte. Hier ein Auszug aus einem Bulletin, das diese Bilanz zusammenfasst:


Was war die Rolle des Solidaritätskollektivs bei der Unterstützung dieses Streiks?
  • Wie schon bei den vorangegangenen Konflikten (erster McDonald's-Streik, Virgin, Fnac, Arcade, Frog usw.) haben wir versucht, mit unseren bescheidenen Mitteln die Kräfteverhältnisse vor Ort zu verändern. Manchmal haben wir dabei gute Ergebnisse erzielt, besonders als die Franchise-Nehmer Druck auf McDonald's Frankreich ausübten, um zu erreichen, dass sie nicht mehr als Zielscheibe der Blockaden genommen werden (und dass das Mutterunternehmen zu seiner Verantwortung steht), oder als McDonald's, nachdem sie den Streik schon für tot hielten, die Einstellung unserer Aktionen als Vorbedingung für die Wiederaufnahme der Verhandlungen fordern musste.
  • Der Gewerkschaft war das Kollektiv oft ein Dorn im Auge. Aber dieser Dorn ermöglichte es, dass sich die Streikenden auch in Momenten weiter unterstützt fühlten, in denen ihre Gewerkschaft natürlicherweise dazu tendierte, sie im Stich zu lassen, wie es unzählige Male vorher bei anderen Streiks passiert ist. Die Aktionen des Solidaritätskollektivs halfen dabei, den Streik bekannt zu machen, seine Ausstrahlung und die Moral der Streikenden zu stärken (was sie ab und zu nötig hatten). Das Kollektiv konnte die Aktionsbreite, die es beim ersten Streik entfaltete, aus den oben dargelegten Gründen niemals erreichen. Es konnte der Dynamik des Streiks nicht die Kraft geben, die ihm manchmal fehlte. Es konnte diese Kraft nicht ersetzen; es konnte sie nur unterstützen und als Verstärker fungieren, außer wenn es nicht groß zu verstärken gab.
  • Trotz aller Schwächen, die wir hier offen anführen, damit andere sich in ähnlichen Situationen nicht entmutigen lassen, wollen wir klarstellen, dass ohne die Hartnäckigkeit der Streikenden nichts möglich gewesen wäre. Sie machten schienen manchmal wenig Vertrauen zu sich selbst zu haben und versuchten, sich rückzuversichern, indem sie sich an den großen Bruder Gewerkschaft wandten. Diese ist heutzutage nicht in der Lage, einen Streik zum Erfolg zu bringen – und sie hätte auch schwerlich die Existenz eines bunt zusammengewürfelten und uneinheitlichen Kollektivs wie das unsere ertragen, wenn sie sich dessen nicht bewusst gewesen wäre. Trotzdem entwickelte sich ein berechtigtes Misstrauen gegenüber gewissen Strukturen der CGT.

Was ist über die Bedeutung dieses Streiks zu sagen? Wie schon der erste Streik profitierte er auch von einer quasi "natürlichen" Popularität, was mit der Stärke eines gewissen Antiamerikanismus und damit zusammenhängt, dass McDonald's zum Symbol für Scheißfraß geworden ist. Aber das ist nicht das eigentlich Wichtige. Allein dass es diesen langen Streik überhaupt gab, ebenso wie den Streiks im Jahr zuvor, ist ein Angriff auf das McDonald's-Modell der Personalführung, ein Modell, das im Fast-Food-Bereich Schule macht, aber auch in der Arbeitswelt insgesamt eine wachsende Rolle spielt. Die Teamsolidarität, auf die die Restaurantführungen setzen, um maximale Verfügbarkeit und Leistung zu erzielen, hat sich in eine Solidarität des Kampfs umgedreht, die auf die Statusunterschiede pfeift. Allgemeiner ausgedrückt hat die "Qualifizierung während der Arbeit" – verstanden als das Erlernen der Unterordnung unter die Flexibilitätserfordernisse des Unternehmen – ihre Grenzen gezeigt, auch wenn heute zum Wohle der Chefs diese Ausbildung die Arbeit im Gleichschritt, erlernt bei der Armee, ersetzt hat.

Diese Aspekte treffen auf beide McDo-Streiks zu, ein anderer ist jedoch für den hier beschriebenen spezifisch: Die Beschäftigten haben direkt die Machtfrage im Betrieb gestellt, indem sie sich gegen die Handlungsweise des Chefs stellten und erklärten, dass das Restaurant, um korrekt zu funktionieren, mehr Leute braucht: Wer entscheidet, was machbar, unumgänglich oder nützlich für die korrekte Abwicklung der Arbeit ist? Was genau sind akzeptable Arbeitsbedingungen? Was ist das Ziel des Unternehmens? Wenn der Chef nicht mehr beschließen kann, seinen eigenen Laden herunterzuwirtschaften, ohne dass sich seine Beschäftigten einmischen, wo kommen wir denn da hin?


Die Frog Pubs in Paris – Ein »modernes« Unternehmen

Die vier Pubs von Frog in Paris befinden sich auf der rue Saint Denis, der rue Princesse in Saint Germain des Près nahe der Nationalbibliothek und in Bercy Village. Das letzte ist die größte und profitabelste der Pariser Filialen. Sie gehören zu insgesamt sieben Filialen, die zusammen die Aktiengesellschaft Frog Pubs bilden. (Die restlichen drei befinden sich in Toulouse, Bordeaux und Lissabon.) Die Kneipen sind englisch gestylt, es wird vor Ort gebrautes Fassbier ausgeschenkt, zusätzlich werden noch Speisen angeboten, um die Kundschaft zu einem längeren Aufenthalt zu veranlassen. Das Küchenpersonal ist laut Arbeitsvertrag zu einer gewissen Mobilität zwischen den verschiedenen Filialen verpflichtet. Trotzdem weigern sich die Chefs, die Gruppe als ein einziges Unternehmen anzuerkennen - ganz offensichtlich, um die Einsetzung einer offiziellen gewerkschaftlichen Vertretung zu verhindern, wie sie gesetzlich für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten vorgesehen ist.

Es handelt sich um ein typisches Exemplar der Mittel- und Kleinunternehmen (PME), in dem der Druck der Unternehmer stark und direkt ausgeübt wird, oft sehr viel stärker als in einem Betrieb mit bürokratischer Hierarchie. Die Personalführungsmethoden sind brutal, es kommt immer wieder zu Konfrontationen. Wir haben es dennoch mit einem modernen Unternehmen zu tun, geführt von zwei Absolventen einer Fachhochschule für Handel, für die das zu verkaufende Produkt ausschließlich kommerziellen Wert besitzt. Diese teilt auch das Publikum: die Pubs werden von Konsumenten im vollen Sinn des Wortes besucht - Leute, die ein bisschen Ruhe haben wollen, unter Freunden sein und einfach nur ein wenig ausspannen wollen, und die ganz allgemein keine Lust haben, sich groß einen Kopf zu machen und etwas in Frage zu stellen, schon gar nicht über die Arbeitsbedingungen der Leute, die dort arbeiten, wohin sie kommen, um zu konsumieren. Dieses Phänomen erreicht karikaturhafte Züge, wenn Fußballübertragungen sind. Die Fans strömen in die Pubs, angezogen von den Großbildschirme, und scheinen für nichts anderes mehr Augen und Ohren haben.

Das Küchenpersonal arbeitet in winzigen, unzureichend belüfteten Küchen (12 qm im Café Frog in Bercy, das allein eine Fläche von 450 qm hat und wo jeden Tag Hunderte von Gedecken serviert werden). Die Löhne sind sehr bescheiden, sie bewegen sich zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn für die Küchenkräfte und 1200 Euro für den Küchenchef. Die Arbeitszeiten und die Schichten werden nach Belieben vom Chef festgelegt und ohne Diskussion zugeteilt. Es gibt keine Stempeluhren, was dazu führt, dass die Bezahlung der überstunden vergessen wird. Die Vergabe der Arbeitsplätze nach Qualifikation, wie sie im Vertrag vereinbart ist, wird nicht respektiert. Taxikosten nach Betriebsschluss der Metro werden nicht erstattet, obwohl die Beschäftigten vorwiegend in der Banlieue wohnen. Ebenso wenig existieren Umkleideräume: die Leute müssen sich im Treppenhaus umziehen und die hygienischen Bedingungen sind auch nicht die besten.

