Wildcat-Zirkular Nr. 39 - September 1997 - S. 61-72 [z39asien.htm]


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Asien, wir und die Revolution

An die AutorInnen der »Asien«-Artikel in den letzten Zirkularen

In der Wildcat schwelt seit geraumer Zeit ein Streit darum, wie es politisch weitergehen soll. Wir sind nicht mehr in der Lage, uns auf gemeinsame praktische Initiativen zu verständigen, und wir konzentrieren unsere Energien auf unterschiedliche Vorhaben und Aktivitäten. Dahinter liegen auch theoretische Meinungsverschiedenheiten. Unsere verschiedenen Einschätzungen und Sichtweisen drücken sich zwar immer wieder in Artikeln und Editorials und in der Auswahl von übersetzten »Fremdtexten« aus, aber wir haben es bisher nur schlecht geschafft, die Differenzen auf den Punkt zu bringen und diskutierbar zu machen. Dieses Papier, in dem wir - ein Teil des HerausgeberInnenkreises des Wildcat-Zirkulars - die Veröffentlichungen einiger anderer aus dem HerausgeberInnenkreis zu »Asien« kritisieren, soll ein Schritt dahin sein. Dabei stellt sich unmittelbar das Problem, aus teilweise in sich widersprüchlichen Texten so etwas wie eine »konsistente Position« herauszuschälen. Wir hoffen, daß wir mit einigen zwangsläufigen Zuspitzungen nicht an den Texten und euren Absichten vorbeigehen und nicht eine Einheit oder Eindeutigkeit konstruieren, wo es keine gibt, sondern im Gegenteil die Probleme deutlicher machen und die Diskussion produktiv nach vorn wenden.

Gemeinsam ist uns und euch (zusammen mit der ganzen revolutionären Linken), daß wir Probleme haben, kollektiv an einer revolutionären Perspektive festzuhalten und uns um sie herum zu organisieren. Wir (die VerfasserInnen dieses Papiers) haben als Antwort darauf einen Versuch »theoretischer Erneuerung« begonnen und sehen uns dazu erstmal verschiedene theoretische Ansätze an - wie das schottische Projekt »Open Marxism«, von dem wir im Laufe des letzten Jahres eine Reihe von Texten fürs Zirkular übersetzt und auf unseren Treffen diskutiert haben.

Hinter den Asien-Artikeln sehen wir die Ablehnung dieses Versuchs und die Befürchtung, daß er zu theoretischer und politischer Verunsicherung oder zum Abdriften ins akademische Lager führe. Das Problem mit der revolutionären Perspektive habt ihr auch - aber ihr scheint es nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen. Kurz gesagt scheint ihr den »operaistischen« Theoriebestand der Wildcat, der unserer Meinung nach immer mehr zu einem Satz von bewährten Dogmen verkommt, für völlig ausreichend zu halten. Da ihr aber zur Zeit genauso wenig revolutionären Rückenwind spürt wie wir, sucht ihr weltweit nach Situationen und Arbeiterfiguren, auf die das alte theoretische Schema zu passen scheint und die beruhigend bestätigen, daß die Arbeiterklasse immer noch lebt und kämpft. Dahinter sehen wir ein bekanntes Muster, nach dem schon viele linke Gruppen - gerade in der BRD - auf politische Probleme geantwortet haben: Wenn hier alles so ruhig und konfliktlos ist, dann müssen wir woanders hinschauen. In diesem Fall ist es »Asien«, wo im Gegensatz zu »hier« viel gekämpft wird.

Zu den Texten: Im Zirkular sind eine Reihe von übersetzten Zeitungsmeldungen über Arbeiterkämpfe in Asien (Zirkular 9, 15, 16, 17, 38) und politische Thesen dazu erschienen (»Welt in Umwälzung«, Zirkular 25; »Asien in Umwälzung«, Zirkular 30/31; »Hinter dem Horizont«, Zirkular 32; »Globalize it!«, Zirkular 38). In »Hinter dem Horizont« stellt ihr die Thesen zu Asien direkt gegen Holloway/Bonefelds »Politics of Money« (Zirkular 28/29 und 30/31) und versucht sie mit Marx zu untermauern.

Wir setzen uns in diesem Papier mit vier Hauptthesen der Texte auseinander: 1. die Weltlage habe sich entscheidend verändert, weil das Proletariat durch die Veränderungen in Asien zur Mehrheit der Weltbevölkerung geworden sei; 2. die Arbeiterklasse in Asien sei politisch unverbraucht und daher revolutionär; 3. der »Aufstieg des Geldes« sei kein Zeichen einer kapitalistischen Krise; 4. die Arbeiterklasse in Europa, Nordamerika und Japan sei nicht mehr revolutionär, weil sie das Kapital nicht mehr entwickle.

Was heißt »Weltarbeiterklasse«?

In den Artikeln wird die These aufgestellt, daß aufgrund der Urbanisierung und Proletarisierung in China und Südostasien zum ersten Mal in der Geschichte »das Proletariat zahlenmäßig zur Mehrheit der Weltbevölkerung geworden« (38: 4) sei. Das bedeute »die größte Umwälzung von Klassenverhältnissen, die dieser Planet je gesehen hat« (32: 5).

