Wildcat Nr. 39 - Sommer 1986 - S. 4-11 [w39waawa.htm]


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Die kapitalistische Krise der Energie und das Atomprogramm

(Der Kampf um die WAA in Wackersdorf)

 

Einleitung

In diesem Artikel wollen wir die Diskussion, die wir schon in den letzten beiden Heften über den Zusammenhang des Atomprogramms mit der kapitalistischen Restrukturierung begonnen haben, fortsetzen. Ein Hauptanliegen von uns ist dabei, den Diskussionen, die sich an Wackersdorf wieder neu entfacht haben, grundsätzliche Überlegungen und Erfahrungen beizusteuern, die deutlich machen, daß auch die WAA [WiederAufbereitungsAnlage] - wie jede andere »neue Technologie« - eine Neuordnung der Kooperation und damit eine Neuzusammensetzung der Klasse bedeutet. Ein Manko ist sicherlich, daß es bis jetzt nur wenig Material (von gewerkschaftlichem mal abgesehen) über die Bedingungen und die Zusammensetzung der Arbeiter in einer WAA gibt. Deshalb beziehen wir uns bei der Beschreibung der Prozesse von Neuzusammensetzung mehr auf die AKWs. Wir denken, daß diese Herangehensweise vertretbar ist, da sich ein AKW und eine WAA grundsätzlich nicht so sehr unterscheiden und in der WAA eher die Erfahrungen, die das Kapital mit der Zusammensetzung der Arbeiter in den AKWs gesammelt hat, weiterentwickkelt sind. Doch beginnen wir am Anfang und erklären, was Energie ist und welche Energie für das Kapital von besonderem Wert ist.

Arbeit und Energie

In den letzten Jahren ist landauf, landab über die Begrenztheit der Energie-Reserven, über Verfügbarkeit von Energie usw. diskutiert worden. Dabei ist die Diskussion allzu oft ins rein Physikalische abgeglitten und suggeriert worden, daß »die Energie« eine gänzlich unabhängige Größe sei. Das Kapital ist aber in erster Linie nur an seiner Verwertung interessiert und dafür ist menschliche Arbeit die »Hauptenergiequelle«. In Wirklichkeit ist Energie ihrem Wesen nach unerschöpflich, sie kann nicht »verloren gehen«, sie ändert nur ihre Form. Es kann keinen Mangel an Energie geben. Was sich hinter dem Gejammer des Kapitals über die Erschöpfung der Energiereserven verbirgt, ist seine mangelnde Verfügung über menschliche Arbeitskraft.

Nur durch die Kombination von Rohstoffen und Naturkräften mit menschlicher Arbeit kann sich das Kapital verwerten. Solange das Uran unter der Wüste vor sich hinstrahlt, ist es für das Kapital wertlos, seinen Wert erhält es erst innerhalb eines riesigen Produktionszyklus', in dem Hunderttausende ausgebeutet werden: in den Uranminen, im Transport, in der Weiterverarbeitung, beim Bau und Betrieb der Kraftwerke, bei der Abfallbeseitigung usw.

Die Gefährlichkeit des atomaren Zyklus (Strahlung, chemische Vergiftung, mörderische Arbeitsbedingungen) ist weithin bekannt. Aber nicht erst seit dem Bau der AKWs, sondern seit es den Kapitalismus gibt, gilt die Gleichung Produktion = Destruktion. »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«, hat ein bekannter Pfälzer schon vor über hundert Jahren erkannt. Die Atomfabriken sind nur der am weitesten entwickkelte Ausdruck der kapitalistischen Zerstörung.

Krise der Arbeit und Krise der Energie

Die Ware Energie ist somit wie jede andere Ware vergegenständlichte Arbeit. Das Besondere an der Energie ist, daß sie in so gut wie jeden Produktionsprozeß als Produktionsmittel eingeht. Der Energiesektor ist deshalb ein strategischer Sektor. Erstens kann das Kapital durch Erhöhung der KonsumentenEnergiepreise proletarisches Einkommen direkt abschöpfen, zweitens kann das Kapital vom Energiesektor her alle anderen Sektoren antreiben und kontrollieren. »Indem es den Energiesektor entwickelt, kann das Kapital eine Art magnetisches Kommando ausüben und Mehrwert aus jeder Pore des gesellschaftlichen Gewebes herausziehen. Jedes Restaurant, jede Wohnung, jede Werkstätte muß für Energiekosten zahlen.« [1]