Dies macht eines klar: Diese modernen Unternehmer mit ihrer freundlichen Miene scheren sich einen Dreck um die Menschen, deren Arbeitskraft sie ausbeuten, aber auch um die Gäste, denen sie das Geld aus der Tasche ziehen. Die einen wie die anderen sind nichts weiter als Rädchen in der Profiterzeugungsmaschine.

Das Servicepersonal ist in der Mehrheit britischer Herkunft und froh, eine Arbeit in vertrauter kultureller Atmosphäre gefunden zu haben. Das Küchenpersonal ist tamilischer Herkunft, wird über ethnische Beziehungen rekrutiert und spricht schlecht oder gar nicht Französisch. Sie sind schwach und angreifbar wie die meisten Migranten, die gezwungen sind, unter schwierigen Bedingungen einen Platz in der Aufnahmegesellschaft zu finden, die gar nicht so aufnahmebereit ist. Die Unternehmer glauben natürlich, dass sie sich überhaupt nicht darum küern müssen.


Die ersten Anzeichen von Kampfbereitschaft

Mitte November 2002 suchen Angehörige des Küchenpersonals von Frog Pubs das erste Mal Kontakt zur CNT-F. Es ging darum, Sprachkurse für AusländerInnen zu organisieren. Gleichzeitig waren sie aber auch auf der Suche nach einer Gewerkschaft, die sie schützt: Sie erkundigten sich bei der CGT, bei SUD und dann auch bei der CNT. Im Januar 2003 begannen StudentInnen der Universität VIII von Paris mit Alphabetisierungskursen für ausländische, in der Gastronomie und im Reinigungsgewerbe Beschäftigte. Drei Küchenangestellte von Frog nehmen daran teil. Aus diesem Kern wird Unterstützungskomitee entstehen. Die Kurse finden bis zum Ausbruch der Streiks im April 2003 statt.

Die Küchenangestellten der Frog Pubs sind alle aus der tamilischen Community heraus durch Vermittlung eines Mannes rekrutiert, der, selbst tamilischer Herkunft, eine Doppelrolle spielt: Anwerber und rechte Hand der Chefs, anscheinend teilweise auch am Unternehmen beteiligt, andererseits ist er auch Vermittler zwischen ihnen und den Küchenangestellten. Er stellt die Schichtpläne auf, kontrolliert umsetzte, Verspätungen, verhängt Sanktionen, er rät aber auch, Lohnerhöhungen zu verlangen. Als einziger fließend französisch sprechender Tamile bei Frog vermittelt er auch ständig bei alltäglichen Problemen, die Unternehmer reden nur, wenn er dabei ist, das heißt, sie reden nur mit ihm. Gleichzeitig ist er der Interessenvertreter der Küchenangestellten, die von ihm sehr abhängig sind. Das geht soweit, dass sie ihn soger zu ihrem gewerkschaftlichen Vertreter wählen.

Dennoch beginnen einige Küchenangestellte mit einer Art kollektiver Verteidigung (anfangs ist das mehr ein Versuch, sich vor diesem Vermittler zu schützern als vor dem Unternehmer) und treten der SHRT, der Gastronomie-Gewerkschaft der CNT bei: drei im Februar, gute zwanzig im April. Die erste Intervention der Gewerkschaft ist ein angekündigter Besuch des Arbeitsinspektors im Pub von Bercy-Village, er hat keine Auswirkungen. Daraufhin kommt es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen dem Unternehmer und den Küchenangestellten. Die Spannung nimmt so weit zu, dass zwischen dem 5. März und dem 16. April 31 Abmahnngen verhängt werden.

Die CNT leitet ihrerseits das übliche Prozedere ein, informiert die Geschäftsführung über die Ernennung eines gewerkschaftlichen Vertreters, um offiziell als gewerkschaftliche Vertretung im Unternehmen anerkannt zu werden. Damit will sie die Anerkennung Anerkennung der unternehmerischen Einheit der vier Restaurants erreichen, um dort Wahlen organisieren zu können. Am Donnerstag, dem 10. April, wird der nun zum Delegierten und Wortführer der Küchenangestellten gewordene Mittelsmann gekündigt. Die Beschäftigten sind der Meinung, dass man dem Chef nicht freie Hand lassen dürfe und treten zu dessen Verteidigung an, auch wenn er nicht ihr Freund ist.

Am Sonntag, den 13. April, wird einstimmig der Streik beschlossen. Am Montag darauf wird ein Küchenangestellter, der sich geweigert hat, eine Arbeit zu verrichten, zu der er laut Vertrag nicht verpflichtet ist, freigestellt. Einige Tage später wird die Freistellung in eine Kündigung umgewandelt. Die Küchenangestellten kennen nichts als die Arbeit, sie haben keine Kampferfahrung in Frankreich, es ist ihre erste Gewerkschaftszugehörigkeit und ihr erster Streik. Sie können kaum einschätzen, welche Form dieser Streik annehmen kann, was möglich, was legal ist und auch nicht, was die tatsächliche Stärke der Gewerkschaft ist, die sie unterstützt. Sie müssen sich mit den sehr summarischen und manchmal großsprecherischen Erklärungen der CNT zufrieden geben, die bei ihnen den Eindruck erweckt, sie würde mit dem Widerstand des Unternehmers im Handumdrehen fertig werden.

Dazu kommt, dass sie nicht auf die Unterstützung der anderen Beschäftigten der Pubs zählen können. Denn die klassische Spaltung in Küchenpersonal und Service wird in diesem Fall noch verstärkt durch die ethnische Spaltung in britisches Bedienungspersonal und tamilische Küchenangestellte, die von den Unternehmern bewusst herbeigeführt und ausgenutzt wird. Diese Spaltung können sie weder beim Streikbeginn noch danach überwinden: Das Bedienungspersonal bleibt ihnen mehrheitlich feindlich gesinnt. Andererseit ermöglicht derethnische Charakter der Mobilisierung der Küchenangestellten, dass der Streik ausbricht und einige Monate lang einigermaßen gemeinsam durchgehalten wird.


Offensive Anfänge

Am 16. April beginnt der Streik, 28 von 29 Küchenangestellten der Kette nehmen teil. Die ungerechtfertigte Kündigung des für das Küchenpersonal Verantwortlichen war Auslöser des Streiks, jetzt geht es um die Forderungen. Die Streikenden einigen sich auf folgende Forderungen: Beendigung der Kündigungsprozeduren; Annullierung aller Sanktionen; Einhaltung der Arbeitsverträge; bessere Hygiene- und Sicherheits-Bedingungen (von den Kundenklos getrennte eigene Toiletten, Duschen, vom Lager getrennte, trockene Spinde usw.); Bezahlung der nicht vermeidvaren überstunden; Ansetzung von Wahlen für die Personalvertretung für alle vier Restaurants in Paris; Einhaltung des Rechts auf bezahlten Urlaub; vollständige Bezahlung der Netzkarte; eine Prämie für Beschäftigte, deren Arbeit erst nach Mitternacht endet; eine hundertprozentige Zulage für Nachtarbeit; Bezahlung eines dreizehnten Monatsgehalts; Zugang zur Wohnungszulage (patronal); eine bessere Arbeitsorganisation mit größtmöglicher Reduzierung der Arbeitszeitunterbrechungen und die es ermöglicht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu kommen; Lohnerhöhung; Respektierung freier gewerkschaftlicher Betätigung.

