.aktuelles

22.05.2012

Stahlarbeiterstreik in Griechenland — Aktuell


Streik im Stahlwerk — Eine kurze Streikchronik — 17.01.12

Streik im Stahlwerk — Artikel aus Wildcat 92 — 16.03.12

Die Geschäftsleitung des Stahlwerks hat sich angesichts einer langen Zeit des Nichtstuns zum Gegenangriff entschlossen.
Viele Arbeiter hatten sich, hauptsächlich auf facebook-Seiten, schon gefragt, ob es überhaupt noch Sinn ergäbe, einen bereits seit sechs Monaten laufenden Streik weiterzuführen, da der Boss sich anscheinend nicht auf Verhandlungen einlassen wollte und jegliche Zusammenkunft auf die Zeit nach den Wahlen vom 6. Mai verschoben hatte. In der Woche vor den Wahlen hatte eine Gruppe Streikbrecher eine gerichtliche Verfügung beantragt, sie wollten Maßnahmen zum Schutz vor dem Gewerkschaftskomitee, da dieses sie an ihrem 'freien Zutritt zur Arbeitsstelle' hindere. Das Verfahren fand statt am Mittwoch, den 2. Mai, und das Gericht verkündete seine Entscheidung — zugunsten des Streiks — eine Woche später. Sicherlich spielte dabei die politische Instabilität aufgrund der Wahlergebnisse eine Rolle, denn die Entscheidungen der Arbeitsgerichte und des Arbeitsministeriums sind rein politisch.
Die Geschäftsleitung ließ aber nicht locker und mobilisierte die Streikbrecher und Büroangestellten des Werks. Die facebook-Seite, die die Streikenden beinahe seit Beginn des Streiks unterhalten hatten, wurde plötzlich von anonymen Mitgliedern 'angegriffen', die das Komitee und den Vorsitzenden der Gewerkschaft beschuldigten, sie wüssten nicht, was sie eigentlich wollten, der Streik habe keinen Sinn usw. Der Kandidat der rechten Partei Nea Dimokratia erklärte, sollte er gewählt werden, wolle er die arbeitswilligen Arbeiter des Stahlwerks aus ihrer 'Geiselhaft' befreien. Der Gipfel war die Ankündigung der Fabrikmanager gegenüber der Gewerkschaft, sie würden frühmorgens am Montag, den 14. Mai, gemeinsam mit allen Arbeitern, die die Arbeit wieder aufnehmen wollten, das Werk betreten.
Und plötzlich... war es mit dem Nichtstun vorbei. In der Morgendämmerung versammelten sich 200 Streikende an den Fabriktoren — viele von ihnen hatten die ganze Nacht in der Fabrik verbracht —, bereit, eine Mauer zu bilden gegen jeden Versuch einer Gruppe von Streikbrechern, Managern und Handlangern, in die Fabrik einzudringen. Und obwohl die Streikbrecher recht aggressiv waren und die Mitglieder des Komitees beleidigten und angriffen, schafften es die Streikenden, die Situation unter Kontrolle zu halten und sie daran zu hindern, die geschlossenen Werkstore zu passieren. Darüber hinaus wurde ihnen klar, dass sie außer der körperlichen Anwesenheit der Streikbrecher einen weiteren Feind hatten: Einige Fernsehkanäle hatten sich daran erinnert, dass es in Elliniki Halivourgia einen schon beinahe sieben Monate währenden Streik gab, und produzierten ein paar Stories über — 160 Arbeiter, die wieder arbeiten wollten und von gerade mal zwanzig hitzköpfigen PAME-Mitgliedern [PAME - Gewerkschaftsbund der Kommunistischen Partei] aufgehalten wurden.
Das Ergebnis war ein Treffen zwischen dem Gewerkschaftskomitee und dem Geschäftsführer, der dabei enthüllte, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr mit 380 Beschäftigten schwarze Zahlen geschrieben hatte, und zwar trotz monatelangem Produktionsausfall aufgrund des Streiks, der am Mittag des 31. Oktober begonnen hatte. So gesehen kann man sich gut vorstellen, dass die Geschäftsleitung die Arbeiter wieder einstellen wollte, nur ohne Tarifverhandlungen und zu wesentlich niedrigeren Löhnen als vor dem Streik.
Der Geschäftsführer verlangte von der Gewerkschaft als Voraussetzung für Verhandlungen die Öffnung der Tore. Das Komitee lehnte dies klar und deutlich ab und antwortete, nach 200 Tagen Streik würden die Tore nur nach erfolgreichen Verhandlungen wieder geöffnet.
Am Tag darauf wurden die Streikbrecher sogar noch aggressiver, und der Konflikt wurde gewaltsam. Sie griffen Mitglieder des Gewerkschaftskomitees an, andere Streikende kamen diesen rasch zu Hilfe und schickten einen der Streikbrecher ins nahegelegene Krankenhaus. Das juristische Resultat dieser Auseinandersetzungen war ein Haftbefehl für die anwesenden fünf Komitee-Mitglieder und vier weitere Arbeiter (der aber nie ausgeführt wurde). Das gesellschaftliche Resultat bestand darin, dass sehr viele Leute den Streikenden zu Hilfe kamen und die Solidaritätsbewegung wieder zum Leben erweckten, deren Ausdehnung und entscheidende Rolle über die letzten Monate nicht sichtbar gewesen war. Der Angriff der Geschäftsleitung auf den längsten Streik, an den Griechenland sich erinnert, reichte aus, sich wieder bewusst zu machen, dass der Klassenkampf immer noch heftig am Toben ist.
Weil die Amtszeit des zuständigen Komitees der Gewerkschaft abgelaufen war, übergab es am Donnerstag, den 17. Mai mit einer Abstimmung über seine Politik die Geschäfte. Die Abstimmung wurde als Entscheidung für oder gegen den Streik gesehen. Die Streikbrecher bestanden auf geheimer Abstimmung, denn sie vermuteten, dass viele Streikende Angst hätten oder von den Militanten sogar bedroht würden, damit sie für den Streik stimmten. Zumindest war es das, was sie über die ihnen wohlgesonnenen institutionellen Medien propagierten. Nach einer ziemlich turbulenten Versammlung war das Ergebnis der Urabstimmung für die Streikbrecher recht enttäuschend: 178 für den Streik, 53 dagegen! Als unmittelbare Folge fühlen sich die Streikenden darin bestärkt, weiter mit der Geschäftsleitung zu verhandeln... und darauf zu warten, was der Boss und seine Streikbekämpfer noch in petto haben!
Der Streik bei Elliniki Halivourgia hat eine symbolische Dimension angenommen, und zwar sowohl für die soziale und Arbeiterbewegung als auch für die Neoliberalen.
Der Boss und die politischen Kräfte, die ihn unterstützen — und die er finanziell unterstützt —, wissen sehr wohl, dass eine Niederlage bei diesem Streik die Politik gegen Tarifabschlüsse und für die Senkung des Mindestlohns insgesamt infrage stellen würde. Und genau deswegen weigert sich die Geschäftsleitung, während andere Streiks ihre Forderungen durchsetzen — wie bei Coca-Cola in Salonika und den Supermärkten Ariadni auf Kreta —, mit den Arbeitern überhaupt zu verhandeln, obwohl sie andauernd Geld und Aufträge verlieren. Der Streik wird von den neoliberalen Kräften als ein Beispiel für das böse Gewerkschaftertum propagiert, das sich keinen Deut um die Arbeiter schere und dazu führe, dass Fabriken schließen müssten.
Auf unserer Seite kann das Durchhalten und die Entschlossenheit der Streikenden wie auch das Niveau ihres Klassenbewusstseins nur anziehend auf die Teile der soziale Bewegung dienen, die sich auf die Klasse orientiert. Diese Bewegung überholt die Versuche der PAME, die Lage mittels ihrer reichlichen Bereitstellung materieller Hilfen zu kontrollieren, und die Engstirnigkeit jener, die in diesem Streik nur die Präsenz der PAME und sonst nichts sehen. Hoffentlich sind sie nicht die Mehrheit, denn unsere einzige Waffe ist die Solidarität...