Daß die Menschheit mehrheitlich aus ProletarierInnen besteht, ist eine wesentliche Bedingung für die Möglichkeit einer kommunistischen Weltrevolution - da stimmen wir zu. Wesentlich aber nicht im quantitativen Sinn. Hobsbawms interessanten Gedanken über die »größte Umwälzung seit dem Neolithikum« reduziert ihr auf eine reine Zahlenfrage, ohne auf das Wesen der Vergesellschaftung durch die kapitalistische Produktion einzugehen. Die Entstehung einer »Weltarbeiterklasse« ist die Frage nach der realen Vergesellschaftung durch die weltweite produktive Kooperation, d.h. die Frage, inwieweit die weltweite Produktion des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis die Möglichkeit des Kommunismus aufmacht.

Es geht also zum einen darum, einen theoretischen Begriff von »Weltarbeiterklasse« zu entwickeln, der die Welt als Totalität der gesellschaftlichen Produktion begreift. In den Asien-Artikeln wird allerdings eine Welt beschrieben, in der alle möglichen Ausgebeuteten äußerlich durch einen gemeinsamen Feind - die Kapitalisten - zusammengehalten werden. Es kommt aber darauf an, den inneren Zusammenhang zwischen den Ausgebeuteten auf der Welt zu begreifen, nämlich daß sie schon zusammen diese (verkehrte) Welt produzieren - und sie deshalb verändern können.

Wenn wir diese Gesellschaftlichkeit als potentielle revolutionäre Macht verstehen wollen, müssen wir zum anderen die konkrete und materielle weltweite gesellschaftliche Produktion untersuchen, d.h. dieser Produktion im einzelnen vom Arbeiterstandpunkt aus nachgehen: am Arbeitsort, im Betrieb, im Konzern, in den lokalen, regionalen und weltweiten produktiven Ketten. Wir müssen untersuchen, wie die Produktion jeweils materiell als gesellschaftliche funktioniert, wie wir zusammen Gebrauchswerte für das Kapital produzieren, wie unsere produktive Gesellschaftlichkeit selbst Gebrauchswert für das Kapital ist. Und wir müssen untersuchen, wie ArbeiterInnen diese produktive Gesellschaftlichkeit jeweils kommunistisch umdrehen können und auch tatsächlich umdrehen, d.h. wie immer wieder ein revolutionärer Klassenkonstitutionsprozeß in Gang gesetzt wird.

Das war die große Bedeutung von Karl Heinz Roths Vorschlag zu einer Untersuchung der Weltarbeiterklasse, den einer von euch damals mit den Bemerkungen über das »Finanzkapital« in Zirkular 7 abgebügelt hatte: Roth hatte vorgeschlagen, sich einerseits auf allen möglichen Ebenen (Produktionsorganisation, Finanzregime ...) die technische Seite des heutigen Weltkapitalismus anzusehen und andererseits neue Formen der Organisierung auszuprobieren, die diesem heutigen Niveau angemessen sind (»proletarische Zirkel«). Bei aller berechtigten Kritik an den Einzelheiten (von der Sammlung der Restlinken um dieses Projekt herum bis zum »Finanzkapital«) ging die Kritik in Zirkular 7 völlig an der politischen Bedeutung dieses Vorschlags, nämlich mit der »Weltarbeiterklasse« ernst zu machen, vorbei.

Wir gehen nach wie vor von der oben beschriebenen Dialektik zwischen technischer und politischer Klassenzusammensetzung aus, stoßen dabei aber auf beträchtliche Schwierigkeiten:

Erstens haben die Verkürzungen des »neuen« oder »amerikanischen Operaismus« in den letzten Jahren auch in der Wildcat dazu geführt, daß wir immer unkritischer Streiks und andere Bewegungen abgefeiert haben, bloß um zu zeigen, daß die Arbeiterklasse noch kämpft oder daß es sie überhaupt noch gibt, und dabei die kommunistische Kritik dieser Bewegungen vernachlässigt. Gegen die Grünen und die Autonomen hatte das eine gewisse politische Berechtigung, aber wir konnten immer weniger zeigen, worin da die Perspektive auf die Überwindung dieser Gesellschaft liegt. Wir wollen eine theoretische Neubestimmung, weil es uns nicht reicht, die Existenz der Arbeiterklasse nachzuweisen, wenn wir keinen Begriff mehr von ihr haben, der über »die Ausgebeuteten« oder »die Unzufriedenen« hinausgeht. Eine kommunistische Kritik der Bewegungen der Arbeiterklasse ist nur möglich auf der Grundlage eines Begriffs der Gesellschaft als in sich antagonistischer Totalität. Diesen Begriff versuchen die Genossen von »Open Marxism« zu entwickeln, und darin liegt die Bedeutung ihrer Texte.

