Wildcat-Zirkular Nr. 52/53 - Juli 1999 - S. 44-47 [z52krflu.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 52/53] [Ausgaben] [Artikel]

Wir können für keine Seite Partei ergreifen

Verweigern wir uns der mörderischen Logik des Krieges

Die Menschheit besitzt heute die materiellen Mittel, um die Grundlage einer wirklichen menschlichen Gemeinschaft, ohne Klassen und ohne Vaterländer zu schaffen; sie verfügt über reichlich Ressourcen, um ihren Kindern Wohlstand und soziale Entfaltung zu sichern. Trotzdem bringt uns der Kapitalismus, der die Zügel der Welt im heranbrechenden 21. Jahrhunderts in der Hand hat, in eine verzweifelte Lage. In zahlreichen Gegenden des Planeten sterben ganze Bevölkerungen an Unterernährung und Krankheiten, die vermieden werden könnten. Sogar in den reichsten Ländern über-leben Millionen von Menschen nur in äußerster Armut, ohne Job und sogar ohne Dach über dem Kopf.

Obwohl der alte Traum einer Welt ohne Kriege für die Menschen endlich erreichbar sein könnte, machen diese im Gegenteil eine endlose Folge von blutigen Gemetzeln durch. Es hat seit 50 Jahren keinen Weltkrieg gegeben, aber wenn wir alle Opfer der regionalen Konflikte zusammenzählen, die es in der Zwischenzeit gegeben hat, vom Nahen Osten bis Afrika, Lateinamerika und Asien, kommen wir auf eine vergleichbare, wenn nicht sogar höhere Anzahl von Toten wie im Weltkrieg von 1939 - 45. Wir können sogar sagen, daß der Rhythmus massenhafter Massaker sich in den letzten zehn Jahren beschleunigt hat: Golfregion, Tschetschenien, Aserbeidschan, Ruanda, Ex-Zaire, etc., nicht zu vergessen Kroatien und Bosnien. Und jetzt das Kosovo.

Es ist ihr Krieg

Es sind weder die serbischen Arbeiter, die diesen Krieg beschlossen haben, noch die aus dem Kosovo oder die aus den am Krieg beteiligten NATO-Ländern. Es sind die Regierenden in all diesen Ländern, die skrupellosen Führer der mörderischen Logik ihres Systems, die diese monströse Explosion der kriegerischen Barbarei anführen. Die Arbeiter, die ausgebeutete Bevölkerung, ist in diesem Krieg nur Kanonenfutter, militärische Infanterie, Lieferant von Arbeitskraft für die Produktion des Todes. Für die Ausgebeuteten im Kosovo und Jugoslawien besteht die kapitalistische Barbarei in den ethnischen Säuberungen, den Massakern, den Zwangsaushebungen von Männern im kampffähigen Alter, egal ob für die serbische Armee oder die kosovarische UÇK, den »chirurgischen« Luftangriffen, die, auch wenn sie nicht direkt die Zivilbevölkerung töten, ihr zunehmend die elementaren Mittel zum Überleben nehmen. Die Arbeiter der NATO-Länder, die abgesehen von der Angst und dem Ohnmachtgefühl, die die Teilnahme »ihrer« Länder an einer solchen Entfesselung der kriegerischen Barbarei erzeugt, sind bisher von ihren schlimmsten Schrecken bewahrt worden. Doch kündet ihnen die machtvolle Präsenz von »Bodentruppen« an, daß das Kapital sich darauf vorbereitet, noch mehr »Blutzoll« einzutreiben.