R., Athen 17.5.2012


Update von Ende Juni:

Aus den Wahlen vom 17. Juni ist eine Regierung aus drei Parteien hervorgegangen, die die Anweisungen von IWF und EU weiter einlösen will. Premierminister Samaras hatte einige Tage vor der Wahl erklärt, er werde es nicht zulassen, dass ein Haufen von Kommunisten angeführter Streikender Fabriken wie das Stahlwerk dichtmacht. Der ultra-rechte Parlamentarier A. Georgiadis forderte die Regierung auf, ihre Arbeit mit der Beendigung des illegalen Streiks zu beginnen.
Am 21. Juni fanden die 40 Streikbrecher zusammen mit den Angestellten und Managern, mit denen sie sich regelmäßig vor der benachbarten Tankstelle versammeln und das (geschlossene) Fabriktor angreifen, einen günstigen Moment, die Fabrik zu betreten. Alle Streikenden und UnterstützerInnen waren sofort alarmiert und versammelten sich schnell vor dem Tor. Drei Streikende mussten aufgrund dieser Aktion ins Krankenhaus. Die Streikbrecher drangen in die Büros der Fabrik ein und ließen draußen fünf große Kerle zurück, die persönlichen Bodyguards des Besitzers. Sie wurden von den Streikenden, die die Kontrolle über das Tor wiedergewannen, bald auf die Straße gejagt.
Streikbrechern und Managern war es zwar gelungen, in die Fabrik zu kommen, aber sie kamen nicht mehr heraus. Deshalb riefen sie die Polizei, die sie befreien und für die Öffnung des Tors sorgen sollte, um die Ware im Wert von 1,5 Mio. Euro abzutransportieren, die seit Streikbeginn in der Fabrik blockiert liegt. Das Gewerkschaftskomitee versicherte der Polizei, dass die Leute sicher rauskommen könnten, auch wenn die Streikenden eigentlich Rache wollten. Sie verließen die Fabrik um 20.30 Uhr unter höhnischen Rufen der UnterstützerInnen vor dem Tor. Sie provozierten weiter und kündigten an, am nächsten Tag wiederzukommen. Die Spannung zwischen den beiden Gruppen hielt über die nächsten Tage an. Es geht das Gerücht um, dass der Boss die Fabrik schließen wolle. Die Streikenden sind skeptisch, was ihre Zukunft angeht, aber entschlossen, nicht aufzugeben.


 
 
 [Seitenanfang] [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]