Bei der Umstrukturierung der kapitalistischen Produktion hat der Energiesektor schon immer eine zentrale Rolle gespielt, das gilt für die Umstellung der Energieproduktion von Kohle auf Erdöl genauso wie für das Atomprogramm. Gegen die Rigidität der alten Klassenzusammensetzung (die Bergarbeiter gehörten früher immer zu den militantesten) schuf die Petrochemie in den 50er und 60er Jahren die »energiepolitischen« und technologischen Voraussetzungen zu ihrer Entmachtung. Dabei wurde zur Steuerung in den Petrochemie-Kombinaten eine neue Generation von Prozeßrechnern, Steuer- und Meßeinrichtungen gebraucht. Diese »Regeltechnik« war die damalige Spitzentechnologie und unabdingbar, um die in der Petrochemie durchgesetzte Arbeitsorganisation Zug um Zug auf die anderen Industriezweige zu übertragen. Das reicht vom Einsatz der automatisierten Walzstraßen in der AutomobilIndustrie in den 60ern bis zur noch gar nicht so lange zurückliegenden Einführung der Großrechner, die erst die Anbindung der Zulieferer an die Montagezentren und somit die diffuse Fabrik ermöglichten. In den fünfziger und sechziger Jahren liegen auch die Anfänge der bundesdeutschen Atomtechnologie. Sämtliche fortschrittlichen Industrien - Metall, Chemie, Elektrotechnik - beteiligten sich direkt an der Entwicklung des neuen Energiezyklus, da sie sich von der neuen Technologie direkte Auswirkungen auf ihre Produktionszyklen erwarteten. Für die Schwerindustrie ging es darum, auf den Exportmärkten verlorenes Terrain wiederzugewinnen (z.B. beim Großanlagenbau). Die Chemieindustrie konnte die in der Atomforschung gewonnenen Erkenntnisse als erste nutzen: »Durch die Einführung atomarer Zerfallsprozesse in den chemischen Produktionsprozess konnten außerdem bestehende Produktarten verbessert oder rationeller hergestellt werden. Zum Beispiel wurden in der Arzneimittelherstellung und der Materialprüfung zunehmend Isotopen eingesetzt; Kunststoffe wurden durch den Einsatz gewisser Strahlen in ihren Gebrauchseigenschaften verbessert. Bayer nahm zur Nutzung dieser neuen Möglichkeiten Anfang 1956 das größte deutsche Isotopenlabor in Betrieb (Atomwirtschaft 1/56). Neben einigen Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft waren die Chemiekonzerne aus all diesen Gründen diejenigen, die als erste zu massiven Investitionen in die neuen Technologien schritten, um diese Möglichkeiten wahrzunehmen. Der Universität Frankfurt spendete die Firma Hoechst sogar ihren ersten Versuchsreaktor.« [2] In dieser Zeit wurde die staatliche Förderung von Forschungsprojekten eng an die Atomtechnologie gebunden - nicht umsonst hieß das heutige BMFT damals »Atomministerium« und der Minister Strauß.

Noch eine Anmerkung zum Zusammenhang von Technologie und Klassenspaltung: interessanterweise bedeutete die Neuzusammensetzung in der Petrochemie die Unterscheidung in höher qualifizierte »Überwachungsarbeiter« und auf der anderen Seite in Revisions- , Reparatur- und Putzarbeiter - eine Mischung, wie wir sie heute auch in den AKWs finden. In der »Energiekrise« seit 1973/74 setzt das multinatio- nale Kapital die Energiepreise und damit auch alle anderen Preise hoch (wir haben ja oben erklärt, daß die Energiepreise in alle anderen Preise mit eingehen). Es erreicht damit mehrere Ziele: zum einen zieht es ganz unmittelbar den Proletariern durch höhere Preise mehr Geld aus der Tasche. Dieses Geld wird in den Metropolen benutzt, um neue Technologien zu erforschen und zu installieren. In den »Schwellenländern« der drei Kontinente werden diese sogenannten »Petrodollars« dazu benutzt, einen riesigen Entwicklungsboom einzuleiten, von dem sich das multinationale Kapital eine weltweite Zersplitterung der Klasse verspricht. Die fortgeschrittensten Punkte dieses Entwicklungsbooms sind in den drei Kontinenten die AKWs in Brasilien und im Iran. In den Metropolen wurde mit den Petrodollars auch der Umstieg auf den Atomstrom finanziert.

AKWs und Neuzusammensetzung der Klasse

Die AKWs sind zentrales Beispiel dafür, wie das Kapital in den 70er Jahren seine Umstrukturierung anpackt: Sprung in der organischen Zusammensetzung [d.h. das Verhältnis von konstantem zu variablem Kapital] und Ausweitung der Arbeit.

In den AKWs finden wir außer den automatischen Steuerungen und den dazu gehörenden »sauberen Arbeitsplätzen« auch jede Menge Scheißarbeit, niedrige Löhne, Sklavenhändler, Arbeit, die oft mit hoher Verstrahlung verbunden ist. Darüber hinaus sind die AKWs das technologische Standbein einer umfassenden Restrukturierung, mit der die Klasse entlang neuer Linien gespalten wurde. Wir haben die Situation, die damit geschaffen wurde, oft genug beschrieben; hier nur einige Stichpunkte: Dezentralisierung der Großfabriken in Klitschen, Prekarisierung durch die Schaffung eines breitgefächerten Angebots an »ungarantierten Beschäftigungsformen« - Sklavenhändler, »illegale« Beschäftigung, alle möglichen Arten von Befristungen, KAPOVAZ, ... -, parallel dazu »flankierende Maßnahmen« des Staates - Kürzung der Sozialgelder, Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen, Ausweitung der Zwangsarbeit.

Der Mehrwert, der in den arbeitsintensiven Sektoren ausgebeutet wird, fließt mittels der Energiepreise den Energiemultis zu. Die AKWs bilden dabei die »Bollwerke«, von denen aus die Mehrwertabpressung kommandiert und kontrolliert wird. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen in allen anderen Sektoren. »Damit die Energiepreisstrategie Erfolg haben kann, muß eine enorme Arbeitsmenge erzeugt werden und aus den niedrigen Sektoren herausgepreßt werden, um als Kapital im hohen Sektor eingesetzt werden zu können. Um die neue kapitalistische Utopie der hochtechnisierten, hochkapitalintensiven Industrien der Energie-, Elektronik- und Gentechnik-Branchen zu finanzieren, muß eine entgegengesetzte kapitalistische Utopie geschaffen werden: eine Welt der arbeitsintensiven, schlecht entlöhnten, zerrissenen und dezentralisierten Produktion.« [3] Mit den »neuen Technologien« meinen wir also nicht nur die Steuerungen, die in einem AKW notwendig sind, sondern auch die Technologien, die das Kapital erst in die Lage versetzen, die Zerrissenheit in der Produktion, in den verschiedenen Beschäftigungsformen, aber auch generell im Alltag zu organisieren, indem es auf einer höheren Ebene diese unterschiedlichen Situationen wieder zusammenbringt. Dezentralisierung der Produktion und Zentralisierung des Kommandos sind zwei Seiten derselben Medaille.

