Wildcat-Zirkular Nr. 46/47 - Februar 1999 - S. 16-18 [z46spflu.htm]


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[Dieser Text erreichte uns aus Spanien. Er stammt von einer Gruppe von Prekären, die sich organisiert haben, um u.a. gegen »Sklavenhändler« (Zeitarbeitsfirmen) vorzugehen.]

Arbeit ist das, was (uns) lästig ist

Die Vollbeschäftigung wird nie zurückkehren. Die enorme Reduzierung der notwendigen Arbeitszeit aufgrund der durchgesetzten neuen Produktionstechnologien und Organisationsmodellen ist nicht zurückzudrehen. Der Arbeitsmarkt ist eine einzige Täuschung.

Trotzdem »wollen« wir arbeiten und »suchen« eine Anstellung, als ob dies die einzig mögliche Lebensweise in dieser Gesellschaft wäre, die einzige Möglichkeit, normal zu sein und unser Leben zu füllen.

Das Kapital hat Alles besetzt. Kein Ort auf dem Planeten, der der Gewalt des Geldes entfliehen kann. Es ist der Schlüssel, es setzt die Gesetze durch: Geld im Tausch gegen Arbeitszeit. Aber heutzutage ist die Arbeitszeit als Äquivalent des bezahlten Lohnes aufgrund der technologischen Innovationen auf ein Minimum gesunken. Annähernd die gesamte Arbeit ist Mehrarbeit, soll heißen, Gratisarbeit, die von uns dem Kapital dargeboten wird. Trotzdem tut der Kapitalist so, »als ob« er uns das bezahlt, was in Wirklichkeit sowieso uns gehört. Sein Gesetz (das Wertgesetz) muß sich durchsetzen, obgleich es zu dem Absurdum führt, daß es uns als einzig mögliche Existenz diejenige von ArbeiterInnen ohne Arbeit anbieten kann. So verlängern die Formen der Nichtarbeit (Arbeitslosigkeit, Prekarisierung...) das, was die Arbeit in Wirklichkeit immer gewesen ist: eine Form der politischen Kontrolle mittels Arbeitsgefängnissen, eine Form der Enteignung von Lebenszeit. So verwandelt sich die Arbeitslosigkeit in eine Unterwerfungsmaschinerie, die über die schlichte traditionelle Verpflichung zur Arbeit hinausgeht. Die Arbeitslosigkeit verwandelt sich in eine Vorrichtung zur Produktion von traurigen und feigen Männern und Frauen.

Das Elend im Schoße von Reichtum und Überfluß rechtfertigt die neoliberale Offensive als Ergebnis einer objektiven Kraft, die über den Einflußmöglichen der Menschen steht. Aber gerade für das Elend im Herzen des Überflusses gibt es eine einzige Erklärung: Das Lohnverhältnis. LohnarbeiterInnen ohne Arbeit in oder außerhalb der Fabriken, Zeitverschwender auf der Suche nach Arbeit, Gedemütigte vor den Sozialarbeitern, Gefangene der ökonomischen Rationalität, unterworfen unter die Pläne der Wissenschaften, zur Prekarität verurteilt... Bis wann noch? Bis zu dem Moment, in dem wir aufhören, die Arbeit als ein »knappes Gut« zu betrachten und diese elende Ideologie durchbrechen, die für Elende gemacht wurde.

Das Kapital organisiert die enorme Reduzierung der Arbeitszeit wie eine Vorrichtung, die Angst erzeugt. Als Arbeitskräfte, die wir sind, aber ohne kollektive Subsistenzmittel, sehen wir die Degradierung unserer Existenz, ohne uns zu trauen, das herauszuschreien, was uns doch in Wirklichkeit am Herzen liegt: es ist genau die Arbeit, die (uns) lästig ist.

Laßt uns das Ende der Vollbeschäftigung feiern! Für nichts wollen wir in die Fabrik zurück. Alles, was uns wichtig ist, ist weit weg von diesem Ort. Das einzige was wir wollen, ist Geld, um Leben zu können, und deshalb fordern wir ein garantiertes Einkommen für alle, das an keinerlei Bedingung gebunden ist.

Als Erben des Fordismus haben wir uns daran gewöhnt, die Arbeitszeit als Maß des Lohnes zu betrachten und zwischen Arbeitgebern und individuellen ArbeiterInnen das zu zahlende Entgelt zu verhandeln. Es ist an der Zeit, mit dieser Unsitte aufzuhören.

Es ist nicht wahr, daß wir arbeitslos sind. Wir tragen Jahrhunderte der Arbeit mit uns herum, in denen wir unsre Kraft und Intelligenz in den Dienst dieser Produktionsweise stellten, die jetzt, in ihrer dritten industriellen Revolution, die strukturelle Reduzierung der Arbeitszeit als neues Herrschaftsinstrument benutzt. Wie können sonst die enormen produktiven Kapazitäten diese Systems erklärt werden?

Es ist an der Zeit, ein garantiertes Einkommen für alle zu fordern, denn mit Anstellung oder ohne sind wir Teil einer gesellschaftlichen Maschine, die jahrhundertelang die Mehrheit ihrer Subsistenzmittel enteignet und die Früchte der Lohnarbeit akkumuliert hat, bis eine produktive Kapazität erreicht wurde, so groß, daß unsere Arbeitszeit nicht gebraucht wird, um weiterhin produktiv zu sein. Die Produktivität ist eine gesellschaftliche und überschreitet Raum und Zeit [espacio-tiempo].

Beim Lesen dieser Zeilen werden einige denken, daß ein garantiertes Einkommen für alle nicht möglich ist, ein viel zu ehrgeiziges Ziel für die geschundenen Kräfte einer Bewegung, die historisch besiegt worden ist. Auf eine gewisse Art ist es auch so. Das heute Mögliche ist die Traurigkeit der Arbeitslosigkeit, die Demütigungen durch die Arbeit, die Nachgiebigkeit in Verhandlungen, die Vereinzelung, das Scheitern ... und unmöglich ist es, mit den alten Schemata zur Veränderung der Welt weiterzumachen, in die wir uns verrannt haben. Aber zwischen dem Möglichen und Unmöglichen können wir eine Bresche schlagen: eine Bresche, die es uns ermöglicht, auf andere Art und Weise zu denken, uns andere Welten vorzustellen, die durch einen Schwall frischen Mutes neu gestaltet werden können: in der Schlange beim Arbeitsamt, in der Diskussion mit dem Meister, an der Kasse im Supermarkt, und besonders an dem Ort, den wir »Gemeinsamkeit spüren« nennen, und der es uns verbietet, wenigstens anders als normalerweise zu denken. In dieser Bresche zwischen dem Möglichen und Unmöglichen wäre das garantierte Einkommen für uns nicht mehr nur etwas Unvollstellbares, sondern auch etwas Erreichbares für unsere Kinder - wie es zu anderen Zeiten mit der Durchsetzung und Gebührenfreiheit von Schul- und Gesundheitswesen war, oder auch mit dem bezahlten Urlaub. Gleichzeitig würde dies Teil einer Bewaffnung sein, die es uns erlauben würde, den Ausschluß zu genießen, den diese Stätten der Traurigkeit, die wir Arbeitslosigkeit oder Arbeit nennen, für uns vorgesehen haben.


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