Zweitens sind uns einige konkretere Gewißheiten des Operaismus abhanden gekommen: etwa über die politische Zentralität des Massenarbeiters oder überhaupt irgendeiner »ziehenden« Arbeiterfigur. Roberto Battaggias Text von 1980/81 haben wir im Zirkular 36/37 nochmal abgedruckt, weil er den Finger genau in diese Wunde legt: Die Produktionsorganisation, die die Grundlage für die Macht des Massenarbeiters legte, gibt es nicht mehr (nicht wegen irgendwelcher »postfordistischer« Modelle, sondern als Ergebnis der Kämpfe des Massenarbeiters selbst), und es hat keinen Sinn, das alte operaistische Schema drüberzustülpen: weder durch eine Verallgemeinerung, die es sofort auflöst (wie Negri mit seinem »gesellschaftlichen Arbeiter«), noch durch die Hoffnung, daß sich die Ausbeutung wieder »normalisiert«, noch durch den Verweis darauf, daß sich nichts geändert hat und der Massenarbeiter quicklebendig ist - allerdings in Asien (worin letztlich die These der Asien-Artikel besteht).

Es gab im Zirkular einige Beiträge, die klären helfen sollten, wie der gesellschaftliche Gesamtarbeiter heute eigentlich aussieht, die aber auch nicht über »schlechte Empirie« hinausgekommen sind: Die Texte von Bologna und Rainbird zu den »selbständigen ArbeiterInnen« in Zirkular 33 sind nicht viel mehr als kritische Soziologie; die Artikel zum Bau kommen kaum darüber hinaus, die heutigen Ausbeutungssituationen nachzuzeichnen; und die Artikel zu Flüchtlingen und »Illegalen« als ArbeiterInnen in Deutschland weisen hauptsächlich den antirassistischen Linken nach, daß die Flüchtlinge eben ArbeiterInnen sind. Aber gerade diese Schwächen bestätigen uns in unserem Projekt »theoretische Erneuerung«, denn ohne einen theoretisch ausgewiesenen Begriff von Weltarbeiterklasse werden wir über soziologische Erbsenzählerei oder romantische Verklärung der realen ArbeiterInnen nicht hinauskommen.

Was ist neu in Asien?

In den Artikeln heißt es, in Asien entstehe eine ganz neue Arbeiterklasse, die »jung«, »weiblich« und »unverbraucht« sei. Dabei sei die heutige Situation in Asien aber nicht mit der frühkapitalistischen Geschichte anderswo vergleichbar, denn anders als die Arbeiterklasse in Europa und Nordamerika lasse sich die asiatische Arbeiterklasse nicht in staats- und arbeitssozialistische Ideologien kanalisieren. Und da klar sei, daß der Kapitalismus ihre Bedürfnisse nicht befriedigen werde, sei sie potentiell revolutionär (während in Westeuropa und Nordamerika diesbezüglich tote Hose sei).

Die neue Qualität der asiatischen Arbeiterklasse macht ihr aber an Sachen fest, die schon in den USA oder Europa passiert sind (oder noch passieren). Soll das Neue die Zusammensetzung der Beschäftigten sein: Gibt es in Europa und Amerika keine Frauenarbeit? Gab und gibt es hier keine Kinderarbeit? Sollen es die (unerfüllbaren) Wünsche und Forderungen sein: Wollen die Leute hier keine Kühlschränke und Fernseher (oder Autos und Weltreisen)? Gibt es hier keine »Suche nach Glück«, die im Kapitalismus nie so richtig aufgeht? Sollen es die kulturellen Brüche sein: Gab und gibt es hier keine Jugend-Subkulturen von Jazz über Punk bis Techno? Das Interessante an der in Zirkular 38 erwähnten »Generation X« auf Bali ist doch nicht, daß sie etwas ganz Neues tut, sondern gerade daß sie der »Generation X« in den »alten Metropolen« so ähnlich ist. Oder soll es die Militanz der Kämpfe sein: Gab und gibt es in Europa und Nordamerika keine Kämpfe (auch nach den Wobblies, die vermutlich mit den »besten Höhepunkten des Klassenkampfs in der kapitalistischen Geschichte« (32: 12) gemeint sind)? All das läuft nicht darauf heraus, daß in Asien etwas wirklich Neues passiert, sondern darauf, daß die Menschen dort bisher in der »Steinzeit« (25: 64) oder zumindest in »halbfeudalen« (25: 61) Verhältnissen gelebt haben und jetzt (in Europa und Amerika schon bekannte) kapitalistische Verhältnisse kriegen, die für sie natürlich »neu« sind.

Falls ihr aber sagen wollt, daß die ArbeiterInnen in Asien ganz anders als bisher Teil des Weltkapitalismus werden und auch der Weltkapitalismus dadurch ein ganz anderer wird, dann müssen wir genau das ausführen. Zu dieser entscheidenden Frage ist aber außer in Andeutungen (in der Bemerkung von der »erweiterten Konkurrenz der Arbeitskraft auf Weltebene« (25: 66), die das Verhältnis zwischen den ArbeiterInnen hier und in Asien bezeichnenderweise nur von der Konkurrenz und nicht von der Kooperation her begreift) kaum etwas zu lesen.