Die Erpressung mit der Verstrahlung

In der Atomindustrie zeigt sich am deutlichsten, wie mit den neuen Technologien auch neue Herrschaftsformen durchgesetzt werden. Wenn die AKWs erst einmal an's Netz gegangen sind, sollen die neuen Herrschaftsformen als »Sachzwänge« von jedem akzeptiert werden. Um uns vor »Unfällen« und damit verbundener Verstrahlung zu schützen, müssen die AKWs geschützt und muß die gesamte Region sicherheitstechnisch überwacht werden - das heißt, es gibt einen beispiellosen Ausbau des Polizei- und Militärapparats. Darüber hinaus soll jeder gezwungen werden, sich »verantwortungsbewußt« zu verhalten und sich der Herrschaft des Kapitals unterzuordnen. Für den Fall, daß diese neue Herrschaft nicht akzeptiert wird, droht das Kapital mit der totalen Zerstörung. Auf diese Art soll die Existenz von jedem einzelnen erpresserisch an die Existenz des Kapitals gebunden werden. Three Miles Island, Tschernobyl und alle anderen »kleineren« Störfälle haben gezeigt, daß das Kapital gewillt ist, mit seiner Drohung ernst zu machen und den Supergau zu inszenieren. Diese Erpressung wirkt natürlich am unmittelbarsten auf die, die direkt in der Atomindustrie arbeiten. Sämtliche Unfälle sind bisher auf »menschliches Fehlverhalten« zurückgeführt worden. Die Arbeiter sind gezwungen, »saubere Arbeit« zu machen, bei jeder Sabotage oder Arbeitsverweigerung ist sofort ihr Leben bedroht.

Dort, wo die Sachzwänge nicht mehr greifen - z.B. beim Bau von AKWs oder der WAA -, geht das Regime zu direkteren »Akzeptanzbeschaffungsmaßnahmen« über: zu Gummiknüppel und Tränengas. Diese neuen Herrschaftsinstrumente wurden schon sehr früh von breiten Teilen der ökologischen Bewegung erkannt und als »Atomstaat« thematisiert. [4]

Die Arbeiter in den AKWs

In diesem Abschnitt wollen wir nicht weiter auf die besonderen Situationen während des Baus und der Revisionen eingehen - das kann in den letzten beiden Heften nachgelesen werden.

Wie wir oben schon erwähnten, bilden die Wartungs- und Reparaturarbeiter den größten Teil der in einem AKW Beschäftigten. Von ihnen sind wiederum die meisten nicht direkt angestellt, sondern über alle nur denkbaren Vertragskonstruktionen drin: Sklavenhändler, Putzfirmen; von einer Baufirma wissen wir, daß sie früher mal gute Geschäfte beim Bau des zweiten Blocks von Philippsburg gemacht hat, nach Ende der Bauphase aber fast pleite ging und seitdem weniger von Bauaufträgen, als vom Verleih von Wartungsarbeitern an das AKW lebt.

Leiharbeiter ist aber nicht gleich Leiharbeiter. Unter ihnen gibt es eine sehr ausgeprägte Hierarchie: Es gibt solche, die schon seit Jahren drin sind, sämtliche Abläufe kennen und schon fast zu den »Festen« zählen. Dann gibt es die, die zu bestimmten Reparaturen oder auch Revisionen da sind. Das können entweder »hochbezahlte« Spezialisten sein, die von AKW zu AKW wandern, oder schlecht bezahlte »Handlanger«, die leicht ersetzbar sind. Die unterste Stufe dieser Hierarchie bilden die Putzkolonnen und die Fremdarbeiter, die nur sehr kurz für bestimmte Arbeiten - die meist mit hoher Strahlung verbunden sind rekrutiert werden. Nicht selten sind diese Arbeiter Ausländer, die illegal hier sind und dadurch besonders erpreßbar sind, weil sie bei den geringsten Schwierigkeiten ausgewiesen werden können. Die hohe Mobilität macht es für die Arbeiter sehr schwer, sich auszutauschen und erste Organisierungsansätze zu entwickeln. Dies wird noch durch die militärische Arbeitsorganisation verschärft: absolute Verpflichtung zur Verschwiegenheit, sich mehrmals wiederholende Sicherheitsüberprüfungen, ständige Bespitzelung am Arbeitsplatz. Von einer Putzfirma wissen wir, daß sie einen Hausbesuch zur Vorbedingung für die Einstellung macht, um die persönlichen Verhältnisse des zukünftigen »Mitarbeiters« zu überprüfen - und das bei einem Stundenlohn von 10 DM brutto.

Ein weiteres sehr wichtiges Mittel zur Disziplinierung ist der Strahlenschutz. Wenn ein Arbeiter mal mehr als die zulässige Höchstdosis abbekommt, heißt das nicht automatisch, daß er nicht mehr arbeiten kann. Da kann es dann schon mal vorkommen, daß das Dosimeter hinfällt oder beim Dekontaminieren nicht so genau abgelesen wird. Den Arbeitern aber, die versuchen, sich gegen die Arbeitsbedingungen zu wehren, wird damit gedroht, sie in extrem verstrahlte Bereiche zu schicken. Außer daß ihr Leben direkt angegriffen wird, bedeutet das auch, daß sie erst einmal für eine Zeit von den Kollegen isoliert werden. Das Heuern und Feuern wird damit sehr vereinfacht. Der Strahlenschutz dient also nicht dazu, die Arbeiter vor gefährlicher Verstrahlung zu schützen, sondern soll in erster Linie die Unternehmer vor dem Verhalten der Arbeiter schützen. So will das Kapital jeden Organisierungsversuch im Keim vernichten.