Vom ersten Tag an bekennt der Chef Farbe: Es gibt nichts zu verhandeln. Steht vor dem Restaurant so lange herum, wie ihr wollt, mir ist das egal. Offensichtlich kann er sich nicht vorstellen, dass der Streik seine Geschäfte beeinträchtigen könnte: Diese Ausländer, die keine Ahnung von französischem Recht haben, werden sich keine Geltung verschaffen können. Während der ersten Woche bleibt er bei dieser Haltung völliger Verschlossenheit und geht in der überzeugung, das Recht auf seiner Seite zu haben, sofort vor Gericht. Er erreicht eine Verfügung, die es der CNT und den Streikenden untersagt, das Restaurant zu betreten oder seinen Zugang zu versperren.

Den Streikenden wird schnell klar, dass bei so einem knallharten Chef, der jede Verhandlung ablehnt, regelmäßiges Flugblattverteilen und das Aufstellen von Streikposten vor dem Restaurant für einen Erfolg des Streiks nicht ausreicht. Die Kunden nehmen zwar die Flugblätter, aber das hält sie nicht vom Betreten des Restaurant ab. Dort erhalten sie dann auch recht bald ihr Essen, denn ab dem zweiten Streiktag ersetzt der Chef die Streikenden, lässt das Bedienungspersonal in der Küche arbeiten und stellt Leute mit unbefristeten Verträgen ein. Die Streikenden suchen also nach anderen Mitteln, um das gute Geschäft der Restaurants zu unterbrechen. Die CNT weigert sich wegen der Anordnung des Gerichts, die ihr den Zugang untersagt, in die Geschäftsräume einzudringen. Es wird über den Einsatz von Stinkbomben und andere Kraftakte diskutiert, aber tatsächlich passiert dann nichts. Die ersten Zweifel an der tatsächlichen Stärke der Gewerkschaft kommen auf...

Vor diesem Hintergrund treten die Streikenden an das Kollektiv heran, das den Streik bei McDonald's unterstützt. Einige kommen am 23. April zur Versammlung des Kollektivs. Die Zusammenarbeit beginnt mit dem gemeinsamen Auftritt der Streikenden von Frog nd McDo auf der 1. Mai-Demo und der sich anschließenden Erstürmung des Pubs von Bercy durch rund sechzig auf dem Umzug mobilisierte Leute. Diese Aktion schlägt wegen der Aggressivität des Servicepersonals und der Zögerlichkeit der Streikenden ziemlich schnell fehl, die den genauen Sinn der Anweisungen nicht verstehen. Nach einer kurzen gemeinsamen Versammlung am Samstag, den 3. Mai treffen sich Frog- und McDonald's-Beschäftigte und dringen zusammen mit zahlreichen Unterstützern in den Pub der rue Saint-Denis ein. Mit dem Chef und einigen KellnerInnen gibt es dort Zusammenstöße, die der Moral des Chefs offensichtlich einen schweren Schlag versetzen. Danach blockieren sie McDo des Halles gegenüber der Fontaine des Innocents.

Die Streikenden sind gut drauf, sie wollen schwungvoll weitermachen. Aber am Sonntag, dem 4. Mai, beim Treffen der SHRT, deren Sekretär selbst nicht anwesend ist11, bestehen einflussreiche Mitglieder der CNT darauf, zukünftig die Restaurants nicht mehr zu betreten. Sie berufen sich auf mögliche Bußgelder im Zusammenhang mit der richterlichen Verfügung. Am Mittwoch den 7. Mai nach der gemeinsamen Zusammenkunft mit den Streikenden von McDonald's wird der Pub in der rue Saint-Denis erneut besetzt. Der Chef – diesmal noch aggressiver als jemals zuvor – sperrt Kunden, Streikende und Unterstützer bis zum Eintreffen der Polizei im Pub ein. Die Polizei ordnet nicht nur die Öffnung der Türen an und handelt freien Abzug aus. Weil sie darüber verärgert ist, dass sie von einem dickköpfigen Unternehmer ständig belästigt werden, setzen sie den Boss unter Druck, mit Verhandlungen zu beginnen. Der Chef erklärt sich dazu bereit und verspricht den Streikenden, am nächsten Tag von sich hören zu lassen. Was er allerdings nicht tut.


Die unterschiedlichen Denkweisen werden deutlich

Die Streikenden wollen den Druck aufrechterhalten, um ihn zu Verhandlungen zu zwingen. Die CNT akzeptiert ihren Standpunkt und setzt eine neue Besetzung für den 8. Mai in der rue Princesse an, an deren Ende sich der Chef schriftlich verpflichtet zu Verhandlungen verpflichtet. Bei dieser Besetzung, zu der die CNT die Unterstützer außerhalb der CNT nicht eingeladen hat, tritt zum ersten Mal der Krieg zwischen Clans innerhalb der CNT öffentlich zu Tage, die alle den Streik kontrollieren wollen.12 Und dass es der Organisation vor allem um Selbstdarstellung geht – CNT-Fahnen, Anbringen von Ansteckern, Aufklebern, Flugblätter, die an zentraler Stelle dazu auffordern, zur CNT zu kommen.

Im gesamten Verlauf des Konflikts wird deutlich, egal welcher Clan der CNT zum jeweiligen Moment das Oberwasser hat, dass die CNT den Streik mehr dazu benutzt, ihre Wahrnehmung in der öffentlichkeit zu steigern, als ihre Organisation in den Dienst des Streiks zu stellen. Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen ihrer Denkweise und der des Solidaritätskollektivs, das sich um die Streikenden herum mit dem einzigen Ziel gebildet hat, ihnen zum Erfolg zu verhelfen.

Aber die Strategie der öffentlichen Sichtbarkeit hat ihren Preis: die Gewerkschaft wird schnell zur Zielscheibe von Gerichtsvollziehern und Polizisten, die beauftragt sind, die Verfügung des Gerichts anzuwenden, was alle Besetzungsaktionen wegen der drohenden gesalzenen Bußgelder gefährlich macht. Diese Strategie wird schnell ein Handicap für die Aktionen vor Ort: die CNT kann sich öffentlich ohne finanzielle Risiken nicht blicken lassen. Aber wenn sie sich nur wenig zeigt, sind ihre Mitglieder nicht motiviert genug, um zu den Orten des Konflikts zu kommen. Daher kann man die CNT-Leute, die den Streik kontinuierlich unterstützen, an den Fingern einer Hand abzählen.

Die diversen Verhandlungszusagen, die der Unternehmer unter Druck gemacht hat, verflüchtigen sich jeweils kurz danach. Es wird schnell deutlich, dass, solange die Arbeit durch andere abgesichert ist, die schweren Aktionen - wie sie die Streikenden nannten - das einzige Mittel sind, ihn an den Verhandlungstisch zu zwingen. In diesem Umfeld werden die methodischen Unterschiede zwischen Solidaritätskollektiv und CNT auffälliger und die Streikenden bemerken es auch. Sie fordern gemeinsame Versammlungen von Streikenden, Solidaritätskollektiv und Gewerkschaft, dem die CNT so lange wie möglich auszuweichen versucht.

Am 10. Mai verläuft ein erstes Verhandlungstreffen ergebnislos, so dass am selben Abend erneut das Pub von Bercy besetzt wird. Dort gibt es einen Zwischenfall, woraufhin ein Kellner gegen zwei Streikende Anzeige erstattet. Das dient dem Chef als Vorwand, einen dritten Küchenangestellten wegen schwerwiegender Verfehlung zu entlassen.

Am 16. Mai werden drei Streikende wegen ihrer Teilnahme an Streikketten vor das TGI [Tribunal de Grande Instance – höheres Gericht] geladen. Daraufhin kommz die Idee auf, vom Gericht eine Schlichtung des Konflikts zu fordern. Dies wird von beiden Konfliktparteien akzeptiert. Der Anwalt und die CNT lassen verkünden, dass das die Einstellung aller Aktionen gegen die Restaurants voraussetzt. Trotzdem planen die Streikenden zur gleichen Zeit eine neue Besetzung, die dieses Mal mindestens drei Tage dauern soll. Am Abend des 23. Mai besetzen Streikende, Mitglieder der CNT und Unterstützer das Restaurant von Bercy. Gegen 22 Uhr entscheidet der Sekretär der SHRT zu gehen und nimmt die Mitglieder der CNT mit. Streikenden und Unterstützern bleibt nur, hinterherzulaufen, weil ein Einsatz der BAC droht [Brigade Anti-Criminalité, Polizeieinheit mit sogenannten »Friedenswächtern«, gardien de la paix]. Nach der Meinung der Streikenden fragt niemand.

