Wildcat Nr. 58 - Februar / März 1992 - S. 43-45 [w58hml.htm]


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Homelands of the Mind - Jüdischer Feminismus und Identitätspolitik

Jenny Bourne

[Stark gekürzte Fassung eines Artikels, der später in A. Sivanandan, J. Bourne: From Resistance to Rebellion. Texte zur Rassismusdiskussion. Berlin/Göttingen: Schwarze Risse/Rote Straße, 1992, erschienen ist.]

Identitätspolitik ist zur Zeit der große Renner. Ausbeutung ist »out« und gilt als von außen her determiniert. Unterdrückung ist »in« und gilt als von innen heraus persönlich. Die Frage nach dem richtigen Handeln wurde durch die Frage nach dem Sein ersetzt. Wer bin ich? Die politische Kultur ist von einer Politik des Kulturellen abgelöst worden. Die materielle Welt hat sich ins Metaphysische verflüchtigt. Die Schwarzen, die Frauen, die Lesben und Schwulen, alle haben sie sich auf die Suche nach ihrer Identität begeben. Und schließlich steht als Verbindung all dieses Strebens die Suche nach einer jüdischen feministischen Identität auf der Tagesordnung.

Während der 60er und 70er Jahre bildeten Jüdinnen das Rückgrat der Frauenbewegung. Mit Sicherheit trifft das auf die USA und Britain zu. Aber wir waren nicht sichtbar als jüdische Frauen. Wir waren Feministinnen, die zufällig auch noch jüdisch waren. Unser Jüdisch-Sein artikulierte sich nicht in Worten und Liedern (...). Wir beteiligten uns am antirassistischen, antiimperialistischen und antifaschistischen Kampf innerhalb der Frauenbewegung, weil sich viele von uns schon vorher einer radikalen linken Politik verpflichtet fühlten. Unsere eigene Geschichte der Unterdrückung als jüdische Menschen - auch wenn wir sie nur indirekt und aus einem gewissen Abstand heraus erfahren haben mögen - hatte uns unbewußt zu einer Politik der Befreiung getrieben, hatte uns gelehrt, wachsam zu sein und uns auf die Seite aller Unterdrückten gestellt. Wir beeinflußten sehr stark die Entwicklung einer emanzipatorischen, sozialistischen, feministischen Theorie und Praxis. Wir kämpften für einen Feminismus, der sich, laut Lynne Segal, in dem gemeinsamen Versuch, »die Verbindung zwischen der Unterwerfung von Frauen und der kapitalistischen Ausbeutung zu verstehen, und daraus eine Bewegung von und für alle Frauen, aber nicht nur für Frauen, sondern für alle unterdrückten Gruppen und Völker, und auch für Männer, aufzubauen«, niederschlug.

Der heutige Feminismus ist nur noch wenig von emanzipatorischen und sozialistischen Prinzipien gekennzeichnet. »Der Kampf um soziale Veränderung und für eine gesamtgesellschaftliche Transformation«, so 1970 noch als oberstes feministisches Ziel auf der ersten »British Women's Liberation Conference« formuliert, ist durch einen Feminismus abgelöst und vernebelt worden, der sich als separatistisch, individualistisch und nach innen gewendet erweist. Das organische Verhältnis, das wir zwischen dem Persönlichen und dem Politischen zu entwickeln versuchten, ist soweit ad absurdum geführt worden, daß heute nur noch das Persönliche als politisch relevant und legitim erachtet wird.

Es ist paradox, daß nirgendwo die Abkehr von ehemaligen politischen Prioritäten offenkundiger vollzogen worden ist als bei jüdischen Frauen. Wir sind nicht mehr länger politisch aktive Feministinnen, die zusätzlich noch jüdisch sind. Wir sind vielmehr jüdische Feministinnen, deren erstes Ziel nun die Suche nach unserer Identität darstellt.

Der Ausgangspunkt dieses Perspektivenwechsels innerhalb unserer Politik war schon in einer Version des Radikalfeminismus angelegt, der sich zuerst in den späten 70er Jahren in den USA entwickelt hat. Schwarze Feministinnen versuchten dort das Verhältnis von »race, class and power« (»Rasse, Klasse und Macht«) neu zu bestimmen, was einem Angriff auf das feministische Konzept einer weltweiten Frauensolidarität gleichkam. »Die tiefgehendste und potentiell radikalste Politik«, behauptete das Combahee River Collective, »entsteht direkt aus unserer eigenen Identität und unterscheidet sich von einem politischen Ansatz, der versucht die Unterdrückung von anderen zu beenden«. (...)

