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Stand: 22.05.2005 [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]





Steve Wright: »Den Himmel stürmen«
Besprechung


Sergio Bologna

Der Operaismus als Objekt der historischen Forschung

in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts.
Heft 3. 2003. Bern: Peter Lang, 2003. S. 132-147
 

SEIT einem Jahrzehnt weckt die Geschichte der Protestbewegungen und der sozialen Kämpfe in den europäischen Ländern der siebziger Jahre kein politisches Interesse mehr. Die new economy hat die Kommunikationsstrukturen und Arbeitsverhältnisse radikal verändert. Ihre Manifestationsformen finden weitaus mehr Beachtung, sei es von Bewunderern oder Kritikern. Die new economy - auch Postfordismus genannt - bewirkte einen derartigen Bruch mit der Vergangenheit, dass das Bild des vorherigen Zyklus dadurch verdrängt oder verzerrt wurde.

Es gibt jedoch eine Ausnahme von dieser allgemeinen Tendenz. In Italien hat die Kritik am Postfordismus nicht nur bei den stark ethisch-religiös geprägten jungen Bewegungen der Globalisierungsgegner, sondern auch bei der viel älteren Bewegung der »centri sociali« eine wichtige Rolle gespielt. Diese selbstverwalteten Jugendinitiativen hatten seit Beginn der neunziger Jahre eine Widerstandsstrategie gegen die Entsolidarisierungstendenzen der postfordistischen Produktionsweise entwickelt und waren dabei durch die Analysen einiger Intellektueller der vor-68er und 68er Generation unterstützt worden. Es bildete sich ein schmales und prekäres Bündnis zwischen den Generationen, das der Verdrängung der Geschichte eine Grenze setzte. Die sozialen Auseinandersetzungen der sechziger und siebziger Jahre wurden dabei weder idealisiert noch mythisiert. Das Gefühl von »Tradition«, vor allem von theoretischer Tradition, blieb so einigermaßen intakt. [1]

Diese Intellektuellen hatten unter harten Repressionsmaßnahmen zu leiden, sie wurden interniert oder mussten ins Exil gehen. Als politische Emigranten hatten sie in den Zufluchtsländern neue Kontakte aufgebaut. So war bei einigen jugendlichen Aktivisten der neuen Generation in Italien und im Ausland ein gewisses Interesse an der Geschichte dieser Intellektuellen entstanden: Nicht an der Geschichte ihres individuellen Lebens, sondern an der Entstehung und Entfaltung einer kollektiven Denkungsart.

Die Gruppe dieser Intellektuellen hatte gemeinsam ihre politische Motivation darin gefunden, dass sie sich auf die Kommunikations- und Erfahrungsprozesse der Arbeiterklasse in den Großbetrieben während der sechziger Jahre einließ. Sie hatte damit ein ehrgeiziges Ziel verbunden: Die Neubegründung eines radikalen antikapitalistischen Denkens, das über die kommunistische Weltanschauung hinaus strebte und eine Neuinterpretation von Marx versuchte, um auch über Marx hinaus zu gelangen. Sie sammelte sich um die Redaktion der Zeitschrift »Classe Operaia« (Arbeiterklasse). Daher wurden sie »Operaisten« genannt: Anhänger einer emanzipatorischen Programmatik, die sich an den Arbeitern ihrer Epoche orientierte, die durch die fordistisch-tayloristische Massenproduktion geprägt war.

Zusammen mit den Betroffenen, den Massenarbeitern, versuchten sie aus der Dynamik der fordistischen Ausbeutungsmethoden eine Dynamik der Befreiung zu entziffern, als ob der »Wissenschaftlichen Betriebsführung« Frederick W. Taylors eine unorthodoxe, wissenschaftlich fundierte Befreiungsmethode entgegengesetzt werden konnte. Dies klingt abstrus und banal. Der italienische Operaismus hat tatsächlich versucht, aus dieser Banalität - der Banalität der Utopie - eine politische Theorie zu begründen. Er hat analytische Instrumente geschaffen, um die Gegenwart besser zu verstehen, um sich gegen die drohende Ausrottung der Menschen und ihrer Umwelt wirksam zur Wehr zu setzen. Solche Instrumente werden auch heute gebraucht, in einer Epoche, in der die Kontrolle über Information und Wissen viel raffinierter und umfassender als während der fordistischen Ära ist.

