Wildcat-Zirkular Nr. 42/43 - März 1998 - S. 13-20 [z42fabri.htm]


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»Die waren noch nie in der Fabrik ...«

Interview mit einem früheren Fabrikarbeiter, den es zu den Straßenfegern verschlagen hat

Du warst bis vor zwei Jahren in einer Fabrik, in der mehrheitlich ArbeiterInnen aus der Türkei arbeiteten; jetzt bist Du bei der BSR (Berliner StraßenReinigung) in Köpenick, wo nur wenige Ausländer beschäftigt sind.

Ich habe einen Zeitvertrag über fünf Monate, vom 1.11.97 bis 31.3.98; ich bin als Handreiniger (mit Besen und Wägelchen) eingestellt worden zum Winterdienst. Von den Zeitvertraglern im letzten Jahr wurden 25% übernommen. Ich verdiene durchschnittlich 3 000 netto, ohne Überstunden, da ich drei Kinder habe. Brutto sind das 4 200 mit 40-Stundenwoche, dabei sind aber schon die Kindergeldzuschläge drin. Das heißt, ich verdiene jetzt mehr als vorher in der Fabrik. Ohne das Extra-Kindergeld im Öffentlichen Dienst, das macht bei mir 500 Mark aus, wäre der Bruttolohn so hoch wie momentan in der Fabrik bei 35-Stundenwoche, Akkord am Band. Wir sind alle nach Ost-Tarif eingestellt worden. Seit drei Jahren stellt die BSR nicht mehr nach West-Tarif ein, egal wo du arbeitest.

Wie hoch ist der Unterschied zwischen Ost- und West-Tarif?

Der Unterschied ist 20%. Die Lohnunterschiede bei der BSR waren schon immer sehr hoch. 3 700 bis 3 800 ist der unterste Lohn, dann gibt es S-Fahrer oder Müllabfuhr, die haben brutto, ledig ohne Kinder, ohne Überstunden, 8 000 DM. Aber einen solchen Job kriegst du nur über Schmiergelder. Wenn du dich von außen bewirbst, hast du sowieso keine Chancen, aber auch für jemand, der sich intern bewirbt, gibt es nur die Möglichkeit, 15 Riesen zu zahlen für einen solchen Job. In den letzten Jahren haben sogar Handreiniger 8 000 DM dafür bezahlt, daß sie von einem befristeten auf einen festen Platz als Handreiniger kamen! Das funktioniert tatsächlich: die Hälfte mußt du vorstrecken, die andere Hälfte zahlst du drei Monate nach Vertragsabschluß.

Und wieso können die einfach sagen: Ost-Tarif?

Die machen vor der Einstellung eine Personalbesprechung in Treptow, ein paar hundert Meter auf Ost-Berliner Gebiet. Die Einstellung selber erfolgt dann in der Ringbahn-Straße, also mitten in West-Berlin, aber die stellen das so dar, daß die Einstellung in Treptow erfolgt sei, in der Ringbahn-Straße würden rein formale, bürokratische Dinge abgewickelt; und damit sparen sie eben 20% vom Lohn.

Wir haben 40-Stundenwoche, die Arbeitszeiten sind beschissen: Im Winter fangen wir morgens um fünf Uhr an (im Sommer um sechs Uhr). Um fünf Uhr treffen wir uns alle bereits in oranger Arbeitskleidung in der Kantine, werden dann auf Kolonnen verteilt und fahren die Plätze an, wo wir sauber machen sollen. Um 5.30 Uhr triffst du dann am Arbeitsplatz ein; wenn du einen guten Fahrer hast, läßt er dich noch 15 Minuten im warmen Auto sitzen und rauchen, wenn du ein Schwein hast, dann mußt du 20 nach 5 gleich loslegen. Dann wird um 8 Uhr gesammelt zum Frühstück, bis um halb neun. Dann wirst du wieder auf die Arbeitsplätze verteilt und je nach Laune des Kraftfahrers dann zwischen 12.15 Uhr und 13 Uhr wieder eingesammelt.

