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Fiat: Junge und Fledermäuse

aus il manifesto; 5.01.2008

Nicht immer haben die Massen recht, sagte der Vorsitzende Mao, aber es gibt keine revolutionäre Vernunft ohne die Massen. Bertold Brecht seinerseits nahm die klassische Funktionsweise der kommunistischen Bürokratie auf die Schippe als er schrieb: die Massen befinden sich nicht in Übereinstimmung mit der Resolution des Zentralkomitees, folglich müssen sie abgewählt werden. Die FIOM [1] hat es mit Mao gehalten. Als nach langen Verhandlungen mit FIAT über Veränderungen bei der Schichtarbeit im Motorenbau von Mirafiori schließlich ein schwieriger Abschluss gefunden wurde, hatte die CGIL [2]-Metallgewerkschaft richtigerweise die Absicht, diesen den Arbeitern zur Abstimmung vorzulegen. Diese wurde schließlich, trotz des Widerstands der Uilm [3], durchgeführt. Es beteiligten sich 1271 ArbeiterInnen, 571 stimmten dafür, 693 dagegen; somit hatten 55% den Abschluss abgelehnt. Eine Ohrfeige für die Gewerkschaften, zwei Ohrfeigen für 70 junge Leiharbeiter, die anstatt mit ihren prekären KollegInnen zusammen bestätigt zu werden, wie es der Abschluss vorsah, entlassen wurden. So hat FIAT das Ergebnis der Abstimmung instrumentalisiert. Die Fiom sagt, die Abstimmung war notwendig und muss respektiert werden, sie will eine neue Verhandlungsrunde mit FIAT. Es hagelt Vorwürfe gegen die ArbeiterInnen von Powertrain Miraofiori, die den Übergang von 15 auf 17 Schichten (wie sie im ganzen FIAT-Konzern gearbeitet werden) im Gegenzug zur Festeinstellung von 250 LeiharbeiterInnen, zunächst als »Lehrlinge«, und 300 Euro in zwei Tranchen abgelehnt haben. Sie werden des Korporatismus und des Egoismus beschuldigt, »sie verteidigen nur die eigenen Privilegien, ohne sich um die Folgen für die jungen Prekären zu kümmern«. Privilegien? Es gibt einige hundert Leute, die ihre Nachtschicht verteidigen, eine feste Schicht von 22 bis 6 Uhr morgens, deren Zuschläge einen allzu niedrigen Lohn aufbessern. Umgangssprachlich werden sie »Fledermäuse« genannt. Und die Instandhalter verteidigen das System mit 15 Schichten, weil sie so einiges an Überstunden samstags und sonntags machen können, ebenfalls um einen Scheißlohn aufzubessern. Und dann gibt es im Gegenteil welche, die den freien Samstag verteidigen, vielleicht weil sie Familie haben, vielleicht kleine Kinder, oder eine Frau, die am selben Arbeitsplatz Gegenschicht arbeitet (»Auch noch samstags zu arbeiten, würde mein Leben zerstören«, sagt uns Stefano Napolitano, ein Fiom-Delegierter, Lohngruppe vier, scharfer Verfechter der Ablehnung des Vertrags zum Schichtsystem, den auch seine Gewerkschaft unterschrieben hat. Er hat zwei Zwillinge im Alter von 13 Monaten und einen 5jährigen Sohn, verdient 1350 Euro netto, inklusive der Familienzulagen (Kindergeld usw.); seine Frau arbeitet ebenfalls im Motorenbau, ist aber zur Zeit noch im Mutterschaftsurlaub und kriegt deshalb 250 bis 350 Euro im Monat und 31 Euro Weihnachtsgeld. Der Brief, den uns eine Gruppe von Powertrain-Beschäftigten geschickt hat und den wir abschnittsweise veröffentlichen, verteidigt die Motive der Ablehnung; er enthält einige Ungenauigkeiten, er bestreitet, dass der Hauptgrund für die Ablehnung Egoismus und Korporativismus sind. Andere Fiom-Mitglieder sind nicht dieser Ansicht, erkennen aber die Legitimität an, einen Abschluss abzulehnen, der das Leben so vieler ArbeiterInnen verändert. Was der Brief z.B. nicht erzählt: die Arbeiterversammlung hatte die Angestellten von der Abstimmung ausgeschlossen, und schlimmer: auch die jungen Leiharbeiter durften nicht abstimmen, da sie keine