Wir werden manipuliert

Wie in allen kapitalistischen Kriegen sind die Lüge und die ideologische Manipulation der Ausgebeuteten durch ihre jeweiligen Regierungen die Waffen, die alles bestimmen. Die modernen Kriege gehen zu allererst um die Gehirne der Ausgebeuteten. Die serbischen und russischen Bildschirme zeigen unablässig die Schreckensszenen und das durch die NATO-Bombardierungen geschaffene Leid mit dramatischen Kommentaren wie »die größten Mächte der Welt, die auf bestialische Weise eine kleine Nation unter Druck setzen, die kein anderes Verbrechen begangen hat, als verhindern zu wollen, daß man ihr einen Teil ihres Territoriums entreißt«; die Medien der NATO-Länder hämmern uns genauso systematisch die Szenen der Trostlosigkeit in den kosovarischen Flüchtlingslagern ein, wenn möglich mit einem Kind im Arm eines Soldaten der »Allianz«, »verjagt aus ihren Häusern durch Milosevic, aber beschützt und getröstet durch die generöse humanitäre Geste der westlichen Militärmächte«. Beide Seiten lügen, manipulieren wissenschaftlich das Bewußtsein und versuchen so, durch betäubendes Propagandagetöse die schreckliche Realität ihrer wahren Interessen und dreckigen Methoden zu verbergen. Die imperialistische Gier von Milosevic nach einem »Großserbien« ist grundsätzlich von derselben Natur wie die der russischen Bourgeoise, die der NATO-Länder oder aller anderen kapitalistischen Nationen. Die einzelnen Fraktionen unterscheiden sich nur in ihrer Zerstörungskraft, die bestimmt durch das gegenseitige Machtverhältnis.

Der Respekt vor dem Leben und dem »Humanitären« ist der gleiche, wenn die Milosevic-Regierung die Zivilbevölkerung des Kosovo massakriert oder die kroatische Regierung ethnische Säuberungen gegen die Serben durchführt; wenn die russische Regierung Massaker an der tschetschenischen Bevölkerung durchführt; wenn die amerikanische Regierung sich zum Komplizen der Massaker an der kurdischen Bevölkerung durch die türkische Armee macht; wenn die französische Regierung mit dem Segen der UNO mitschuldig an dem Genozid an mehr als einer halben Million Ruander ist; wenn die wirtschaftlichen Großmächte des Westens während des Golfkriegs den ganzen Irak in Schutt und Asche legen; wenn heute die Armeen der westlichen Großmächte die Bevölkerung von ganz Serbien töten und aushungern.

Wir werden manipuliert, um zu verbergen, daß es in diesem Krieg in Wirklichkeit nicht um die Verteidigung der unterdrückten Menschen oder der Rechtsprinzipien geht, sondern um die schäbige Aufteilung des Planeten unter den kapitalistischen Großmächten. Seit Ende des letzten Weltkrieges war Jugoslawien eine Pufferzone zwischen den beiden kapitalistischen Großmächten, der russischen und der amerikanischen. Nach dem Zusammenbruch der ersten haben sich die kleinen und großen Mächte im Kampf um ihren Anteil in der Einflußzone wie Haifische gegenseitig zerfleischt. Nach dem ersten Krieg, der 1991 begann und mit der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien, die zur deutschen Einflußzone geworden waren, endete, nach dem Bosnienkrieg, der den USA einen Einflußbereich in der Region sicherte, nachdem ganze Teile der serbischen, kroatischen und bosnischen Bevölkerungen zu Zehntausenden getötet und zu Millionen vertrieben worden waren, geht die Aufteilung unter dem Einsatz immer beträchtlicherer Mittel weiter. Jelzin, schonungslos wie immer, sagte ohne »humanitäres« Schnickschnack: »Der Balkan ist Ort entscheidender strategischer Interessen.« Als Schnittstelle zwischen Europa, der russischen Einflußzone und dem Nahen Osten war der Balkan tatsächlich ein erstrangiger Streitpunkt in den beiden Weltkriegen und er bleibt es in einem der letzten imperialistischen Konflikte dieses Jahrhunderts.