Forscher der jungen Generation, die sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen wollen, sind mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert. Kein Mitglied der Gründungsgruppe des Operaismus hat versucht, seine eigene Geschichte zu schreiben oder die Geschichte seiner kollektiven Erfahrung festzuhalten. Nur wenige haben persönliche Zeugnisse zu Papier gebracht. Trotzdem gibt es natürlich eine Geschichte des Operaismus, genauer gesagt eine Geschichte der außerparlamentarischen Gruppe »Potere Operaio« (Arbeitermacht): Diejenige, die Polizei und Richter bei ihren Ermittlungsverfahren und in ihren Gerichtsurteilen geschrieben haben.

Dass keiner der unmittelbar Betroffenen seine »Erinnerungen« geschrieben hat, lässt sich aus verschiedenen Gründen erklären. Erstens: Trotz der gemeinsamen Matrix ist jeder seinen eigenen Weg gegangen, und diese Wege gingen weit auseinander. Zweitens: Wer über seine eigene Geschichte schreibt, setzt seine eigene Person in den Mittelpunkt und kann sich kaum vor der Tendenz zur Selbstrechtfertigung bewahren. Aber auch für diejenigen, die sich auf die Spurensuche begaben, waren die individuellen Wege der Betroffenen uninteressant. Auch sie haben glücklicherweise mehr Interesse für die theoretische Arbeit gezeigt. Sie fragen nach der Aktualität dieser Theorie. Sind die theoretischen Ansätze des Operaismus noch aussagekräftig? Kann man aus ihnen noch etwas für die Analyse der heutigen Verhältnisse lernen? Taugen diese Ansätze noch für eine emanzipatorische Theorie und Praxis der Gegenwart?

Hinzu kommen einige spezifische Voraussetzungen, die glücklicherweise eine Annäherung an die Geschichte des Operaismus ermöglichen:

a) Die von einer »Generation der Mitte« in den achtziger und neunziger Jahren betriebene theoretische Arbeit, die sich als Brücke zwischen der alten Generation der sechziger Jahre und der gegenwärtigen Generation erwiesen hat. Ihre Beiträge - beispielsweise die Arbeiten von Christian Marazzi oder von Paolo Virno - berufen sich auf die Voraussetzungen des Operaismus, weisen aber gleichzeitig viel Originalität auf. Sie gründete Zeitschriften, Verlagshäuser wie »Derive e Approdi«, und Initiativen, die für die kritische Orientierung der Generation der new economy eine wichtige Funktion erfüllt haben.

b) Die Existenz einiger Informations- und Kulturzentren, so die von Primo Moroni gegründete und bis zu seinem Tod geführte Buchhandlung »Calusca« in Mailand, die sicher die wichtigste war. In den schwierigen Zeiten von Demütigung und Niederlage gelang es Primo Moroni, ein System der Kommunikation und Verbindung zwischen den unterschiedlichen und manchmal gegensätzlichen politischen Tendenzen aufzubauen, das die Herausbildung von Sekten und kleinen Insidergruppierungen verhinderte. Moroni verkörperte nicht nur Toleranz und Kreativität, sondern er besaß auch die Fähigkeit, die Modernisierungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft im Voraus zu sehen, und dies machte die Buchhandlung »Calusca« zu einen Anziehungs- und Ausstrahlungspunkt für die ganze autonome Bewegung in Italien.

c) Die innovative theoretische Arbeit zum Thema »Postfordismus«, die von Zeitschriften wie »Altre ragioni« und anderen Projekten vorangetrieben wurde, um über den Operaismus hinaus bestimmte theoretische Grenzen zu überwinden, die das kritische Verstehen der new economy blockierten.

Und nun stehen seit dem Jahr 2002 die ersten Ergebnisse dieses Interesses an der Geschichte des Operaismus zur Verfügung. Eines kommt aus dem englischsprachigen Raum, das andere aus Italien. Sie unterscheiden sich in der Methode und von den sozialen Zusammenhängen her, in denen sie entstanden sind. Storming Heaven. Class composition and struggle in Italian Autonomist Marxism von Steve Wright [2] ist das Resultat einer für eine Doktorarbeit durchgeführten Untersuchung und die erste Arbeit, die die geschichtliche Rekonstruktion der Theorie und Praxis des italienischen Operaismus anhand von Kriterien der Quellenkritik in Angriff nimmt. Sie ist mit dem notwendigen Abstand zum Untersuchungsgegenstand geschrieben, aber auch mit einer Fähigkeit des Verstehens, die sich einem starken Gefühl der persönlichen Anteilnahme und des Einverständnisses mit den Gründen der revolutionären Bewegungen verdankt. Im selben Jahr erschien in Italien das von Guido Borio, Francesca Pozzi und Gigi Roggero herausgegebene Buch Futuro Anteriore. Dai 'Quaderni Rossi' ai movimenti globali: ricchezze e limiti dell'operaismo italiano (Vorweggenommene Zukunft. Von den 'Quaderni Rossi' zu den globalen Bewegungen: Reichtum und Grenzen des italienischen Operaismus). [3]

