Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 11-15 [z18bauar.htm]


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»Weimarer Bedingungen in der Bauindustrie«, ein Gespräch mit Tim

Tim ist ein junger Ire, Straßenmusiker und lebt in einer Stadt im Süden der BRD. Seit er im November 1993 hier angekommen ist, hat er sich nicht um eine permanente Aufenthaltserlaubnis gekümmert, er ist soetwas wie ein »permanenter Tourist«.

Diesen Mai hat er einen Anruf von Bruce erhalten, der schon etwas länger in der BRD ist und den er aus der Musikerszene kennt. Bruce arbeitete gerade auf einer Baustelle in Thüringen, zusammen mit Sean, den Tim über Bruce ebenfalls kennt. Sean ist seit Jahren immer mal wieder in der BRD. Ob Tim eine Arbeit wolle zu 25 DM pro Stunde, bis hin zu 1000 DM in der Woche - ohne das Fragen gestellt werden. Geld konnte er gebrauchen, so sagte er zu und reiste mit Sean zu der Baustelle. Sean hat eine Menge Kontakte in den Bausektor und hatte für Bruce die Stelle besorgt. Tim hat keine Qualifizierung für den Bau.

Während der Reise setzte Sean Tim genauer ins Bild. Sean und Bruce sind beide qualifiziert, der eine ist Zimmermann, der andere Backsteinmaurer. Sie leben in der gleichen Stadt wie Tim und hatten den Auftrag übernommen, in einer Stadt nicht weit von Weimar die Betonfundamente samt Rohrleitungen für drei Häuser einer neuen privaten Wohnsiedlung zu machen. Die Häuser waren in drei Wohnungen unterteilt, vorgesehen für Eigentumswohnungen. Viele verschiedene Subunternehmer und selbständige Arbeiter waren in der Wohnsiedlung beschäftigt, die größer war als der Rest der Stadt. Die meisten der Arbeiter waren Deutsche, viele aus der Gegend. Häuser in allen Fertigungsstadien waren vorzufinden, einige waren schon bewohnt. Ein Haus stand halbfertig rum, die Gesellschaft, die es gebaut hatte, war Pleite gegangen. Die beiden anderen hatten schon auf vielen Baustellen in der BRD gearbeitet. Dieser Job sollte zwischen zweieinhalb und drei Wochen dauern. Sean und Bruce waren über eine holländische Agentur angestellt worden, die für die deutsche Firma »Land« arbeitet. Die Holländer waren nur für die Arbeitskräfte zuständig - die Ausrüstung und das Material (Beton, Rohre, Maschinen...) wurden von »Land« gestellt oder angemietet. Die drei hatten von der holländischen Firma nur die Nummer eines Mobiltelefons, sie wußten nicht, in welcher Stadt die ist. Tim weiß gar nicht, wer für die ganze Siedlung verantwortlich war, auch nicht, wer der Boss von »Land« war - möglicherweise die Gemeindeverwaltung.

Nach der Beendigung der Arbeiten in zwei der drei Häuser sollten die zwei 6600 Mark erhalten - dann sollten sie mit dem dritten beginnen. Für »Land« war es ein Risiko, bereits nach Fertigstellung von zwei Häusern zu bezahlen, und die Burschen hatten tatsächlich geplant, danach zu verduften. Aber um sie an die Baustelle zu binden wurde ihnen in Aussicht gestellt, daß es bis zu 18 weitere Häuser in der Siedlung für sie gäbe, wenn die Arbeit zufriedenstellend gemacht werden würde. Allen war klar, daß die Jungs keine Steuern oder Versicherungen bezahlen würden. Keine Dokumente oder Unterschriften wurden ausgetauscht. Sean erhielt einen Vorschuß von 750 Mark, die an das Postamt seines Aufenthaltsortes in Süddeutschland geschickt wurden.

Nach einer Woche merkten sie, daß sie in Zeitdruck gerieten, und sie beschlossen Tim zu holen. Er sollte von dem Geld bezahlt werden, was sie bekommen sollten. Sie brauchten ihn dringend, so boten sie ihm ungefähr das an, was sie sich selber bezahlten. Die holländischen Vermittler schickten ebenfalls ihren holländischen Mittelsmann - Dick, der sollte mitarbeiten und die Dinge beschleunigen. Dick war schließlich hauptsächlich als Übersetzer und Unterhändler im Umgang mit den Deutschen gut; ohne ihn waren Bruce und Sean mit »Land« nicht besonders gut klar gekommen.

Auf der Baustelle organisierten Bruce und Sean die Arbeit und erledigten die qualifizierteren Arbeiten. Tim war die meiste Zeit am Schaufeln. Sie arbeiteten durchschnittlich 12 Stunden am Tag, unterbrachen die Arbeit - gezwungenermaßen - nur bei heftigem Regen. »Land«, der meist zugegen war, wurde informiert wenn etwas gebraucht wurde. Außer Beton und Sand war auf der Baustelle generell nichts verfügbar. Sean quittierte dann die Lieferungen - immer mit falscher Unterschrift, Donald Duck oder so ähnlich. Tim denkt nicht, daß dies die Zahlungen gestört hat, aber es sollte Ihnen das Arbeitsamt vom Hals halten.

