Wildcat-Zirkular Nr. 38 - Juli 1997 - S. 18-20 [z38balix.htm]


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Punks, Rastas und Headbangers:

Die GenerationX auf Bali

Jeden zweiten Sonntag bei Einbruch der Dämmerung strömen Motorräder zum Strand von Padang Galak. Dort biegen sie in östlicher Richtung ab, überqueren das riesige, planierte Gelände, auf dem der erste Freizeitpark auf Bali entstehen soll, und halten schließlich auf einer Wiese unterhalb des Penyu-Dewata-Freibad. Wenn es dann Nacht geworden ist, haben sich ungefähr tausend Zweiräder eingefunden. Anlaß ist die zur Zeit größte Musikveranstaltung Balis - das alle zwei Wochen stattfindende Sunday Hot Music.

Schneeball

»Sunday Hot Music hat einen Schneeballeffekt erzeugt: Je mehr Gigs es gibt, umso mehr Kids wollen in einer Band spielen,« sagt Gus Martin, der Rockhistoriker der Bali Post. »Sunday Hot Music ist mehr als eine Musikveranstaltung, es ist ein wichtiger Teil des Teenagerlebens von Denpasar geworden.«

Einige balinesische Musikveteranen sehen als Auslöser des Booms den leichteren Zugang zu Musikinstrumenten. Agus Lempog, ein Gitarist, der in einigen bekannten Clubs auftritt: »Man kommt heute leichter an Instrumente ran. Die Leute verkaufen ihren Landbesitz und wenn sie Kinder im Teenageralter haben, kaufen sie ihnen Musikinstrumente. Für die Kids ist das eine Form von Prestige, außerdem haben sie dann ein Hobby.«

Ich schick dich sowieso zum Teufel

Solange es noch dämmert, ist die Menge eher spärlich. Als hintere Sitzreihe sozusagen stehen 200m von der Bühne entfernt Hondas nebeneinander. Erst bei völliger Dunkelheit läßt der Zustrom nach. Der riesige freie Platz zwischen Bühne und hinterer Reihe füllt sich. Unter dem Nachthimmel sitzen die Zuschauer Knie an Knie auf dem Boden.

Die ersten Musiker, die auftreten, tragen abgeschnittene Jeans und Turnschuhe, der Sänger hat einen breiten Schlips über seinem zerissenen T-Shirt. Superman is Dead (SID), eine Punkband aus Kuta, wurde Ende 95 von drei Studenten gegründet - Bobbie (vocals), Eka (rhythm) und Jerink (drums). Wenn ich dich nicht haben kann / das is ok / ich schick dich sowieso zum Teufel / Liebe hab ich nicht motherfucker.

Deaththrashers

Die Punkrocker packen zusammen, eine kleine Gruppe von Jungs in schwarzen T-Shirts versammelt sich backstage. Sie sind Deaththrashers - Anhänger, Roadies und Manager der Deathmetalband Behead, die als nächste dran ist. Deathmetal ist die einzige Musikrichtung, die formal organisiert ist. 1921 stammt von der inzwischen eingestellten Deathmetalsendung im Radiosender Yudha, die immer zwischen 19 und 21 Uhr lief. Bei fast jeder Sunday Hot Music spielt eine der sieben Mitgliedbands von 1921. Die Organisation unterstützt ihre Gruppen beim Aufbau vor den Gigs und beim Equipment. Bei Gigs flankieren 1921-»Offizielle« die Bühne, damit keiner der Headbanger aus Versehen auf ein Kabel tritt.

Die Headbanger selbst sind intergraler Bestandteil der Organisation. Die Tätigkeit des Headbanging drückt Übereinstimmung mit 1921 aus. Die Organisation fordert »das Recht der Mitglieder, anders zu sein, auf welche Weise auch immer, und das Recht junger Leute auf ein extremes Image.«

Reggae

Als Behead den letzten Akkord spielt, kommt die Reggaeband Adi Thumb, um ihren Platz auf der Bühne einzunehmen. Die schwarzgekleideten Deathtthrashers verdrücken sich so schnell, als ob sie von den verzierten Baumwollhemden und bunten Farben abgeschreckt werden. Adi Thumbs Sänger Goes Toet zeichnet ein Friedenszeichen über seinem Kopf in die Luft und schreit »Jah« bevor die siebenköpfige Band mit dem Caribbean Blues loslegt.

Im Gegensatz zu den vorherigen Musikrichtungen hat Reggae keine sichtbare Menge von Anhängern beim Sunday Hot Music. Aber einiges andere spricht für Reggae. Reggae gilt als geeignet für das Tourismusgeschäft. Deshalb gibt es Gelegenheiten, in Hotels oder Clubs aufzutreten, und so vielleicht Karriere zu machen. Dafür bekräftigt der Reggae das Image Balis als perfektes Strandparadies. Obwohl von Bob-Marley-Songs dominiert, geht es beim balinesischen Reggae nicht so sehr um den Befreiungskampf der Rastafaris, sondern um die karibische Atmosphäre.

Auftritte

Für Reggaemusiker sieht die Zukunft in der balinesischen Tourismusbranche günstig aus, für die anderen balinesischen Bands ist das völlig anders. Touristenetablisments sind nicht an der Musik interessiert, für die sich die balinesische Jugend interessiert. Viele junge Musiker sagen, die Hotel- und Clubszene sei sowieso reizlos, weil sie nicht vorgeschrieben bekommen wollen, was sie spielen. SID-Schlagzeuger Jerink: »Wenn wir in einer Bar auftreten wollen, müssen wir ein Repertoire von vierzig Stücken beherrschen, das uns vom Arbeitgeber vorgegeben wird. Und ganz bestimmt sind das keine Stücke, die wir mögen, denn es gibt keine Punkkneipe auf Bali.« Deshalb sind die Musikszenen für Touristen und Einheimische fast völlig getrennt.

Globalisasi

Und Plattenaufnahmen sind weit jenseits der Möglichkeiten für die meisten Musiker. Für sie ist Musik weder zum Geldverdienen da, noch um Karriere zu machen. Also warum boomt die Jugendmusik? Vielleicht ist es die Antwort der Jugendlichen auf die sozialen Veränderungen der 90er Jahre. Die örtliche Wortschöpfung dafür lautet Globalisasi.

Da der physische Raum auf der Insel immer mehr von Hotels und Clubs eingenommen wird, zu denen die Einheimischen oft keinen Zutritt haben und riesige Einkaufszentren den Platz früherer Sportplätze einnehmen, verbringen die jungen Balinesen ihre Freizeit mit Musik. Da ihre Umgebung immer fremder wird, bietet Musik Schutz vor einer Kolonisierung des Geistes.Vielleicht stellen die sich entwickelnden Musikrichtungen der balinesischen Jugendlichen deren Beitrag zur Formung der Globalisasi dar.

Die Reggaemusiker können am Wirtschaftswachstum teilhaben, indem sie sich ihr Stück vom Tourismuskuchen abschneiden. Nachdem sie ein halbes Jahrhundert lang anthropologisch romantisiert wurden, entdecken junge Balinesen ihre Seele im Deathmetall, einer der esoterischsten Produkte westlicher Unterklassenmusik. Die balinesische Jugend macht ihre Forderung geltend, das Traumland des Kapitalismus ohne die Fesseln kultureller Reservate genießen zu dürfen.

gekürzt aus: Inside Indonesia, Oktober 96


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