Das in London veröffentlichte Buch ist die erste historische Abhandlung über den italienischen Operaismus. Es unterbricht nicht nur die bis jetzt verfügbare autobiographische Literatur, sondern auch die Produktion und Reproduktion der im allgemeinen negativen Vorurteile. Dagegen stellt die Publikation der drei italienischen Autoren einen Versuch zur Neuinterpretation und Aktualisierung der theoretischen Ansätze des Operaismus dar. Es präsentiert aber auch eine Reihe von Zeugnissen ehemaliger Operaisten in einem Umfang, wie dies bisher in keiner anderen Veröffentlichung zu finden war.

Steve Wright musste für sein komplexes Thema einen Leitfaden wählen. Er entschied sich für den Begriff »Klassenzusammensetzung« und verlieh ihm damit einen heuristischen Wert, der von den Operaisten kaum erkannt worden war, da sie ihn als Kriterium der Empirie der »großen politischen Theorie« (über den Staat, über die Partei, über die Revolution, über den general intellect und so weiter) untergeordnet hatten. Wright unterstreicht zu Recht, dass der Begriff der »Klassenzusammensetzung« eng mit der Untersuchungsmethode der »conricerca« (»Mit-Forschung« oder »Begleitforschung«) zusammenhängt. Denn beide verweisen auf eine für die italienischen Operaisten charakteristische Art und Weise, in der sie eine Zusammenarbeit zwischen Intellektuellen und Arbeitern im weitesten Sinne begründen, die sich grundsätzlich vom Verhältnis zwischen Partei und Klasse, das die II., III. und IV. Internationale charakterisiert hatte, unterschied. Die italienischen Operaisten wollten nicht »die Führer« der Klasse sein, kein politischer Stand und keine »kleine Partei«. Sie lebten den Widerspruch dessen, der zwar einer politischen Theorie anhängt, aber gleichzeitig die traditionellen organisatorischen Modelle der Arbeiterbewegung ablehnt.

Wright fragt sich, warum der italienische Operaismus in der angelsächsischen Welt so lange unbekannt blieb und bemerkt dazu, dass nur dank der Arbeiten einiger weniger wie Ed Emery überhaupt erst die sprachlichen Bedingungen geschaffen wurden, damit die Schriften von Antonio Negri, Mario Tronti, Romano Alquati und Paolo Virno kursieren konnten. Heute müssen wir dem noch den außerordentlichen Publikumserfolg des Buchs »Empire« von Toni Negri und Michael Hardt hinzufügen. [4]

Das erste Kapitel von Wrights Buch ist einer kurzen Beschreibung der politischen Strömungen und Persönlichkeiten gewidmet, die kurz nach Kriegsende im Italien der vierziger und fünfziger Jahre nach einer »linken« Alternative zur Politik des PCI (Kommunistische Partei Italiens) im allgemeinen und zu Palmiro Togliatti im besonderen suchten. Er skizziert so herausragende Persönlichkeiten wie Rodolfo Morandi und Raniero Panzieri, den Begründer und die Seele der Quaderni Rossi (»Rote Hefte«), in deren Redaktion sich zum ersten Mal sämtliche Protagonisten des italienischen Operaismus zusammenfanden.

Bemerkenswert ist auch das zweite Kapitel, weil es anhand einer intelligenten Auswahl aus den in den Quaderni Rossi publizierten Schriften von Mario Tronti über das Thema »Fabrik und Gesellschaft« das theoretische Selbstverständnis des italienischen Operaismus vermittelt. Trontis Arbeiten haben den Marxismus des 20. Jahrhunderts anhand einer Neuinterpretation des 1. Bands des Marxschen »Kapitals« erneuert, indem er Marx Elemente von großer Originalität hinzugefügt hat (Tronti's discoveries). Damit lieferte Tronti die »Grundbegriffe« des Operaismus. Gleichzeitig erkennt Wright das Innovative der Beiträge von Quaderni Rossi und den »Anstoß«, den dieses Periodikum der italienischen Arbeiterbewegung gab, um sie nach der Krise, die sie - auch intellektuell - nach der Niederlage der frühen fünfziger Jahre erlitten hatte, wieder anzuregen. Dieser »Neuanfang« geschah durch die »Arbeiteruntersuchung« (inchiesta operaia): Wo muss man bei der Arbeiteruntersuchung beginnen? Von wo muss man bei ihr ausgehen? Als erstes muss man von der Kenntnis der Arbeiterklasse, der »neuen« Arbeiterklasse, ausgehen. Darüber hinaus muss man die Mentalität der neuen Generationen von Fabrikarbeitern verstehen, die die Demokratie gegen die Wiederkehr der neofaschistischen Strömungen verteidigt und im Juli 1960 bei den Straßenkämpfen Widerstand geleistet hatten.

