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07.01.2018

Tarifkampagne im Krankenhaus

Das folgende ist eine stark gekürzte Version eines Artikels aus der Wildcat 101 zur aktuellen ver.di-Kampagne im Krankenhaus (aka »weiße Fabrik«).

Pflegeakkord nach Tarif

In den 70er Jahren kämpfte die »Gesundheitsbewegung« gegen eine krank-machende Gesellschaft und für ein besseres Leben. Eine radikalere Strömung sah Krankheit nicht nur als Resultat, sondern auch als Voraussetzung kapitalistischer Verwertung und prägte die Parole »aus der Krankheit eine Waffe machen« (SPK).

Ein Wendepunkt waren die Gesundheitstage 1981 in Berlin. Die mehr als 10 000 TeilnehmerInnen diskutierten über Alternativmedizin – der Beginn eines neuen Marktes und der Abschied von einer gemeinsamen Perspektive.

»Pflegenotstand« 1 – als widersprüchliche, aber erfolgreiche Bewegung

Seit Mitte der 1980er Jahre entwickelte sich in Europa eine Bewegung der Krankenschwestern – die Ende der 80er in der BRD als Bewegung gegen den Pflegenotstand ankam. Es gab Kundgebungen mit bis zu 100 000 Leuten. In vielen Städten versammelten sich monatelang jeweils mehr als hundert KrankenpflegerInnen und diskutierten über den Widerspruch zwischen dem Inhalt ihrer Arbeit und deren Bedingungen im kapitalistischen Krankenhaus. Auf überregionalen Treffen tauschte man sich aus. Eine Strömung setzte am Wohl des Patienten an, sie wollte bessere Pflege und keine »berufsfremden Tätigkeiten«, entsprechend forderten sie »Anerkennung der Qualifikation« und »Aufwertung des Berufsbilds«. Eine andere versuchte ausgehend von den eigenen Bedürfnissen als ArbeiterIn die allgemeinen Bedingungen im Krankenhaus und in der kapitalistischen Gesellschaft zu thematisieren (»Weiße Fabrik«).

Die finanzielle Aufwertung der Pflegearbeit nach der Bewegung Ende der 80er Jahre ist mit der »Umpflügung des Krankenhaussektors« umgesetzt worden. Damit wurde die zweite Front von damals (Kampf gegen die »Weiße Fabrik«) unterlaufen.

Dass wir an der Frage »Wie streiken?« nicht weitergekommen sind (es gab viele Aktionen außerhalb, aber keinen einzigen Streik im Krankenhaus), gab der Gewerkschaft die Möglichkeit, mit Warnstreiks im Herbst 1989 die Initiative wieder zu erlangen. »500 DM mehr für alle« hatten wir gefordert. Bekommen haben wir einen komplizierten Tarifvertrag, der je nach Tätigkeit, Berufserfahrung, Schichtplan usw. den Lohn erhöhte. Das setzt sich bis heute fort in einer immer weiteren Unterschichtung der Belegschaft und der Ausdifferenzierung der Kliniken.

Die qualifizierten KrankenpflegerInnen hatten allerdings die geforderten 500 Mark mehr Lohn innerhalb weniger Jahre erreicht. Ihre Löhne sind relativ gut, aber überhaupt nicht einheitlich.

In der heute stark aufgesplitterten Kliniklandschaft wird der Fachbereich 3 Gesundheit/Sozialwesen von ver.di zunehmend zum Konfliktschwerpunkt: Zwischen 2009 und 2013 fanden hier mehr als 220 der insgesamt 880 Auseinandersetzungen statt.

Die Industrialisierung des Gesundheitssystems

Im europäischen Vergleich liegt die BRD beim Verhältnis Krankenhausbetten pro Einwohner vorne, noch stärker bei den Krankenhausfällen pro Einwohner. Krankenkassen und Politik wollen die Anzahl der Betten und der Krankenhäuser reduzieren. Das muss aber jedesmal politisch durchgesetzt werden. Mit der Einführung der Fallpauschalen sollte »der Markt« dieses Problem lösen. Die Krankenhäuser hatten in der Folge zwei Optionen: Fallzahlen erhöhen und/oder Kosten senken.

Im Oktober 2017 schreckte die Stiftung Patientensicherheit mit neuen Zahlen auf: ein Drittel mehr »Krankenhausfälle« seit Beginn der 90er, eine um 50 Prozent reduzierte »Verweildauer«, viel mehr Ärzte – aber die Zahl der Pflegekräfte ist in etwa gleich geblieben. Ihre Arbeit wurde durch gestiegene »Fallzahlen« bei gesunkener »Verweildauer« enorm verdichtet. Die Folgen für die Patienten: mangelnde Hygiene (Keime), Mangel- und Unterversorgung, unnötige Sterbefälle.

Deshalb versucht nun »die Zivilgesellschaft« (Patientenverbände, Teile »der Politik«, Teile der Ärzteverbände, »die Öffentlichkeit«…) eine untere Auffanglinie einzuziehen – nichts anderes ist die Forderung nach einer »Mindestbesetzung« in den Kliniken.

