Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 65-69 [z18fahre.htm]


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Der Fußgänger als natürliche Feindin

Kürzlich wurde bekannt, daß der Weltkonzern ups (Paketzusteller) im Osten versucht, die braunen Firmen-Karren an seine Arbeiter zu verscheuern, damit diese dann als Subunternehmer arbeiten. Bei den beiden großen anderen privaten Paketdiensten, dpd und german parcel, ist das schon lange so.

Im Transportgewerbe sind Arbeitszeiten und -belastungen extrem, die Bezahlung eher lächerlich. Die meisten Speditionen zahlen pauschale Monatslöhne, bei den kleinen geht's mit 2.500 DM los, bei den großen mit 3.500 (alles brutto). Letzteres klingt est einmal nicht ganz so schlecht, auch weil oft nach spätestens drei Monaten der Lohn aufgestockt wird. Fragt man aber nach den Arbeitszeiten, so stellt sich schnell heraus, daß unter einer 60 Stundenwoche nix drin ist, auch 320 Stunden im Monat sind keine Seltenheit:

Die bundesweit operierende firma »direkt-kuriere« sagt z.B. beim Einstellungsgespräch ganz offen, daß man gutes Geld verdienen könne, wenn man 300 h Stunden im Monat macht (bei einem Bruttostundenlohn von 12,- DM).

Die Firma Hermes (hellblaue Mercedestransporter) ist die Transportabteilung des Otto-Versandes und einiger anderer Versandhäuser, die auch zum Otto-Konzern gehören. Hermes zahlt Stundenlohn: 17,- DM, bei einer 38 Stundenwoche (d.h. 2.800 Brutto bei Normalarbeitszeit, Überstunden mit 125% (d.h. 3.700 brutto bei 10 Überstunden in der Woche), Samstagsarbeit nur in Ausnahmen.

Bei meinem Einstellungsgespräch stellt der Bezirksleiter die Arbeit als dermaßen stressig dar, daß schnell klar wird: sie wollen nicht 100% fitte und leistungswillige Leute etc gleich abschrecken und vor allem von vornherein sagen, wer der Herr im Hause ist. Offensichtlich können sie sich das auch leisten, da er sich an drei Nachmittagen ca 60 BewerberInnen (für 2 Stellen) ansehen wollte und dann zusammen mit dem Betriebsratsvorsitzenden (!) eine Vorauswahl treffen wollte (durch diese bin ich glücklicherweise durchgefallen). Bei den »Auserwählten« würde sich dann schon nach wenigen Tagen rausstellen, ob sie die Arbeit packen oder nicht...

Zu den angebotenen Bedingungen im einzelnen: unbedingte Leistung vom ersten Tag an, Bereitschaft zu Überstunden, 13,4 Paketbewegungen (Abholen und Liefern) pro Stunde (d.h. knapp 4,5 Minuten pro Paketbewegung, also ständig aus dem Auto raus und im Laufschritt arbeiten), Pakete bis zu 30 Kilo müssen bis an die Wohnungstür der Kundin gebracht werden, Streß bis zum Abwinken...

Ein paar Tage später fand ich im Stelleninformationsservice des Arbeitsamtes eine Anzeige: Großbäckerei sucht Fahrer.

Da sie ganz bei mir in der Nähe sind, bin ich hingegangen.

Der Chef des Familiengroßunternehmens (22 Filialen) bot mir genau die Bedingungen, die im Manteltarifvertrag für Fahrer im Bäckerhandwerk in NRW festgelegt sind: 38,5 h-Woche bei fünf Arbeitstagen während der Betriebszeit von Montag bis Samstag (d.h. der Samstag ist Normalarbeitstag und du hast nur jeden sechsten frei, in den anderen fünf Wochen immer einen anderen Wochentag), 18,22 DM Stundenlohn für Kraftfahrer, für jede Überstunde 125% gemessen an der Wochenarbeitszeit (d.h. knapp über 3.000 brutto für die Normalarbeitszeit, mit wöchentlich 10 Überstunden 4.000), die Arbeit geht morgens um 5 Uhr bzw Samstags und vor Feiertagen um 4 Uhr los.