Wir sind eingestellt für Köpenick, arbeiten aber auch in den Plattenbausiedlungen in Hellersdorf, in Friedrichshagen usw. Es macht einen Unterschied, wo du arbeitest, in manchen Gegenden ist vor 7 Uhr keine Bäckerei und auch nichts anderes geöffnet, wo man mal einen Kaffee trinken oder auf die Toilette gehen kann. In Hellersdorf bist du dann aufgeschmissen, wenn du mußt! Da mußt du einen Kilometer laufen. Also von den 8 Arbeitsstunden täglich arbeiten wir netto zwischen fünf und sieben Stunden. Das hängt wie gesagt von den A-Fahrern ab: die haben immer 5 Mann pro Tour. Die müssen unsere Strecke abfahren und uns kontrollieren, die Säcke, die wir mit Laub und Dreck gefüllt haben, müssen sie einsammeln und auf den Hof transportieren.

Wir Handfeger fegen die Gehwege; dann gibt es noch kleine und große Kehrmaschinen. Die Fahrer der kleinen Kehrmaschinen verdienen 5 000, die der großen 8 000 Mark. Kraftfahrer kriegen 4 500. Das sind aber alles Arbeiter, das sind keine Vorgesetzten.

Auf dem Hof arbeitet eine einzige Frau.

Was ist grundsätzlich anders bei der Arbeit in der Fabrik und bei der Arbeit in einer BSR-Kolonne?

Du findest überhaupt keine Kollegialität. In der Fabrik ist das ganz anders: du kannst reden, du kannst politisch reden in der Fabrik, über Fußball, über irgendwas, du kannst dich bewegen, du kannst mit deinen Kollegen reden, du kannst Widerstand leisten, du kannst sagen, ich will pissen gehen und einen Springer rufen .... Bei der BSR kannst du natürlich jederzeit pissen gehen, aber du findest kein Klo. Zweitens bist du meistens allein oder zu zweit; wenn du zu zweit bist und der Arbeitskollege ist nicht gut drauf, ist Scheiße für dich, da ist es besser, allein zu sein. Bei den Festangestellten ist es noch besser: die arbeiten immer mit demselben Kollegen zusammen, zumindest solange es keine Beschwerden gibt. Wir Zeitvertragler müssen sehr häufig wechseln. In der Fabrik arbeitest du unter vielen Leuten, du kannst diskutieren, du kannst dich gegen die Vorgesetzten durchsetzen, das macht insgesamt eine gute Stimmung. In der BSR gibt es niemand, gegen den du dich durchsetzen kannst, alle scheißen bei den Vorgesetzten die anderen an. Jeden Tag gibt es Krach: z.B. weil ein Kraftfahrer einen anderen beim Vorgesetzten anscheißt, ein Straßenfeger sich über einen Kraftfahrer beschwert, jeder gegen jeden.

Aber die arbeiten doch schon lange zusammen?

Ja, das sind Leute, die arbeiten seit sieben, acht Jahren zusammen. In der Fabrik siehst du in der Pause verschiedene Leute: die einen spielen, manche lesen usw. Bei der BSR wird in der Pause nur gefressen.

Ihr seid ja wenige Ausländer bei der BSR?

Ja, wir sind zehn Prozent. Die BSR hat beschlossen, nicht über zehn Prozent Ausländer einzustellen, egal ob befristet oder nicht.

Das weißt du sicher, oder denkst du dir das nur?

Das haben die natürlich nicht offen gesagt, aber die Zahlen sprechen für sich. Insgesamt wurden in diesem Jahr in Berlin 200 Leute eingestellt, darunter 19 AusländerInnen. Letztes Jahr wurden 150 eingestellt, darunter 16 AusländerInnen. Bei uns im Hof sind von 25 Festeingestellten zwei Ausländer, von den 22 Zeitvertraglern sind auch zwei Ausländer. Da kann mir niemand erzählen, das sei Zufall!

Wie ist das Verhältnis zu den deutschen Kollegen?