Mit dem erhöhten »Durchlauf durch die Betten« wurde nicht nur die Arbeit verdichtet, sondern auch die Arbeitsteilung verändert. Vor 20 Jahren hatte eine durchschnittliche Schicht noch eine Stunde Luft – die einen tranken Kaffee, die anderen widmeten sich den Patienten, Gesprächen mit den KollegInnen, oder beidem. Heute sind diese Nischen weg, wir haben eine immer extremere Arbeitsteilung für »zuarbeitende Tätigkeiten«, und die PflegerInnen sind gestresst, weil sie fast die ganze Schicht konzentriert am Pflege-/Behandlungsplan arbeiten müssen.

Pflegenotstand 2 – als Farce

Die Charité in Berlin blieb 2015 mit ihrem Kampf für mehr Personal ziemlich alleine. Das Vorbild des Charité-Streiks hat aber in einigen Kliniken den Druck auf die Gewerkschaft erhöht. Obwohl es innerhalb ver.di bis heute umstritten ist, ob man das mit Streiks oder nur mit einer gesetzlichen Regelung erreichen kann, sollte es 2017 ein offensiveres Vorgehen geben. Aber im Verlauf des Jahres hat ver.di die Strategie dieser »Entlastungskampagne« mehrmals von oben geändert. Letztlich ist ihnen eine (Streik-)Mobilisierung der einzelnen Krankenhäuser zu teuer und riskant. Warnstreiks vor und nach den Bundestagswahlen sollten Druck machen, um von »der Politik« eine gesetzliche Mindestregelung zu bekommen. Entsprechend mau waren die Mobilisierungen (und für eine gesetzliche Regelung fehlt nach dem Scheitern von »Jamaika« bisher der Ansprechpartner).

Ende September 2017 wurde wiederum nur in der Charité in Berlin gestreikt; in den Berliner Vivantes-Kliniken bremste ver.di. Später gab's in einigen Krankenhäusern ein- bis zweitägige Warnstreiks. Im Oktober wurde die anvisierte zweite Streikwoche bei der Charité ausgesetzt…

Diese an- und ausgeknipsten Mobilisierungen fordern viel persönlichen Einsatz. Alle fragen sich, warum es noch keine richtigen Streiks gibt. Sie hätten breite Unterstützung.

In Berlin hatten die »Tarifberater« 2015 im Charité-Streik zur Dynamik des Konflikts beigetragen – 2017 hatten sie das Gefühl, nur »weiter oben« bereits gefasste Beschlüsse weiterzuleiten. In Stuttgart hatten sich zum Auftakt der Entlastungskampagne Ende 2016 schnell eine halbe Hundertschaft TarifberaterInnen zusammengefunden – im Lauf des Jahres schrumpfte die Zahl um den Faktor 10, weil ihnen niemand die Kampagne erklären konnte.1

Die »UnterstützerInnen-Bündnisse« in den Städten sind nicht mal eine Andeutung der Sprengkraft, die in der Mobilisierung von GesundheitsarbeiterInnen und ihren PatientInnen liegen könnte. Der Zusammenhang von Krankheit und Kapitalismus könnte ein gewaltiger Hebel sein. Bislang laufen aber gewerkschaftliche Mobilisierungen und die Diskussionen um ein »solidarisches Gesundheitswesen« nebeneinanderher. Das eine stellt die Umstrukturierung nicht in Frage, und das andere bleibt eine ungefährliche, ideologische Utopie.

Laut zuständigem ver.di-Sekretär will ver.di die Kampagne an den Unikliniken bis Februar abschließen. Es werde keinen Erzwingungsstreik geben, höchstens ein, zwei Warnstreiktage. Bei den Amperkliniken in Dachau hat ver.di die »Entlastungsrunde« beendet – gegen die Ankündigung des Unternehmers, den TVÖD zu übernehmen. An der Charité will ver.di »bis März« wieder aktiver werden. Die strukturellen Zwänge ver.dis (Mitgliederschwund und Pöstchenangst, hauptamtliche Gewerkschaftsprofis in hierarchischen Strukturen) führen zum Spagat aus einer Kampagne mit angezogener Handbremse und der propagandistischen Behauptung einer breiten Mobilisierung. Im Ergebnis benutzt die Gewerkschaft unsere Probleme, um mehr Mitglieder zu bekommen. Wenn wir das nicht sprengen, vor allem die Beschränkung auf die PflegerInnen, dann wird auch der nächste Tarifvertrag die »Weiße Fabrik« weiter perfektionieren.

Die große Unbekannte sind die KrankenpflegerInnen selber.

Die Belegschaften sind gespalten, und die aktiven KollegInnen schimpfen über den Rest. Ältere KollegInnen wurschteln sich mit ihrer Idee von »besserer Pflege« zur Rente durch. Jüngere KollegInnen fühlen sich gut ausgebildet, haben eher ein »Facharbeiterbewusstsein« (»seine« Arbeit gut machen können) und praktizieren ein »Mehr vom Gleichen«: noch öfter den Job wechseln; die Arbeitszeit reduzieren und mit einem Zweitjob mehr verdienen; es gibt einen Trend »weg vom Bett« hin zu Ambulanzen oder in neue Studiengänge; andere machen sich selbstständig oder wechseln in neu geschaffene Pools mit besonderen Schichtmodellen. Alles Verhaltensweisen, die die Vereinzelung stärken.