Dieser Politikansatz basierte nicht nur auf der Zurückweisung der internalisierten Unterdrückung des eigenen Geschlechts und der eigenen Sexualität. Er sollte auch den Kampf gegen jegliche Form von Unterdrückung - Klassenherrschaft und die Unterdrückung von ethnischen Gruppen eingeschlossen - beinhalten, um am Ende zu der eigenen wahren Identität zu gelangen. Über Bewußtseinstraining, Gruppendiskussionen und Rollenspiele sollten die Frauen lernen, all die von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Identitäten, durch die sie eine Spaltung erfahren, wieder zusammenzuführen. Anders ausgedrückt bedeutete dies, daß die strukturellen und materiellen Grundlagen, die das Verhältnis von »Rasse, Klasse und Macht« betreffen, zuerst im Rahmen des persönlichen Bewußtseins angegangen werden sollten. Das Ziel war nicht mehr länger, die materielle Welt zu verändern, sondern zuallererst das Selbst.

Für uns als jüdische Frauen hieß es, »daß die Entdeckung unserer Erfahrung von Unterdrückung« an sich schon eine »Form von Widerstand« hervorbringt. (...)

Diese Verschiebung innerhalb jüdischer feministischer Politik, die auschließliche Beschäftigung mit der eigenen kulturellen Identität, wurde zusätzlich begünstigt und legitimiert durch den sogenannten »New Marxism«. Diese neue Ausrichtung innerhalb des Marxismus hatte, nach der Abkehr von der Klasse, die Neuen Sozialen Bewegungen (Frauen, Homosexuelle, Ökologiebewegung etc.) als die Verkünder eines neuen Jerusalems auserkoren.

Der Klassenantagonismus galt innerhalb des neuen Konzepts von nun an nur noch als einer von vielen autonomen Widersprüchen, und ihm wurde ähnlich große Bedeutung beigemessen wie z.B. Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie. Unterdrückung und nicht mehr länger Ausbeutung war nun die zentrale politische Kategorie. Kapitalismus wurde nicht mehr länger charakterisiert als »eine bestimmte Produktionsweise mit dem Hauptwiderspruch zwischen Kapital und ausgebeuteter ArbeiterInnenklasse«, sondern als »aus verschiedenen Unterdrückungsverhältnissen, einschließlich Rassismus, Sexismus und Nationalitätenkonflikten, bestehend«.

Feministinnen haben diese »Erkenntnisse« noch weiter getragen und begannen, die ganze Welt und alle Aspekte des menschlichen Lebens durch das »Prisma Unterdrückung« zu betrachten. Unterdrückung wurde zum neuen politischen Maßstab. Plötzlich war jede und jeder unterdrückt und unterdrückte andere: Männer Frauen, Weiße Schwarze, Heterosexuelle Homosexuelle, Christen Juden. Witze, die ein Freund erzählte, konnten unterdrücken, ein Werbespot konnte durch Auslassungen unterdrückerisch sein, eine Rede konnte durch Sprache unterdrücken, Arbeiten an sich und Bürokraten galten als Teil des unterdrückerischen Systems. Differenzierungen zwischen Gedanken und Handeln, zwischen dem Individuum und Strukturen, zwischen der realen Welt und Formen der Repräsentation gingen vollkommen verloren.

Gleichzeitig war der Kampf gegen Unterdrückung immer weniger direkt gegen das Herrschafts- und Machtsystem gerichtet, sondern immer mehr gegen bestimmte Diskurse, gegen die Art und Weise, wie Machtverhältnisse sich zeigen und repräsentiert werden. (...)

Für all das lieferte der »New Marxism« die Rückendeckung. (...)

Anti-Semitismus = Rassismus, oder die Theorie von der Gleichheit der Unterdrückungsverhältnisse

(...) In den USA sind jüdische und schwarze Feministinnen weitergegangen, indem sie versucht haben, »Brücken zu schlagen«, eine »Bündnispolitik« aufzubauen, »sich gegenseitig zu erreichen«, durch Konferenzen, Seminare, Bewußtseinserweiterungsübungen und durch Publikationen, die die Gemeinsamkeiten der Unterdrückungserfahrungen von schwarzen und jüdischen Frauen betonen. Die Grundlage bildete die Annahme, daß schwarze und jüdische Frauen gleichermaßen die Opfer von Rassismus und von Ausgrenzung einer weißen und nicht-jüdischen Kultur seien.