An den ersten Tagen hatte ich viele Probleme. Wo ich arbeite, sind wir vier Ausländer: ein Bosnier, ein Libanese und zwei Türken. Die anderen drei verstehen oft nicht, was die deutschen Kollegen sagen, seien es nun Schimpfwörter oder sonst was. Und vor allem die ostdeutschen Kollegen reden absichtlich schnell und undeutlich und versuchen mit allen Tricks, die auslädnischen Kollegen klein zu machen. Ein ausländischer Kollege hatte es geschafft, A-Fahrer zu werden, da haben sie sich solange über ihn beschwert, bis der Chef ihn nach drei Wochen wieder zum Handreiniger zurückstufte. Kein deutscher Kollege hatte mit ihm fahren wollen: »Nein, ich verstehe ihn nicht, er versteht uns nicht. Ich will nicht mit ihm fahren.« Der Kollege kommt aus Mazedonien, lebt seit fast 8 Jahren hier, ist mit einer deutschen Frau verheiratet und hat hier Kinder, das heißt, er kann schon Deutsch reden! Er hat im letzten Jahr die Prüfung zum Fahrer gemacht, viele Überstunden gemacht, ist jeden Samstag freiwillig gekommen, auch sonntags. Angeblich brauchte er soviel Geld und ist auf den Arbeitsplatz angewiesen. Von seiner Familie aus Mazedonien sind ganz viele nachgekommen und er hat keinen Bock auf Mafia-Arbeit.

(Ein anwesender Kollege aus der Fabrik:) Ein typischer Schleimscheißer!

Nein, das ist kein Schleimscheißer! Ich bin zwei Wochen mit ihm gefahren, da sind wir immer erstmal an Tankstellen gefahren, haben Kaffee getrunken und erst um 6 Uhr mit der Arbeit angefangen. Er braucht halt den Job, das ist alles! Er hat sich auch geweigert, die übliche Bestechungssumme zu bezahlen.

Einmal habe ich wegen dieser rassistischen Anmache im Umkleideraum geschrieen: Es reicht mir! Ich will keine Polizeiarbeit machen, aber ich renne gleich zu einem Vorgesetzten. Die haben so viele rassistischen Sachen gesagt und das ist verboten. Einer hat zu mir gesagt: »Sei froh, du hast nur mit einer Rasse Probleme, wir als Deutsche haben mehr Probleme, wir wissen nicht mehr, was wir mit den ganzen Rassen hier tun sollen!« In der Fabrik hat es so was nie gegeben!

Wieso war es da anders? Weil er die Mehrheit wart und die Deutschen Angst vor euch hatten? Waren die genauso rassistisch, hatten aber Angst vor euch?

Ich glaube, bei der BSR arbeitet die unterste Klasse und die suchen nach Leuten, die noch weiter unten stehen und die sie unterdrücken können. Die sind nicht bewußt rassistisch, aber die sind auch als Mensch und als Klasse nicht bewußt. Die sind genauso sexistisch; wenn wir mit dem KS (Dobbelkabinen-LKW) unterwegs sind und die sehen eine Frau, die irgendwie anders aussieht, rote oder bunte Haare hat, da sagen die immer: »Guck doch, diese Muschi!« In den ersten Tagen hab ich gar nicht verstanden, was die meinen. Die haben drei Wörter für Frauen: ihre eigenen Frauen heißen »Olle«, alle anderen Frauen heißen »Muschi«, nur die ganz vernünftigen Kollegen sagen »Weiber«. Ich hab was dagegen gesagt, da haben sie mich gleich gefragt, ob ich schwul bin.

Sind das alles Ossis?

Bis auf zwei Westberliner sind das alles Ossis.

Und die waren noch nie in der Fabrik?