Die uns in den Krieg schicken

Die Niederträchtigkeit, die sich im Kosovo ausbreitet, hat wenigstens den Verdienst aufzuzeigen, wer nicht zu den Freunden der Ausgebeuteten zählt: die aushebenden Offiziere sind ihre Feinde, welche Gründe auch immer sie haben, um ihre Schandtaten zu verdecken. Zu ihnen gehören natürlich die Parteien der Rechten, was nicht überraschend ist. Diese politischen Kräfte, klassische Meister der zynischen Rationalität des Kapitalismus, die ungeschminkt die Menschlichkeit der Ausgebeuteten verachten, verhalten sich wie gewohnt. Am gefährlichsten sind diejenigen, die im Namen progressiver und »sozialistischer« Ideale zum Massaker aufrufen, die sich auf die großen Traditionen der Arbeiterbewegung berufen, um ihr Gemetzel zu rechtfertigen.

Die »Sozialisten« Schröder, Jospin, Blair, D'Alema, die an den Spitzen der Regierungen der europäischen Großmächte stehen, Solana (Generalsekretär der NATO) und der »Demokrat« Clinton, Präsident der führenden Weltmacht, führen wahrhaftige Kriegskabinette. Im Namen des Krieges sind sie die ersten Chefs der alliierten Verbände, die die Arbeiter in ihren Fabriken oder in Uniform töten.

Mit dem Alibi der Menschenrechte fordern die kommunistischen Parteien, alte wie neue, das Ende der Bombardierungen Serbiens und geben sich »pazifistisch«. Aber wenn sie mit in der Regierung sitzen wie in Frankreich, tragen sie die volle Verantwortung mit für die kriegerischen Schandtaten. Die Trotzkisten setzen im Namen des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker die Interessen der Kosovaren an die erste Stelle. Wie in jedem Krieg seit 1945 sind sie die Meister des »man muß für eine Seite Partei ergreifen«. Heute verlangen sie die Bewaffnung der UÇK, und obwohl diese sich den USA verschrieben haben, halten sie das Weltproletariat für weniger wichtig als die Macht, in der sie früher die Verkörperung des Imperialismus gesehen haben.

Die Grünen selbst mit Joschka Fischer (deutscher Außenminister) und Cohn-Bendit an der Spitze sind nicht die am wenigsten entschlossenen Bellizisten: diese netten Verteidiger der Zugvögel gegen die Jäger regen sich auf, wenn die Zielscheiben Tiere sind, aber sie mobilisieren das Militär, wenn es um Menschen geht.

Was tun?

Um Krieg zu führen, brauchen die Regierungen zuerst und vor allem eines in ihren Ländern: »sozialen Frieden«. Die ideologische und materielle Unterwerfung der Arbeiter durch ihre Regierungen ist eine notwendige Bedingung der kapitalistischen Kriege. Man braucht unterworfene Ausgebeutete für die Truppe, auch für Söldnerarmeen, die »für das Vaterland« sterben sollen. Hinter der Front braucht man unterworfene Ausgebeutete, um die materiellen Mittel für den Krieg zu produzieren und die Politiker nach ihrem Gutdünken handeln zu lassen. Aus diesem Grund hält die Klasse der Arbeiter, wenn sie wieder zu sich selbst kommt und als solche behauptet, die Mittel in ihren Händen, um die wahnsinnige Logik dieses mörderischen Systems zu stoppen.

Den sozialen Frieden zerschlagen, aus jedem unmittelbaren Kampf ein Moment des globalen Kampfes gegen das System der Ausbeutung machen, die ideologischen Ketten der »patriotischen Bünde« und der Unterwerfung unter die etablierte Ordnung zerreißen: wenn die Proletarier es schaffen, dem Gefühl der Ohnmacht zu entkommen, das alle Medien verbreiten, haben sie die Mittel, das zu tun, und sie werden es tun, wenn sie vermeiden wollen, daß der Schrecken andauert.

Krieg ist kein natürliches Schicksal. Er ist Produkt des Kapitalismus, genau wie Arbeitslosigkeit, Elend und Ausbeutung. Wer also gegen den Krieg kämpfen will, kann nicht für einen »pazifistischen Kapitalismus« sein, sondern muß gegen die kapitalistische Ordnung selbst kämpfen.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

Der Kommunismus hat nie existiert,

er ist immer noch unsere Zukunft.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 52/53] [Ausgaben] [Artikel]