In Britain fand eine ähnliche Annäherung statt. Diesmal auf der Basis, daß alle ethnischen Minderheiten die gleiche Unterdrückung erfahren. Jüdische Menschen, genau so wie Menschen aus Jamaika oder Pakistan, Sikhs, ZypriotInnen oder ChinesInnen (ein wahres Pot-Pourri von Kategorien), galten nun als ethnische Minderheit, und teilten die gemeinsame Erfahrung von Unterdrückung mit diesen Gruppen. Die Linke, der es in den Nachkriegsjahren nicht gelungen war, der Autonomie des schwarzen Kampfes innerhalb des Klassenkampfes Rechnung zu tragen, rückte nun nach ihrem« Abschied von der Klasse« immer mehr in Richtung Autonomie der Kämpfe ohne Klassenhintergrund. Der Schwenk der Linken zu einem »kulturellen Pluralismus« (»Culturalism« im englischen Original, Anm. der Übersetzerin) ergab für jüdische Gruppen, die nach einer neuen und anerkannten linken Identität suchten, die Möglichkeit, sich in diesem neuen »kulturellen« Rahmen zu verorten. Die meisten der links orientierten Stadtverwaltungen, besonders der Greater London Council (Londoner Stadtrat), waren bestrebt, eine Gleichbehandlung aller ethnischen Minderheiten herbeizuführen. Indem sie unter der Rubrik Anti-Rassismus versuchten, alle ethnischen Gruppen gleichermaßen zu unterstützen und finanziell zu fördern, wurde Ethnizismus bald zum Äquivalent für Anti-Rassismus. (...)

In der Praxis hat sich der Anspruch auf politische Anerkennung für jüdische Feministinnen nicht unbedingt in einer offenen Konkurrenz mit schwarzen Feministinnen ausgedrückt, aber zumindest in dem Versuch geäußert, auf einen bereits fahrenden Zug aufzuspringen und in mechanischer Manier die Kämpfe gegen Unterdrückung gleichzusetzen. Das wird besonders deutlich in dem Buch »Yours in Struggle«, das auf beiden Seiten des Atlantiks als eine Art Pionierwerk gilt. Eine weiße nicht-jüdische Feministin, eine weiße jüdische Feministin und eine schwarze Feministin stellen ihre Sichtweisen zu Rassismus und Anti-Semitismus dar, und reflektieren über ihre individuellen Strategien, diese Unterdrückungsverhältnisse zu überwinden. Elly Bulkin, die eine Parallele zwischen diesen Unterdrückungsformen sieht, fordert das Recht ein, schwarze Frauen nach ihrem praktischen Kampf gegen Anti-Semitismus zu befragen, bevor sie sich mit ihnen auf ein gemeinsames Podium setzt. Für Bulkin sind Anti-Semitismus und Rassismus gleichermaßen internalisierte Formen von Unterdrückung. Barbara Smith, die schwarze Mitautorin des Buches, stimmt mit Bulkins Definition des Problems überein. »Ich bin anti-semitisch«, gibt sie zu. »Ich habe den Anti-Semitismus, ob ich will oder nicht, alleine dadurch, daß ich in dieser Gesellschaft lebe, verinnerlicht«. Alle Schwarzen haben nach diesem feministischen Verständnis Anti-Semitismus verinnerlicht. Jüdische Menschen haben Rassismus verinnerlicht und nicht-jüdische Menschen den ganzen Mist auf einmal. Die Aufgabe muß daher sein, unsere Köpfe und unser Handeln von all diesen schlechten Gedanken und dem schlechten Betragen zu befreien, die Stereotypisierungen, die wir von der dominanten Kultur eingetrichtert bekommen haben, zurückzuweisen und die Symmetrie der Bilanz von Unterdrückungen wiederherzustellen, indem wir schwarze Menschen dazu bekommen, ihren Anti-Semitismus wahrzunehmen, uns jüdische Menschen unseren Rassismus, und weiße nicht-jüdische Menschen beides.