Nachts schliefen sie in zwei Wohnwägen auf der Baustelle. Dort schliefen auch fünf andere Arbeiter, die für »Land« auf der Siedlung arbeiteten: 2 Engländer, 2 Marokkaner und ein ruhiger Jugoslawe (von irgendwo aus Ex-Jugoslawien, Tim weiß nicht von wo genau). Die drei Iren teilten sich mit einem der Engländer einen Wohnwagen. Er war ausgebildeter Maurer und auf seiner ersten »Deutschlandtour«, mit Frau und Kind zuhause in Irland. Die Familie hatte versucht, in die Ruhe der Shetland Inseln zu entkommen, aber das hatte nicht geklappt. Das Kind war in der Schule rücksichtslos schikaniert worden, das Geld wurde auch knapp, und sie gingen zurück in den Süden. Auf seiner Baustelle war einer der Marrokaner der Vorarbeiter und heizte den anderen ganz schön ein. Sie hatten »Land« mehrmals um einen Vorschuß gebeten, aber außer Versprechungen war nix gekommen. Abends redeten sie über die Arbeit, soweit dies die Müdigkeit noch erlaubte, Kontakte mit den Deutschen auf der Baustelle hat es kaum gegeben.

Eigentlich wollten sie nur kurzfristig in den Wohnwägen bleiben, aber die Holländer schafften es nicht, ein Hotel zu organisieren. Nach Tim's erster Woche zogen sie in ein Hotel, daß ihnen die englischen Maurer gesteckt hatten. Es kostete mit Frühstück 25 Mark pro Nacht. Die Rechnung sollte von den vereinbarten 6600 Mark bezahlt werden.

Der Boss von »Land« zeigte sich nach Beendigung des ersten Hauses recht angetan. Eine Gruppe von sechs Maurern aus Schottland und Griechenland tauchte auf, um die Wände auf die Fundamente zu setzen, als sie mit dem zweiten Haus begannen.

Alles schien in Ordnung zu sein, aber die Dinge änderten sich. Am Ende der zweiten Woche, also Tim's erster Woche, als die Fundamente des zweiten Hauses beinahe fertig waren, wurde ihnen gesagt, daß sie zu langsam wären. Sie sollten 5400 Mark für die bereits getane Arbeit erhalten, außerdem würde die holländische Firma die Hotelrechnung übernehmen. Das war eine seltsame Geschichte, erschien aber als ein guter Handel. Mehr als zwei Drittel des vereinbarten Geldes für weniger als zwei Drittel der vereinbarten Arbeit. Das Geld sollte bis Samstag Vormittag um elf Uhr auf dem Postbüro in Weimar eintreffen. Die Jungs rochen aber den Braten, auch weil sich Mittelsmann Dick alle Mühe gab um zu verhindern, daß sie mit den neu eingetroffenen Maurern aus England sprachen. Dick wollte sie sogar dazu bringen, Weimar zu verlassen und das Geld auf dem Postbüro ihres Aufenthaltsortes in Süddeutschland in Empfang zu nehmen. Freitags tauchte der Boss von »Land« auf und schnappte sich die Laser-Wasserwaage, das wertvollste Stück auf der Baustelle, auch ein Zeichen, daß was schief lief. Tim wollte von Dick 15 Mark für ein Zugticket nach Hause. Er sollte sein Geld ja von Sean und Bruce erhalten, er sah keinen Grund ebenfalls zu warten. Dick sagte das Geld zu, verschwand dann aber auf nimmerwiedersehen. Tim rief seine Freundin an, sie sollte ihm Geld auf das Postbüro überweisen, damit er in jedem Fall Reisegeld zur Verfügung hat.

Die Jungs verbrachten eine unruhige Nacht im Hotel. Hatten sich »Land« oder die Holländer aus dem Staub gemacht? Zumindest »Land« mußte wissen, daß kein Geld eine ruinierte Baustelle bedeuten würde? Sean hatte schon früher einmal auf einer Baustelle mit Gewalt drohen müssen, um sein Geld zu bekommen, ruinierte Baustellen kannte er auch. Sie hatten Geschichten von Bauunternehmern gehört, die nicht bezahlt hatten und dann von ihren Arbeitern verprügelt worden waren. Dick hatte ihnen erzählt, daß er selber mal davonrennen mußte, als er den Leuten auf einer Baustelle eröffnet hatte, daß sie kein Geld sehen würden. Außer warten war erstmal wenig zu tun, sie wollten nicht zu früh etwas unternehmen, da die versprochene Kohle ein guter Batzen war. Am nächsten Morgen waren sie zumindest nicht darauf angewiesen, die Hotelrechnung zu prellen, denn der Holländer hatte die Hotelrechnung beglichen. Sie waren aber auch erst zwei Tage dort gewesen. Samstag Morgen gingen die drei zusammen mit den Maurern zum Postamt. Die Maurer erwarteten einen Vorschuß über 1000 Mark (für alle sechs!, gerade genug für's Essen, aber für nichts darüber raus). Tim's Freundin hatte das Geld geschickt, aber weder erhielten Sean und Bruce ihre 5400 Mark, noch gab es Geld für die Maurer. Als sie die holländische Agentur anriefen, gab es die Nummer bereits nicht mehr. Tim entschloß sich, sein 15-Mark Ticket zu kaufen und nach hause zu fahren. Bruce besorgte sich mit Straßenmusik ein wenig Geld.