Am 5. Juni zieht der Gerichtspräsident eine Zwischenbilanz der Schlichtung und auf Grund mangelnder Ergebnisse beantragt der Anwalt der CNT eine Verlängerung, für die man sich auf eine Frist bis zum 18. Juni einigt. Von da an etabliert sich eine Art modus vivendi: die Besetzungen sollen bis Ende der Schlichtung ausgesetzt werden und die Bemühungen sollen sich auf aktive und regelmäßige Präsenz vor den Restaurants konzentrieren, um den Streik durch Flugblätter bekannt zu machen und vor allem Kunden davon abzubringen, hineinzugehen und etwas zu konsumieren. Aber unter den Streikenden und den Unterstützern taucht regelmäßig das Bedürfnis auf, dann und wann zu härteren Aktionen überzugehen.


Ein kleiner Streik in einer großen Bewegung

Wochenlang bildet die Bewegung gegen die Rentenreform den Hintergrund des Streiks. Auf Grund der ansonst schwachen Beteiligung des Privatsektors an dieser Bewegung erfreuen sich die laufenden kleinen Streiks einer unerwarteten Aufmerksamkeit. Die Streikenden von McDonald's und Frog Pub sind bei den Demonstrationen gern gesehen: sie materialisieren gewissermaßen die Fähigkeit der Bewegung zur Vereinheitlichung und Ausweitung auf andere, weniger gut gestellte Bereiche der Arbeitswelt und besonders den Kampf gegen die Prekarität.

Das Unterstützungskollektiv regt die Streikenden von Frog dazu an, diese Gelegenheit zu nutzen, um ihren Kampf bekannt zu machen und ihre Streikkasse aufzubessern. Aber da die Demonstrierenden sich meist selbst in Streik befinden, wird entschieden, an einem strategischen Punkt der Demonstrationsstrecke Sandwichs und Getränke zu verkaufen und dabei Flugblätter zu verteilen. Das sind besonders gute Gelegenheiten, sich zu treffen und den Kampf bekannt zu machen. Sie geben quasi physisch das Gefühl, von einem speziellen Ausgangspunkt aus Teil eines breiten gemeinsamen Kampfes zu sein. Den Streikenden und den Unterstützern vermittelt das auch das freudige Gefühl der gemeinsamen Anstrengung für ein konkretes, unmittelbar erreichbares Ziel.

Am 27. Mai ist die place d'Italie Ausgangspunkt einer Demonstration von Schulen, die sich im Streik befinden. Weil Zeit und Leute fehlen, beschließt das Kollektiv und die Streikenden, einfach nur an einem strategischen Punkt Flugblätter zu verteilen, die Spendendose rumgehen zu lassen und sich dann in den Zug einzureihen. Auf halber Strecke schließen sich Aktive der CNT Pitié-Salpêtrière Fahnen schwenkend uns an. Kurz darauf begeben wir uns zum Gewerkschaftshaus, zur Versammlung der streikenden Schulen der Île-de-France. Dort gelingt es einem Streikenden, das Wort zu ergreifen.

Mit dem Auslaufen der Bewegung gegen die Rentenreform enden nicht die Versuche, sich mit anderen Kämpfen zu verknüpfen. Im Juli und August nehmen Mitglieder des Kollektivs an Versammlungen der "Commission Interpro", der Koordination der Saisonbeschäftigten im Kulturbereich, und an einigen ihrer Aktionen teil (Paris-Plage und an der Pyramide des Louvre) und versuchen, diese im Gegenzug am Kampf bei Frog zu interessieren. Mit begrenztem Erfolg: eines Abends im August kommen ca. 15 von ihnen und einige Lehrer ins Pub von Bercy Village, um die Rolle von Kunden zu spielen, die mit den Arbeitsbedingungen der Küchenangestellten unzufrieden sind und vom Boss Erklärungen verlangen. Diese schwierige und nur halb gelungene Aktion wird nicht wiederholt.


Eine enorme Entgleisung der Gewerkschaft

Der Generalsekretär der SHRT-CNT, der anwesend ist, als ein Streikender auf der Vollversammlung der im Streik befindlichen Schulen das Wort ergreift, wendet sich am Rande der Versammlung an die Streikenden und drückt ihnen seine Missbilligung und seinen Zorn aus. Diese sind überrascht, machen aber keine große Sache daraus. Aber am nächsten Tag zeigt sich ihnen das Unglaubliche: Aus dem Mund ihres freudestrahlenden Chefs erfahren sie, dass der Sekretär der SHRT ihn angerufen hat und ihn wissen ließ, dass die CNT ihrem Delegierten und ihrem Rechtsanwalt das Mandat entzogen hat und den Streik nicht mehr deckt. Und das während die Schlichtung im Gange ist!

Die Argumente, die der Urheber 13 zur Rechtfertigung einer derartigen Maßnahme vorbringt, die wohl auch für die institutionellen Gewerkschaften ohne Beispiel ist, zeigen eindeutig, dass der Gegenstand des Zorns die Tatsache ist, dass sein Monopol zur Organisation des Streiks in Frage gestellt worden ist und dass das Unterstützungskomitee, das man dafür verantwortlich macht (die Streikenden können ja kaum etwas anderes als eine Manövriermasse sein...), als Konkurrenz betrachtet. Mit anderen Worten: Der Urheber ist derart von der Grüppchenlogik besessen, dass er sich nur vorstellen kann, dass diese Denkweise auch der Motor des Kollektivs sei, das in Wirklichkeit aus Individuen mit sehr unterschiedlichen Meinungen und Zugehörigkeiten besteht und das allein durch das gemeinsame Anliegen zusammengehalten wird, dem Streik zum Erfolg zu verhelfen.

Doch mehrere Mitglieder der CNT ergreifen sehr schnell Stellung gegen diesen Skandal. Der Sekretär der SHRT wird seiner Funktionen entbunden, die Akten hat sich das Gewerkschaftsbüro wieder besorgt und die Fortsetzung des Streiks wird in einem Dringlichkeitsverfahren der Gewerkschaft Interco der Region Paris anvertraut. Stück für Stück entkrampft sich dank der Anstrengungen beider Seiten die Situation zwischen dem Kollektiv und der CNT, so dass wieder ein Minimum an gemeinsamer Arbeit mit den Streikenden möglich wird. Es spielt sich jedoch nie in einem Klima von Kameradschaft und Vertrauen ab, selbst wenn eine gewisse gegenseitige Transparenz eingehalten wird. Offensichtlich wird das Kollektiv innerhalb der CNT von nun an von (nahezu) allen als eine konkurrierende Kraft wahrgenommen und behandelt, mit der man sich umständehalber zusammensetzen muss.

Wenn nun die zerbrochenen Teile schlecht und recht wieder zusammengefügt werden, so hat diese Episode doch sehr negative Auswirkungen. Zunächst auf die Moral der Streikenden, die schließlich die Grenzen der Unterstützung, die sie von ihrer Gewerkschaft erwarten können, deutlich begreifen – was anscheinend die wichtigen Figuren der CNT nicht sehr beunruhigt. Es hat aber auch negative Auswirkungen auf das Engagement der CNT-Aktiven im Kampf: die Information über den Streik zirkuliert von nun an innerhalb der CNT 14 nur sehr zäh und es sind immer dieselben wenigen Aktiven, die man bei den Streikposten trifft – was sich mit Beginn der Ferien noch verschlechtert.