Die waren noch nie in der Fabrik. Die meisten sind ehemalige Bauarbeiter, die vom Bau die Schnauze voll hatten, drei waren Rausschmeißer / Zuhälter, andere haben freie Jobs gemacht .... Die Rausschmeißer können ihren Beruf nur bis etwa 30 machen, jetzt suchen die halt ne andere Chance, und die können sie fast nur bei der BSR finden. Als Rausschmeißer waren sie den Ausländern gegenüber Chefs. Der eine hat mir gleich gesagt: »Ich habe immer mit den Türken Probleme gehabt!« - Aber die drei sind untereinander eng befreundet, die haben sich zu dritt bei der BSR beworben, das gefällt mir ganz gut, wie die zusammenhalten, es sind die einzigen Zeitvertragler im ganzen Hof, die zusammenhalten. Dann gibt es noch einen KS mit fünf Festangestellten, den die Vorgesetzten dauernd auseinanderzunehmen versuchen, aber damit kommen sie nicht durch. Die saufen den ganzen Tag und halten auch zusammen. Die machen auch ihre Deals mit dem Leiter; z.B. haben sie gesagt, wir kommen zu fünft freiwillig an Sylvester, dann kannst du andere nachhause schicken, aber dafür wollen wir auch was; z.B. weigern sie sich, bei Wintereinsätzen bis abends um 9 Uhr zu arbeiten, die sagen dann einfach: länger als 12 Stunden arbeiten ist verboten. Aber wie gesagt, die fünf und die drei sind die einzigen, die zusammenhalten. Und das sind auch die mit den härtesten rassistischen Sprüchen. Aber mit den drei kann man wenigstens diskutieren, mit den anderen kann man nicht diskutieren, wenn du ihnen widersprichst, sagen sie gleich, du hast recht, das war ein Mißverständnis, du verstehst sowieso nicht so viel. Die haben fast noch nie mit Ausländern zusammengearbeitet, ihre Informationen darüber beziehen sie zum größten Teil aus dem Berliner Kurier (Ossis lesen Berliner Kurier, Wessis lesen BZ). Die wollen nerven.

Hat sich in der Fabrik das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern geändert?

H: Die Ausländer sind weniger geworden, aber am Umgang untereinander hat sich nichts verändert, das ist wie früher. Jede Gruppe geht einzeln in ihre Sozialecke: die Vietnamesen, die Deutschen, die Kurden, die Türken usw.: jede Gruppe hat ihre Sozialecke.

Wir gehen alle in dieselbe Kantine. Wir müssen nicht, wir haben drei Räume, zwei kleine und einen großen. Als ich anfing, hatten die beiden ausländischen Kollegen immer alleine unten im kleinen Raum gegessen. Ich hab sie aber überzeugt, daß wir alle zusammen in die große Kantine gehen müssen: »Die müssen uns kennenlernen, wir sind auch normale Menschen!« A. und ich haben versucht, Gegeninformation zu machen: »Man darf nicht verallgemeinern, nicht alle Ausländer haben was mit der Mafia zu tun, wir wollen keinen Haß untereinander ...« Die Sache hat sich dadurch nicht verbessert, aber die Rassisten haben sich etwas zurückgezogen. Bei der Weihnachtsfeier '96 hatten vier aus der Fünfertruppe zwei ausländische Kollegen körperlich angegriffen, einer war schwer verletzt. Zum Glück ist er nicht zur Polizei gegangen, das hätte nicht mal etwas gebracht, die waren alle besoffen, das wäre höchstens auf eine Kündigung hinausgelaufen, sonst nichts! Dieses Jahr hat der Leiter am Tag vor der Weihnachtsfeier eine Rede gehalten: »Wer nach zwei Bier sein Maul nicht mehr halten kann, soll nachhause gehen oder erst gar nicht auf die Weihnachtsfeier kommen! Wir haben nach den Auseinandersetzungen im letzten Jahr nur vier Abmahnungen verteilt, weil sich der betroffene Kollege nicht beschwert hat, aber dieses Jahr bin ich selber dabei und wenn nur ein einziger Satz fällt, kommt es zur Kündigung.« Daraufhin sind die acht einfach früher abgehauen und nicht auf der Weihnachtsfeier geblieben. Die Rausschmeißer hetzen ja auch, wenn sie nicht trinken.

Meinst du, das hat jetzt was gebracht, daß ihr euch unter die deutschen Kollegen gemischt habt?