In den Artikeln steht überhaupt wenig über die technische Zusammensetzung der Arbeiterklasse in Asien: Konkretes weder über die ziehenden Branchen des Booms noch über die Zusammensetzung der Wirtschaft insgesamt (außer daß viel »Wirtschaftstätigkeit auf allen Ebenen im 'informellen Sektor' stattfindet« (30/31: 130), was weniger über die konkreten Tätigkeiten als über ihr Verhältnis zum Staat aussagt). Ihr malt ein Bild von technischer Rückständigkeit (»ausgebeutet wird mit recht niedriger organischer Zusammensetzung«; 32: 13), sagt aber gleichzeitig, die asiatische Arbeiterklasse sei inzwischen genauso wie die europäische und amerikanische zum »Anbieter hochproduktiver kapitalistischer Fabrikarbeitskraft« (25: 65) geworden, was eher dafür spricht, daß die neuen Fabriken (Autos, Chips) in den Boomregionen Asiens genauso aussehen wie die neuen Fabriken hier. Um wirklich einschätzen zu können, was in Asien passiert, wären an diesen Punkten viel genauere Informationen nötig. Ihr zeichnet aber letztlich nur ein klischeehaftes Bild einer »jungen«, »weiblichen« und »hochmobilen« Arbeiterklasse und listet einfach Streiks und Revolten auf.

Sicher passieren in Asien im Moment wichtige Sachen. Aber weil sich die Texte nicht wirklich mit diesen Entwicklungen und ihrer Widersprüchlichkeit auseinandersetzen, führen sie zu einer künstlichen Gegenüberstellung von »alter Arbeiterklasse« hier und »neuer« Arbeiterklasse in Asien. Dabei wird diese »alte« Arbeiterklasse so karikaturhaft überzeichnet wird, wie es sonst die Autonomen und ihre bürgerlichen Vorbilder tun: »Arbeiterstolz, Betriebsinteresse ...« (38: 4). Die ArbeiterInnen in Asien müssen als positives Gegenstück zu den lahmen Figuren im eigenen Betrieb und dem eigenen Erdteil herhalten. Damit verschiebt sich aber unausgesprochen die Fragestellung: Während es zu Anfang noch um die Frage ging, wie Revolution möglich ist, wie die Klassenkämpfe hier und weltweit revolutionär werden können, geht es jetzt nur noch um die Suche nach positiven Identifikationsfiguren irgendwo auf der Welt. Dazu reichen vielleicht auch ein paar Zeitungsmeldungen über heftige Kämpfe.

Zwar heißt es: »Wir wissen im Moment noch ganz wenig über den tatsächlichen inneren Vorgang des 'making of the working class'. Wenig darüber, wie sie sich und ihre Kämpfe organisieren; wie ihre politischen und kulturellen Träume aussehen, wie ihre Kultur und Erfahrungen zirkulieren.« (25: 63) Trotzdem wird eine neue subjektive revolutionäre Qualität der asiatischen Arbeiterklasse behauptet. Wenn wir wenig über ihre »politischen und kulturellen Träume« wissen, bleiben aber nur Spekulationen (die asiatische Arbeiterklasse habe »die Spielregeln des Kapitalismus noch nicht verinnerlicht«; 38: 4. »Sie ist noch so jung und unverbraucht, daß sie sich noch nicht in die Beschränkungen und Grenzen der kapitalistischen Entwicklung hat verweisen lassen«; 32: 14) und romantische Beschwörungen (ein »Aufbruch von Massen auf der Suche nach Glück, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat«; 30/31: 133). Widersprüche verschwinden hinter dem Zauberwörtchen »noch«: »Noch wird diese politische Dynamik in eine produktive Dynamik der kapitalistischen Entwicklung übersetzt« (32: 12), aber »es besteht die Hoffnung, daß sie vielleicht sogar den entscheidenden Schritt darüber hinaus machen könnte.« (32: 14) Dieser Zweckoptimismus geht bis zu der Tautologie, »daß Entwicklungen wie in der Sowjetunion oder gar Jugoslawien möglich sind. Aber 'möglich' heißt nicht 'unausweichlich'. (...) Aus dem Proletariat kann auch Arbeiterklasse werden. (...) Und daß diese neue Arbeiterklasse entsteht, ist ein entscheidender Unterschied zur Entwicklung in Osteuropa!« (30/31: 131 f). Was eigentlich herausgearbeitet werden soll, wird schon als Argument vorausgesetzt.