Juristischer Kampf, Kampf vor Ort: eine konfliktbehaftete Kombination

Als die Schlichtung Mitte Juni ohne irgendein konkretes Ergebnis zu Ende geht, ist die Bewegung gegen die Rentenreform verebbt und der Sommer kommt, damit ist die für die Ausweitung der Unterstützung des Streiks günstigste Phase vorbei. Das Schlichtungsverfahren hat also tatsächlich demobilisiert. Die CNT vollzieht eine Wende. Nachdem sie davon abgelassen haben, jede Gelegenheit zu nutzen, um ihre Organisation darzustellen, räumen sie nun dem juristischen Vorgehen endgültig die Priorität gegenü Aktionen vor Ort ein. Dabei gibt es drei verschiedene Ziele: die Legitimität des Streiks herauszustellen, indem man vor dem Arbeitsgericht die Bezahlung der unbezahlten überstunden verlangt; von der ersten Gerichtsinstanz die unternehmerische Einheit des Betriebes anerkennen zu lassen und diesen dazu zu zwingen, Wahlen von Personalvertretern zu organisieren; die Lohnabhängigen zu verteidigen, gegen die Sanktionen verhängt worden sind (Abmahnungen, Entlassungen, Anzeigen im Zusammenhang mit den Besetzungen)15. Der Anwalt ist ohne Frage kompetent, er hat es in anderen Konflikten bewiesen. Aber das entscheidende Problem ist, dass statt einer Begleitung der Aktionen vor Ort und einer langsamen Anpassung an die Veränderungen im Kräfteverhältnis16, das gerichtliche Vorgehen nun für die CNT die einzige offensive Handlung wird.

Als das Kollektiv feststellt, dass sich die Möglichkeiten zur Popularisierung des Streiks reduzieren, entscheidet es Anfang Juli, die Organisation der Streikposten zu vereinfachen: man vereinbart ein tägliches Treffen an einem zentralen Ort (der place du Châtelet), bei dem das Ziel des Abends abhängig von der Zahl der Anwesenden festgelegt wird. Die fast vollständige Abwesenheit der CNT bei den Streikposten, abgesehen von zwei oder drei überzeugten Aktiven, und der nicht funktionierende Informationsfluss innerhalb der Organisation sind ein durchgängiges Problem. Die Fortsetzung der Mobilisierung im Sommer, wo viele militante Kräfte nicht anwesend sind, aber die, die anwesend sind, mehr Zeit haben, ist Gegenstand wiederholter Diskussionen.

Im Verhältnis zur CNT scheint sich das Klima zu bessern, aber nur, weil das Kollektiv das Monopol der Gewerkschaft auf die Verhandlungen 17 und die Abwicklung der juristischen Aktivitäten nicht in Frage stellt. Praktisch entwickelte sich eine Arbeitsteilung, bei der wir vor Ort alle Arbeit machen, wozu die CNT auf keinen Fall in der Lage ist. Aber das Problem ist dass wir einen Bruch mit der Gewerkschaft vermeiden wollen, der sofort auf Kosten des Streiks gegangen wäre, akzeptieren wir widerwillig und mehr oder weniger bewusst die Unterordnung der Aktionen vor Ort unter die gerichtlichen Schritte. Das ist allerdings das Gegenteil dessen, was für einen erfolgreichen Ausgang des Streiks erforderlich wäre. Diese Unterordnung ist umso unangenehmer, als die CNT keine einzige Kopie der Dokumente von Gericht und Rechtsanwalt herausgibt, nicht einmal die Verfügungen, die doch an den Streikposten zur Verhandlung mit der Polizei unbedingt erforderlich wären.


Die fortgesetzten Bemühungen um finanzielle Unterstützung

Der Verkauf von Sandwichs und Getränken während der Demonstrationen der Bewegung im Mai-Juni hat die Streikkasse für einige Wochen wirksam gefüllt. Aber anschließend müssen andere Quellen gefunden werden. Die Schecks, die uns nach dem Verteilen von Flugblättern zukommen, die regelmäßigen Sammlungen an den Streikposten, wo Passanten manchmal ihre Solidarität mit einem Schein oder sogar einem Scheck ausdrücken, die Essen, die in der Rôtisserie (kleines Vereinslokal, das Kollektiven gegen Gebühr zur Verfügung gestellt wird) an mehreren Abenden zur Unterstützung des Streiks verkauft werden und einige Solidaritätskonzerte, die seit Anfang des Sommers mit Hilfe von Kontakten und Know-how aus früheren Streiks organisiert werden, all das ermöglicht es uns, insgesamt ungefähr 14000 Euro zusammenzubringen. Die CNT deckt die laufenden Prozess- und Anwaltskosten und zahlt in den letzten Monaten an die Streikenden aus Spendenaktionen ihrer gewerkschaftlichen Organisationen. Trotzdem ist all dies Geld zusammengenommen bei weitem nicht genug, um die minimalen Bedürfnisse von mehr als zwanzig Streikenden über mehrere Monate zu befriedigen. Einige von ihnen sehen sich also gezwungen, kleine Nebenjobs zu finden, um die dringendsten Ausgaben zu decken, was ihre Teilnahme an den Streikposten einschränkt. Das geht so weit, dass das Solidaritätskollektiv sich veranlasst sieht, eine klare Regel aufzustellen: kein Streikposten ohne mindestens einen anwesenden Streikenden. So kommt in der Endphase des Streiks mehr als einmal vor, dass die Unterstützer, die zum Treffen gekommen sind, nach einem kurzen Austausch wieder gingen.


Die geduldige »Arbeit« zur Aufrechterhaltung von Streikposten

Die Erschöpfung der Bewegung gegen die Rentenreform, die die öffentliche Wahrnehmbarkeit des Streiks vermindert, verlagert die Anstrengungen der Streikenden und des Kollektivs wieder auf die Pubs, wo konstanter Druck auf die Gäste ausgeübt wird, Solidarität zu beweisen und darauf zu verzichten in diesen Läden etwas zu sich zu nehmen. Der größte und einträglichste der Frog Pubs ist der in Bercy Village. Er wird unser bevorzugtes Ziel, das wir uns immer an den Abenden vornehmen, an denen wir genug Leute für funktionierende Streikposten sind. Dieser riesige Pub hat zwei Eingänge, einen wenig frequentierten auf der Parkseite, und einen auf der Dorf-Seite, der Cour Saint-Emilion benannte Weg, der von Eigentümern und Wachschutz als Privatgelände betrachtet wird, und auf dem sie glauben, uns das Verteilen von Flugblättern verbieten zu können. Dieser Eingang wird also zum Ort des Widerstands gegen die Chefs des Pubs, aber auch gegen die Wachschützer des Dorfes: die einen wie die anderen rufen ständig Gerichtsvollzieher und Polizei, um unser Eingreifen gegenüber den Kunden, die rein wollten, zu unterbinden. Immer wieder halten wir ihnen entgegen, dass wir uns im Rahmen eines Arbeitskampfes dort bewegen, und dass, wenn es Probleme gibt, es daran liege, dass die Ausbeuter sich weigern zu verhandeln; der angeblich private Weg könnte öffentlicher nicht sein. Diese Arbeit erfordert viel Ausdauer, da ein an einem Abend gemachter Punkt am nächsten schon wieder verteidigt werden muss. Aber es ist auch sehr spannend. Abgesehen von der Bandbreite an Reaktionen von Seiten der Kunden, bringt es uns dazu, geschickt mit dem Zögern und den Widersprüchen des gegnerischen Lagers zu spielen. Nach und nach gewinnen wir das Recht, an diesen Orten zu bleiben und verschieben so tatsächlich die Grenzen der Legalität.

Gegen Ende des Sommers lässt sich feststellen, dass die Anstrengung sich auch beim Kräfteverhältnis ausgezahlt hat: dieses Restaurant, das bisher zu den meist besuchten des Dorfes gehört hat, ist wie ausgestorben. In der Schlussphase der Verhandlungen wird sich der Chef beklagen, dass er 500000 Euro Umsatz weniger gemacht hat.