Die Atomanlagen sind ein Modell für viele Fabriken, denn die Kapitalisten bekämpfen überall die Organisation der Arbeiter. Doch nicht einmal im AKW sind die Arbeiter vollständig kontrollierbar. Sie schaffen sich auch hier nach und nach die Räume, die sie brauchen, um Erfahrungen auszutauschen und sich ansatzweise zu organisieren. Sie haben zum Beispiel erkannt, daß sie den Strahlenschutz auch rumdrehen und für sich nutzen können. Bevor sie irgendeine Arbeit überhaupt in Angriff nehmen, beharren sie erst einmal auf einer sehr langwierigen Zeremonie: Dann muß sich erst einmal der Kapo die Anweisung bei der Leitung holen, dann muß nach dem Strahlenschutz geschickt werden, damit er die Räume mit Geigerzählern durchmißt; dann müssen Pläne studiert werden usw. usf. - bis die eigentlichen Arbeiten beginnen, vergehen so oft Stunden oder Tage. Es gab auch schon einige Streiks in Atomanlagen, so zum Beispiel 1976 in La Hague, wo sich die Arbeiter gegen die Privatisierung und die daraus folgende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wehrten. [5] Im Februar 1979 streikten die Arbeiter des AKWs Caorso ebenfalls gegen die schlechten Arbeitsbedingungen.

Ein weiteres Beispiel für die verbreitete »Arbeiterrigidität« ist die Bauphase der AKWs, die fast immer doppelt so lange wie geplant dauert. Diese Verzögerungen kann man bestimmt nicht nur den Bewegungen gegen die AKWs zuschreiben. In Philippsburg haben wir selbst erlebt, welche Schwierigkeiten die KWU und die Fremdfirmen hatten, eine Großbaustelle von 3 - 4000 Arbeitern zu kommandieren. Auf so einer Großbaustelle gibt es für die Arbeiter immer Poren, sich nicht übermäßig zu verausgaben. Jeder Riß in den Rohrleitungen und die Tatsache, daß nach dem ersten Probelauf 30% der Kabel wieder ausgewechselt werden müssen, sind Ausdruck der mangelnden Kontrolle über das Verhalten der Arbeiter. Der TÜV war dagegen die wichtigste Waffe. Auch auf Druck der Grünen wurden die TÜV-Bestimmungen ständig verschärft und zum Schluß jede Schweißnaht geröntgt und beinahe jedes Kabel durchgemessen. Trotzdem haben die »Störfälle« nicht abgenommen und kaum einmal konnte bisher ein AKW mit seiner Nennlast gefahren werden. Aber selbst daraus hat das westdeutsche Kapital noch Nutzen ziehen können. Da das Arbeiterverhalten zu einer erhöhten Qualitätskontrolle geführt hat, gelten die Atomanlagen als die sichersten der Welt.

Das Atomkapital befindet sich in einem grundlegenden Zwiespalt: Auf der einen Seite ist es mehr als in anderen Industrien auf die Kollaboration der Arbeiter angewiesen, da schon die kleinste »Unzuverlässigkeit« riesige Folgen nach sich ziehen kann. Wenn es aber gegen das Verhalten der Arbeiter langsam arbeiten, zusätzliche Pausen schaffen, etc. - die Arbeitsbedingungen verschärft, wird sich die Weigerung, »mitzudenken« und die Bereitschaft zur Sabotage eher noch erhöhen. Bisher konnte die KWU diesem Problem mit einer gewissen Lässigkeit begegnen, da der Staat für die dadurch verursachten Mehrkosten aufkam und der KWU sichere Profite garantierte. Riesenhuber kündigte vor einigen Wochen an, daß die AKWs sich in Zukunft selbst tragen müßten und der Staat sich aus der teueren Technologie zurückziehen werde. Mit Ausnahme der WAA in Wackersdorf werden atomare Bauvorhaben nur noch halbherzig verfolgt; es wird sichtbar, daß der Staat mit dem proklamierten »Ausstieg« einen neuen energiepolitischen Zyklus einleiten will. In den USA ist schon seit 78 die Umstellung auf andere großtechnische Anlagen im Gange - z.B. technologisch weiterentwickelte Kohlekraftwerke; und die SPD fordert spätestens seit Tschernobyl die Umstellung auf andere zukunftsorientierte Technologien - sie macht sich damit zum Fürsprecher der Kapitalfraktionen, die erkannt haben, daß die Atomindustrie in bezug auf die Neuzusammensetzung der Klasse und die Durchsetzung neuer Herrschaftsformen an ihre Grenzen gestoßen ist. Diese Position hat inzwischen auch bei führenden Köpfen der CDU, wie Biedenkopf, Anhänger gefunden. In dieses Bild paßt auch, daß das Kernforschungszentrum Karlsruhe seit einigen Jahren seinen Schwerpunkt nicht mehr in der Atomforschung sieht, sondern an der Entwicklung von »anwendungsorientierten Technologien«, wie der Verknüpfung von dezentralen Montageinseln und der Entwicklung von Robotersystemen, arbeitet. In der Versuchsanlage Jülich nimmt die Entwicklung von neuen Werkstoffen für die Produktion einen immer größeren Stellenwert ein.

Das alles weist darauf hin, daß die AKWs in Zukunft für die Restrukturierung keine entscheidende Rolle mehr spielen werden und da die Atommafia nicht mehr mit einer staatlichen Subventionierung wie in den letzten Jahren rechnen kann, muß sie sich im Umgang mit dem Arbeiterverhalten neue Methoden ausdenken, wie sie die Arbeiter noch stärker zur »Mitarbeit« motivieren kann. Sie haben bereits sehr genaue Vorstellungen, welcher Arbeitertyp sich in der Ausbeutung in den AKWs am besten machen würde: »In der Literatur ist in diesem Zusammenhang vom `gesellschaftsunmittelbaren Arbeitnehmer' gesprochen worden: jede der geforderten Eigenschaften des Beschäftigten wird aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive definiert, von der Fähigkeit, die technischen Abläufe genau zu verfolgen, um Gefahrenherde rechtzeitig zu orten, über die psychische Konstitution, die es erlaubt, die damit verbundenen Spannungen auszuhalten, bis hin zu einem Höchstmaß an sozialer Integration. In der riskanten Technologie darf kein Risiko in der Person des Arbeitnehmers liegen.« [6] Eines der besten Instrumente zur »sozialen Integration«, d.h. Bespitzelung, in den Betrieben sind noch immer die Gewerkschaften. So könnte eine Möglichkeit der Atomindustrie, die Arbeiter enger an die Ziele der Produktion zu binden, darin liegen, endlich den Gewerkschaften die Türen zu öffnen - sie klopfen ja schon lange genug an.

