Wildcat-Zirkular Nr. 56/57 - Mai 2000 - S. 16-27 [z56asem1.htm]


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Antisemitismus und die Grenzen des Klassenbegriffs

Der folgende Text will versuchen, entlang der Antisemitismus-Diskussion, die mit dem Auftreten der Intifada und dem Zweiten Golfkrieg in der Linken verstärkt geführt wurde, das herauszuschälen, was für eine revolutionäre Diskussion wichtig ist. Um letzteres geht es nämlich in der Mainstream-Linken kaum noch, »Anti-Antisemitismus« ist mehr zu einem sozialen und politischen Erkennungszeichen unter Linken geworden. Die hier angenommene Bedeutung des Antisemitismus für die Grenzen einer Klassenpolitik interessiert die Linke schon lange nicht mehr, weil der »Abschied vom Proletariat« und von der Revolution ohnehin bereits genommen wurde. Ich will aber auch nicht ein weiteres Mal das Verhältnis »Arbeiterbewegung und Antisemitismus« beschreiben [1], sondern auf dem Hintergrund einer Kritik der traditionellen Arbeiterbewegung und der Tradition der Kritik der Arbeit mich diesem Thema nähern. Welche strukturellen Schwächen und welche kategorialen Unvereinbarkeiten mit dem Antisemitismus gibt es für eine gesellschaftliche Kritik, die sich auf eine revolutionäre Tradition von den holländischen Rätekommunisten, dem Linksradikalismus bis zum Operaismus bezieht? Im besten Fall gelingt es mir, auf einige blinde Flecken des Wildcat-Verbundes aufmerksam zu machen.

I.

Die Rolle des Antisemitismus-Vorwurfs

Die Diskussion um Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken, die erst nach dem zweiten Golfkrieg richtig Verbreitung gefunden hat, hat viele Leerstellen aufgezeigt und historische Schwächen offenbart. Der Antisemitismus-Vorwurf hat sich dabei immer auf eine spezifische Haltung deutscher Linker gegenüber dem Staat Israel bezogen. Er hat über die Kritik der reflexhaften Anti-Israel-Position der deutschen Linken hinaus auch eine dem Anti-Imperialismus inhärente Denkstruktur bloßgelegt.

Der klassische Antisemitismus ist eine konformistische Revolte, die den Juden als historisch auf das Geldgeschäft verwiesene Figur angreift. Vom Standpunkt des Konkreten, Wertschaffenden wird das Abstrakte (Wurzellose, Intellektuelle) und Parasitäre kritisiert. Der Antisemit will den Dialog mit dem Staat, der gerne bereit ist, den Juden als Stellvertreter für die Ausbeutung und als Sündenbock zu opfern. Der linke, aus dem Antiimperialismus resultierende Antisemitismus im Gewand des 'Antizionismus' zeichnet sich durch ein schwarz-weiß-Weltbild aus, das gute und schlechte 'Völker' kennt. Er ist linksnationalistisch und fußt auf einem sozialdemokratischen Imperialismusbegriff, der nicht von Ausbeutung und Kapitalverhältnis spricht, sondern in letzter Konsequenz nur Fremdherrschaft kennt (Herrschaft von Banken über die an sich gute Produktion, von 'fremden' Staaten über gute Völker).

Bereits im Freiburger Antizionismus/Antisemitismus-Streit von 1988 (dokumentiert in: blätter des iz3w Nr. 150, Juni 88), der zwischen der »Nahost-Gruppe« und der »Initiative Sozialistisches Forum« ausgetragen wurde, wurden die Fallstricke des antiimperialistischen Denkens deutlich. Allerdings zeigte sich auch eine eklatante Schwäche der Kritiker des Antizionismus: zwar wurde proklamiert, »für eine andere Palästina-Solidarität« einzustehen, real wurde dies allerdings nie eingelöst. So sah ein Protagonist der Kritik am Antizionismus nur drei Möglichkeiten einer linken Position zum Palästina-Problem: »Der sozialistische Internationalismus betrachtet den Konflikt mit der Perspektive der notwendigen gegenseitigen Anerkennung der PLO durch Israel, Israels durch die arabischen Staaten und durch die PLO. Der Befreiungsnationalismus, wie er unter Freunden des bewaffneten Kampfes und anderen Antiimperialisten handelsüblich ist, solidarisiert sich dagegen vorbehaltlos mit dem palästinensischen Nationalismus und kennt gute und schlechte 'Völker'. Der Ideologiekritik des antiimperialistischen Antizionismus geht es nicht um die Meinung, sondern um die Bedeutung, nicht um die Absicht, sondern um das Ergebnis und die Funktion des Antizionismus.« Hier deutet sich schon ein Grundproblem an, denn so richtig die Ideologiekritik des Antizionismus ist, so politisch im wahrsten Sinne des Wortes (d.h. etatistisch) beschreibt der zitierte Kritiker die Perspektive des sozialistischen Internationalismus. Hier ist vielleicht auch der Hund begraben, warum auch heute viele Linke, wenn sie sich nicht nur auf Ideologiekritik am Antizionismus kaprizieren, zu Hilfsdiplomaten (hier: für Israel und die PLO) werden. Und, da bekanntlich Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, im Kriegsfall auch zu Kriegsbefürwortern wurden und werden, anstatt die Verbindung von Staatlichkeit, Diplomatie und Krieg denunziatorisch offenzulegen. Keine der oben dargestellten drei Positionen wird der Realität der palästinensischen Migrationsarbeiter beispielsweise gerecht, für deren Kämpfe und Überlebensstrategien der palästinensische Befreiungsnationalismus auch keine Antworten parat hatte. Dies ist dem linken »Abschied vom Proletariat« geschuldet, der in Deutschland einmalig ist. Die Klassenstruktur Israels, an deren letztem Ende die nicht-askenasischen proletarischen Juden stehen, die palästinensischen Wanderarbeiter und die Klassenstruktur der heutigen palästinensischen Gebiete mit der Fatah-Bourgeoisie am Ruder, ist der deutschen Linken mittlerweile vollkommen aus dem Blickfeld geraten.