Der Großbäcker hatte wegen Krankenstand und Urlaubszeit großen Druck und gab mir einen auf vier Wochen befristeten Vertrag, in dem (auch laut Tarifvertrag) tägliche Kündigung möglich ist.

Die Arbeit war dann ein echter Hammer:

Für jeden der sieben Fahrer (sechs Wagen und ein Springer als Ersatz für die freien Wochentage) gibt es einen Plan mit genauen Zeitvorgaben, die zwar unerfüllbar sind, aber genau den Druck machen sollen, der nötig ist, um in jeder Filiale und bei den zahlreichen Privatkunden (v.a. Betriebskantinen etc) pünktlich Brot, Brötchen und Kuchen zu liefern. Die Reihenfolge ist für jeden Werktag und für jede Route gleich, nur Samstags und vor Feiertagen gibt es ein paar Abweichungen.

Morgens um fünf (bzw Samstags und vor Feiertagen um vier) lädst du in einem total engen Hof (beim Rausfahren sind immer nur ein paar Zentimeter neben den Außenspiegeln) Container mit vorgebackenen Brötchen (die dann in den Filialen fertiggebacken werden), Bleche mit Kuchen und flache Körbe mit Brot und Brötchen ein.

Backstube und Versand sind so eng, daß man sich sein Zeug teilweise zusammensuchen muß. Wenn du fertig geladen hast und kein anderes Auto der Bäckerei die Ausfahrt versperrt, kannst du losbrettern. Gefordert ist immer die maximale Geschwindigkeit, d.h. morgens im halb sechs auch schon mal 120 in der Stadt (wobei völlig klar ist: alle Knöllchen und sonstigen Strafen, Führerscheinentzug und Knast wegen Unfällen gehen auf deine Kappe), Arbeit im Laufschritt und: Jeder Trick, der die Arbeit erleichtert, den Weg abkürzt, muß sitzen, jeder Handgriff muß klar sein, sonst kommst du mit der Zeitvorgabe überhaupt nicht klar.

Wenn die erste Tour fertig ist, fährst du mit dem eingesammelten Leergut (Körbe, Bleche, Container) zurück, drängelst dich in den Hof, lädst aus, lädst neu ein und gehst wieder auf die Piste usw usw.

In der Backstube und im Versand ist nur Hektik angesagt, Körbestapel werden durch die Gegend geschoben, die Fahrer drängeln die VersandarbeiterInnen, die VersandarbeiterInnen die Bäcker. Alle setzen sich gegenseitig unter Druck, alle sind nach den ersten vier Stunden völlig fertig: Und die ersten vier Stunden sind die wichtigstens, weil da die erste frische Ware in die Läden kommt bzw die Kantinen beliefert werden. Theoretisch gibt es Pausen (1/2 Stunde am Tag, unbezahlt), praktisch ist das nicht drin, niemand macht Pausen, die Bäcker kommen höchstens mal auf den Hof und rauchen ganz schnell eine Zigarette, die Fahrer trinken irgendwo in einer der Filialen im Stehen auf die Schnelle einen Kaffee.

Drei Tage Einarbeitungszeit mit einem der Fahrer als »Anleiter« sind natürlich ein Witz. Der Kollege versuchte, mir jeden Trick beizubringen, machte von sich aus keinen Streß, ließ mich am zweiten Tag fast alles alleine ausprobieren, damit ich am vierten Tag nicht völlig durchdrehte...

Die Arbeit ist körperlich sehr anstrengend, du muß mit hoher Geschwindigkeit ein- und ausladen, dich ständig bücken und strecken, zum rückenschonenden Arbeiten fehlt der Platz, die einzelnen Körbe etc sind nicht so wahnsinnig schwer, aber nach ein paar Stunden merkst du schon, wieviele Kilos du bewegst (abgepacktes Schwarzbrot ist am meisten verhaßt!).