Die WAA

Was die Diskussion über die WAA in letzter Zeit weitgehend bestimmt, ist die Frage, ob die WAA nun tatsächlich gebaut wird und welche Interessen, die hinter ihr stehen, sich letztendlich durchsetzen werden. Die wichtigsten Argumente wollen wir hier kurz zusammenfassen: Schließung des Brennstoffkreislaufs. 1980 hat eine Enquete-Kommission des Bundestags die zukünftige Entwicklung der Kernenergie in zwei Phasen unterschieden. »Kernenergie 1« ist die Generation der Leichtwasserreaktoren, die aufgrund der »begrenzten« Uranvorkommen nur für eine Übergangszeit gedacht sind. Mit »Kernenergie 2« ist der Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, also Schnelle Brüter und Wiederaufbereitungsanlage, gemeint. Die WAA ist demnach notwendig, um den Schnellen Brüter betreiben zu können und sich unabhängig von ausländischen Uranlieferungen zu machen.

Verfügbarkeit über die Atombombe. Die »Versuchs-WAA« in Karlsruhe verfügt schon seit langem über alles, was man so zur Atombombenherstellung braucht. Die Bombe hätte also schon längst gebaut werden können. Darum geht es den Kreisen, die mit der WAA militärische Interessen verfolgen, aber gar nicht. Ihnen geht es um die Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit Atombomben im großen Maßstab zu bauen. Diese Interessen drücken sich alle in der Visage von Strauß aus, der sich schon immer zum Fürsprecher dieser Kreise gemacht hat (erster Atomminister, als Verteidigungsminister hat er Starfighter für den atomaren Erstschlag besorgt). Aus dem Grund ist es nicht verwunderlich, daß die WAA letztendlich in Bayern gebaut werden soll.

Internationale Abkommen. Die deutsche Atomindustrie ist sehr eng an europäische Verträge und Entwicklungsabkommen gekoppelt. So wie hinter dem Schnellen Brüter, werden auch hinter der WAA gemeinsame europäische Interessen stehen. 1988 läuft das Lieferabkommen mit La Hague aus und eine Verlängerung ist nicht in Sicht. Schon jetzt gehört bei jedem AKW zur Grundausstattung ein »Zwischenlager«, in dem die abgefahrenen Brennstäbe über Jahre gelagert werden, weil die Endlagerund Aufbereitungskapazitäten völlig überlastet sind.

Die Diskussion darüber, wer sich was von der WAA verspricht, gleitet allzuoft ins Spekulative ab und geht selten über die Ebene des offensichtlich Erkennbaren hinaus. Uns geht es hier nicht darum, noch mehr Verwirrung zu stiften; deshalb lassen wir die Kulissen Kulissen sein. Wir wollen den Blick lieber darauf richten, wie sich die Situation mit der WAA verändert bzw. verändern soll - für das Kapital, die Klasse und die Zusammensetzung in der Region.

Zuerst ist festzuhalten, daß sich die Wiederaufbereitung noch immer in der Experimentierphase befindet. Das zeigen die vielen Unfälle in den schon bestehenden WAAs und die Tatsache, daß es noch nicht gelungen ist, die Ablagerung von Plutonium in den Rohrleitungen und Tanks während des Abtrennvorgangs zu verhindern. Bei zwei Kilo wird das abgelagerte Plutonium kritisch, es kommt wie bei der Atombombe zu einer Kettenreaktion, die nicht mehr gebremst werden kann. Experimentierphase heißt auch, daß sich die Kapitalisten - wie in den 50ern in der Atomforschung - Erneuerungen erhoffen, die dann in andere Produktionszyklen eingeführt werden können.

Veränderungen in der Arbeitsorganisation

In die Arbeitsorganisation der WAA fließen die »positiven« Erfahrungen ein, die das Kapital sowohl in den »modernen« Abteilungen der Großindustrie als auch in den AKWs gesammelt hat. Die WAA ist wie eine Fabrik organisiert, sie besteht aus mehreren Abteilungen und die Aufspaltung der Arbeiter in Einrichter, Maschinenführer, »Handlanger« für Transport und Zulieferarbeiten, Wartungs- und Instandsetzungsarbeiter finden wir in jeder größeren Metall-, Elektro- oder Chemiefabrik wieder. Schon im Normalbetrieb werden viele der Arbeiter über Sklavenhändler beschäftigt sein. Diese Mobilität wird noch durch die Revision verstärkt. In der WAA wird die Revisionsdauer, die in einem AKW ungefähr mit zwei Monaten pro Jahr veranschlagt wird, auf ein halbes Jahr gesteigert. Da die WAA während der Revision nicht abgeschaltet wird, werden wahrscheinlich über das ganze Jahr verteilt Revisionen stattfinden. Damit gibt es praktisch keinen »Normalbetrieb« mehr, für die Arbeiter wird es noch schwieriger, sich gegen die Arbeit Strukturen zu schaffen.

Die Neuzusammensetzung der Region

Ausschlaggebend für den Standort Wackersdorf waren - außer daß er in Bayern liegt - die »Vorteile« der Region. Wackersdorf liegt sehr nahe am Ballungsraum Nürnberg/Erlangen (Siemens, KWU ...) und ist über Autobahn und Schnellstraßen gut zu erreichen. Darüber hinaus gibt es in Wackersdorf schon seit einiger Zeit Industrie (Maxhütte, TriumphAdler, eine Alufabrik, Müllverbrennungsanlage, kleinere Fabriken, die für Nürnberger Großbetriebe produzieren). Diese Industrieansiedlung, die schon vor dem 2. Weltkrieg begonnen hat, bedeutet auch, daß die Bevölkerung sehr durchmischt ist: Bauern, Arbeiter/Arbeitslose, Mittelstand - eine Zusammensetzung, die in der bürgerlichen Wissenschaft für »soziale Verträglichkeit« steht.