Wir haben noch kein Mittel gegen die interne Umstrukturierung und externe Neuausrichtung der Rahmenbedingungen gefunden.

Und jetzt?

Vier Punkte...

Aus der Mobilisierung der 1980er Jahre können wir lernen. Wir können nur was reißen, wenn wir
1. die einzelne Abteilung, 2. das einzelne Krankenhaus, 3. die »Berufsgrenze« überwinden.
4. müssen wir die Widersprüche dieser konkreten Arbeit anpacken. »Bessere Pflege« in einem immer unmenschlicheren System zu fordern, hat immer auch die Möglichkeit eröffnet, diese Widersprüche mit neuen Spaltungen zu »lösen«.

Nach 20 Jahren »Rollback« ist das viel, aber ohne Veränderungsdynamik keine Mobilisierungsdynamik! Egalitarismus ist dabei zentral. Bisher ist er nur utopisches Ziel in den Debatten um ein zukünftiges Gesundheitswesen. Er muss Mittel und Werkzeug des Kampfes werden. Nur so werden wir »streikfähig«.

Das objektive Streikproblem, dass unser »Arbeitsmaterial« Menschen sind, können wir nur knacken, wenn wir die »Weiße Fabrik« als Fabrik bestreiken; wenn wir lernen, unsere Zusammenarbeit gemeinsam umzudrehen. Nur wir wissen, wie wir den Krankenhausbetrieb trotz aller Überlastung und Unterbesetzung aufrechterhalten. Also wissen auch nur wir, wie wir ihn blockieren können und die PatientInnen trotzdem versorgt werden!

Wir müssen eigene Erfahrungen machen. Dazu können wir nicht auf »Mehrheiten« warten, sondern müssen diese Fragen in der jetzigen Mobilisierung aufwerfen, indem wir sie mit allen KollegInnen – nicht nur mit PflegerInnen! – diskutieren. Da wird auch mal gestritten; Verhaltensweisen ändern sich nicht von alleine.

Um einen Schritt weiter zu kommen, müssen wir vielleicht einen Schritt zurückgehen und eine gemeinsame Bestandsaufnahme machen. Zudem brauchen wir regionale Stammtische und überregionale Strukturen. Schon gibt es Befürchtungen, es werde lange Zeit wieder »still sein«, wenn jetzt nichts erreicht wird. Aber aber der jahrelange »Rollback« ist nicht mit einem Streich zunichte zu machen.

Still wird es nur dann, wenn sich bei den KollegInnen Frust breit macht. Und die strukturellen Grenzen der Gewerkschaft sind nicht unsere.

... und der fünfte!

Die Bewegung in der zweiten Hälfte der 80er war international. Die Mobilisierungen in England, Italien, besonders Frankreich, waren Vorbilder.

Auch heute können wir von ihnen lernen. In Frankreich gab es Ende 2016 in Tarpes einen konsequent geführten Streik gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Die Klinik wurde blockiert, auch die Verwaltungs-/EDV Abteilung. Die Ziele wurden weitgehend durchgesetzt. In Spanien, Italien und Griechenland gibt es seit Jahren Kämpfe gegen den Abbau von Versorgungsstrukturen, z. B. La Marea Blanca in Spanien. In Griechenland musste in der Krise versucht werden, die Versorgung aufrechtzuerhalten; dabei sind auch neue, selbstorganisierte Strukturen entstanden.

In England gab es einen wichtigen Streik outgesourcter ArbeiterInnen. Dort ist das Gesundheitswesen so am Boden, dass Krankenhäuser einen »schwarzen Alarm« ausgerufen haben, weil Kapazitäten für Notfallpatienten fehlen.

In Kenia haben Krankenschwestern gegen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen gestreikt, viele Krankenhäuser waren blockiert. Streiks gibt es auch in den USA.

Noch wissen wir zu wenig über diese Kämpfe, aber internationale Diskussionen bringen uns weiter als Wahlen oder das Verstecken hinter Überlastungszahlen.

Fußnote:

[1] »TarifberaterIn«, an manchen Orten »Teamdelegierte«, werden von ver.di und den linken UnterstützerInnen als Modernisierung und Demokratisierung der gewerkschaftlichen Streikkultur verkauft. Tatsächlich ist meist jede/r der auf Kampagnentreffen (= Teamdelegiertentreffen) kommt und sich auf einer Liste einträgt, Teamdelegierte/r. Zumindest in Freiburg gibt es keinerlei Legitimation durch die Beschäftigten – die dieses Arrangement aber auch nicht in Frage stellen. Alle grundsätzlichen Entscheidungen sind »weiter oben« schon gefallen, den »Tarifberatern« bleibt meist nur ein »Ausführungsspielraum« beim Weiterleiten an die KollegInnen.

 
 
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