Dazu kommt der Streß beim Autofahren durch die Stadt, unter 9 Stunden am Tag geht gar nix, danach soll noch das Auto ausgefegt werden, Samstags ist richtig Waschen etc angesagt.

Alle KollegInnen in der Zentrale und den Filialen haben mich in den ersten Tagen unterstützt, ihnen war klar, daß sonst meine Tour nicht laufen würde, was ganz einfach auch auf ihre Knochen ginge (andere Fahrer oder jemand aus dem Versand müßte dann einen Teil meiner Tour fahren, wenn ich mit der Zeit zu weit hinterherhängen würde).

Die Verkäuferinnen in den Läden sind seit einigen Jahren nicht mehr nur mit dem normalen Verkauf beschäftigt, sondern müssen auch noch die Brötchenrohlinge backen, Waffeln produzieren und Kaffee ausschenken. Sie verdienen im ersten Berufsjahr 2.146 DM (Monatsgehalt), ab dem 5. Beschäftigungsjahr sind es 2.763 DM, die Fililalleiterinnen kriegen 3.147 DM.

Sogenannte ungelernte Arbeitskräfte für Spül-, Putz und Aufräumungsarbeiten erhalten laut Tarifvertrag je nach Lebensalter zwichen 10,67 und 12,86 DM pro Stunde.

Der Stundenlohn für ausgelernte Bäcker liegt im ersten Gesellenjahr bei 16,12 DM, ab dem fünften Jahr bei 19,11 DM, ohne Zuschläge.

Ich habe mich ab dem ersten Tag, an dem ich alleine auf dem Auto saß, geweigert, im Laufschritt zu arbeiten und vor allem wie ein Verrückter durch die Stadt zu ballern, entsprechend hing ich immer der Zeit hinterher, kriegte die Lieferungen nicht pünktlich hin, die Kantinenarbeiterinnen machten Druck (klar, sie müssen die Brötchen für ihre Kundschaft fertig haben), blockierte zu unvorhergesehenen Zeiten den Hof etc.

Es gab wenig direkten Druck von oben, mich schneller zu machen, der Druck wurde einfach durch die Kooperation ausgeübt: wenn ich nach der zweiten Tour schon 1 h hinter dem Plan war, standen bereits die Körbe für die nächste Tour bereit, der Versandvorarbeiter, räumte meinen Wagen mit aus, checkte, ob ich alles geladen hatte und schickte mich wieder los. Inzwischen hatte Filiale X angerufen, die dringend neue Brötchenrohlinge brauchten, irgendeinem Privatkunden auf meiner Strecke war eingefallen, daß er noch ein Blech Kuchen für den Nachmittag wollte und schon ist die Kacke voll am Dampfen.

Jetzt wird jede Fußgängerin auf der Straße für dich als Fahrer zur natürlichen Feindin. Baustellen in der Innenstadt sind tödlich, Verkehrshindernisse jeder Art ein Greuel, eine HBV-Demonstration für höhere Tarife machte mich recht nervös. Der einzige echte Gag, den ich landen konnte, war bei einem bestreikten Großsupermarkt, wo ich blecheweise den Kuchen vom Vortag verteilte und dem wütenden Geschäftsführer, der mich daraufhin zur Rede stellte, Prügel androhte (der arme Kerl kriegt meinen ganzen Haß auf die Brotfahrerei ab). Leider beschwerte er sich nicht bei der Bäckerei...