Eine Katalysatorfunktion hatte dabei das Jahr 1991. Das Ende der SU, Sicherheit und Bezugspunkt für mehr Linke, als man vermutet hätte, und eine 4.Reich-Stimmung innerhalb der Linken nach der Wiedervereinigung, führte zu der Konstitution eines antideutschen Antifaschismus, der endgültig Abschied nahm vom Denken in Klassenkategorien. Flaggschiff dieser Diskussion war die Hamburger Monatszeitschrift konkret.

Dieses an sich vielstimmige Forum hat entscheidend dazu beigetragen, die Rest-Linke auf Kategorien einzuschwören, die dem Volksfront-Antifaschismus entliehen sind. Allianzen des Fortschritts gegen die deutsche Barbarei waren gefragt. Man sollte an der Seite anderer Staaten gegen Deutschland sein. Man sollte eine antideutsche rainbow coalition mit überzeugten, aber mahnenden Vertretern dieses Staates eingehen (z.B. mit Ignatz Bubis, der zwar erklärte, die Suppe namens Deutschland schmecke ihm ganz gut, ihn störe lediglich das Haar darin namens Rassismus und Antisemitismus; aber bei Bündnis-Politik nimmt man ja so manches in Kauf). Und man betätigte sich u.a. als alternativer journalistischer Waffenlieferant in der Frage der patriot-Raketen zum angeblichen Schutze Israels während des zweiten Golfkrieges.

Angesichts einer übermächtigen Situation, die durch Pogrome in Rostock und Hoyerswerda gekennzeichnet war, drohte eine Wiederholung des Fehlers von Adorno und Horkheimer in den 50er Jahren, die bürgerliche Gesellschaft auf Grund der Erfahrung mit dem Faschismus zu verteidigen, obwohl man es doch mal besser gewußt hatte. Die Kritik an der reflexhaften Wiederbelebung des Antizionismus während des zweiten Golfkrieges führt viele Kritiker des linken Antisemitismus zurück ins bürgerliche Lager (wo sich Micha Brumlik, Dan Diner und Henrik Broder schon länger aufhalten, nicht zuletzt auf Grund einer indifferenten Linken). War die Linke in den 70ern antisemitisch, so war sie in den 90ern philosemitisch. Deshalb gerät auch jüngst jede Kritik der tödlichen Schüsse auf kurdische Demonstranten aus der israelischen Botschaft nach der Verhaftung von Öcalan ersteinmal unter Antisemitismus-Verdacht (jungle world). Dabei ist der Antisemitismus-Vorwurf oft genug lediglich ein willkommenes Mittel, politische Gegner zu treffen, so wurde beispielsweise die kritikwürdige Existenzgeld-Forderung sogleich mit dem Antisemitismus-Vorwurf konfrontiert (bahamas). [2]

II.

Die klassische Arbeiterbewegung und ihr Marxismus hatten sich die Kritik des mühelosen Einkommens und die Affirmation der Arbeit auf die Fahnen geschrieben. Die Kritik vom Standpunkt der Produktion aus machte sich lediglich an der Person des Kapitalisten fest, der den Eigentumstitel besitzt und für die Produktion selbst nicht nötig sei. Desweiteren orientierte sich die Sozialdemokratie (gerade auch die spezifische radikalisierte in Rußland unter Lenin) positiv auf den Staat. Lenins Parole »Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch« zielte auf das Konzept nationaler Befreiung. Sozialistische Entwicklung wurde so zu einer Bewegung nachholender Modernisierung. Die nationale Befreiung sollte das Ende der Fremdherrschaft bewerkstelligen, die eine erzwungene Rückständigkeit aufrecht erhielt; der Staat hatte mittels Planung den Kraftakt zu vollziehen, die Modernisierung aus dem Boden zu stampfen. Der Befreiungsnationalismus und klassische Antiimperialismus trat so auch im Mantel des ML auf. Hier wurde eine Politik des nationalen Bündnisses favorisiert, die Rhetorik von der Klasse war nur der revolutionären Dynamik der Arbeiterklasse und der Bauern-ArbeiterInnen geschuldet und wurde zum propagandistischen Appell für den produktiven Aufbau benutzt. So war die Entwicklung in Rußland ab 1917 Leitbild für viele abhängige Länder, und der Marxismus wurde zur leninistischen 3.Welt-Ideologie.