Der entscheidende Promotor der »Arbeiteruntersuchung« war Romano Alquati. Er entwickelte zusammen mit Romolo Gobbi und Gianfranco Faina die Methode der conricerca. Faina wird in Wrights Buch allerdings nicht erwähnt, obwohl er in dieser allerersten Phase des italienischen Operaismus sehr wichtig war. Faina war Geschichtsdozent an der Universität von Genua, der Stadt, die das Epizentrum der Straßenaufstände vom Juli 1960 bildete, die das neo-autoritäre Experiment der Regierung Tambroni stoppten. Er hatte an den Erfahrungen der Zeitschrift Classe Operaia teil, nicht aber an jenen von Potere Operaio. In den siebziger Jahren hatte er auch Verbindungen mit Gruppen anarchistischen Ursprungs, die Formen des bewaffneten Kampfs unterstützten. Er kam ins Gefängnis und starb 1981 in der Haft an einem Krebsleiden. [5]

Wright setzt sich auch mit Raniero Panzieris Beitrag zur Genesis der operaistischen Theorie auseinander. Parallel zu Tronti zeigte Panzieri mit seiner Interpretation des I. Bands von »Das Kapital« neue theoretische Horizonte auf, indem er seine Überlegungen auf das Verhältnis von Arbeiterklasse und technologischer Innovation - »das Problem der Maschinen« - fokussierte. Seine Schlussfolgerungen führten auch zu einer Kritik an der Gewerkschaftskultur der CGIL, deren subalterne Haltung gegenüber der kapitalistischen Entwicklung er nicht gut hieß. Damit wies Panzieri auf eine Problemstellung hin, die die weitere Entwicklung der Quaderni Rossi wesentlich beeinflusste und auch heute von brennender Aktualität ist: Ist eine Soziologie der Arbeit und der Industrie möglich, die sich nicht an der technologischen Neuerung des Kapitals orientiert, sondern an dem Arbeiterkampf? Panzieri forderte somit einen radikalen Paradigmenwechsel in der Soziologie, und nicht zufällig sind aus der Redaktion der Quaderni Rossi einige der bedeutendsten italienischen Soziologen hervorgegangen (Rieser, Mottura, Paci und andere).

Warum brach Raniero Panzieri mit allen, die später die Gruppe von Classe Operaia gründeten, jener Zeitschrift, die den italienischen Operaismus schließlich initiierte? Warum verließen Tronti, Negri und Alquati die Quaderni Rossi? Steve Wright gibt zwar nur vorsichtige Antworten, doch sie entsprechen den Tatsachen. Panzieri wollte einen Wendepunkt innerhalb der Arbeiterbewegung, der CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro), der italienischen Sozialistischen Partei (in welcher er Mitglied des Zentralkomitees war) und des PCI herbeiführen. Die Konzeption der anderen sah dagegen eine neue Art und Weise vor, gemeinsam mit der Arbeiterklasse Politik zu machen. Sie wollten eine neue Bewegung ins Leben rufen, die die post-kommunistische Ära eröffnen sollte. Hier spielte die Person von Toni Negri eine zentrale und entscheidende Rolle. Niemand anders als er hatte den »Willen«, sich in ein Unternehmen dieser Art zu stürzen, und deshalb versuchte er Panzieri und Vittorio Rieser mit allen Mitteln zu überzeugen, dass sein Weg der richtige sei. Der definitive Bruch vollzog sich Anfang September 1963 in einer Mailänder Wohnung, die ich mit zwei Gruppenmitgliedern der Quaderni Rossi teilte. Diese Auseinandersetzungen hatten einen sehr realen Hintergrund. Sich für das Konzept Negris zu entscheiden oder wenigstens innerhalb der Tradition der Arbeiterbewegung zu positionieren, bedeutete auch, gewisse Formen des Fabrikkampfes und gewalttätige Auseinandersetzungen auf den Straßen zu teilen - wie jene, die Turin im Sommer 1962 erschütterten und als die »scontri di Piazza Statuto« (Zusammenstöße auf der Piazza Statuto) bekannt wurden. Damals stürmten die Arbeiter sogar den Sitz der sozialdemokratischen Gewerkschaft UIL (Unione Italiana del Lavoro), weil diese für die Arbeitgeber Partei ergriffen hätten.

