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Aus Warschau bekamen wir folgenden Bericht vom Bund der SyndikalistInnen (ZSP) über einen wilden Streik von ukrainischen Busfahrern im Warschauer ÖPNV. Der ZSP repräsentiert eine der verschiedenen anarchosyndikalistischen Strömungen in Polen. Besonders in Warschau klemmen sie sich meistens sehr aktiv dahinter, wenn sie etwas von Kämpfen von ArbeiterInnen oder ImmigrantInnen mitbekommen.
Die ZSPlerInnen sind enttäuscht, dass dieser wilde Streik keine größeren Kreise gezogen hat, besonders weil sie glauben, dass eigentlich mehr drin gewesen wäre. Aber vielleicht ist der Verlauf des Streiks für diese Art von Auseinandersetzung eher typisch. Uns erinnert er an ähnliche Erfahrungen auf deutschen Baustellen.
Obwohl die Sache nicht weitergegangen ist, zeigen sich daran aber sehr deutlich einige Tendenzen der sozialen Entwicklung in Polen: Die Auswanderung hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt völlig umgekrempelt, und in den Ballungszentren wie Warschau fehlen dem Kapital an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte. Und das betrifft nicht nur die städtischen Verkehrsbetriebe, sondern auch die internationale Hausgeräte- und Autoindustrie, die seit ein paar Jahren massiv ihre Produktionskapazitäten in Polen erhöht hat. Falls nicht die internationale Krise (in Polen oder auch in England/Irland) die Situation noch mal vollkommen aufmischt, werden nur deutlich höhere Löhne den Arbeitskräftemangel abstellen können (vgl. Wildcat 81). All das gilt im übrigen auch für Rumänien, von wo ebenfalls Millionen von ArbeiterInnen nach Westen ausgewandert sind.
Der Streik der ukrainischen Busfahrer ist deshalb so wichtig, weil er zeigt, dass der Versuch, die Ausgewanderten durch billige und willige ImmigrantInnen aus der noch ärmeren, weiter östlich gelegenen Peripherie zu ersetzen, schon im Ansatz ins Stocken gerät. Aus dem gleichen Grund war auch der Streik der chinesischen Fabrikarbeiterinnen im rumänischen Bacau im April 2006 so wichtig. Die Auswanderungswellen in Polen und Rumänien in den letzten Jahren gehören zu den größten und schnellsten der europäischen Geschichte. Und genau in diesem Moment werden diese Länder zu Einwanderungsländern. Das müssen die polnischen und rumänischen ArbeiterInnen erst noch begreifen. Vielleicht hilft ihnen dabei, dass die ImmigrantInnen aus der Ukraine, Weißrussland oder China schon von Anfang an kämpfen.
Die Lohndrückerei durch die Aufteilung der städtischen Verkehrsbetriebe in eine Transportbehörde und ein reines Transportunternehmen, das dann in Konkurrenz zu diversen privaten Konkurrenzfirmen gesetzt wird, läuft in Polen inzwischen übrigens überall. Diese Konstellation spielte auch eine Rolle im zweieinhalbwöchigen Streik der Busfahrer in Kielce im letzten Herbst (vgl. Wildcat 79).





Polen:

Protest und wilder Streik:

Die Busfahrer sind sauer, aber sie haben keine effektive Kampfstrategie


Der öffentliche Personennahverkehr in Warschau wird von der städtischen Transportbehörde ZTM kontrolliert, die den Busverkehr, meist über Ausschreibungen, an verschiedene Firmen vergibt. Die größte Firma, die MZA, wird von der Stadt Warschau betrieben, aber daneben werden verschiedene Linien von privaten Busfirmen betrieben. Eine davon ist PKS Grodzisk Mazowiecki (PKS GM), ein in der bei Warschau gelegenen Kleinstadt Grodzisk Mazowiecki beheimatetes Zerfallsprodukt aus der früheren staatlichen Überlandbusgesellschaft PKS. PKS GM ist eine privatisierte «Belegschaftsgesellschaft» (solche Firmen sind in Polen meist Arbeiter-AGs, die wenig mit irgendeiner Vorstellung von kollektiver ArbeiterInnen-Selbstverwaltung zu tun haben). Wie die meisten Firmen, die Scheißlöhne zahlen, hat PKW GM Probleme, Leute für die Arbeit zu finden, und rekrutiert Leute aus verarmten Gegenden Polens und aus der Ukraine. Im Mai hörte der Bund der SyndikalistInnen (ZSP) von einigen ukrainischen Fahrern über die Probleme der ArbeiterInnen bei PKS GM. Die Fahrer haben sehr lange Arbeitszeiten, obwohl das Arbeitszeitgesetz vorschreibt, dass ein Fahrer höchstens nein Stunden täglich fahren darf und zwei freie Tage pro Woche haben muss. Bei PKS GM müssen viele Fahrer aber 10, 12 und sogar bis zu 17 Stunden am Tag arbeiten, ohne dass Überstunden bezahlt würden. Viele ukrainische Fahrer arbeiteten 60 bis 75 Stunden pro Woche oder mehr. Das verstößt nicht nur gegen die Rechte der Fahrer, sondern ist auch extrem gefährlich für sie ebenso wie für die Passagiere. Ein Fahrer hatte im Mai einen schweren Unfall, nachdem er am Steuer eingeschlafen war. Daneben kam es bei PKS GM noch zu einer Reihe von anderen Verstößen. Mitglieder der ZSP haben dokumentiert, dass den Fahrern Geld vom Lohn abgezogen wurde (bis zu 50 Prozent des Lohns), weil sie die «zu viel Sprit» verbraucht haben sollen. Die Firma hat strenge Obergrenzen für den Spritverbrauch pro Tour erlassen (oft ohne den Fahrern etwas davon zu sagen). Wenn ein Fahrer in einem der typischen Warschauer Staus steckenbleibt und dadurch mehr Sprit verbracht, wird ihm das vom Lohn abgezogen. Dazu kamen andere Probleme, z.B. dass PKS GM die Führerscheine und Reisepässe seiner Fahrer einbehielt, so dass sie nicht weggehen konnten. Ganz zu schweigen von der miesen Unterbringung usw.

Am 13. Mai gab es einen wilden Streik. Hauptsächlich streikten die ukrainischen Fahrer, aber es gab auch Unterstützung von einigen polnischen Fahrern. Wir gingen hin, um mit den Fahrern zu reden und zu sehen, ob wir etwas tun könnten. Im großen und ganzen haben ArbeiterInnen in so einer Situation nur begrenzte Möglichkeiten. Sie können radikale Aktionen machen, aber dann sollten sie einen Plan haben: das Büro der Firma stürmen, eine Aktion machen, um in die Medien zu kommen, die Straßen oder die Strecken der Streikbrecher blockieren oder irgendeine radikale direkte Aktion. Oder sie können den juristischen Weg beschreiten und gegen ihre Arbeitgeber klagen. Wie sich leider herausstellte, waren viele der ukranischen ArbeiterInnen nicht überzeugt, dass irgendetwas, was sie tun könnten, ihnen helfen würde. Das stimmte gar nicht. PKS GM stand schon unter Druck. Ein paar Artikel kamen sogar in die Mainstream-Medien, wir sammelten auch Beweise für die Rechtsverstöße der Firma und schickten sie an die entsprechenden Behörden, an die Stadt, Politiker, die Transportbehörde usw., damit für den Fall, dass die ArbeiterInnen juristische Schritte unternehmen wollten, die Unterlagen auf polnisch vorlagen. Wenn die ArbeiterInnen sich entschlossen hätten, sich selbst zu organisieren und Aktionen zu unternehmen - ob direkte oder juristische -, hätten sie gute Chancen gehabt, die Übergriffe zu stoppen. Am 15. Mai kam PKS-GM-Chef Zenon Marek ins Depot und verteilte Umschläge mit Bargeld an die streikenden Busfahrer. Natürlich lief das ohne Quittungen und ohne genaue Berechnung, wieviel die Leute wirklich zu bekommen hatten. Aber leider reichte es, um einige Leute zu beruhigen. Zusätzlich bekamen die Fahrer einen zehntägigen Urlaub, um in die Ukraine zurückzufahren. Angeblich sollte das ein Ausgleich für die Überarbeitung sein, aber tatsächlich war es bloß eine weitere Streikbruch-Technik. Leider konnten wir die Leute in dem Moment nicht überzeugen, dass sie dableiben und kämpfen müssten, also verabredeten wir uns für Juni.