Der Antiimperialismus, selbst ein Produkt des Leninismus, mußte schon auf Grund seiner kategorialen Prämissen (nationale Befreiung, sozialistischer Staat, Volk statt Klasse) strukturell antisemitisch argumentieren. Agierte er sich an Israel aus, war der Antisemitismus vorprogrammiert. Israel wurde im Antiimperialismus der 60er/70er/80er Jahre als Verkörperung des künstlichen Staates in einer fremden Region ausgemacht. Dieses organizistische Denken läßt sich an dem ganzen Kitsch ablesen, mit dem der erträumte »natürliche Staat« Palästina verbunden war. Die beliebte Kategorie »Volk« hatte ein in die Industrienationen importierter Maoismus in die Hirne einer nach »Identität« lechzenden Linken gepflanzt (Von der Hafenstraßen-Parole »Palästina - Dein Volk wird dich befreien« bis zu den Blut-und-Boden-Bildern in der früheren Zeitschrift Al Karama aus dem Umfeld des Stalinisten Karam Khella).

Die Linksradikalen hatten viele Prämissen auch der 3.Welt-Ideologie und des Antiimperialismus fundamental kritisiert. Erschöpfte sich der Antiimperialismus in der Denunziation der Fremdherrschaft, ging es dem Linksradikalismus und Rätekommunismus um die proletarische soziale Revolution, die die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft an sich zertrümmern sollte. Bündnisse mit der einheimischen Bourgeoisie wurden abgelehnt. Der Antiimperialismus des Bündnisses wurde generell als Ideologie nachholender bürgerlicher Revolution erkannt. [3]

III.

Auch Wildcat vertritt gesellschaftskritische Positionen, die anti-imperialistisch/antisemitischen Denkstrukturen, die einem Antiimperialismus geschuldet sind, gegenläufig sind. Um Völker ging es nie. Nicht die Glorifizierung der Arbeit oder Kampf der ontologisierten Arbeit gegen das Kapital, sondern Kampf gegen die Arbeit selbst als Bestandteil des Kapitalverhältnisses wurde propagiert. Wildcat kritisierte den Produktivismus der klassischen Arbeiterbewegung. Der Staat wurde als ideeller und in der Krise realer Gesamtkapitalist entlarvt, und fernab der Ambivalenzen beispielsweise der Regulationstheoretiker oder des kritischen Soziologen Bourdieu wurde auch der Sozialstaat nicht als »Errungenschaft der Kämpfe der Arbeiterklasse« sondern als Pazifizierung im Interesse reibungsloser Ausbeutung durchschaut [4]. Neue souveräne Nationalstaaten, wie sie dem Antiimperialismus vorschwebten, waren so auch nichts anderes als ein neues Kampfterrain der Ausbeutung.

Dennoch gibt es eine Indifferenz gegenüber Antisemitismus, die ihre Wurzeln in einem fehlenden Ideologiebegriff und einem zum reinen Prinzip erstarrten Klassenbegriff hat.