Prognosen über die revolutionäre Entwicklung neuer Arbeiterklassen irgendwo auf der Welt haben immer das Problem, daß die europäische und amerikanische Arbeiterbewegung sich nach sehr kämpferischen Phasen über Gewerkschaften, Sozialstaat und Realsozialismus hat institutionalisieren lassen und daß diese Institutionen einen Großteil ihrer revolutionären Sprengkraft lahmgelegt haben. Leute wie Herbert Marcuse haben aufgrund dieses Problems behauptet, die Arbeiterklasse sei völlig in den Kapitalismus integriert. Das macht die These von der revolutionären Qualität der asiatischen Arbeiterklasse nicht stärker, sondern schwächer, denn erstmal spricht wenig dagegen, daß die Entwicklung in Asien ähnlich läuft - wenn nicht in Singkiang oder Irian Jaya, so doch z.B. in den Boomzentren der chinesischen Küste oder Malaysias (in Südkorea, Hongkong und Singapur ist diese Entwicklung schon gelaufen). In »Globalize it!« heißt es vorsichtiger, daß die Revolution in Asien natürlich nicht automatisch komme, sondern nur eine »historische Chance« (38: 5) sei. Aber was soll das heißen: daß eine einmal in die Entwicklung »integrierte« Arbeiterklasse ihre historischen Chancen verspielt hat und für die Revolution verloren ist? Das läuft auf die Thesen von Marcuse hinaus. Bzw. umgekehrt: daß nur eine Arbeiterklasse der »ersten Generation« (38: 4) kämpfen kann, weil sie politisch »unverbraucht« und noch nicht in den Kapitalismus integriert ist? Das läuft auf die Behauptung der »Autonomie Neue Folge« hinaus, daß nur ein irgendwie außerhalb des Kapitals stehendes Proletariat noch revolutionär sein kann.

Die »historische Chance« in Asien sei »eine Frage nach unseren Aufgaben« (38: 5), schreibt ihr. Was aber wären unsere Aufgaben angesichts einer Revolution auf der anderen Seite des Globus, über die wir zudem wenig wissen? Eine intensive Kontaktaufnahme mit der asiatischen Arbeiterklasse hätte nur einen Sinn, wenn wir es schaffen, sie mit den Kämpfen und Organisierungsversuchen hier, wo wir selber sind, zusammenzubringen. Wenn aber »die Musik zur Zeit nicht in Westeuropa und auch nicht in Nordamerika« (25: 66 f) spielt und »Geschichte ... heute nicht nur, sondern vor allem hinter dem Horizont« (32: 5) stattfindet, dann habt ihr recht, und unsere Aufgabe besteht tatsächlich nur noch darin, das der hiesigen Arbeiterklasse in Flugblättern klarzumachen und ihr zu empfehlen, daß sie die Sache doch einfach »positiv wenden« (25: 66) soll. Daraus läßt sich kein politisches Projekt mehr formulieren, sondern das reflektiert nur noch auf schlechte Weise das Problem, sich innerhalb der lokalen Arbeiterklasse (wo wir selber malochen gehen) keine revolutionären Initiativen mehr vorstellen zu können.

Der Aufstieg des Geldes: Krise oder Funktionsmechanismus des Kapitals?

Zum »Aufstieg des Geldes« scheint ihr ein taktisches Verhältnis zu haben: In Zirkular 7 hieß es noch, daß alle Theorien über das »Finanzkapital« nur dazu dienten, das Kapital zum geschichtemachenden Subjekt zu erklären und damit zu legitimieren, daß man »mit der Arbeiterklasse als solcher nichts mehr zu tun haben will« (7: 33). Das war damals ein Versuch, den oben erwähnten Vorschlag von Karl Heinz Roth bequem in den Papierkorb zu befördern.

In »Hinter dem Horizont« soll gezeigt werden, daß es keinen Sinn hat, Holloway und Bonefeld zu diskutieren. Diese versuchen, die Entwicklung der »Sphären der Finanzwelt« (32: 5) als Ausdruck der Krise zu entschlüsseln. Also stellt der Artikel darauf ab, daß es keine Krise gibt, sondern der »Aufstieg des Geldes« eine ganz normale Funktion des Kapitalismus ist, nämlich »der Vorgang des Ausgleichs der Profitraten zwischen den alten und den neuen Metropolen« (32: 13). Das läßt sich dann wiederum auch mit den Thesen zu Asien verbinden, denn »hinter dem Aufstieg des Geldes steht nichts anderes als der Aufstieg der neuen Arbeiterklasse in Asien« (32: 12).

Zusammengefaßt sagt ihr also, daß der »Aufstieg des Geldes« kein Zeichen von Krise ist, sondern die Geldentwickung einfach ausdrückt, daß die Verwertung klappt. Nur die regionale Verteilung der Quellen der Verwertung hat sich hin zur »Ausbeutung anderer ArbeiterInnen (32: 5) verschoben, nämlich nach Asien, weil dort zur Zeit höhere Profite rauszuholen sind. Geld und Kredit spielen dabei ihre produktive Rolle, indem sie die Ausgleichbewegungen bei diesen Verschiebungen vermitteln.

Es gibt in den Wirtschaftswissenschaften einen Streit über die »Zunahme monetärer Aggregate«. Manche halten sie für ein Krankheitssymptom und sprechen vom »Casinokapitalismus«; andere halten sie für den Ausdruck gesunden Funktionierens des Kapitalismus, da die Zunahme von Geld in allen möglichen alten und neuen Formen (Derivate) vor allem der schnelleren Anpassung von Investoren an sich verändernde Verwertungsbedingungen diene, bzw. »die Allokationseffizienz verbessert«, wie sie es ausdrücken.