H. und ich essen auch Schweinefleisch, A. und H. essen kein Schweinefleisch und machen Ramadan. Das hat die Deutschen etwas durcheinander gebracht, sie haben das Gefühl, die Sache nicht mehr ganz zu überblicken. Am ersten Tag von Ramadan war einer zu mir gekommen und hat gesagt: »Heute ist Ramadan, du frißt nicht, du säufst nicht und du bumst nicht.« Da habe ich gesagt: »Wieso denn? Das hängt doch vom Glauben ab, damit hab ich doch nix zu tun!« Die meisten kommen erstmal mit Vorurteilen. Am ersten Tag haben sie zu mir schon gesagt: »Warum kommst du hier arbeiten, warum machst du keine Döner-Bude auf?« Ich hab das erstmal gar nicht verstanden, was der will, bis ich kapiert habe, daß das sein Bild ist: Türken stehen immer in Döner-Buden. Ich hab ihm gesagt: »Ich hab keine große Familie.« »Wieso große Familie?« »Was meinst du denn, wie viele Arbeitskräfte du brauchst, um 24 Stunden am Tag offen zu halten?« A. hat gesagt: »Die meiste Hetze kommt wegen der Vorurteile, die kennen uns nicht. Die gucken nur auf unsere Haare, auf unsere Sprache.« Und da haben wir gedacht, wir können diese Vorurteile ein bißchen abbauen.

Aber was komisch ist: in der Fabrik wird immer über die Arbeit gesprochen, die Akkordzahlen, ob es Samstagsarbeit gibt oder nicht, ob was passiert, über die Arbeit. Bei BSR wird fast nicht über die Arbeit gesprochen! Nur die Zeitvertragler haben über ihre Zeitverträge gesprochen, aber auch nicht über die Arbeit. Dabei haben sie bei der BSR in den letzten Jahren verdoppelt: vor fünf Jahren mußte ein Mann 2,6 Kilometer machen, heute muß er 5,2 machen, die Planung sieht vor, daß im nächsten Jahr ein Mann 7,1 Kilometer machen muß.

Begründen die das mit irgendwelchen Veränderungen?

Der Besen und der Wagen sind gleich geblieben. An manchen Plätzen sagen sie, die Bordsteinkante wird von der großen Kehrmaschine gereinigt, aber das machen wir sowieso nicht, und wenn, dann macht das 5% von der Arbeit aus! In Zukunft wollen sie dann pro Kolonne eine kleine Kehrmaschine abstellen. Aber eine kleine Kehrmaschine kann in sieben Stunden höchstens 20 Kilometer machen, und bei fünf Mann und jeweils 7,1 Kilometer wären das ja über 35 Kilometer! In Wirklichkeit ist das ganz nackte Arbeitsverdichtung. Trotz der 200 eingestellten Zeitvertragler arbeitet die BSR mit Unterbesetzung, es fehlen einfach Leute.

Es ist ja schwer, sich vorzustellen, wie es in einer solchen Situation zu gemeinsamen Kämpfen kommen soll ...

Darüber hab ich auch schon nachgedacht. Einerseits muß man sagen, daß Gewerkschaftsarbeit, wie ich sie aus der Fabrik kenne, da praktisch nicht stattfindet. Es gibt nur eine Betriebsversammlung im Jahr im ICC, ob da überhaupt alle Kolonnen hinkommen, weiß ich nicht. Einmal kam ein Betriebsrat vorbei und hat erzählt, daß die BSR privatisieren will und hat dazu aufgefordert, zu dem CDU- und zu dem SPD-Parteitag zu demonstrieren. Alle festangestellten Handreiniger haben dann Angst gehabt vor der Privatisierung. Ich habe gesagt: »Auch wenn ich festeingestellter Handreiniger wäre, hätte ich keine Angst, denn die Handreinigung wird nicht privatisiert!« Wer macht denn diese Scheißarbeit für weniger Geld: egal ob es regnet oder kalt ist, du bist immer draußen! Die waren aber alle der Ansicht, daß sie Leute finden: »Guck doch mal, ich war früher Bauarbeiter, heute gibt es kaum noch deutsche Bauarbeiter, die holen Leute aus Polen und notfalls aus Rußland!« Ich denke schon, daß sie bestimmte Bereiche bei der BSR privatisieren wollen, die Kehrmaschinenarbeit und die Müllabfuhr. Denn dort verdienen die Leute im Durchschnitt monatlich 9 000 mit Überstunden. Die haben 6 000 Grundlohn, dazu kommt 1 000 Mark Gedingezulage (wir kriegen 300 Gedinge), plus ca. 900 Mark Leistungszulage. Dann müssen sie mindestens zweimal die Woche Überstunden machen, das macht auch mindestens 1 000 Mark im Monat aus, damit sind wir bei 9 000 brutto durchschnittlich.