Einen ersten Vorschein, daß Wildcat ein kritischer Ideologie-Begriff fehlt, zeigte sich angesichts des Nach-Wiedervereinigungs-Rassismus in Deutschland. Wildcat wurde anläßlich der Pogrome 1991/92 kritisiert, der rassistischen Zusammenrottung in Mannheim/Schönau einen tendenziell in Richtung emanzipativer Rebellion wendbaren Kern zuzusprechen [5]. In der Tat wurde hier der Fehler der Narodnaja Wolja, der Stadtguerilla im vor-revolutionären Rußland, die ebenso die antisemitischen Pogrome als Verkürzungen und Sackgassen im revolutionären Kampf verharmloste, wiederholt. Mehr noch: die damalige Situation in Deutschland wurde falsch eingeschätzt und der rassistische Massenkonsens theoretisch nicht reflektiert. Das Abstellen auf eine Strategie der Spannung, den Zusammenhang von Zoff in den Betrieben und einer rassistischen Kanalisierung, der beispielsweise in Hoyerswerda zwischen den Kontraktarbeitern aus Angola und Mosambique und der LAUBAG-Werksleitung kurz vor dem Pogrom vorhanden war, führte oft dazu, den ideologischen Kern des rassistischen Massenbewußtseins zu vernachlässigen und sich stattdessen auf simple Verschwörungstheorien zurückzuziehen. Die Frage »riots von rechts?«, die in WC 60 (Oktober 92) gestellt wurde, mußte so als Verharmlosung der deutschen Verhältnisse interpretiert werden. Dennoch übersahen die Kritiker, daß gerade Wildcat im Gegensatz zu der Ideologisierung der 80er-riots durch die Autonomen keinen riot-Mythos pflegt. Das Festhalten an einem so manchem recht orthodox anmutenden Klassenbegriff hat davor geschützt, den riot als solchen als neues Paradigma der sozialen Revolution zu behaupten [6]. Gerade der riot lebt von dem Angriff auf Personifizierungen der Ausbeutung, wie es Mike Davis für L.A. 92 beschrieben hat: »Kulturell spezifische 'Zwischenhändler'-Gruppen laufen Gefahr, daß sie als Verkörperung der unsichtbaren Hand angesehen werden, die den örtlichen Communities ihre wirtschaftliche Autonomie entzogen hat. Im Fall von L.A. war es das koreanische Alkoholgeschäft an der Straßenecke, das als Symbol der verhaßten 'Neuen Weltordnung' gesehen wurde, und nicht die wolkenkratzenden Konzern-Festungen im Stadtzentrum.« [7] Deshalb kann Revolution auch nicht als Verallgemeinerung des riots gedacht werden. Quantität schlägt hier nicht in Qualität um.

Dennoch: bei einem riot lassen sich rückschrittliche, gewalttätige, reaktionäre Momente zurückdrängen, ein Pogrom ist Rückschrittlichkeit, Gewalt und Reaktion selbst. Entscheidend ist das Verhältnis zum Staat. Greift der riot Insignien des Staates an, und beweist damit seine im Kern kommunistische Tendenz, ist ein Pogrom ein kumpelhaftes Gespräch mit dem Staat. Während eines riots können Identitäten aufgelöst, neu definiert und praktisch hinterfragt werden, ein Pogrom ist der Endpunkt der wahnhaften Suche nach Identität. Schon deshalb ist der multiethnische riot von L.A. 92 nicht Deutschland 92.

IV.

Die Antisemitismus-Diskussion müsste aufmerksam machen auf Schwächen der nicht-traditionalistischen Klassenlinken, zu der auch Wildcat zählt. So ist im klassischen Operaismus nachwievor ein recht simples Bild vom Kapital vorherrschend, das Klassenkampf als Pingpong-Spiel oder als Ringkampf zwischen Arbeiterklasse und Kapitalisten darstellt. Es herrscht auch hier öfters Unklarheit über das Wesen des Kapitalverhältnis.

Personalisierung, kein Begriff von Ideologie und Fetischisierung (stattdessen die Manipulationshypothese), und ein geschichtsoptimistischer historischer Materialismus sind die größten Probleme der bei Wildcat vorherrschenden Vorstellungen über die Gesellschaft.

Dies ist vielleicht ein gemeinsames Erbe des Operaismus. Bereits die recht eigenwillige Grundrisse-Interpretation von Negri (Marx beyond Marx), lädt zu merkwürdigen Verkürzungen ein. Mit dem Statement »das Geld hat nur ein Gesicht, das des Chefs« soll propagandistisch dem Klassenhaß Nahrung gegeben werden. Das Drama des Fetischs Geld (auch in seiner Form als Lohnfetisch) wird dabei außer Acht gelassen und noch dazu einer militaristischen Personalisierung das Wort geredet. Auch wenn - typisch italienisch möchte man fast sagen und mit dem Antisemitismus unvereinbar - der Kapitalist selbst ins Fadenkreuz der praktischen Kritik genommen wird. Doch gerade der Haß auf das Geld und diejenigen, die es ohne zu rackern haben, war auch immer eine tragende Vorstellung des Antisemitismus. Der 'Unternehmer' wird dabei in der Vorstellung des nazistischen Antisemiten mit ins produktive Boot genommen:

»Die produktive Arbeit des Kapitalisten, ob er seine Profite mit dem Unternehmerlohn wie im Liberalismus oder im Direktorengehalt wie heute rechtfertigte, war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssytems überhaupt zudeckte. Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf den Juden. Er ist in der Tat der Sündenbock, nicht bloß für einzelne Manöver und Machinationen, sondern in dem umfassenden Sinn, daß ihm das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet wird. Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie sehen, was sie dafür kaufen können: der kleinste Magnat kann über ein Quantum von Diensten und Gütern verfügen wie kein Herrscher zuvor; die Arbeiter jedoch erhalten das sogenannte kulturelle Minimum. Nicht genug daran, daß sie am Markt erfahren, wie wenig Güter auf sie entfallen, preist der Verkäufer noch an, was sie sich nicht leisten können. Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt sich aus, was den Arbeitern vorenthalten wird. Mit dem Lohn nahmen sie zugleich das Prinzip der Entlohnung an. Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die anderen auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein. [8]

Viele Kategorien der kritischen Theorie und auch der dieser Beschreibung zugrundeliegende Begriff einer negativen Totalität können zurecht kritisiert werden [9], dennoch wird hier auf das Problem der Fetischisierung der Ausbeutungsverhältnisse aufmerksam gemacht und die Frage nach dem aus der kapitalistischen Vergesellschaftung resultierenden Bewußtsein aufgeworfen.