Die Busfahrer, die wir kennengelernt hatten, arbeiten nicht mehr bei PKS GM. Je nachdem, wen wir fragten, gab es widersprüchliche Informationen darüber, ob sie einfach gekündigt haben oder nicht mehr zurück durften. Anscheinend wurden über die ukrainischen Fahrer üble Gerüchte verbreitet. Ein polnischer Fahrer erzählte uns, das Problem mit dem Sprit habe darin bestanden, dass die ukrainischen Fahrer welchen geklaut hätten; es ist unklar, ob dieses Gerücht vom Chef oder von einigen der polnischen Fahrer stammt. Anscheinend wird das aber neu eingestellten polnischen Fahrern als Erklärung für den Konflikt erzählt. Eine ArbeiterInnen schienen große Angst zu haben, mit uns zu reden. Andere erzählten uns verschiedene Geschichten: diesen Monat seien die Zahlungen korrekt gewesen oder bei ihnen habe es illegale Abzüge gegeben. Wir versuchen immer noch durch diese widersprüchlichen Informationen durchzusteigen, aber es sieht so aus, als würde die Firma die ArbeiterInnen selektiv bescheißen, wobei die neu Eingestellten ohne Polnischkenntnisse, deren Reisepässe beschlagnahmt werden, am ehesten beschissen werden.

Gleichzeitig sind auch die ArbeiterInnen in anderen Busfirmen unzufrieden, aber die ArbeiterInnen und die Gewerkschaften versuchen nicht, zusammenzukommen und zusammenzuarbeiten. Tatsächlich stehen die verschiedenen Busfirmen mehr oder weniger in Konkurrenz zueinander. Vor allem deshalb, weil bei den öffentlichen Ausschreibungen normalerweise der billigste Anbieter den Zuschlag bekommt, was natürlich miese Arbeitsbedingungen fördert, da hinter den billigen Angeboten Überarbeitung und niedrige Löhne stehen. Der Stadtrat hatte Mittel für Lohnerhöhungen für die MZA-FahrerInnen bewilligt, aber dann hatte die Geschäftsführung der MZA beschlossen, dieses Geld für einen Leistungsbonus zu verwenden. Letztes Jahr hatten die MZA-FahrerInnen für den Fall, dass sie keine Lohnerhöhung bekommen sollten, mit Streik gedroht. In diesem Jahr organisierten einige Gewerkschafter am 5. Juni eine Kundgebung vor dem Rathaus für bessere Arbeitsbedingungen, aber es war keine von den Fahrern organisierte oder besuchte Basisaktion, sondern eine Gewerkschaftsaktion, zu der hauptsächlich Gewerkschaftsfunktionäre, teilweise sogar aus anderen Städten, kamen. Natürlich müssen die MZA-ArbeiterInnen selbst in die Gänge kommen, statt diesen Kampf den Gewerkschaftsbossen zu überlassen. «Als Experiment» fängt die MZA jetzt schon mit der Einstellung von Busfahrern aus Weißrussland an. Statt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, damit sich polnische Fahrer überlegen, nicht in Irland, sondern in Polen zu arbeiten, ist es bequemer, Leute mit niedrigeren Erwartungen zu finden - und wer würde sich dazu besser eignen als ArbeiterInnen, die versuchen, dem Elend von Lukaschenkos Regime zu entkommen.

Traurigerweise haben einige polnische ArbeiterInnen auch Ressentiments oder Vorurteile gegen diese ArbeiterInnen. Offensichtlich glaubten einige Fahrer bei PKS GM nur zu gern an Stereotypen über «Gauner aus dem Osten», und die Bosse haben das gegen die Arbeiter benutzt. Ohne eigene Schuld werden diese Arbeiter von den Bossen gegen andere Arbeiter, die für bessere Bedingungen kämpfen, benutzt. Das MZA-Manager hat auch offen gesagt, warum jetzt auch Frauen als Fahrerinnen eingestellt werden: weil sie zuverlässiger arbeiteten, keinen Ärger machten und eher dabei blieben als Männer. Bisher sind von 3.000 MZA-BusfahrerInnen nur ein paar Dutzend Frauen. Die Löhne bei der MZA sind zwar unterschiedlich, aber die meisten neuen FahrerInnen fangen mit weniger als 400 Euro im Monat an. In Warschau kann man davon nicht leben, bzw. man kann davon knapp überleben, wenn man eine billige Wohnung hat und keine Marktmiete, sondern nur Betriebskosten bezahlt. Wenn man bereit ist, so zu leben wie die ukrainischen Fahrer bei PKS Grodzisk - zu viert in einem 10-qm-Zimmer mit Etagenbetten in einer Containerunterkunft - dann kann man davon sogar etwas sparen.

Alle ArbeiterInnen müssen im Kampf für anständige Löhne zusammenkommen, aber bisher sind sie gespalten, passiv und unentschlossen. Der Weg nach vorn für die Fahrer sind ganz klar direkte Aktionen mit Unterstützung durch die Passagiere, die vom Sturz der Eliten und der Bosse, die die Transportbehörde kontrollieren, auch nur gewinnen können.

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