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16.10.2022

Wahlen in Italien

Eine Antwort von Maurizio auf Sergio und Cosimo...

Meine Güte, wo sind wir hier gelandet!?

Die Überschrift versucht angesichts des Stils, mit dem die Präsidenten der beiden Parlamentskammern jenseits einer auch nur einer minimalen Logik von verfassungsmäßigen Garantien gewählt wurden, mit leichter Ironie auf das einzugehen, was die Genossen Sergio und Cosimo geschrieben haben. Auch ich beziehe mich auf die Situation, in der wir vor nunmehr einem halben Jahrhundert in Italien waren – und teile die Überlegungen der beiden für diese Zeit: Zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre führten die umfangreichen Fabrikkämpfe zu erheblichen Lohnerhöhungen, die durch Produktivitätszuwächse möglich wurden; gleichzeitig führten die Kämpfe zu fortschrittlicheren politisch-institutionellen Kräfteverhältnissen, die sich in der Reform der Sekundarschule, in der Rentenreform, dem Arbeitnehmerstatut und der Gesundheitsreform niederschlugen. Durch die institutionelle Übereinkunft, die Kommunistische Partei von der Regierung fernzuhalten, war die Fortsetzung dieses Wegs aber blockiert, eine reformistische Auflösung der sich von Norden nach Süden ausbreitenden Arbeiterinitiative wurde verunmöglicht. Staatliche Stellen entschieden sich, in Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften, der subversiven Rechten und der organisierten Kriminalität im Inland, bewusst für eine Strategie des Massakers, die von [dem Anschlag auf die Landwirtschaftsbank auf der] Piazza Fontana bis zum versuchten Staatsstreich ging und Italien mit dem Rest des damals faschistischen europäischen Mittelmeerraums in Einklang bringen sollte.

Diese Strategie war nicht von Erfolg gekrönt, aber sie beeinflusste den Ausgang der sozialen Kämpfe, indem sie zuerst ihre Sprengkraft eindämmte und später zur Implosion des in der republikanischen Verfassung verankerten Parteiensystems führte. Seine institutionelle Dynamik als Vertreter des Volkes wurde stillgelegt und durch das Scheinbild eines demokratischen Staates ersetzt. Das führte schließlich zu dem entmutigenden aktuellen Ergebnis eines Parlaments, das zum Großteil aus Vertretern von Parteiklüngeln besteht und nur einer kleinen Anzahl von Linken.

Das wichtigste Ergebnis der Wahlen ist natürlich der klare Sieg der vereinigten Rechten, deren Koalition mit 45 Prozent der abgegebenen Stimmen fast 60 Prozent der Sitze in beiden Kammern des Parlaments errungen hat. Der Grund dafür ist die kombinierte Wirkung des »Rosatellum« genannten Wahlgesetzes und der Verringerung der Zahl der Abgeordneten und Senatoren. Ihre repräsentative Legitimität ist bereits durch den Rückgang der Wahlbeteiligung von 72,8 Prozent 2018 auf 63,8 Prozent in diesem Jahr geschwächt. Der Stimmenanteil der Fratelli d'Italia schnellte von 4,35 Prozent im Jahr 2018 auf 26 Prozent; diese Stimmen kamen vor allem von Wählern, die zuvor Lega (2018 17,37 Prozent, diesmal 8,9 Prozent) oder Forza Italia (2018 14,01, diesmal 8,3 Prozent) gewählt hatten; ein geringerer Teil von etwa fünf Prozentpunkten kam von ehemaligen Fünf-Sterne-Wählern. Die Fratelli haben diese Stimmen erhalten, weil sie in den letzten zehn Jahren die einzige Oppositionspartei waren – und nicht weil sich das rechte Wählerpotenzial ausgeweitet hat.

Bereits beim ersten Akt zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode mit der Wahl des Parafaschisten La Russa zum Präsidenten des Senats war die Zusammensetzung der künftigen Regierung gefährdet – Forza Italia enthielt sich, gerettet wurde La Russa durch etwa 20 heimliche Stimmen aus den Reihen der zukünftigen Opposition. Aber die anschließende Wahl des reaktionären Katholiken Lorenzo Fontana zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer festigte die Drei-Parteien-Koalition vorläufig wieder. Dieser Auftakt scheint keine Regierung anzukündigen, die den kommenden Stürmen gewachsen ist.

Wir haben die noch nie dagewesene Situation einer ziemlich widersprüchlichen national-atlantischen Regierung mitten in einer Weltkriegs-Krise, die sich auf europäischem Boden abspielt und die nicht zufällig kurz nach Merkels Rückzug ausgelöst wurde. Niemand befasst sich mit den Voraussetzungen, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Wie in einem Western: im Saloon schießen alle wild um sich, um den kleinen Hund zu töten, der hereinkommt, niemand denkt ernsthaft darüber nach, wie man die Raserei stoppen kann, denn im Film ist es schon klar, dass der kleine Hund mitten im Raum unbeschadet davonkommen wird. Aber die Wirklichkeit funktioniert nicht wie ein Western, wir sollten uns nicht ablenken lassen und sollten an Tagen, in denen sich das Ausmaß des Krieges durch eine scheinbar unaufhaltsame Trägheit verfestigt, wachsam sein.

Auch ich kann nur eine vorläufige Schlussfolgerung ziehen. Bereits bei den Wahlen der Präsidenten der beiden Kammern hat die Front der siegreichen Rechten mit der Aufstellung von zwei Figuren wie La Russa Ignazio Benito und Fontana Lorenzo Risse bekommen, weil Forza Italia sich bei der Bildung der zukünftigen Regierung in die Enge getrieben sieht, nicht nur, weil sie aus einer Minderheitenposition handelt, sondern auch interne Konflikte hat. Die Gefahr einer Implosion auf institutioneller Ebene sollte nicht unterschätzt werden.

Maurizio

 
 
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