Die Kategorie des (Klassen-)Bewußtseins wurde mit gutem Grund von undogmatischen Klassenlinken abgelehnt, weil man leninistische an-sich/für-sich-Konstruktionen, die immer eine aufklärerische Partei zwischenschalten wollen, vermeiden wollte. Vom Operaismus wurde die Klassenbewußtseinskategorie recht halbherzig mit der Terminologie (technische und politische) Klassenzusammensetzung ersetzt. Dem Problem der Ideologie als »notwendig falsches Bewußtsein«, wie Marx schrieb oder auch als situationsbedingt richtiges, wie Althusser meinte ihn korrigieren zu müssen, muß sich dennoch gestellt werden. Sonst würde man sich in die unheilige Allianz derjenigen einreihen, die die Ausführungen von Marx zum Fetischismus lediglich als philosophisches Beiwerk abtun und nicht als Kern einer radikalen Kritik sämtlicher Formen der kapitalistischen Vergesellschaftung, Denkformen inbegriffen, erkennen. Gerade in klassenkampflosen Zeiten hilft eine Theorie, die als Reflexion auf den Klassenkampf selbst entstand, wenig weiter, weil ohne offenen Klassenkampf die totalisierende Bewegung des Kapitals sich auch im Bewußtsein zeigt; das Kapitalverhältnis sich auch ideologisch totalisiert und zusammenschnürt.

Der aktuell - wie bei Holzmann zu sehen - anzutreffende Haß auf die Banken und Spekulanten und der Korporatismus mit der Führungsetage, das Deutschlandlied auf den Lippen, zeigt, daß strukturell der Antisemitismus keineswegs verschwunden ist und sich nicht allein in Form der Friedhofschändungen zeigt.

V.

Der reale Geschichtsverlauf hat auch die dem historischen Materialismus und dem Marxismus zu Grunde liegenden Annahmen nicht bestätigt, sondern beispielsweise in Hinblick auf die Klassen-Frage mit dem 1. Weltkrieg und der Nationalisierung der Arbeiterklassen eher widerlegt. Das Band zwischen der Klassenkategorie als aufgrund der Ausbeutungsstruktur vorhandene einerseits und als revolutionstheoretische Kategorie andererseits scheint zerrissen zu sein: »Klasse« kann man offensichtlich nur noch als objektives Faktum, nicht mehr als subjektive, zur Revolution drängende Bewegung fassen. Da »Klasse« in revolutionstheoretischer Absicht nur global gedacht Sinn macht, stellt sich die Frage, ob man in dieser Weise heute von Klasse sprechen kann. [10] Gegen 1914 hatte 1917 rebelliert und unterlag, die Nationalisierung der Massen war der größte Hemmschuh einer weltweiten Revolution. Gerade die Entwicklung des Zionismus, der als bloß bürgerliches Projekt keine Zukunft gehabt hätte, sondern seine Kraft aus proletarischer Energie zog, und die Entstehung eines Arbeiter-Antisemitismus belegen die Grenzen eines internationalistischen Klassenbegriffs sehr deutlich. Der Zionismus war eine nationale Befreiungsbewegung mit sozialistischen Hoffnungen, die aufgrund der zerschlagenen Klassensolidarität entstand.

»Der sozialistische Zionismus (Anfang dieses Jahrhunderts) fand schnell großen Zulauf in der osteuropäischen Gemeinde, weil er den jüdischen Proletariern einen politischen Ausweg anbot, der auf der Hand zu liegen schien und in ihrem sozialistischen Bewußtsein auf Widerhall stieß. Die Juden Osteuropas bildeten die bei weitem größten Bataillone, während die sozialistischen zionistischen Parteien bald die vollkommene politische Hegemonie über die zionistische Weltorganisation erwarben. (...) Die Marxisten hatten leichtes Spiel, den sozialistischen Zionismus als ideologische Abweichung anzuprangern. Das Problem war jedoch nicht rein ideologischer Natur: die jüdischen Proletarier stießen auf die strukturelle Unmöglichkeit, sich in die europäischen Kämpfe einzureihen. Da die Internationalisten dies nicht verstanden und die Lage der proletarischen Juden abstrakt betrachteten, konnten sie ihnen auch nicht aus der Klemme helfen. Bekanntlich leistete die Zweite Internationale kaum Widerstand gegen die Ausschluß-Politik der polnischen Gewerkschaften gegenüber den jüdischen Proletariern. Und die österreichische Sozialdemokratie zeigte sogar großen Gefallen am 'volkstümlichen' Antisemitismus. Dieses Scheitern des proletarischen Internationalismus öffnete den Weg für die sozialistische zionistische Lösung. Die Errichtung des Staates Israel ist die direkte Folge des Scheiterns des proletarischen Internationalismus in Europa.« [11]