Das dritte Kapitel widmet sich der Analyse der Schriften Trontis und Alquatis in der Zeitschrift Classe Operaia sowie den Diskussionen und Polemiken, die sie hervorriefen. An dieser Stelle bleibt Steve Wright jedoch recht einseitig in einer Rekonstruktion der Theoriegeschichte befangen. Es fehlt eine Geschichte dieser Zeitschrift in allen ihren Facetten sowie eine Analyse der Rolle und des Beitrags Toni Negris, es fehlt aber auch eine Bewertung der Bedeutung des Internationalismus der italienischen Operaisten und damit zusammenhängend des Konzepts des »multinationalen Arbeiters«. Auch die Intensivierung der Beziehungen mit der new left Nordamerikas, bei der Ferruccio Gambino eine wichtige Rolle zukam, bleibt unerörtert. Dabei handelt es sich um Aspekte, die für die Auseinandersetzung der Operaisten mit der Studentenbewegung von 1968, den Basiskomitees von 1968/69 und den Bewegungen der siebziger Jahre von großer Bedeutung waren. Wright hat sich allzu sehr auf die - allerdings entscheidenden -Theorieproduzenten des italienischen Operaismus beschränkt.

Von großer Bedeutung war zweifelsohne die Wende in Trontis Denken, die sich in einem kleinen Artikel »Lenin in England« in der Nr. 1 von Classe Operaia ankündigte. Dieser Artikel eröffnete die heiße Phase des Operaismus und provozierte gleichzeitig eine Krise, die einen neuerlichen Bruch zur Folge hatte, nämlich die Schließung der Zeitschrift zwei Jahre später und den Wiedereintritt von zentralen Figuren wie Tronti, Asor Rosa und Rita di Leo in den PCI. Dieser Artikel setzte die Thematik der Partei wieder auf die Tagesordnung. Er widmete sich dem Thema der »Taktik« und verlangte von den militanten Aktivisten, dass sie sich mit der institutionalisierten Politik auseinander setzten. Andererseits bereicherte er auch mit dem Paradigma »Gesellschaft - Fabrik« die theoretische Debatte und eröffnete damit neue Handlungsperspektiven. Romano Alquati und andere, die in den Städten mit einer großen Arbeiterpräsenz aktiv waren (Mailand, Turin, Porto Marghera), versuchten die Dynamik der Bewegungen der Arbeiterklasse zu verstehen, um die Zeitpunkte von Rebellion und Streik vorherzusehen und sie miteinander verbinden zu können. Die Operaisten wollten so einen Beitrag zur »Wiedervereinigung der Arbeiterklasse« leisten. Classe Operaia war also nicht nur ein außergewöhnliches Ideenlabor, sondern initiierte auch in den Städten, in denen es militante Aktionen gab, eine Reihe von avantgardistischen politischen Erfahrungen, die sich in viele Milieus ausbreiteten. 1964 trugen die zu Beginn der Frühschichten vor den 15 großen Fabriken zwischen Mailand, Sesto San Giovanni und anderen Zonen der Peripherie verteilten Flugblätter der Classe Operaia zur Aufnahme von Arbeitskämpfen in der Kraftfahrzeugfabrik Innocenti bei, die in großen Arbeiterumzügen innerhalb der Stadt mündeten. Die Studentenbewegung von Trento - die 1965 gegründete Universität von Trento wurde eines der Zentren der Studentenrevolte von 1968 - lernte dank der Zeitschrift Classe Operaia Jimmy Boggs auf einer enthusiastischen Diskussionsveranstaltung kennen. Auch die Schüler des Mailänder Philosophieprofessors Enzo Paci (Nanni Filippini, Giairo Daghini, Paolo Gambazzi, Guido Neri, Paolo Caruso) und Psychologen wie Renato Rozzi hatten Verbindungen zur Classe Operaia.

