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In der Wildcat 88 gibt es einen großen Block zu Europa (Spanien, Frankreich, England, Griechenland). Schon beim Schreiben der Artikel war uns klar, dass die Proteste jetzt erst richtig losgehen; wenige Tage vor dem Druck schlugen die SchülerInnen in London das erste Mal zu. Nun eskaliert die Situation in Spanien. Zunächst ein kurzer Ausschnitt aus dem Spanien-Artikel in der aktuellen Wildcat 88, um den Zusammenhang klarer zu machen, dann ein update zum Fluglostenstreik und zur Verhängung des Notstands.

Wildcat 88: Spanien

Am 31. März lief der Tarifvertrag der 2400 Fluglotsen (2000 in den Kontrolltürmen) aus, ohne dass es zwischen AENA, dem staatlichen Betreiber der Flughäfen, und der Gewerkschaft UCSA zu einer Einigung über einen neuen Vertrag gekommen war. Schon seit Anfang Februar bereitete der Verkehrsminister einen exemplarischen Angriff auf die Fluglotsen vor, den »privilegierten« Fluglotsen mit ihrer außerordentlichen »Produzentenmacht« sollten die Flügel gestutzt werden. Ihre vielen Überstunden sollten durch Ausweitung der regulären Arbeitszeit in normale Arbeitsstunden verwandelt werden, die jährliche Arbeitszeit wird von 1200 Stunden auf 1750 angehoben, die Pausenzeiten werden von 33 Prozent auf 25 Prozent in Tagschichten und von 50 Prozent auf 33 Prozent in Nachtschichten gekürzt. Alles zusammen entspricht einer Lohnsenkung um 41 Prozent (von 340 000 auf 200 000 Euro/Jahr). Zugleich wurde die grundsätzliche Liberalisierung der Arbeit in den Kontrolltürmen eingeleitet. In aller Eile wurde per Gesetz die alleinige Autorität über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen an AENA übertragen. Drastische Sanktionen für Verstöße gegen die Dienstpflicht wurden in Aussicht gestellt, da damit zu rechnen war, dass die Fluglotsen ihr größtes Druckmittel, den Bummelstreik (Dienst nach Vorschrift) anwenden würden.

Der Angriff steht im Zusammenhang des ständig wachsenden Luftverkehrs und seiner Bedeutung für den Tourismus; für 2012 ist zudem die Einführung des europäischen »Einheitsluftraums« geplant.

Militär gegen ArbeiterInnen!

[update]

Am Freitag, 3. Dezember, traten die Fluglotsen in Streik. Zwei Tage zuvor hatte die Regierung angekündigt, 49 Prozent der Flughäfen von Madrid und Barcelona zu privatisieren und z.B. an die deutsche Fraport zu verkaufen und damit den schwelenden Konflikt um die Neuregelung der Arbeitsbedingungen weiter angeheizt.

Am 2. Dezember hatte es einen dreistündigen Ausfall des Flugbetriebs in Santiago de Compostella gegeben, weil zwei Fluglotsen der Arbeit fern blieben. Seit September nahmen überall die Verspätungen in der Flugabfertigung wegen Personalmangel zu. Hintergrund ist, dass die staatliche Flughafenbetreibergesellschaft AENA die jährliche Arbeitszeit ausweiten und damit die wesentlich besser bezahlten Überstunden einschränken will. Per Dekret wurde im Frühjahr das neue Zeitkontingent festgesetzt, aber es fehlt noch die Definition, was alles tatsächliche Arbeitsstunden sind, denn es werden etliche Zeiten für Übergabe, Einweisung usw. angerechnet. Viele Fluglotsen sagen, sie haben ihr Jahreskontingent bereits erfüllt und könnten daher der Arbeit fern bleiben. Als die Regierung im Vorgriff auf eine tarifliche Regelung am Freitag die Arbeitsstunden per Dekret definierte, rief die Gewerkschaft UCSA umgehend zu »permanenten Versammlungen« in allen Kontrollzentren auf. Das Dekret der Regierung enthielt bereits Klauseln, denen zufolge Fluglotsen, die ihrem Arbeitsplatz krankheitsbedingt fernbleiben, sich sofort dienstärztlich untersuchen lassen müssen, und dass sie zweitens jederzeit dem militärischen Oberbefehl unterstellt werden können. Diese Drohung hielt die Fluglotsen nicht davon ab, sofort zu 90 Prozent die Kontrolltürme zu verlassen.

Die angekündigte Flughafen-Teilprivatisierung sollte ebenfalls am Freitag vom Ministerrat abgesegnet werden. Neun Zehntel der 47 spanischen Flughäfen sind defizitär (was teilweise der irrsinnigen Ausweitung von Provinzflughäfen geschuldet ist – alles Teil der großen Blase). Die Überschüsse aus dem Betrieb der großen Flughäfen von Madrid und Barcelona sind für den Gesamtzusammenhang daher entscheidend. Es wird immer deutlicher, dass die Regierung letztlich den gesamten Flugtransport sukzessive durchrationalisieren und privatisieren will.

Durch den Streik brach die Luftraumüberwachung zusammen, der gesamte Flugverkehr über Spanien musste eingestellt werden. Die Kontrollzentren in Madrid und auf den balearischen Inseln haben darüberhinaus zentrale Bedeutung für das ganze Luftverkehrssystem. Auf den Flughäfen spitzte sich die Situation zu, weil viele SpanierInnen aufgrund von Feier- und Brückentagen in den Kurzurlaub fliegen wollten.