Dieses Scheitern des proletarischen Internationalismus, das hier hinsichtlich der Entstehung des Zionismus beschrieben wird, hatte 1914 seinen Höhepunkt erreicht. 1914 und 1933/39 stehen für die Auflösung einer antagonistischen Klassengesellschaft und leiteten das Ende der bisherigen revolutionären Theorie über diese Gesellschaft ein. So waren die Rätekommunisten Anton Pannekoek und Paul Mattick in ihren Ausführungen zur Krisentheorie noch in den 20er und 30er Jahren vom Glauben beseelt, daß die subjektiven und objektiven Faktoren der kapitalistischen Krise zusammenfallen müssen, die Arbeiter also die Revolution machen, wenn es ihnen stegig schlechter geht. Diese Auffassung blamierte sich an den Folgen von 1929.

Auch nach 1945 reflektierten Linksradikalismus und Rätekommunismus nie kritisch auf Auschwitz. [12] Innerhalb linksradikaler Gruppen herrscht immer noch das Unvermögen vor, Auschwitz einen systematischen Ort in der Reflexion auf die kapitalistische Gesellschaft zu geben. Auch bei Wildcat. Jahrelang war die bevölkerungspolitische »Erklärung« der Massenvernichtung Standard. Doch die von Susanne Heim und Götz Aly vorgelegten Erkenntnisse über die Rolle der Großraumplaner und Bevölkerungstrategen bleiben bestimmten Fragen Antworten schuldig. Ich kann hier nur einiges anreißen. Der NS und seine Vernichtungspolitik hat mit den bürgerlichen Kategorien von rational/irrational aufgeräumt. Auschwitz war beides und doch nichts von beidem. Der Antisemitismus war konstitutiv für den NS als Bewegung und konnte die »antikapitalistischen Sehnsüchte« der krisengebeutelten Kleinbürger bedienen [13]. Der zentralistische NS-Staat und die Rolle der Bürokratie sind allerdings konstitutiv für Auschwitz. Der NS faßte beides, sowohl das Bewegungsmoment als auch das Statisch-Staatliche, zusammen: die antisemitische Leidenschaft, für die sich Goldhagen interessiert, und die bürokratischen Abläufe, die von Adorno/Horkheimer als »instrumentelle Vernunft« oder weitaus schwächer von Zygmunt Baumann in seiner Kritik der Moderne thematisiert wurden.

Generell kann der NS als ein System gesehen werden, das die Klassenverhältnisse moderierte, der Antisemitismus spielte dabei eine bedeutende Rolle. Der Nationalsozialismus der Jahre 1934-45 war die letzte Zuflucht des Kapitals in Deutschland, das die militär-keynesianische Variante der Stabilisierung und Mehrwertabpressung über Kriegswirtschaft und Expansionismus als Krisenlösung favorisierte, wobei der NS-Staat als realer Gesamtkapitalist auch gegen gewisse Interessen von Einzelkapitalen zu Gunsten der Reproduktion des Gesamtsystems verstieß.

Viele an Marx' Begriff des notwendig falschen Bewußtseins anknüpfende Erklärungen von Auschwitz wirken konstruiert. Beispielsweise Postones Versuch, aus der Warenform selbst die Vernichtung abzuleiten. Der verhasste Tauschwert sei im Juden personifiziert worden, die konkrete, gute deutsche Arbeit sei gebrauchswerthaft wahrgenommen worden. Die Vernichtung der Juden stelle demnach eine verkürzte antikapitalistische Revolte gegen den unfassbaren Wert dar. Im Gegensatz zu Postones Theorie, die im Nationalsozialismus romantizistischen »Antikapitalismus« ausgemacht haben will, faßt Enderwitz in »Antisemitismus und Volksstaat« den Nationalsozialismus folgendermaßen zusammen: »Von Staats wegen prätendiert wird ein Sozialismus im Dienste des Kapitals«. [14] Dadurch betritt ein Hauptakteur die Bühne, der von Postone beflissentlich unter den Teppich gekehrt wird: der militär-keynesianische Staat, der die deutsche Gesellschaft als Organisator der Verwertung total zu formieren trachtete. Wird dieser jedoch unterschlagen, so fehlt ein wesentliches Moment, das zu Auschwitz führte. Der NS-Staat trug beide Abgrenzungsmuster des Bürgers in sich, die er zur Vernichtungspraxis radikalisierte: Die rassistische Abgrenzung vom »Unwerten« und die antisemitische Abgrenzung vom unfaßbar Abstrakten. Außerdem konnte er über die Beute- und Raubzugsversprechungen eine soziale Perspektive für die Deutschen anbieten. Die »eliminatorische« Qualität des deutschen Antisemitismus - der Goldhagens Interesse gilt - erhielt dieser erst, als der Vernichtungswille zur Staatsräson wurde.