Sowohl gegen die bürgerliche Theorie als auch gegen die gängige »marxistische« Krisentheorie versuchen Holloway und Bonefeld, die Bewegungen des Kapitals, wie sie sich auf den Wirtschaftsseiten niederschlagen, als Krise des Ausbeutungsverhältnisses zu entschlüsseln, d.h. auf den Klassenkampf zurückzuführen. Daher ist es auch völlig falsch, sie mit den linken Untergangspropheten (Kurz, Altvater usw.) in einen Topf zu werfen. Während sie sich nicht auf die schlechte Alternative zwischen linker und rechter Wirtschaftswissenschaft einlassen, wird in »Hinter dem Horizont« faktisch die Position der rechten Wirtschaftswissenschaftler vertreten, die von einer »Geldkrise« nichts wissen wollen. Im Unterschied zu den »empirischen Wissenschaften« wird der Zusammenhang mit der Entwicklung in Asien dabei nur behauptet - mit einer Herleitung, die schon deshalb so zeitlos wirkt, weil sie diese Behauptung nicht im geringsten an den wirklichen Geldbewegungen festmachen kann, sondern lieber »die Geduld der geneigten Leserin mit etwas 'Marxismus' strapaziert« (32: 5). Nach sieben Seiten und neun lange Marx-Zitate kommt dann heraus, was auch in einem Satz hätte gesagt werden können: In Asien lassen sich höhere Profite machen, also schieben die Kapitalisten ihr Kapital dorthin, um es verwerten zu lassen.

Das ist aber wie gesagt bloß eine Behauptung: In dem ganzen Artikel gibt es keinen Beleg dafür, daß irgendwelches Geld aus Europa und Nordamerika nach Asien fließt, um dort investiert zu werden. Die kurzen Ausführungen über das Investitionsverhalten des westlichen Kapitals in Asien weisen eher auf das Gegenteil hin, nämlich daß dieses »mit relativ wenig eigenem Kapital« (32: 14) einsteigt, weil es »noch zögert, sich direkt mit der Ausbeutung der neuen Arbeiterklasse in Asien zu befassen« (32: 14) und das lieber asiatischen Subunternehmern überläßt. Dann müßte aber gezeigt werden, daß massenweise Kredite von westlichen Banken nach Asien vergeben werden, weil sonst nichts dafür spricht, daß die zunehmenden Mengen von Geld auf dem Weltmarkt als Kapital nach Asien fließen.

Eine genaue Auseinandersetzung mit der »Herleitung der Durchschnittsprofitrate« in »Hinter dem Horizont« würde hier den Rahmen sprengen. Aber sie würde an dieser Stelle auch nicht viel bringen, da diese Herleitung für die Argumentation im Text unwichtig ist. Eigentlich ist sie ein Bluff, sie legt nur die Schwelle höher und würgt alle Fragen von vornherein mit »Marxismus« ab. Sie bringt rüber, daß es schon genug Theorie als fix-und-fertige Lehre gibt und daß Bemühungen, die heutigen kapitalistischen Verhältnisse theoretisch zu durchdringen, bestenfalls überflüssig sind und im schlimmsten Fall zu Abweichungen von der Lehre führen. Diese Art von Marx-Exegese ist eine Simulation von Theorie, die auf die offenen Fragen den Deckel draufmacht.

Letztlich wird damit nur behauptet, daß sich das Funktionieren des Kapitalismus mit Marx prima erklären läßt. Marx würde so zum Ökonomen degradiert und seiner Theorie jeder materialistische revolutionäre Gehalt abgesprochen werden. Es ging Marx nicht um »die theoretische Formulierung der proletarischen Frage: wie kann es sein, daß wir arbeiten und die Kapitalisten immer reicher werden« (32: 9), also um die Frage, warum die Gesellschaft ungerecht ist, sondern um die Frage, wie sie sich aufheben läßt, also um die Suche nach der revolutionären Macht im Schoß der bestehenden Verhältnisse. Diese Macht drückt sich immer wieder in scheinbar »ökonomischen« Krisen aus. Es ging Marx gerade darum, diese Krisen als Erscheinungsform des Antagonismus - und als Möglichkeit des Bruchs - zu entschlüsseln. In »Hinter dem Horizont« soll stattdessen mit Marx bewiesen werden, daß es keine Krise gibt, weil die Arbeiterklasse in Krisentheorien »unwirklich, aus dem Geld hergeleitet erscheint: wenn das Kapital ins Geld fließt, dann muß das wohl an der Arbeiterklasse liegen«, aber »eine derartig hergeleitete Arbeiterklasse ... ist ein gedankliches Konstrukt« (32: 5).

Hier ist die Verbindung zur »neuen Arbeiterklasse« in Asien: Es gibt keine Krise, denn die Ausbeutung der asiatischen Arbeiterklasse boomt dermaßen, daß die Kapitalisten in den »alten Metropolen« ihre Betriebe dichtmachen und als Geld nach Asien verschieben. Und genau diese asiatische Arbeiterklasse soll die einzige revolutionäre Hoffnung für uns sein. Statt in den ökonomischen Erscheinungsformen der Krise die Krise des Kapitalverhältnisses als gesellschaftliches Verhältnis aufzuspüren, soll die Arbeiterklasse die Krise des Kapitals überwinden.