Der Frog Pub in der Nähe der Nationalbibliothek, der vor allem mittags von Angestellten besucht wird, und der in Saint-Germain-des-Près, in einer kleinen, wenig belebten Straße, sind viel seltener Zielscheibe unserer Abschreckungsversuche als der in der Rue Saint-Denis, in dem es Stammgäste gibt, die zum Chef halten, aber auch Touristen, hippe Jugendliche und einige Leute aus der Nachbarschaft. Die oft feindseligen Reaktionen einiger Kunden werden meist durch die Freundlichkeit anderer ausgeglichen, aber auch von den Passanten und Einwohnern des Viertels, das zu den gemischtesten und lebendigsten von Paris zählt. Angestellte einer Firma in der Nähe, die manchmal in den Pub gehen, entscheiden sich geschlossen für den Boykott. Zwei Mitbesitzer der Hauses, in dem sich der Pub befindet, informieren uns über verschiedene Belästigungen (Überschwemmung der Keller, Kakerlaken, nächtliche Ruhestörung) und wir versuchen, uns mit ihnen bei ihren schon unternommenen Schritten bei den Aufsichts- und Hygienebehörden abzuwechseln. Auch die Kontakte nach Toulouse, Bordeaux und Lissabon sind zu nennen, über die Flugblätter verteilt und Aushänge in den dortigen Frog Pubs geklebt werden. Der einzige Küchenangestellte im Pub von Bordeaux profitiert davon in Form einer Lohnerhöhung.


Der Unternehmer findet die Schwachstelle

Parallel dazu verhärtet sich die Haltung des Unternehmers. Etwas später versteht man warum. Im Gegensatz zur CNT will er den Konflikt nicht auf juristischer Ebene führen. Er ruft nicht nur weiterhin soweit er kann Bullen und Wachschutz – mit begrenztem Erfolg, wie zu sehen ist – sondern er bekommt am Sommeranfang auch Kontakt zu der nationalistischen Organisation der Tiger, die die tamilische Community dominieren, und verlangt von ihnen, auf ihre streikenden Mitglieder Druck auszuüben, damit sie ihre Arbeit wieder aufnehmen. Er behauptet ihnen gegenüber, der Streik würde dem Ansehen der Community in Frankreich Schaden zufügen. Er geht schließlich so weit, gegenüber seinen Beschäftigten damit zu prahlen, der Vorstand der Organisation habe ihm versprochen einzugreifen.

Das alles erfahren wir erst später, als die Streikenden sich nach und nach entschließen, das Tabu zu brechen, das über diesen Fragen schwebt. Erst da werden wir uns der Spaltungen in der tamilischen Gemeinschaft bewusst und welche Auswirkungen ihre politische Vergangenheit weit weg von ihrem Herkunftsland weiterhin hat, was wir nie vermutet haben. Aber jetzt ist es zu spät, diesem Angriff zu begegnen, das übel ist eingetreten: mitten durch die Streikenden geht eine Spaltung. Wir bekommen mit, dass einer der kämpferischsten Streikenden wiederholt schwer bedroht wird. Da es unmöglich ist, den Sinn und den wirklichen Ausgangspunkt zu erfassen, sucht das Kollektiv Mittel, den Urhebern dieser Drohungen auf informellen Wegen die Nachricht zukommen zu lassen, dass jeder Angriff auf einen Streikenden großes Aufsehen in der militanten Bewegung und darüber hinaus hervorrufen und den Urhebern erheblich schaden wird. Die Botschaft braucht lange, erreicht aber am Ende ihr Ziel.

Der Unternehmer spürt, dass er eine Schwachstelle gefunden hat, und nutzt das aus. Er drängt die Streikenden einzeln am Telefon, ihren Job gegen eine Abfindung aufzugeben. Er droht mit üblen Repressalien, falls sie es wagen, am Arbeitsplatz aufzutauchen. Mehrere von ihnen brchen schließlich ein, was wir aber wegen der Sprachschwierigkeiten, der Zurückhaltung der Streikenden und ihrer Furcht, von ihren Unterstützern schlecht angesehen zu werden, erst reichlich spät begreifen. Inzwischen haben schon mehrere Streikende den Vorschlag des Unternehmers angenommen.


Der Streik erlahmt

Mitte September haben von den 28, die den Streik begonnen haben, acht die Arbeit wieder aufgenommen, elf haben auf der Basis individueller Arrangements der Kündigung zugestimmt und acht streiken immer noch, drei von ihnen haben vor Gericht gegen ihre Kündigung geklagt. Dieser Kern bleibt standhaft, wird aber zunehmend entmutigt. Je mehr Leute wegbleiben und je weniger Kräfte vor Ort sind, desto mehr gewinnt die juristische Auseinandersetzung an Bedeutung und ordnet sich alle Initiativen unter. Das verstärkte bei den übrigbleibenden Streikenden nur das Gefühl, dass sie nicht auf die Unterstützung ihrer Gewerkschaft zählen können.

Ende September überwinden sie ihre Zurückhaltung und teilen uns offen mit, dass sie über ein Ausscheiden gegen Geld verhandeln möchten. Wir verstehen deutlich, dass sie es nicht mehr für möglich halten, in dem äußerst spannungsgeladenen Klima die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie sind überzeugt, dass die Unternehmer die erstbeste Schwierigkeit ausnutzen werden, um ihre Entlassung zu erreichen. Wir versichern ihnen erneut unsere Hochachtung und Unterstützung und raten ihnen, zusammenzuhalten, um gemeinsam die besten Konditionen zu erreichen. Zwei von ihnen unterschreiben trotzdem individuelle Abmachungen zu unterschreiben und verschwinden von der Szene.

In der ersten Oktoberhälfte ist uns bewusst, dass das einzige, was wir jetzt noch tun können, ist, die Streikenden zu unterstützen, kräftige Abfindungen und die teilweise Bezahlung der Streiktage auszuhandeln. Wir halten also die Streikposten aufrecht, besonders vor Bercy. Das bleibt in der Tat ein Druckmittel: der Unternehmer scheint unter Druck zu stehen, zum Abschluss zu kommen, denn er fürchtet die Gerichtsentscheidungen über die Anerkennung der unternehmerischen Einheit zwischen seinem Unternehmen auf der einen Seite und der CNT auf der anderen (was ihn nicht daran hindert, eine Dummheit zu begehen, indem er dem Gericht eine gemeinsame Petition der Beschäftigten seiner vier Restaurants präsentiert, die 70 von 120 unterschrieben haben...).

Am Sonntag, dem 19. Oktober beginnen die Verhandlungen auf der Basis eines Angebots von 5000 Euro, die der Unternehmer Anfang Juli als Abfindung angeboten hat, was die Streikenden damals abgelehnt worden haben. Die Streikposten werden als Zeichen guten Willens abgezogen. Am 3. November beendet eine von Rechtsanwälten ausgehandelte und von den Parteien unterzeichnete Vereinbarung den Konflikt: die letzten Streikenden akzeptieren die Entlassung gegen eine Abfindung von 5000 Euro (2000 für die beiden, die gerade erst bei Streikbeginn eingestellt worden sind), dazu kommen die bezahlten freien Tage; die CNT erhält eine Summe von 10000 Euro, die sie ihnen vollständig überreicht – sie beschließen, das Geld gleichmäßig untereinander aufzuteilen. Alle von den beiden Parteien unternommenen juristischen Schritte werden eingestellt.

So beenden die letzten Streikenden den Konflikt kollektiv und beweisen denen, die vorher aufgehört haben und ein individuelles Arrangement vorgezogen haben, dass es sich bezahlt macht, gemeinsam auszuharren. Der Unternehmer seinerseits, der glaubt billig davon gekommen zu sein, unterschätzt ohne Zweifel die Langzeitauswirkungen der Arbeit, die das Kollektiv monatelang bei seiner Kundschaft geleistet hat, denn seine früher beliebten Pubs sind heute noch halbleer...