Ich hab also ganz klar gesagt: »Die wollen nur diese Art von Arbeit privatisieren!« »Woher weißt du das?« haben die Kollegen gefragt. Ich hab mir einfach die Privatisierungsgeschichte von ALBA und AWU durchgeguckt und habe gesehen, daß die BSR im Oktober '97 ALBA unter der Hand fünf Millionen Mark gegeben hat. ALBA hatte damit gedroht, Ende '97 Konkurs anzumelden, BSR hat also der »Konkurrenz« fünf Millionen gegeben, damit sie nicht Konkurs machen. Und ALBA macht keine Straßenreinigung, die machen S-Fahrer und Müllabfuhr. Und in diesen Bereichen, wo BSR 9 000 bezahlt, bezahlt ALBA in etwa die Hälfte: 4 500 Mark, das ist für manche Leute auch noch »gutes Geld«. Deshalb hab ich gesagt, wenn die privatisieren, dann diese Bereiche, die Handarbeit interessiert keine Sau. Meine Kollegen haben dann gesagt: »Und was ist mit den Reinigungskräften, die arbeiten auch viel billiger?« Da hab ich gesagt: »Die arbeiten aber in den Gebäuden, außerhalb machen sie höchstens 500 Meter, wenn sie zum Gebäude dazugehören!«

Die ganze Zeit haben eben die Vorgesetzten und die Gewerkschaft mit Privatisierung gedroht und dann sind sie gekommen und haben gesagt: »Du mußt mehr Kilometer machen!«

AWU macht Pappe und Bauschutt, ALBA macht eigentlich alles außer Straßenreinigung. Aber obwohl die deutlich weniger zahlen, haben sie beide ernsthafte wirtschaftliche Probleme, weil sie die Leute nicht dazu bringen, acht Stunden zu arbeiten....

Und wie war es mit den Kämpfen?

Ich versuche, erstmal einen gemeinsamen Punkt zu schaffen und über die Arbeit zu reden, vor allem, wenn wir zu sechst im KS unterwegs sind.

Zwei Tage war ich mit einem Kollegen zusammen, der als einziger ein bißchen netter zu uns ist, der war früher Polizist, zuerst in der DDR, später in der BRD. In der DDR haben sie ihm gekündigt, weil er gegen die Demonstranten nicht knüppeln wollte; nach der Wende war er wieder Polizist und als er am 3. Oktober zum Alex geschickt wurde, hätte er gegen die Autonomen knüppeln müssen. Da hat er gesagt, das hab ich für den Honecker nicht gemacht und das mach ich für den Kohl auch nicht und hat sich unerlaubt vom Dienst entfernt, da wurde er wieder gekündigt. Dann war er zwei Jahre arbeitslos und jetzt arbeitet er seit fünf Jahren bei der BSR. Der hat vier Kinder, die bei seiner Frau leben, er wohnt in Köpenick. Als der Fahrer uns irgendwo rausgelassen hat, haben wir unsere Wagen festgebunden, ein Taxi gerufen und uns in seine Wohnung fahren lassen. Er hat Kaffee gemacht, ich habe gelesen und er hat Play Station gespielt. Um sechs Uhr waren wir bei ihm zuhause, halb Acht sind wir mit der Straßenbahn zurückgefahren, haben dann im Wald oder so Laub zusammengesucht und acht Säcke damit gefüllt. Nach der Pause hat er dann nur noch gesoffen, mir hat er gesagt, ich soll in den Wald gehen, zehn Säcke voll machen und an der Straße verteilen. Nach zwei Tagen haben sie dann gemerkt, daß ich bei ihm mitmache - die hatten gehofft, daß ich nicht mitmache! - und haben mich dann woanders hin versetzt. Ihn können sie nicht rausschmeißen, weil er zur Fünferbande gehört, ein paarmal haben sie gegen ihn was gemacht, dann haben die anderen vier sich solidarisiert. Die anderen vier haben die beiden ausländischen Kollegen zusammengeschlagen, aber er hat dabei nicht mitgemacht. Wie gesagt, auch die die hetzen, sind im Kopf nicht wirklich ausgeprägte Rassisten, das meiste sind reine Vorurteile, sie sind der letzte Arsch und suchen den allerletzten Arsch.


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