FIAT-Arbeiter sind. Auch wenn sie die selbe Arbeit machen wie jene mit dem Stempel »Fiat«, und sie sogar mit schlechteren Löhnen und unter schlechteren Bedingungen machen: Sie sind die Verdammten der Wochenendschichten, arbeiten samstags und sonntags, während die »Normalisten« samstags und sonntags besser bezahlte Überstunden machen. Mit 17 Schichten würden alle rotieren und die Wochenendzulagen wegfallen. Vittorio De Martino ist Sekretär der legendären Fünften Sektion der FIOM bei Mirafiori. Er hat die Verhandlungen vom Juli 2007 bis zum Abschluss Schritt für Schritt verfolgt. »FIAT sagt uns, dass sie die Produktion des alten Getriebes (das einzige, was noch hier geblieben ist, seitdem 2003 der Motor(enbau) nach Argentinien ausgelagert wurde) auf eine Million erhöhen wollen. Sie schlagen eine Veränderung vor und wollen von 15 auf 18 Schichten gehen, was der nationale Tarifvertrag erlaubt, falls der Betriebsrat (RSU) zustimmt. Wir wollen einen neuen Motor nach Turin zu Mirafiori holen; für uns ist es deshalb unerlässlich, die Zukunft des Werks, die Festeinstellung der Jungen und die Absegnung der Übereinkunft mit einem Referendum im Zusammenhang zu diskutieren. Wir sind auf Widerstände gestoßen, auch unter unseren Delegierten, aber am Ende haben wir sie mitgezogen und einen gültigen Abschluss erreicht mit 250 Festeinstellungen von Prekären und 300 Euro, dafür haben wir 17 – und nicht 18, wie es Lingotto wollte – Schichten zugestimmt. Die Ablehnung, und das zu sagen schmerzt mich, nimmt keine Rücksicht auf die Rechte der Jungen, um mutmaßliche Privilegien zu verteidigen. Es ist schlimm, dass die Versammlung beschlossen hat, die Angestellten und die Leiharbeiter nicht abstimmen zu lassen. Einer unserer Delegierten hat eine Tagesordnung in diesem Sinn eingebracht. Deshalb spreche ich von Egoismus bei denen, die sich einer politischen, allgemeinen Sicht verweigern. Fiat hat das sofort ausgenutzt und 70 Leiharbeiter rausgeschmissen und sie mit anderen Arbeitern aus Verrone ersetzt, die Getriebe für Pomigliano (Alfa-Werk) herstellen, eine Fabrik, die zwei Monate lang geschlossen wird, weil sie umstrukturiert wird. Wir als Fiom haben einen Streik gefordert, um die 70 Jungs in die Fabrik zurückzuholen, aber die anderen Gewerkschaften haben nicht mitgemacht. Deshalb haben wir die Verantwortung auf uns genommen, den Streik alleine durchzuführen. Aber unsere Delegierten haben ihn noch nicht ausgerufen.» Die Gründe für die Ablehnung sind eher in den niedrigen Löhnen als in der Opposition von Cobas und Fiom-Delegierten zu suchen. »Scheißlöhne«, die die Zersetzungsprozesse untersützen, und – wenn man ein großes Wort benutzen will – die Korporativierung der Arbeiterklasse. Ein Krieg zwischen den Armen, der nur dem Unternehmer nützt. Aber Stefano bestreitet diese Lesart und verschärft die Kritik am Abkommen, dieses würde weitere Einstellungen mit prekären Verträgen ermöglichen. Darüber hinaus, dass es »mein Leben zerstören würde. Wann soll ich Frau und Kinder umarmen, wenn ich auch noch samstags arbeiten muss? Und wo soll ich 800 Euro für die Kindertagesstätte hernehmen? Ich bin solidarisch mit den Jungen, ich bin kein Egoist. Du wirst sehen, am Ende machen wir einen Streik, um sie in die Fabrik zurückzuholen.«

Loris Campetti in il manifestovom 5. Januar 2008

italienische Originalfassung einschließlich Brief

[1] FIOM: Metallarbeitergewerkschaft der CGIL
[2] CGIL: linker, d.h. Rifondazione und DS nahestehender Gewerkschaftsverband
[3] UILM: Metallarbeitergewerkschaft der UIL, der rechtssozialdemokratischer Gewerkschaftsverband

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