Als Jobber, der nicht alt werden will in diesem Betrieb, hatte ich es vergleichsweise einfach: mir war ziemlich egal, ob die Brötchen pünktlich kamen, aber es gab auch von mir selber insofern Druck, daß ich keinen Bock auf einen 10h-Tag oder mehr hatte, da bei dieser Bäckerei die Devise gilt: gearbeitet wird so lange bis die Arbeit fertig ist, von festen Arbeitszeiten kann keine Rede sein, du bedienst die Stechuhr und kriegst auch jede Minute bezahlt (was von mehreren Kollegen als großer Vorteil bzw Anreiz gepriesen wurde - das ist es auch tatsächlich im Vergleich zu den Pauschallöhnen in den meisten Speditionen, wo Du immer um Deine Freizeit kämpfen mußt, außerdem sind viele ArbeiterInnen angesichts der lächerlichen Tariflöhne erst mal auf die Überstunden angewiesen).

Die Alternative: wenn vor der letzten oder vorletzten Tour abzusehen ist, daß du weitere Überstunden schiebst, machst du Schluß.

Das habe ich an zwei Tagen dann auch angekündigt und durchgezogen: Einmal habe ich mich geweigert, nach 8 Stunden den Wagen zu waschen, beim anderen Mal habe ich nach 9 Stunden (!) Feierabend gemacht.

Meine Ankündigung, daß ich keinen Bock auf Überstunden hätte, sprach sich sofort in der Zentrale (ca 30 Bäcker und VersandarbeiterInnen) rum. Es gab Diskussionen mit einigen Kollegen, die meinten, ich soll doch froh sein, daß ich Arbeit habe (später traf ich einen Fahrer, der es gerade bei der Sommerhitze nicht so schrecklkich fand, arbeitslos zu sein).

Die sechs anderen Fahrer, als meine unmittelbaren Kollegen, waren nicht dazu zu bewegen, Dienst nach Vorschrift zu machen, sprich: langsam fahren, ohne Streß arbeiten, pünktlicher Feierabend.

Klar spielt es gerade für Leute mit Kindern eine große Rolle, ob sie mit 3.000 oder 4.000 DM nach Hause kommen, aber mein Vorschlag, die Festeinstellung eines weiteren Fahrers zu fordern (was sicherlich die Überstunden und damit das Einkommen für alle bei gleichbleibender Arbeitsintensität senken würde, aber auch das hätten wir ja in der Hand gehabt), wurde teilweise mit dem Unternehmerargument der zu hohen Kosten gekontert. Dabei war allen klar, daß wir uns bei dieser Arbeit innerhalb von wenigen Jahren kaputtgemacht haben bzw vom Leben nicht mehr allzuviel haben würden. Allen war auch klar, daß es total gefährlich ist, ständig unter Streß mit möglichst hoher Geschwindkeit durch Wohngebiete zu fahren. Immerhin sorgte der Sieg des BVB in der Fußballmeisterschaft vorübergehend für gute Stimmung im Betrieb, aber an Aktionen war in diesem Klima schon gar nicht mehr zu denken.

Mein Vorschlag, daß wir genau das als Anweisung vom Unternehmer schriftlich fordern und ansonsten nach der Straßenverkehrsordnung fahren sollten, wurde als Witz aufgefaßt. Eigentlich schade, weil wir hätten uns nur zu siebt einig sein müssen.

Als Neuer hast du natürlich einen schweren Stand, aber solange mit solchen Vorschlägen zu warten, bis man nicht mehr der Neue ist, kann verdammt lange dauern und einen selber schon ziemlich einlullen.

Nach knapp zwei Wochen mußte ich leider einen Krankenschein nehmen, ich brauchte erst mal eine mehrtägige Pause, um meinen Rücken zu schonen.

Der Unternehmer ließ die Juniorchefin, seine Tochter, persönlich die Kündigung vorbeibringen, die merkwürdigerweise den Kündigungstermin erst auf vier Tage später datierte.

Zuerst taten sie dann so, als müßten sie für die Krankentage keine Lohnfortzahlung machen, aber eine sanfte Drohung mit dem Arbeitsgericht half schnell.

N.


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