Der Nationalsozialismus war eine spezifisch deutsche, aus der Krise des Kapitals geborene Vermittlungsform zwischen Kapital und subalternen Klassen über den Staat.

Die Vorgeschichte des Verhältnisses der die NS-Ideologie affirmierenden und tragenden unteren Schichten zu Staat und Kapital, sowie das Verhältnis beider letztgenannten wird von Enderwitz folgendermaßen beschrieben: die preußisch-deutsche Staatsbürokratie habe sich wie keine andere schon im 19.Jahrhundert zur Treuhänderin von Kapital und Arbeit gemacht. So kann Enderwitz erklären, warum gerade in Deutschland die Wandlung vom Volks- zum Führerstaat mit mörderischem Antisemitismus unter dem Druck der Krise erfolgte.

Erst der NS-Staat, der in seiner Funktion als Propagandist und nicht nur ideellem, sondern vielmehr realem Gesamtkapitalisten des NS-Keynesianismus ab 1933 total die Gesellschaft beherrschte, konnte den herrschaftlichen Wunsch der konformistisch revoltierenden Subjekte einlösen und die einzigartige Tat begehen, in der deutschen Nation Kapital und Arbeit dadurch zusammenzuführen, indem die als »unwert« Definierten vernichtet werden sollten, während der deutsche Arbeiter zum »Vorarbeiter Europas« innerhalb des NS-Großraums geadelt wurde. Die Juden hatten die besondere Stellung, daß sie als »Luftmenschen« und »Zersetzer« die abstrakte Seite des Kapitalverhältnisses repräsentieren sollten. Insofern war Auschwitz tatsächlich »die wirkliche 'Deutsche Revolution' - die wirkliche Schein-'Umwälzung' der bestehenden Gesellschaftsformation«, wie Postone schreibt. Die historische »Leistung« des NS war die Konstitution eines so kapitalistischen wie rassistischen Gemeinwesens, das den Klassenkampf liquidierte und einte, indem es ausgrenzte und vernichtete.

Resümee:

Die Diskussionen um die antisemitischen Implikationen des antiimperialistisch-antizionistischen Weltbildes haben gezeigt, daß der Abschied von der Analyse von Klassenbeziehungen und Ausbeutungsstrukturen die Linke nur an die Seite eines staatlichen oder para-staatlichen Gebildes führt.

In der historischen und logischen Perspektive macht allerdings ein zum reinen Prinzip erstarrtes Festhalten am Klassenbegriff wenig Sinn, wo sich Klasse nicht mehr als solche verhält. Kommunisten haben auf die vor sich gehende Bewegung zu reflektieren. Das heißt aber auch, daß sich nach Auschwitz die bisherigen Koordinaten der Gesellschaftskritik verschoben haben. Der Massenmord an den Juden beraubte die Gesellschaft ihrer Begreifbarkeit in den klassischen Kategorien der Gesellschaftskritik, also auch der Klassenkategorie. Ideologie und Bewußtseinsformen, die reale Praxis werden und sind, müssen materialistisch untersucht und kritisiert werden. Darunter ist ein kritischer Materialismus nicht zu haben.

H. / Freiburg


Fußnoten:

[1] Hierfür hat Mario Keßler wertvolles Material geliefert: Antisemitismus, Zionismus und Sozialismus. Arbeiterbewegung und jüdische Frage im 20. Jahrhundert, Main 1993

[2] Die Staatsorientierung der Existenzgeld-Forderung wurde hier ja auch an anderer Stelle ausführlich kritisiert, dennoch ist gerade die pragmatische Forderung nach mehr Geld und die demonstrativ anti-produktivistische Stoßrichtung der Existenzgeld-Forderer eine Position, die sich mit Antisemitismus gerade sehr wenig verträgt. Ebenso ist die Treffsicherheit, mit der die kurdische Führung ihre Leute zur israelischen Botschaft dirigiert, auf dem Hintergrund antisemitischer Positionen innerhalb der kurdischen Nationalbewegung nicht bloß solidarisch zu kritisieren, sondern zu denunzieren. Der fehlende Humanismus allerdings, sich über tödliche Kugeln im Rücken demonstrierender Kurden nicht mehr empören zu können und stattdessen linke (?) zero tolerance und mehr deutsche Bullen vor israelischen Botschaften einzuklagen, ist nur Ausdruck der auf den Hund gekommenen Rest-Linken (vgl. jungle world 47/99 und 50/99).

