Wildcat-Zirkular Nr. 38 - Juli 1997 - S. 3-5 [z38globa.htm]


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Globalize it!

Im Editorial des letzten Zirkulars wird der »schlechte Empirismus« der Berichte über Albanien, die Bergarbeiter und die Bochumer PutzarbeiterInnen kritisiert: »...bloße Berichte, Beschreibung, Erzählungen von Streiks und Kämpfen überall auf der Welt sagen uns immer weniger, was ihre historische Dynamik ist, inweifern sie Momente eines revolutionären Prozesses sind.«

»Schlechte Empirie« gibt es in dieser Nummer satt. Wir haben einfach Meldungen zum Thema Klassenkampf aus der bürgerlichen Presse zusammengetragen. Eigentlich könnten sie sich selbst erklären. Allerdings: Für einen Beobachter mit Erfahrungshintergrund Mitteleuropa mögen sie exotisch erscheinen. Exotisch in zweifacher Hinsicht. Nicht nur im Sinne von weit weg und anders als hier, sondern auch im Sinne von antiquiert. Was ist daran eigentlich das Neue?

Bisher hat der Arbeiterkampf immer als Motor der kapitalistischen Entwicklung funktioniert. Mit dem Ergebnis, daß in den letzten Jahren in den alten Metropolen Armut, Arbeitshetze, Entsolidarisierung und sonstiges kulturelles Elend zugenommen haben. Die Arbeiterklasse als politische Größe ist nicht mehr spürbar. Was sich an Kämpfen tut, sind Abwehrkämpfe und hat wenig Vorantreibendes oder gar Revolutionäres an sich.

Auch die Kämpfe, von denen wir diesmal nicht in Zahlen, sondern in schlaglichtartigen Bildern berichten, treiben erstmal den Kapitalismus voran. Es geht der neuen und jungen Arbeiterklasse in Asien nicht um Revolution, sondern darum, Anschluß an die heutigen Lebensbedingungen im Westen zu finden. Genauer gesagt, Anschluß an das, was sie dafür halten. Sowohl in wirtschaftlicher, als auch in kultureller und politischer Hinsicht.

In Bahasa Indonesia heißt Globalisierung »Globalisasi«. Auch in Indonesien argumentieren Regierung und Kapitalisten mit der gesteigerten Konkurrenz auf Weltebene. Die Menschen jedenfalls verbinden mit Globalisasi allerdings etwas ganz anderes. Es ist die Zusammenfassung ihrer Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen. Es ist das Versprechen, das vom neoliberalen Kapitalismus gegeben wird, einen Weg aus dem sozialen, kulturellen und politischen Elend zu eröffnen. Es ist das Versprechen von fließend Wasser und Kühlschrank, Tekkno und Punk, Videorekorder und Internet und, irgendwie, Freiheit, oder besser, Befreiung aus den alten halbfeudalen Fesseln.

Wir leben in einer Dekade, die zeigt, daß historische Entwicklungen nicht den Strategien und Maßnahmen der Herrschenden und Mächtigen entspringen. Sondern aus den Hoffnungen, Bewegungen und Kämpfen der Menschen.

Noch kann der Kapitalismus dies in Arbeit und Produktivität wenden. Noch landen die Menschen nicht am Ziel ihrer Reise, sondern in den Hungerlohnfabriken von NIKE und anderen.

Von uns aus gesehen stellt sich das natürlich anders dar, wenn wir nicht genau hinsehen. Wir sehen das angeblich übermächtige Finanzkapital, das die Nationalstaaten und Nationalökonomien unter Druck setzt. Aber das Finanzkapital repräsentiert im Wesentlichen die erfolgreiche Ausbeutung der Leute in Asien.

Doch es gibt Anzeichen, daß diese kapitalistische Party ihren Höhepunkt überschritten hat. Die Menschen in Albanien haben sich vor kurzem sehr eindrucksvoll dagegen ausgesprochen, die asiatischen Billigstlöhner in Europa zu werden. Aber auch die Leute in Asien selber sind mit einer solchen Rolle ganz und gar nicht einverstanden.

Worauf wir also hinweisen wollen: die Weltarbeiterklasse setzt sich in einem Umfang und einer Geschwindigkeit, die ohne Bespiel sind, neu zusammen. Das hat zwei Aspekte und beide Aspekte verbessern die Möglichkeiten für Kommunismus.

1. Das Proletariat ist zahlenmäßig zur Mehrheit der Weltbevölkerung geworden, oder anders ausgedrückt: Der Aufbruch der Massen auf der Suche nach Glück ist ein Schritt zur Voll-Endung des entwickelten Kapitalismus. Was Marx/Engels vor 150 Jahren im »Kommunistischen Manifest« postuliert haben, kann jetzt erst wahr werden: »Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl.«

2. Die »alte« Arbeiterklasse, die ein Synonym ist für Sozialdemokratismus, Gewerkschaften, Kommunistische Parteien, Sozialstaat, Blau-Mann, Arbeiterstolz, Betriebsinteresse... verliert weltweit an Bedeutung und zersetzt sich in Fabrikflucht, Vertreibungen aus der Fabrik und in Abwehrkämpfen gleichermaßen. Das ist hier nicht prinzipiell anders als etwa in China. Dafür entsteht eine neue Klasse aus jungen Arbeitern und vor allem Arbeiterinnen der ersten Generation. Und es ist überflüssig zu erklären, warum ein siebzehnjähriges Mädchen mehr revolutionäre Hoffnung verkörpert als ein 35-jähriger Familienvater.

Diese neue Arbeiterklasse hat die Spielregeln des Kapitalismus noch nicht verinnerlicht. Und es gibt keine KPen mehr, die sich an die Spitze der Bewegung setzen und die Leute zurückhalten könnten. Diese Klasse ist wirklich zur »gefährlichen Klasse« (Wallerstein) geworden.

Aber vielleicht sind wir zu optimistisch? Daß sie diesen emanzipatorischen Schritt aus den halbfeudalen Bedingungen ihrer bisherigen Existenz gemacht haben, bedeutet noch nicht, daß sie auch den ganzen Weg zur Freiheit schaffen. Diese Suche ist ein schwieriger und schmerzhafter Prozess mit vielen Rückschlägen. In Indonesien stehen verzweifeltes Aufbegehren unter ethnischen oder religiösen Vorzeichen neben beeindruckend selbstbewußten ArbeiterInnenkämpfen. Und selbstverständlich ist es auch nicht ausgeschlossen, daß die Kämpfe, Verhaltensweisen und Träume wieder kapitalistisch eingefangen werden, wie in Südkorea. Unser Anliegen ist, auf historische Chancen hinzuweisen, Garantien gibt es nie. Letztendlich ist unsere Sichtweise keine Frage von Optimismus oder Pessimismus, Hoffnung oder Frust. Sondern eine Frage nach unseren Aufgaben.

Zirkularredaktion Mannheim-Ludwigshafen, 13.7.97


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