Um gerecht zu sein, muß erwähnt werden, daß die schwarze Feministin Barbara Smith, die ihren Teil zu der falschen Gleichsetzung von Unterdrückungsverhältnissen beigetragen hat, zumindest das Ergebnis dieser Gleichsetzung kritisch betrachtet. (...)

Aber da Smith innerhalb der verengten Sichtweise einer feministischen Strömung operiert, die Rassismus von Ausbeutung loslöst, gelangt sie nicht zu einer Analyse des Problems sondern nur zu der nichtssagenden Beobachtung: »Die Unterdrükung von jüdischen Menschen ist nicht identisch mit der Unterdrückung von Schwarzen, aber beide Unterdrückungsformen gehen von der selben weißen männlichen herrschenden Klasse aus«. Rassismus und Anti-Semitismus können nur als »gleich« angesehen werden, weil der Feminismus die Bedeutung von Rassismus durch zunehmende Personalisierungen verwässert hat. Rassismus wird nicht mehr länger zuerst als strukturelles und institutionalisiertes Problem begriffen, wie es noch in den 60er und 70er Jahren aufgezeigt worden ist, sondern vornehmlich durch den Einfluß bestimmter Strömungen innerhalb der Frauenbewegung als ein Problem verinnerlichter Vorurteile. Ausgehend von den Erfahrungen des Sexismus, wo individuelle Männer als Väter, Liebhaber, Ehemänner, Brüder und Vorgesetzte eine individuelle Macht über Frauen ausüben und direkt davon profitieren, haben schwarze Feministinnen dies auf den Rassismus übertragen und sind zu der Ansicht gelangt, daß weiße Menschen, einschließlich der weißen Frauen, Macht über alle schwarze Menschen ausüben und davon profitieren. Macht wird somit zuallererst als ein persönliches Problem zwischen Individuen verstanden - zwischen Männern und Frauen, zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Nicht-Juden und Juden, zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen - und nicht bezogen auf ein ausbeuterisches System, das hierarchisch strukturiert ist, um den maximalen Profit aus der größtmöglichen Ausdifferenzierung herauszuschlagen.

Nirgendwo in all den Diskussionen zum Anti-Semitismus von schwarzen Feministinnen und zum Rassismus gegen Schwarze von jüdischen Feministinnen (die beide natürlich gleichermaßen verurteilt werden) findet sich eine Analyse davon wieder, wie Gedanken und Vorstellungen, wie bigott sie auch immer sein mögen, von materiellen Bedingungen geformt werden. Rassismus bleibt und entsteht ihrer Meinung nach als eine Idee, wird als solche verurteilt, und auch als solche bekämpft, und das Gleiche passiert mit Anti-Semitismus.

Wenn Feministinnen Rassismus und Anti-Semitismus nicht ausschließlich auf einer abstrakten Ebene vergleichen würden, sondern sie in Bezug auf ihre spezifischen Ursprünge, Geschichten und sich verändernden Ausdrucksformen untersuchen würden, entstände sofort Klarheit darüber, inwieweit die beiden Unterdrückungsformen nicht identisch sind, und wie sich die Ebenen unterscheiden, auf denen sie bekämpft werden müssen. Westliche kapitalistische Gesellschaften sind über Sklaverei und Kolonialherrschaft auf Rassismus gegen Schwarze aufgebaut worden und sind von der Ausbeutung nicht-weißer Menschen in ihrem eigenen Land, und weltweit, abhängig. In den meisten westlichen Ländern wurde der Rassismus institutionalisiert und Bestandteil der staatlichen Strukturen. Er drückt sich in Gesetzen aus, z.B. in den Einwanderungsgesetzen, im Justizsystem, in der Administration der Dienstleistungen, im Gesundheitswesen und im Ausbildungssystem. Mehrheitlich gehören schwarze Menschen zum ärmsten und am schlechtesten ausgebildeten Teil der Bevölkerung in den westlichen Gesellschaften. Sie haben die schlechtesten Wohnungen und die höchste Arbeitslosenquote. Die Verarmung von nicht-weißen Menschen ist ein zunehmendes, weltweites Phänomen, verursacht durch ein Weltsystem, das die symbiotische Beziehung von rassistischer Unterdrückung und Ausbeutung zur Grundlage hat, und sie immer weiter vorantreibt. Obwohl es über viele Jahrhunderte hinweg in vielen Ländern eine massive Verfolgung gegen uns gegeben hat, die im »modernen« europäischen Anti-Semitismus und im versuchten Völkermord kulminierte, sind wir auf der anderen Seite in den heutigen westlichen Gesellschaften nicht mit einer vergleichbaren systematischen Ausbeutung konfrontiert, wie sie Schwarze und Menschen aus der Dritten Welt erfahren, und die sie auf die untersten Stufen verbannt und droht, sie dort zu belassen. (...)