Anhand von Philippsburg haben wir beschrieben, wie solch eine Region »gekauft« wird; wie sich das Kapital zur Durchsetzung seiner Ziele die unterschiedliche materielle Betroffenheit zunutze macht. Die Arbeiter/Arbeitslosen , deren einzige Existenzgrundlage ihre Arbeitskraft ist, interessiert vor allem, zu welchen Bedingungen sie später in der WAA arbeiten sollen und wie sich damit der »Arbeitsmarkt« verändert. Der Mittelstand ist gespalten: die einen versprechen sich vom Bau lukrative Aufträge, die anderen haben Angst, daß ihr politischer Einfluß z.B. im Gemeinderat von der Atommafia verdrängt wird.

Die Arbeitslosigkeit beträgt schon jetzt in der Oberpfalz über 20%. Sie wird noch weiter steigen, wenn die Maxhütte endgültig ihre Tore schließt. Die Arbeitslosigkeit und die geplante Ausdörrung der Region (»Die Staatsregierung hat in der mittleren Oberpfalz keine Untersuchungen über Alternativen zur Ansiedlung anderer Industriebetriebe als der Wiederaufbereitungsanlage angestellt«, so WAA-Koordinator Waldenfels) sollen für die nötige Akzeptanz sorgen. Schließlich wird der Bau der WAA einen Industrialisierungsboom ungeahnten Ausmaßes nach sich ziehen: Ausbau der Infrastruktur, Ansiedlung neuer Betriebe, damit verbunden die breite Durchsetzung prekärer Beschäftigungsformen (die ja schon in der Technologie der WAA angelegt sind). Aber noch steht es nicht fest, daß die WAA wirklich gebaut wird. Es muß sich erst noch zeigen, ob es der Atommafia gelingt, den Widerstand zu spalten, oder ob die »Bewegung« die räumliche und inhaltliche Begrenztheit überwinden und sich ausweiten kann.

... und der Kampf dagegen

Die Mobilisierung zu Wackersdorf ist zum Startsignal für eine neue Bewegung geworden. In den letzten Jahren haben wir ja mehrere solcher Mobilisierungen erlebt. Sie waren immer durch zwei Pole gekennzeichnet: auf der einen Seite die Militanten, die den Anspruch hatten, über den »Teilbereich« hinauszugehen, auf der anderen Seite die Grünen, die sich als Vermittler solcher Bewegungen ihre Existenz in den Parlamenten gesichert haben. In Wackersdorf scheint sich dieses Spielchen jetzt zu wiederholen. Die Autonomen waren bis jetzt dafür zuständig, den Putz am Bauzaun zu organisieren. Die Diskussionen gingen dabei selten über die militärische Seite dieses Problems - welche Ausrüstung, wie gehen wir mit bestimmten Taktiken der Bullen um, wie erreichen wir ein gemeinsames Vorgehen - hinaus. Die Vermittlung der Inhalte, also aufzuzeigen, was hinter der WAA steckt und warum wir dagegen kämpfen, wurde hintangestellt. Damit wurde den Grünen die Möglichkeit gegeben, sich ohne nennenswerten Widerspruch zum Sprecher der Bewegung zu machen und ihr die eigenen verhandelbaren Forderungen überzustülpen.

Dieses Verhältnis zwischen Autonomen und Grünen wird an einem Beispiel aus Karlsruhe deutlich: Zur Vorbereitung eines Aufrufs zu einer Demo anläßlich der Aktionärsversammlung des Badenwerks, an dem sich mehrere Gruppen beteiligten, legten Leute vom WAA-Plenum ein Papier vor, in dem unter anderem die Bedeutung der AKWs für die kapitalistische Restrukturierung herausgearbeitet wurde. In einem Abschnitt wurde sehr klar gesagt, daß die AKWs grundsätzlich der Profitmaximierung der Kapitalisten dienen und daß AKWs nicht eine Verringerung der Arbeit mit sich bringen, sondern eine Ausweitung der Drecksarbeit, oft über Sklavenhändler.

Dieser Abschnitt fand sich in dem Aufruf zur Demo dann folgendermaßen wieder: »Vergessen wir an dieser Stelle auch nicht die unwürdigen Arbeitsbedingungen der über Sklavenhändler (sog. Leiharbeiterfirmen) Vermittelten und ihre gesundheitliche Gefährdung. Mit den Milliarden, die für Atomanlagen verschwendet werden, könnte ein vielfaches an ökologisch und sozial sinnvollen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Ein Arbeitsplatz in einem AKW kostet 20 Mio.DM, ein normaler Industriearbeitsplatz nur 200 000.«

Nebenbei sei noch angemerkt, daß der Hauptorganisator dieses Aufrufs eine BI ist, die in ihrem Namen die Umwandlung des Kernforschungszentrums in ein Zentrum zur Erforschung von alternativen Technologien fordert. Mit der Durchsetzung dieser Forderung werden sie keine allzu großen Schwierigkeiten haben, da das Kernforschungszentrum schon längst diesen Schritt vollzogen hat, die Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit liegen seit längerem bei »Alternativenergie«, Roboter- und Automatisierungsentwicklungen für die Industrie und seit neuestem im neuen Wachstumssektor »alte AKWs abreißen« (Niederaichbach).

Hier zeigt sich abermals die gesellschaftliche Funktion der Grünen, die einerseits als Kritiker der Auswirkungen des Kapitalismus auftreten, wohlgemerkt der Auswirkungen des unmäßigen, verrückt gewordenen Kapitalismus, andererseits - was für eine Position, die dieses System für korrigierbar hält, durchaus logisch ist - innovativ und konstruktiv wirken, Vorschläge zu seiner Verbesserung entwickeln (alternative Technologien, sinnvolle Arbeit, Grundrente) und ganz nebenbei noch aus der ökologischen Ecke Argumente liefern, die einen weiteren Angriff auf die Einkommen legitimieren helfen (z.B. höhere Strompreise zur Durchsetzung eines sparsamen Energieverbrauchs).