Keine Flöhe im Ohr: kapitalistische Entwicklung und Revolution

Daß die Arbeiterklasse der »alten Metropolen« nichts mehr zu melden hat, wird in »Hinter dem Horizont« am »Fehlen von Perspektiven« (32: 15) festgemacht: daran, daß »keine neue gesellschaftliche Dynamik zu erkennen [ist], die dem Kapital neue Flöhe ins Ohr setzen könnte« (32: 15).

Die hiesige Arbeiterklasse habe sich also nicht nur durch ihre sozialdemokratische Integriertheit und Verbrauchtheit abgemeldet, sondern sei schon deshalb nicht revolutionär, weil sie das Kapital nicht mehr entwickle.

Böswillig ließe sich das so verstehen, daß die revolutionäre Macht der Arbeiterklasse darin besteht, das Kapital zu entwickeln, d.h. sich möglichst gründlich ausbeuten zu lassen. Das ist natürlich nicht gemeint, aber mit der These von den Flöhen im Ohr des Kapitals wird die These der »Quaderni Rossi« von der Entwicklung des Kapitals durch die Arbeiterkämpfe um das Entscheidende verkürzt und im Ergebnis auf den Kopf gestellt. Der Operaismus trat Anfang der 60er Jahre gegen die Ideologien vom Planstaat und vom allumfassenden Plan des Kapitals an und zeigte, daß »das Kapital« gar nichts entwickelte, sondern daß hinter der kapitalistischen Entwicklung der Klassenkampf stand. Es war eine historische Leistung, wie die »Quaderni Rossi« in die Kämpfe interveniert haben, wie sie eine gemeinsame Theoriebildung mit der Klasse organisiert haben. Das war aber das Ergebnis der Untersuchung einer historischen Situation, wo es darum ging, den »Keynesianismus« zu knacken, und kein Schema, das immer und überall paßt.

Die Revolution hat bisher nicht geklappt, und »bisher hat der Arbeiterkampf immer als Motor der kapitalistischen Entwicklung funktioniert« (38: 3), so weit so schlecht. In den Asien-Artikeln liest es sich aber so, als hätte die Klasse immer nur das Kapital entwickelt - und als würde das wohl bis zur Revolution so weitergehen. Damit steht die Revolution der kapitalistischen Entwicklung völlig unvermittelt gegenüber: Die Klasse entwickelt jahrhundertelang die Bedingungen ihrer eigenen Ausbeutung, und dann hat sie irgendwann die Schnauze voll und fegt die ganze Scheiße weg. Das läuft auf eine politische Revolution der unzufriedenen »Massen auf der Suche nach Glück« (30/31: 133) hinaus, d.h. auf eine Sichtweise, in der sich die Arbeiterklasse und das Kapital als zwei voneinander unabhängige Subjekte äußerlich gegenüberstehen und in einer Art Ping-Pong-Logik aufeinander reagieren. Wie Holloway in »Vom Schrei der Verweigerung zum Schrei der Macht« (Zirkular 34/35) schreibt, ist diese Sichtweise zwar besser als traditionelle marxistische Vorstellungen, wonach der Klassenkampf irgendwelchen »ökonomischen Gesetzen« untergeordnet ist, aber auch sie befreit den Klassenkampf nicht aus »einer gegenüber dem Kapital äußerlichen Logik« (34/35: 46).

Eine materialistische revolutionäre Perspektive ergibt sich nur, wenn wir die kapitalistische Entwicklung dialektisch sehen und »die Macht der ArbeiterInnen als inneren Widerspruch im Kapital« (34/35: 45) verstehen: Die Arbeiterkämpfe haben nicht nur den Kapitalismus entwickelt, sondern auch die Voraussetzungen der Revolution und des Reichtums für alle. Und wenn die Kapitalisten bisher in der Lage waren, die Kraft der Kämpfe wieder in Entwicklung umzudrehen, so trug und trägt doch diese Entwicklung historisch das Gesicht der Klassenkämpfe, die sie »aufheben« soll. Insofern war und ist auch der Inhalt der Klassenkämpfe (wenn auch in verkehrter Form) in der Entwicklung des Kapitals »aufgehoben« und liegt heute vor uns nicht nur als Geschichte von Kämpfen, sondern auch als entwickelte gesellschaftliche Produktivkraft und entwickelte Möglichkeit des Kommunismus.