Einige vorläufige Schlussfolgerungen

Diese Erfahrungen aus der Unterstützung von drei aufeinanderfolgenden Streiks bestätigen unsere Feststellungen und Hypothesen am Ende des Arcade-Streiks:

  • Dass es diese Streiks gab, dass sie aufrecht erhalten wurden und einige davon auch Erfolg hatten, ist sicherlich in erster Linie Hartnäckigkeit zu verdanken, aber auch der Tatsache, dass sie ihren Streik immer selbst in der Hand hatten. Die Ziele, die sie festgelegt hatten, entsprachen ihren ureigenen Forderungen und ihrer Wahrnehmung des Kräfteverhältnisses – das schloss jede Verfälschung durch ausgedachte Forderungs-Kataloge durch außenstehende Kräfte, Aktivisten oder Politik-Spezialisten aus.
  • Wo die Möglichkeit da war, war man bestrebt, sich mit anderen Kämpfen abzustimmen und die Streikenden beteiligten sich an ihnen in dem Maß, soweit sie konnten. 18 Die Frage der gegenseitigen Solidarität stellte sich im Kampf mehr als einmal und die in den Kollektiven anwesenden Aktivisten versuchten wiederholt Vorstöße in diese Richtung, doch der Wille der Streikenden blieb bestimmend und die Voraussetzungen waren nicht immer dafür reif. Manchmal, wie im Fall Frog, haben die Streikenden selbst Kontakt zu anderen Kämpfen gesucht, weil sie Unterstützung brauchten, aber auch weil ihnen bewusst war, dass Solidarität Gegenseitigkeit erfordert. In den Beziehungen der Streikenden von Pizza Hut und McDo zueinander spielte die räumliche und altersmäßige Nähe und die ähnlichkeit ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse eine bestimmende Rolle, aber die Solidarität wurde von den Streikenden nicht immer als unverzichtbar wahrgenommen.
  • Den Aktivisten, die zur Unterstützung dieser Streiks beigetragen hatten, waren Grüppchenpraktiken im Allgemeinen fremd. Sie versuchten daher nicht, ihre Sicht des Kampfes und der Welt aufzudrängen, sondern respektierten die Sichtweise der Streikenden. Wenn es ihnen nicht immer ganz gelungen ist, die Motive und Schwierigkeiten zu verstehen, besonders wenn sich die Sprachbarriere als großes Hindernis erwies, wie bei den Streiks bei Arcade oder Frog, haben sie zumindest aktiv versucht, sich dazu zu befähigen.
  • Streiks zu unterstützen bedeutet auch, den Lohnabhängigen, die einen Kampf anfangen, dabei zu helfen, sich eine Basis an Information und Analyse anzueignen, die ihnen gestattet, die Gesellschaft zu verstehen, in der sie gezwungenermaßen leben und kämpfen. Dafür ist es notwendig, über den Gesichtskreis des jeweiligen Kampfes hinauszugehen und die Dynamik insgesamt zu berücksichtigen. Diese ist aber weit davon entfernt, die Form einer strukturierten Organisation anzunehmen, wie zur Zeit der revolutionären Gewerkschaften. Sie scheint sich eher auf die Verbreitung von antagonistischem Verhaltensweisen zu stützen, auf die zunehmende Verfestigung einer Kampf-Kultur, auf die Einrichtung sozialer Netzwerke, Netzwerke gegenseitiger Hilfe, Bildungs-, Informations- und Austausch-Netzwerke. Diese Dynamik drängt nicht zwangsweise bestehende politische, gewerkschaftliche und assoziative Organisationen an den Rand, sondern weil sie eine andere Logik hat – eine Logik, die einfach den Bewegungen näher steht als den Organisationen.
  • Wir konnten kürzlich mehrmals feststellen, dass gewisse Strukturen dazu neigen, offen oder diskret den Erfolg der Kämpfe, die die Solidaritätskollektive drei Jahre lang unterstützt haben, für sich in Anspruch zu nehmen. Besonders krass ist dies im Fall des Streiks der Putzfrauen bei Arcade, der seinerzeit an der schwachen Unterstützung durch Aktivisten litt und heute von vielen Seiten vereinnahmt wird. Da wir keine Kapelle zu verteidigen haben, sorgen wir uns wenig um die Anerkennung der Urheberschaft unserer Aktionen; aber wir legen Wert auf die Feststellung, dass diese Vereinnahmungen völlig über die Menge an Arbeit hinweggehen, die gemacht werden musste, und über all die Schwierigkeiten, mit denen der Streik konfrontiert war, indem sie die den Akzent auf seine sympathische Dimension und den schlussendlichen Sieg legen.19. Mehrere Ereignisse aus der jüngsten Zeit, wie die Entlassung von Cédric durch den Vorstand von Virgin oder das Fehlschlagen des Streiks bei Maxi-Livres am Gare de Lyon, zeigen uns, dass Entrüstung nicht die Stelle von effektiver Unterstützung einnehmen kann, und dass man, um eine ungünstiges Kräfteverhältnis zu verändern, etwas Ernsthafteres braucht als mediale Berichterstattung, als zur Schau getragene Gewerkschaftsmitgliedschaft und mehr als einige Kumpel, die bereit sind zu einer Protestveranstaltung zu kommen.

Im Mai 2002, am Ende des ersten Streiks bei McDo, hatte das Kollektiv eine erste Bilanz seiner Tätigkeit erstellt, die mit der folgenden augenzwinkernden Ermahnung endete: Hundert, Tausend Kollektive sollen in der ganzen Welt erblühen. Selbst wenn dieser Wunsch nicht erhört wurde, können wir doch feststellen, dass die Existenz und Aktivität des ersten Kollektivs Spuren hinterlassen hat, dass es zur Bildung von teilweise sich unterscheidenden Kollektiven bei anderen Kämpfen führte, die teilweise miteinander verknüpft wurden. Mit anderen Worten, dieselbe Solidaritätsidee wurde von unterschiedlichen Leuten unter unterschiedlichen Bedingungen und angesichts unterschiedlicher Probleme übernommen. Während in der ersten Phase der Akzent auf die Kontinuität dieser Dynamik gelegt werden konnte – wir hatten damals von einem Solidaritätskollektiv gesprochen – können wir nach dieser zweiten Etappe nur den Plural benutzen. Vielleicht hat sich bewiesen, dass die Solidarität Junge kriegen kann.

April 2004



Anmerkungen:

Der Teil des Artikels über den Streik bei Frog Pubs ist die Zusammenfassung einer Bilanz, die die Form von Diskussionen hatte, die von Mitgliedern des Solidaritätskollektivs aufgezeichnet wurde und die demnächst in Form einer Broschüre zusammengefasst werden soll, zusammen mit einer detaillierten Geschichte des Streiks. Ich danke allen, die mir geholfen haben, diesen Text zu redigieren, besonders Palani und Nicole.


1 über diese Streiks und ihre Unterstützung siehe: G. Soriano, McDonald's, FNAC, Virgin, Eurodisney, Arcade, etc. – Une expérience parisienne un peu particulière: le collectif de solidarité. Dieser Artikel, der die Erfahrung dieser zusammengewürfelten Gruppe zurückverfolgt, ist in der Nummer 15 (Januar-April 2003) der ZeitschriftLes Temps maudits erschienen. Dem Artikel geht ein Text von Damien Cartron über die Methoden des Personalmanagements bei McDonald's voraus, Arbeiten im Fastfood Bereich. Er wurde neben einem Text von Nicole Thé zum selben Thema und einem bilanzziehenden Artikel des Solidaritätskomitees beim Arcadestreik in der Zeitschrift Sans patrie ni frontières, Nr. 6-7 (November 2003-Januar 2004) nachgedruckt.]

2 Das Solidaritätskollektiv hat eine Bilanz gezogen, die in einem Text im Bulletin Infos Luttes Sociales Nr.45 veröffentlicht wurde, der auch auf der Webseite von AC! zu erhalten ist. Dieser Text wurde nachgedruckt in Le Monde libertaire (Nr.1312, 20 vom 20. März 2003) und im Courant alternatif (Mai 2003, S. 5-7). Auf der Webseite von AC! befinden sich auch die bis zum Ende des zweiten McDonald's-Streiks im April 2004 wöchentlich vom Solidaritätskollektiv veröffentlichten Bulletins.