Wie jede andere Partei sind die Grünen gezwungen, ihre Nützlichkeit für das Kapital zu dokumentieren. Sie wollen Vermittler sein zwischen dem System und den Bewegungen; ihre Anerkennung als politischer Faktor innerhalb des Machtapparats beziehen sie gerade durch den beständigen Beweis, daß sie in der Lage sind, sich abzeichnende Entzündungsherde sozialer Auseinandersetzungen rechtzeitig zu diagnostizieren und die möglicherweise revolutionären Tendenzen von Bewegungen aufzusaugen und politisch in den gegebenen gesellschaftlichen Rahmen zu integrieren. Sie sind darum auf ein festes Standbein innerhalb der Bewegungen angewiesen; sie müssen die reale Militanz von Bewegungen deshalb nicht nur tolerieren, oft brauchen sie diese geradezu um auf institutioneller Ebene ihr Süppchen damit kochen zu können.

Bewegungen bekommen ihre Attraktivität vor allem durch ihre militanten Tendenzen und verbreitern sich darüber. Für die Grünen wiederum sind die Militanten attraktiv, weil sie an ihnen dem Kapital ihre Fähigkeiten beweisen können, Widersprüche funktional zu integrieren.

Schließlich gibt es zur Gewaltfrage noch die offizielle Propagierung der »Gewaltfreiheit«. Mit der wird dann letztendlich die Spaltung betrieben zwischen denen, die sich in den Schoß der Gesellschaft zurückführen lassen und denen, die sich weigern: Die Guten ins Töpfchen - die Schlechten ins Kröpfchen.

Dieser Mechanismus funktioniert blendend durch die Existenz zweier »Flügel« innerhalb der grünen Partei, Fundis und Realos, die arbeitsteilig vorgehen: den Fundamentalisten kommt dabei der Part zu, das Akzeptiertsein in den Mobilisierungen überhaupt zu ermöglichen; während die Realpolitiker dafür zu sorgen haben, daß die Grüne Partei vom Kapital und seinen Parteien als politischer Gesprächs- und Verhandlungspartner ernstgenommen wird.

Deshalb ist es eine Illusion zu glauben, durch eine Radikalisierung (und Militarisierung) des Widerstands die Grünen unter Druck setzen zu können. Die Grünen brauchen das, es schafft ihnen die Legitimation und die Spielräume, die sie innerhalb des Machtapparats benötigen.

Im Gegenteil: gerade in den Hochburgen der Autonomen (die nicht zufällig auch die Hochburgen der Grünen und Grün-Alternativen sind!) ist es in den letzten Jahren zu einer Arbeitsteilung zwischen Autonomen und Grünen gekommen: wir machen den Putz und die Grünen vermitteln das ganze politisch. Solange die Militanten nicht selbst in der Lage sind, diese Arbeitsteilung zwischen sich und den Grünen zu durchbrechen, hat Stoltenberg den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er sagt, »die Militanten sind der bewaffnete Arm der Grünen«.

Autonome Politik bestand in den letzten Jahren im wesentlichen aus dem Kampf gegen Symbole: Brokdorf, Startbahn West ... Anti-Nazi- und Anti-US-Demos ... Wackersdorf. In dieser Sprunghaftigkeit kommt die Entwicklung einer kontinuierlichen politischen Linie notgedrungen zu kurz.

Um uns überhaupt in die Lage zu versetzen, eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln, die über die zeitliche und inhaltliche Beschränkung eines Einzelprojekts hinausgeht, müssen wir kapieren, daß es die Bewegung als homogenen Block nicht gibt. Sie ist vielmehr eine Ansammlung von Leuten, die alle aus verschiedenen sozialen Situationen kommen und sich aus sehr unterschiedlichen, und zum Teil sogar sich widersprechenden Gründen zum Beispiel hinter der Forderung »Weg mit der WAA« vereinigen. Die jeweiligen Interessen lassen sich grob so einteilen: Auf der einen Seite diejenigen, die in der WAA die Zerstörung eines alten gewohnten Zustands sehen. Sie wollen einen alten, als vernünftig und ausgeglichen angesehenen Kapitalismus verteidigen gegen einen neuen, aufgeblähten, verrückt und verantwortungslos gewordenen, mit AKW's, Autobahnen usw. Auf der anderen Seite stehen die, die keine Angst vor seiner Zerstörung haben, sondern diese anstreben.

Da »Bewegungen« Zweckbündnisse sind, um auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners so viel wie möglich Leute zu einem bestimmten Projekt zu mobilisieren, wird über die oben genannten Unterschiede hinweggegangen und die Auseinandersetzung über sie nicht geführt um ja das Bündnis nicht zu gefährden. Dieser »Sachzwang« hat bisher allzuoft für die Grünen oder andere reformistische Gruppen funktioniert, die damit jeden Ansatz von revolutionärer Politik zu erschlagen versuchen.

Dagegen ist es aber gerade wichtig, die »qualitative« Ausweitung anzupacken, also die Frage danach zu stellen, wer kämpft mit wem auf welcher Grundlage zusammen. Die Antworten auf diese Fragen sind der Schlüssel für die materielle Basis, von der aus eine inhaltliche und praktische Ausweitung möglich ist.

In jeder Bewegung, die sich erst einmal an einem Punkt entzündet, geht es auch darum, die Politisierungsprozesse der Beteiligten voranzutreiben und zu intensivieren und sich von den Fesseln der unmittelbaren Betroffenheit zu lösen.