Noch am selben Abend unterstellte die sozialdemokratische Regierung die Flughäfen für zwei Wochen der Kontrolle der Streitkräfte. Am Tag darauf (Samstag, 4. Dezember) unterzeichnete König Juan Carlos ein Dekret, das alle zivilen Fluglotsen der Luftwaffe unterstellt. Zuwiderhandlungen werden nach dem Militärstrafrecht geahndet. Damit hat zum ersten Mal seit dem Ende der Franco-Diktatur eine spanische Regierung das Militär gegen einen Streik eingesetzt.

Die Übertragung der Kontrolle auf das Militär und massive Aufforderungen, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, hatten nicht gefruchtet, die Fluglotsen setzten ihren Streik fort. Nun verhängte die Regierung den »Alarmzustand«. In dieser untersten Stufe des »Notstands« sind Angestellte von strategisch wichtigen Einrichtungen dem Militärstrafrecht unterstellt. Streiks kommen dann einer Befehlsverweigerung gleich und werden mit Knast geahndet. Zudem wird die unmittelbare Beschlagnahme privater Güter als Schadensausgleich möglich. Daraufhin beendeten die Fluglotsen ihren Protest.

Die Regierung hat ein Exempel ersten Ranges statuiert, das sowohl die Tiefe der sozialen Krise als auch die EU-weite Bereitschaft aufzeigt, mit Repression und Notstandsgesetzen darauf zu reagieren. Auch in Griechenland hatte eine sozialdemokratische Regierung im Frühjahr (auf Druck von der EU, also letztlich von den Banken) die Armee eingesetzt, um den Streik der Lastwagenfahrer zu brechen. In Spanien werden Vergleiche zum Streik der nordamerikanischen Fluglotsen im August 1981 gezogen, der von Reagan mit Hilfe des Militärs beendet wurde. Auch Reagan ließ (vermeintlich) privilegierte Beschäftigte frontal angreifen und in Handschellen abführen. Auch damals war diese Aktion der Auftakt zu einem flächendeckenden Angriff auf Arbeitsbedingungen, Löhne und sozialstaatliche Leistungen.

Die Regierung ist zu ihrem Vorgehen gezwungen und ermutigt. Die Message, die der Konflikt zu transportieren drohte, war zu brisant. Mitten im sozialen Rollback wird da eine kleine Gruppe von ArbeiterInnen aufsässig und bietet der Regierung die Stirn. Die gewerkschaftliche Vertretung der übrigen Flughafenbeschäftigten hatte für den Fall der Privatisierung bereits Streiks in der Weihnachtszeit angekündigt. Zudem hatten auch die Piloten Proteste angekündigt, wenn bis Weihnachten ihre Arbeits- und Ruhezeiten nicht tariflich geregelt würden. Der geringste Erfolg der Fluglotsen würde den Kurs der gesamten Austeritäts- und Privatisierungspolitik infragestellen. Zweitens konnte die Regierung darauf rechnen, dass angesichts von 660 000 betroffenen Fluggästen und des enormen finanziellen Schadens für Tourismusindustrie, Fluglinien etc. ein hartes Durchgreifen auf Sympathie stoßen, bzw. geradezu verlangt würde.

Es ist gut möglich, dass den Fluglotsen nicht vollkommen bewusst war, wie groß das Rad ist, an dem sie drehten. Die ganze Aktion lief offensichtlich weitgehend spontan, von großer Empörung über das Regierungsdekret beflügelt – und unabhängig von der Berufsorganisation. Diese hatte auch nach der Zuspitzung noch größte Mühe, den Fluglotsen »den Ernst der Lage« zu vermitteln. Sie waren sich ihrer ungeheuren Macht bewusst. Aber man muss ihnen wohl auch politische Naivität unterstellen, denn spätestens seit der brutalen Zerschlagung des LKW-Fahrerstreiks im August 2008 konnte es keine Zweifel mehr geben, dass die Regierung zu jedem Mittel greifen würde, um den Widerstand zu brechen. Als die LKW-Fahrer sich auf den Weg nach Madrid machten, um die Hauptstadt abzuschnüren, wurde ihr Funkverkehr gestört, und überall auf den Landstraßen und Autobahnen wurden sie von Bullen und Guardia Civil abgefangen und ihrer Arbeits- und Blockademittel beraubt (Reifen abgestochen, Schlüssel weggeworfen usw.). Gleichzeitig lief in den Medien übelste Verleumdung mit dem Tenor: ein paar Kriminelle wollen die Gesellschaft als Geisel nehmen, um ihre Ziele durchzudrücken. Die hässlichen Einzelheiten der Niederschlagung des Kampfes wurden unter dieser medialen Kampagne zu den Auswirkungen auf Konsumenten und Wirtschaft begraben.

Die Fluglotsen haben auf alle angedrohten Konsequenzen geschissen und sie werden vermutlich einen sehr hohen Preis dafür zahlen. Die ersten 442 Disziplinarverfahren sind eingeleitet, und es drohen drakonische Strafen.

Gegen die Erklärung des Notstands und den Einsatz des Militärs, um einen Arbeitskonflikt zu unterdrücken – und das vor dem Hintergrund einer beispiellos antisozialen Krisenpolitik –, wäre schon ein gewaltiger Aufschrei der Gewerkschaften zu erwarten gewesen. Es ist grad einen Monat her, dass sie einen Generalstreik veranstalteten, weil ihnen die Formen der Regierungspolitik nicht passen (»Sooooo nicht«). Aber weder in Spanien noch in der BRD ist aus dieser Ecke groß was zu hören. Und weil aus genau diesem Grunde die Bonität spanischer Schulden nun vermutlich steigt, werden Politiker und Analysten unisono darauf bestehen, dass Spanien auf dem richtigen Weg sei. Das lässt Böses ahnen für die weitere Entwicklung.

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