Die Politik der Gleichheit von Unterdrückungsverhältnissen kann zusammenfassend als ahistorisch beschrieben werden, da Unterdrückungsverhältnisse pauschal gleichgesetzt werden, ohne sie in Beziehung zu ihren besonderen Entwicklungsgeschichten zu bringen. So werden sexistische und rassistische Unterdrückungsverhältnisse abgetrennt von Klassenausbeutung, die Erfahrungen von schwarzen Menschen und Menschen aus der Dritten Welt auseinandergerissen, so wird der Zusammenhang des Rassismus mit dem Imperialismus verleugnet. Anstatt auf dem Boden der materiellen Realitäten zu bleiben, versuchen jüdische Feministinnen freischwebend in ihrer Gedankenwelt von Heimat und Identität das politische Terrain durch eine Art Seelen-Alchemie (Alchemie = mittelalterliche Verwandlungskunst, Anm. der Übersetzerin) zu verwandeln. (...)

Wofür eine Identität?

Die Politik der Identitätsfindung betrachtet das Erkennen und Entdecken der eigenen Identität als oberstes Ziel. Manche Feministinnen behaupten sogar, die Entdeckung der eigenen Identität sei an sich schon ein Akt des Widerstands. Der große Fehler besteht darin, Identitätsfindung als ein Ziel und nicht so sehr als ein Mittel zu begreifen. Die Suche nach unserer Identität darf nicht zum Selbstzweck werden, sie kann jedoch dazu dienen, in ihrem Verlauf »die allen menschlichen Verhältnissen innewohnende Universalität« zu entdecken, und aus dieser Erkenntnis heraus die richtigen Bündnisse einzugehen und die richtigen Kämpfe zu führen. »Wir müssen herausfinden, wie unser Jüdisch-Sein aus unserer Perspektive und aus der Perspektive anderer Menschen unser Leben verändert«, schreibt Dena Attar, »nicht so sehr, um uns noch stärker in unserer neugefundenen jüdischen Identität einzurichten, sondern um wirkungsvoller für unsere Zukunft als Frauen und für die Zukunft aller Frauen kämpfen zu können«. Identität ist nicht so sehr eine Voraussetzung für politisches Handeln, sondern sie entsteht oft erst daraus.

Angesichts der Auswüchse eines kulturellen Nationalismus innerhalb der Black-Power-Bewegung vor siebzehn Jahren schrieb ein schwarzer Aktivist folgende Worte, die auch heute noch nicht an Aktualität verloren haben: »Unsere Selbst-Bestimmung aus unserer eigenen Kultur heraus und die Veränderung unserer Gesellschaft in Bezug auf diese Bestimmung sind Teil des gleichen Prozesses. Unsere Kultur jedoch von ihrem sozialen Hintergrund zu trennen, um ihr eine Einheit zu verleihen, bedeutet viel von der ursprünglichen Vitalität aufzugeben. In dem Moment, in der eine Kultur jedoch ihre soziale Dynamik verliert, wird Identität zum Luxus. Sie verkommt zum Selbstzweck und dient nicht mehr länger als Anleitung für wirksames politisches Handeln (...). Identität resultiert zwar aus einem kulturellen Bewußtsein, eine wirksame Funktion erhält sie jedoch erst über ihren politischen Ausdruck (...). Eine Kultur, die ihre Zeit damit verschwendet, sich selbst aufzupolieren, erzeugt eine Persönlichkeit ohne Ziel und Entschlossenheit. Es macht keinen Sinn herauszufinden, wer ich bin, wenn ich nicht weiß, was ich mit dieser Erkenntnis tun will.«

Wir können unsere Identität, in anderen Worten, nur durch unser Handeln finden und stärken. Unser Handeln bestimmt, wer wir sind.


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