Das Wiederaufkommen der alten Losung »den Widerstand in die Städte tragen« zeigt, daß viele Autonome versuchen, über diese Blockierung hinauszukommen. Sie wollen die Fixierung auf den Bauzaun überwinden und eine eigene politische Perspektive entwickeln. Dabei stehen sie vor der Schwierigkeit, die positiven Erfahrungen aus Wackersdorf (eine breite Solidarisierung, die Ausweitung militanter Kampfformen auch über das eigene Ghetto hinaus) auf die Situation in ihren Städten zu übertragen.

Dadurch, daß sich die Vorstellung von Gegenmacht im wesentlichen auf die militärischen Auseinandersetzungen am Bauzaun beschränken, entstehen Mythen, wie die des »Oberpfälzers»: »Immer wieder unterstützen die OberpfälzerInnen die auswärtigen Vermummten, schimpfen auf die »Schweine«, »die da oben« und den Staatsterror und beteiligen sich am Geschehen, wo sie nur können. Sei es durch Augenspülungen - sie gehen in die zigtausend -, Nachschublieferungen oder sie nehmen auch selber mal einen Stein oder eine Säge in die Hand.« (aus Freiburger SZ)

Es liegt ja nicht in der »Natur« der Oberpfälzer, daß sie von Hause aus ein besonders militanter Menschenschlag sind. Schon vor einigen Jahren machte diese Spezie im Rhein-Main-Gebiet von sich reden, davor wurde sie bereits am Kaiserstuhl gesichtet...

Die Verwunderung über die Radikalisierung derer, die man sonst nur als »Bürger« oder »Normalos« wahrnimmt, resultieren aus einem Blickwinkel, der über die Grenzen der eigenen Szene nicht hinausgeht, der die Widersprüche in der Gesellschaft nicht sucht und deshalb auch nicht erkennt.

Das Kapital aber bezieht sich sehr wohl auf diese Widersprüche: Der Standort Wackersdorf ist auch deshalb ausgesucht worden, weil für die dort lebende Bevölkerung eine »niedrige Konfliktbereitschaft« und »geringe Sensibilisierung« diagnostiziert wurden und man mit keinem allzu großen Widerstand rechnete. Aus demselben Grund ist bis jetzt auch noch nie ein AKW in einer Stadt gebaut worden - die »soziale Struktur« wird hier als weitaus explosiver eingeschätzt (nicht etwa die Gefahr, die von diesen Dingern ausgeht, hält sie davon ab! Die BASF hatte allen Ernstes vor, mitten in Ludwigshafen ein AKW zu bauen).

»Den Kampf in die Städte tragen«, das setzt erst mal voraus, daß wir die Wurzeln verstanden haben, aus denen sich der Kampf der OberpfälzerInnen nährt. Das heißt auch, die Spaltungslinien verstanden zu haben, um zweitens kapieren zu können, wie die Leute sie überwinden konnten (das ist nicht bloß »pro oder anti WAA«). In die Städte, in unsere Lebens- und Wohn- und Maloche-Zusammenhänge können wir nur dann was reintragen, wenn wir diese Strukturen kapiert haben. Die Herrschenden haben lernen müssen, daß sie in den Städten ihre Großprojekte nicht mehr durchziehen können. Den Autonomen ist das im Grunde ein Rätsel, denn sie kennen inzwischen den Taxöldener Forst besser als die proletarischen Strukturen in ihrem Stadtteil oder wenigstens die Klitschen und Sklavenhändler in ihrem Häuserblock. Und da schließt sich dann der Teufelskreis: wenn wir nicht von unseren Kämpfen her zu den anderen »kämpfenden Teilen des Proletariats« Beziehungen herstellen können, werden wir immer wieder im Bündnis mit den Grünen die politische Ausweitung suchen - und die Integration ins parlamentarische Spiel finden!

Den Kampf in die Städte tragen, setzt voraus, die Strukturen hier zu kennen und sich in ihnen bewegen zu können. Den Kampf in die Städte tragen, heißt zwischen der Power am Bauzaun und den sozialen Konflikten hier vermitteln zu können. Den Kampf in die Städte tragen, heißt auch, die kapitalistischen Projekte hier auszumachen und anzugreifen (und uns nicht in der politischen Sackgasse von Scherbennächten zu verrammeln). Eignen wir uns das Wissen darüber von neuem an: tragen wir den Kampf in die Städte.


Fußnoten:

[1] Midnight Notes Collective: Arbeit, Entropie, Apokalypse, S. 25 (Thekla 12).

[2] Christian Deubner: Die Atompolitik der westdeutschen Industrie und die Gründung von Euratom, S. 21.

[3] Midnight Notes Collective: Arbeit, Entropie, Apokalypse; S. 43 (Thekla 12).

[4] Nichtsdestotrotz gibt es noch immer einflußreiche Strömungen - gerade unter den Grünen -, die die »Sachzwänge« im kapitalistischen Sinn benutzen. So kürzlich Robin Wood, die in das AKW Krümmel eingebrochen sind, um die Verwundbarkeit der Atomanlagen zu demonstrieren und bessere Sicherheitsmaßnahmen gegen »terroristische Angriffe« zu fordern.

[5] Bis dahin war La Hague eine militärische Wiederaufbereitungsanlage, der Großteil der Beschäftigten waren beim Staat angestellt - mit den dazugehörenden Garantien. Die Umstellung auf eine kommerzielle WAA bedeutete zum einen eine Zunahme der radioaktiven Verstrahlung, da durch den höheren Abbrand der Brennelemente mehr Spaltprodukte entstehen, die dann in der WAA freigesetzt werden und zum anderen wurden mit der Privatisierung sämtliche alten Garantien außer Kraft gesetzt - die Stunde der Sklavenhändler hatte geschlagen. 1982 wurden in Paris während einer zentralen Demo gegen AKWs Sklavenhändlerbüros angegriffen, die für La Hague Arbeiter besorgen.

[6] WSI-Mitteilungen 12/1985, S. 756.


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