Sean, Bruce und Tim trafen sich später am Tag nochmal. Sean und die Maurer waren zur Baustelle zurückgekehrt und hatten den geliehenen Kran ruiniert, die frischen Mauern demoliert, eben auf der Baustelle ihre Wut abgelassen. Soweit die Jungs wußten, würde in den Papieren nichts über sie zu finden sein. Aber Bruce und Sean waren um 3650 Mark beschissen worden, Tim um 1000, und die Maurer befanden sich mit leeren Taschen in einem fremden Land. Sean und Bruce nahmen die Maurer mit zum »Irish House« nach Frankfurt. In diesem Haus werden billige Zimmer vermittelt und Jobinformationen weitergereicht. Wer den Ladens betreibt, weiß Tim nicht, aber anscheinend ist es weder der deutsche noch der irische Staat. Vielleicht ist es irgendeine kulturelle Organisation, oder sowas wie eine Partnerschaftsorganisation? Auf jeden Fall fanden sie hier jemanden, bei dem sie schlafen konnten. Bevor sie sich trennten, gaben die zwei Iren den anderen eine Liste der Arbeitsbestimmungen auf deutschen Baustellen. Momentan setzen die zwei Iren und die Maurer auf einer Baustelle in Frankfurt Fenster ein. Anscheinend hatten die Maurer den Job gefunden und den beiden anderen den Tip gegeben.

Tim hatte nix gegen die Arbeit, obwohl sie hart war. Die Unsicherheit war das Schlimme, die ging an die Nerven, ebenso die Bescheißerei. Sean und Bruce sind diese Geschichten gewöhnt - Probleme mit dem Lohn sind nichts besonderes, aber Tim will nicht wieder auf dem Bau arbeiten.

Im Nachhinein betrachtet war es wohl so, daß sich die Holländer und »Land« darin einig waren, keinen Lohn zu zahlen; »Land« hatte die Wasserwaage entfernt und Dick hatte sich komisch benommen. Allerdings konnte es »Land« nicht vor der Rache der Arbeiter schützen, daß er sich der Holländer bedient hatte. Die 5400 Mark waren wohl nur versprochen worden, um die Jungs dazu zu bringen, nicht früher zu handeln, daß Hotel war bezahlt worden, weil es wieder gebraucht wurde, meint Tim. Die Arbeiter waren zu entbehren. Hätten sich die Jungs besser schützen können? Aber niemand zahlt Gelegenheitsarbeitern den Lohn im voraus! Und zunächst hatte es keinen Grund zur Beunruhigung gegeben.

Wie könnte eine Zusammenarbeit unter Bauarbeitern aussehen? Eine schwarze Liste mit den Namen von Abzockerfirmen rumgeben? Die Idee ist o.k., meint Tim. Er betont aber, viele Arbeiter wären verzweifelt genug, um sich auf dubiose Absprachen einzulassen, da sie Geld an ihre Familien zu hause schicken, nicht mit leeren Händen aus Deutschland zurückkommen wollen. Sean hat in Irland einen Freund, der in einem der Büros arbeitet, die für »korrekte« Arbeitsbedingungen »sorgen« sollen, und er hat sich überlegt, die entsprechende Instanz zu den Arbeitsbedingungen hier aufzutreiben - um z.B. Informationen über die Kreditwürdigkeit einer Firma zu bekommen. Aber für die meisten Leute aus Irland oder GB ist die Sprache das Haupthindernis.

Normalerweise ist in einer deutschen Stadt das »Irish Pub« eine Art inoffizielles Arbeitsamt - Informationen über Jobs oder linke Firmen werden unter den irischen und britischen Leuten weitergegeben. Die meisten Leute aus Irland finden sich in Berlin. Aber wie gut zirkulieren die Infos unter den verschiedenen Sprachgruppen? Möglicherweise ist es ein Job von AktivistInnen, etwas zur Überwindung solcher Grenzen beizutragen. Wenn Rassismus auf deutschen Baustellen zum Problem wird, so taucht er meist als Alibi bei persönlichen Schwierigkeiten auf, meint Tim - wenn du mit jemanden nicht klar kommst, dann wird es auf dessen Nationalität geschoben.


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