3 Ihr Flugblatt nennt folgende Forderungen: Zehn Prozent Lohnerhöhung; Zahlung eines dreizehnten Monatsgehalts; vollständige Erstattung der Taxi-Kosten für diejenigen, die nachts nach Hause kommen; ein für Küche und Lokal getrennter Putzdienst; 40 Euro Kleidergeld für verschlissene Schuhe und Strümpfe; doppelter Lohn für Feiertagsarbeit; entsprechende Einzahlungen in die Versicherungen; Bezahlung aller Streiktage und eine Prämie für die Wiederaufnahme der Arbeit; Annullierung aller Sanktionen gegen die Beschäftigten.

4 Siehe hierzu auch den Bericht von Abdel in seinem Buch Génération précaire, Paris, Le Cherche-Midi, 2004, S. 109-110.

5 Der Sekretär der Gastronomiegewerkschaft (SHRT) der CNT, der seine ablehnende Haltung gegen den ersten Streiks bei McDonald's SSD offen äußerte, verstand die Blockade des McDonald's Restaurants, in dem er arbeitete, als Angriff auf ihn persönlich.

6 Ich beziehe mich hier auf Informationen und Einschätzungen, die im Bulletin Infos Luttes sociales Nr.68 veröffentlicht wurden und auch hier zu finden sind.

7 Anfang April stimmte das Arbeitsministerium der Kündigung zu, woraufhin Cédric vor Gericht ging. Das Verfahren läuft noch [Mitte 2004].

8 Der Streik ging nach 32 Tagen mit einem Sieg zu Ende. Die Streikenden erreichten: die Rücknahme aller Entlassungen (auch desjenigen, dessen Entlassung den Streik ausgelöst hatte) und aller repressiven und disziplinarischen Maßnahmen; ein Jahr lang keine Sanktionen oder Versetzungen; Zahlung aller Streiktage mit 50 Prozent; eine jährliche Prämie von 500 FF für Betriebszugehörigkeit vom dritten Jahr an (siehe Infos Luttes sociales Nr.70 vom 30.12.2003).

9 Der letzte Teil dieses Kapitels nimmt den Wortlaut der Streikbilanz des Solidaritätskollektivs in Infos Luttes sociales Nr.78 auf.

10 Zu den offiziell gemachten Zugeständnissen muss man noch einen Monat bezahlten Urlaub hinzufügen, denn die Wiederaufnahme der Arbeit, die für den 29. März angesetzt war, fand wegen notwendiger Umbaumaßnahmen tatsächlich erst am 3. Mai statt.

11 Er hat wohl nach der Besetzung von McDo des Halles am Abend zuvor seinen Rücktritt erklärt zu haben, was aber abgelehnt gewurde.

12 Einer der Faktoren, die den Streik am meisten behinderten, war die Auseinandersetzung von rivalisierenden Clans innerhalb der CNT, die über den Streik miteinander abrechneten, wofür die Streikenden bezahlen mussten, ohne überhaupt zu begreifen, was los ist. Diese persönlichen Streitereien nahmen in einer kleinen Organisation, wie der CNT eine solche Bedeutung an, die sie eigentlich nur in einer größeren Organisation haben kann, die nach der klassischen bürokratischen Art funktioniert. Explizit politische Debatten fehlten, die Unterschiede in Analyse oder Taktik hätten offen legen können, die von diesen Streitereien überdeckt wurden. Alle schreckten vor solchen Debatten zurück. Diese Differenzen wurden behandelt, als seien es Betriebsprobleme und man berief sich auf die Satzung, die jeder auf seine Art interpretierte, oder sie wurden als ideologische Differenzen behandelt, ohne direkten Bezug zu den konkreten Kampfsituationen – das jüngste Beispiel dafür ist der vermutete Gegensatz zwischen revolutionären Syndikalisten und Anarcho-Syndikalisten.

13 Nachdem er den Streikenden vorgeworfen hatte, sie hätten ganz einfach die Versammlung der Sektion zum Thema Verhandlungen annulliert (sie hätten sich schon versammelt, ohne die Gewerkschaft zu informieren....?!), fuhr er fort: Zur für die genannte Versammlung vorgesehenen Zeit formierten sie auf der Demonstration vom 27. Mai 2003 einen Zug von Streikenden (die keine CNT-Abzeichen trugen) hinter einem Transparent des Solidaritätskollektivs und verteilten deren Flugblätter! [...] Am selben Abend waren sie auf der Generalversammlung Interpro im Gewerkschaftshaus, auf die sie vom selben Solidaritätskollektiv gebracht wurden. Es folgte der logische Schluss: Da die Sektion sich von da an nicht mehr im Rahmen der CNT bewegt und jede kollektiv definierte gewerkschaftliche Strategie negiert, lehnt die SHRT-RP es ab, der Spielball eines Komitees zu sein, dessen einziges Ziel Aktivismus um jeden Preis und Antisyndikalismus ist. Die Verantwortung für die Spannungen wurde en bloc auf das Unterstützungskomitee abgewälzt, das für eine omnipräsente Manipulation verantwortlich sei, die die Arbeit der Kampfkoordination sehr schwer und quasi undurchführbar macht. Kein Wort darüber, dass diese Art der Durchführung im Vermeiden jeder gemeinsame Diskussion mit Streikenden, Unterstützern und Gewerkschaft darüber bestand, mit welchen Mitteln man den Streik zum Erfolg bringen könnte.

14 Die Webseite der CNT schwieg mehrere Monate lang über die Entwicklung des Kampfes und Le Combat syndical beschränkte sich darauf, manchmal einige sehr allgemeine Informationen zu bringen, obwohl die Woche für Woche vom Solidaritätskollektiv herausgebrachten Bulletins regelmäßig auch an die CNT-Mitglieder gingen, die an den gemeinsamen Versammlungen teilnahmen. Ergänzt man noch, dass die wenigen Aktiven aus der CNT, die versuchten dieses Defizit auszugleichen und sich bereit erklärten, diese Aufgabe zu übernehmen, isoliert und marginalisiert wurden, dann kann man ohne übertreibung von organisiertem Blackout reden.

15 Parallel dazu wurde auch versucht, doch ohne Erfolg, andere Instanzen zum Eingreifen zu bringen: Gewerbeaufsicht, nationale Vereinigung zur Alkoholismusvorbeugung, Gesundheitsamt.

16 Eine Ansicht, die anscheinend selbst vom Rechtsanwalt der CNT geteilt wurde! (Siehe seine Vorschläge bei der Sendung über die Bilanz des Kampfes in Radio Libertaire am 12. Januar 2004).

17 Derjenige, der über die ganze Länge des Konflikts die entscheidende Rolle des übersetzers und Beraters der Streikenden gespielt hatte, war von Repräsentanten der CNT, die seine Anwesenheit nicht ertrugen, aus der Schlichtung rausgedrängt worden. Praktisch hatte man damit den Streikenden jeden Einfluss auf den Inhalt der Schlichtung entzogen.

18 Diese Denkweise ist die logische Umkehrung der der Denkweise, die aktuell die in symbolischer Weise organisierte "Konvergenz der Kämpfe" dominiert, die in Wirklichkeit nur eine Konvergenz der Aktivisten politischer und gewerkschaftlicher Organisationen ist, die aufgeregtes Befassen mit diesem Thema dem Einsatz in konkreten Kämpfen vorziehen – Kämpfen, deren Existenz doch die wichtigste Voraussetzung einer Konvergenz ist, die wirklich imstande ist, die Kräfteverhältnisse zu verändern.

19 Siehe insbesondere in Abdel Mabrouki, Génération précaire, S. 121, und Gisèle Ginsberg, Je hais les patrons, S. 214-215.

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