[3] Zwei Beispiele rätekommunistischer Kritik seien genannt: Cajo Brendel, Thesen über die chinesische Revolution, Hamburg 1977 oder Bob Potter (von der englischen rätekommunistischen Gruppe Solidarity), Vietnam Superstar. Sieg für wen?, Berlin 1975.

[4] Vgl.: »Wie der Sozialstaat den Klassenkampf in Arbeiterbewegung verwandelt«, WC Nr.61/1993.

[5] Vgl.: beispielsweise: »Feuer und Flamme für diesen Staat! Rebellion von ganz rechts unten? Zu den Problemen des autonomen Politikverständnisses am Beispiel der rassistischen 'riots' von rechts gegen Asylbewerberunterkünfte«, in: Spezial Nr.88 Januar/Februar 1993; auch in der Ankündigung einer Arbeitsgruppe auf dem bahamas-Kongreß »Eine antideutsche Bilanz« mußte dies wider bessern Wissens aufgekocht werden. In diesen Kreisen hat man es offensichtlich nötig, abermals beweisen zu müssen, daß man sich einer Gemeinde, die fieberhaft an einer hieb- und stichfesten Ableitung des Rassismusbegriffs aus dem Kapitalverhältnis arbeitet, näher fühlt als den theoretisch nicht sonderlich sattelfesten Flugblattverteilern, die sich immerhin ins Handgemenge der damals keineswegs angenehmen Schönau begeben.

[6] In Wildcat Nr. 56/Juli/August 91 wurde auch über die antisemitische Agitation moslemischer Gruppen unter revoltierenden Jugendlichen der französischen Vorstädte berichtet.

[7] ak 344, 1.Juli 1992

[8] Adorno/Horkheimer, Elemente des Antisemitismus, in: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1969.

[9] Woher beispielsweise der Kurzschluß kommt, es gäbe eine Akzeptanz des Prinzips der Entlohnung durch die Arbeiterklasse aufgrund der Abhängigkeit vom Lohn, müßte gefragt werden. Die Sartresche Kategorie der Totalisierung wäre der recht aussichtslosen und geschichtspessimistischen Totalitätskategorie der kritischen Theorie ebenso vorzuziehen, sie läßt wenigstens noch den nötigen Raum für die Revolte und die Weigerung auch in der Produktion selbst (auch die Kategorie der Verantwortung kann so stärker zur Geltung kommen).

[10] Das Problem der weltweiten Ungleichzeitigkeit verschwindet zwar mit der weltweiten Proletarisierung, doch der Adressat der Kämpfe ist mehr denn je der Staat, eine neue Internationale (weder als organisatorisches Projekt, noch als qualitative Gleichzeitigkeit des Kampfes) ist nicht zu sehen.

[11] Le Brice-Glace, Der Zionismus. Mißgeburt der Arbeiterbewegung, TheKLa 14. Dies ist die einzig angemessene Kritik des Zionismus als nationale Befreiungsbewegung, die mir bekannt ist, weil sie die Voraussetzungen mitdenkt. Während die Linke zu Golfkriegszeiten ihren Suchfindungsprozeß zwischen »Bellizismus« oder »Pazifismus/Antiimperialismus«, Antizionismus oder Philosemitismus, »Pro- oder Contra-Israel« inszinierte, wurde von Wildcat in der TheKla-Reihe dieser herausragende Text herausgegeben, der von der Linken kaum beachtet wurde.

[12] Die bordigistische Linke hat dies nur in agitatorischer Hinsicht gemacht. Auschwitz selbst wird zu einem Völkermord unter vielen erklärt. Die Schwierigkeit der bordigistischen Linken, einige Ultralinke, die in das rechte Lager der Negationisten gewechselt sind, angemessen zu kritisieren, hat ihren Grund darin, daß auch den französischen Bordigisten die Herausstellung der Einmaligkeit des NS und der Vernichtungspolitik als eine Apologie der bürgerlichen Gesellschaft erscheint. Eine Reflexion auf die Barbarei hätte darüberhinaus auch die geschichtsoptimistische Behauptung einer erst kapitalistischen, dann im Umschlag kommunistischen Aufstiegsgeschichte schmälern können. Vgl. auch die Kritik an Gilles Dauvé von T./Freiburg, Gedanken zu Gilles Dauvé »Kommunismus und Kapitalismus«, WC-Zirkular Nr.54.

[13] Vgl.: Moishe Postone, Antisemitismus und Nationalsozialismus, in: diskus-Texte der Neuen Linken, Berlin 92. Trotz seiner generalisierten, ableitungstheoretischen Bestimmung des Antisemitismus aus der Warenform und einer Ignoranz gegenüber der Rolle des Staates wird hier die »antikapitalistische« Rebellion als romantizistischer Reflex gegen das Abstrakte, gegen die Börse, im Namen einer hypostasierten konkreten Arbeit richtig beschrieben.

[14] Ulrich Enderwitz, Antisemitismus und Volksstaat, Freiburg 1991.


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