In den Asien-Artikeln kommt diese Dialektik nicht vor. Damit stellen sie nicht nur der kapitalistischen Entwicklung den Antagonismus als etwas äußerliches entgegen, sondern reinigen auch die Krise vom Antagonismus. Im Ergebnis werden »unsere Krise und letztlich auch die des Kapitals« (32: 15) gleichgesetzt, statt die Krise des Ausbeutungsverhältnisses als Ausdruck der Macht der ArbeiterInnen zu begreifen (darum geht es gerade in »The Politics of Money«: Holloway und Bonefeld betonen die Krisenhaftigkeit und Zerbrechlichkeit des Kapitalverhältnisses und versuchen, hinter dieser scheinbar »ökonomischen« Krisenhaftigkeit die Arbeitermacht sichtbar zu machen). In der kapitalistischen Dialektik ist die Krise das vermittelnde Moment: Die Macht der ArbeiterInnen gegen das Kapital drückt sich zunächst als kapitalistische Krise aus. Die Krise zwingt das Kapital zum Sprung nach vorn, zur Reorganisation auf neuer Stufe und macht den nächsten Boom möglich. Vom revolutionären Standpunkt, der diese Dialektik beenden will, zeigt die Krise die Möglichkeit der Revolution. Um es deutlich zu sagen: Wenn diese Art der Gesellschaftlichkeit in die Krise gerät, dann ist das gut und nicht schlecht. In den Artikeln dagegen ist die Krise nicht nur ein Problem für das Kapital, sondern auch und vor allem für die ArbeiterInnen - als wäre der Boom nicht genauso ein Problem für sie!

Vielleicht liegt diese Betrachtungsweise der Krise daran, daß die Krise in erster Linie als »kulturelles Elend« (30/31: 131) thematisiert wird (wir glauben übrigens nicht, daß in Europa oder Nordamerika keine Entwicklung des Kapitals durch die Arbeiterklasse mehr stattfindet: Was ist mit Selbständigkeit, Schwarzarbeit, Flexibilisierung der Arbeitszeiten und -verhältnisse, selbstverwalteten Betrieben usw.? Das sind alles Bewegungen, die die Kapitalisten nicht erfunden, sondern nur aus dem realen Verhalten der ArbeiterInnen aufgegriffen haben. Und es wäre zu zeigen, daß sie nicht nur das Kapital, sondern auch die Voraussetzungen des Kommunismus entwickeln). Natürlich wäre uns allen ein spürbarer kollektiver Aufbruch zu neuen Ufern lieber. Aber gerade wenn von Joachim Hirsch bis Bundespräsident Herzog alle von Stagnation jammern, käme es für uns darauf an, in der Krise des Alten die Momente des Neuen herauszufinden und sichtbar zu machen, statt in den kulturpessimistischen Chor der Bürger einzufallen und auf einen neuen Boom zu hoffen. Das erinnert an die Krise der revolutionären Linken in Italien Anfang der 80er Jahre, wo auch einige Leute meinten, nur ein neuer Boom des Kapitals könnte dem Massenarbeiter seine politische Zentralität zurückgeben. Roberto Battaggia schrieb damals in Primo Maggio: »... ich fürchte, daß eine solche Einstellung recht fatalistisch ist und daß man zu solch einem Fatalismus Zuflucht nimmt, um den gegenwärtigen Zustand von theoretischer Verlegenheit zu übertünchen« (Zirkular 36/37: 129).

Antworten und Fragen

Wir haben ein gemeinsames Problem: Wir streben eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse an, haben aber Schwierigkeiten, in der Wirklichkeit die Sprengsätze zu finden, an denen sich die Tendenz zum Kommunismus festmachen läßt.

Die neuen Entwicklungen in Asien sind für dieses Problem sehr wichtig. Aber wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, dies durch eine schematische Gegenüberstellung von »alter« und »neuer« Arbeiterklasse zu betonen. Es geht darum, die Arbeiterklasse in Asien als Teil der Weltarbeiterklasse zu begreifen. Dazu brauchen wir nicht nur Zeitungsmeldungen, sondern eine radikale Theorie des heutigen globalen Kapitalismus.

Uns kommt es so vor, als ob ihr den politischen Schwierigkeiten ausweicht, indem ihr irgendwo auf der Welt nach Kämpfen sucht, auf die das alte operaistische Schema zutrifft. Das führt nicht nur zu einem romantisierenden und ungenauen Blick auf die Verhältnisse in Asien, sondern läßt auch von der operaistischen Theorie nur ein steriles Dogma übrig. Die Thesen über Asien sind zwar sympathischer als Negris Versuch, das Schema der Klassenzusammensetzung auf einen kleinen Ausschnitt der metropolitanen Arbeiterklasse anzuwenden und dann von der neuen Klassenzusammensetzung der »immateriellen Arbeit« zu reden, aber das Vorgehen ist ähnlich: Jeder sucht sich den Ausschnitt der Welt aus, der zu seinen Thesen und Vorlieben paßt. Damit wird aber die Möglichkeit verbaut, nach der kommunistischen Qualität im Klassenkampf zu fragen.

Daß wir diese Frage zur Zeit nicht beantworten können, ist unser gemeinsames Problem. Wir halten es jedoch für zentral, überhaupt die Frage richtig zu stellen, statt ihr mit dogmatischen Scheinantworten aus dem Weg zu gehen.

Einige Wildcats aus Hamburg, Köln, Potsdam/Berlin und Leipzig, August 1997


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