Der Operaismus übte bereits vor 1968 aufgrund seiner innovativen Positionen eine starke Faszination auf viele junge Intellektuelle aus. So auf viele Architekten, Stadtplaner und Studenten dieser Fächer, die die Thematik des Operaismus in ihre Disziplin mit aufnahmen, wie Alberto Magnaghi aus Turin - Generalsekretär von Potere Operaio 1971 - und viele andere. Als die Zeitschrift Classe Operaia 1966 ihr Erscheinen einstellte, hatte sie bereits eine Gruppe »neuer« Aktivisten der jüngeren Generation hervorgebracht, die 1968 und in den siebziger Jahren eine entscheidende Rolle spielten. Viele von ihnen sind nach wie vor aktiv und bekannt.

Als die Redaktion von Classe Operaia sich auflöste, begannen in gewisser Weise die Anfänge von 1968. Steve Wright weist in diesem Zusammenhang auf zwei wichtige Aspekte hin: erstens die Diskussion über die Rolle der »Techniker«, die in den naturwissenschaftlichen Fakultäten und den Technischen Hochschulen vielfach aufgegriffen wurde; und zweitens die Beteiligung einiger italienischer Operaisten am französischen Mai sowie eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die einen präzisen Überblick über die Studenten- und Arbeiterrevolten in Paris gaben. Auf diese Weise wurden die in Frankreich gemachten Erfahrungen von den italienischen Operaisten nach Italien »vermittelt«.

Andere Lücken in Wrights Buch betreffen die Frage, welche politische Dynamik zur Intervention bei Fiat in Turin im Frühling 1969 führte. Um diesen wohl größten politischen Sieg des italienischen Operaismus genau rekonstruieren zu können, wäre es wahrscheinlich notwendig, Archivmaterial - besonders die Flugblätter, die man damals in den Fabriken verteilte - zu nutzen. Diese Materialien finden sich zum Teil in den privaten Sammlungen einzelner Aktivisten, zum größten Teil sind sie jedoch während und nach der Verhaftungswelle von 1979 beschlagnahmt und vernichtet worden. Eine zentrale Rolle spielten zwei Flugschriften der operaistischen Gruppe Linea di massa. Die erste Flugschrift, »Lotte alle Pirelli« (Die Kämpfe bei Pirelli) basierte auf Aussagen eines der Gründer des Basiskomitees bei Pirelli/Mailand, Raffaello De Mori; die zweite »Lotte dei tecnici alla Snam Progetti« (Die Kämpfe der Techniker bei Snam Progetti) kam aus dem Forschungslabor der Ente Nazionale Idrocarburi (ENI) in San Donato Milanese und wurde aufgrund der Berichte der Techniker des Basiskomitees bei ENI sowie der staatlichen Erdölindustrie geschrieben, die bis heute in diesem Sektor aktiv sind. Diese beiden Flugschriften repräsentierten zusammen mit der Zeitung La Classe - deren erste Nummer am 1. Mai 1969, einen Monat vor dem Ausbruch der spontanen Kämpfe bei Fiat in Turin im Juni/Juli 1969 erschien - den Höhe- und Scheitelpunkt des italienischen Operaismus.

In den für das Schicksal der revolutionären Bewegung in Italien entscheidenden Jahren 1967, 1968 und Frühjahr 1969 war Mailand und seine Peripherie der Ort, wo die wichtigsten Erfahrungen zusammenkamen. An diesem Prozess waren Gruppen beteiligt, die sich mit der chinesischen Revolution beschäftigten und wohl auch identifizierten (Edizioni Oriente); hinzu kam ein Netzwerk, das die lateinamerikanische Guerrilla in Venezuela, Bolivien und Peru unterstützte (Centro Frantz Fanon). Eine große Rolle spielten auch Verlagshäuser und historische Forschungszentren (der Feltrinelli-Verlag, die Bibliothek G. G. Feltrinelli, die Edition Avanti!) sowie die Redaktionen avantgardistischer Zeitschriften wie Quaderni Piacentini, das Zentrum zum Studium der Volkskultur (Istituto Ernesto di Martino) und eine Gruppe zur Erforschung der Volkslieder (Nuovo Canzoniere Italiano). Die Aktionsfelder dieser Initiativen waren die Automobilindustrie (Alfa Romeo, Innocenti, O.M., Pirelli, Magneti Marelli), die chemischen und pharmazeutischen Fabriken (Snia Viscosa, Montecatini, Farmitalia, Carlo Erba), die Schwer- und Leichtmetallindustrie (Siemens, Breda, Falck, T.I.B.B.), die Labors der Erdölindustrie der ENI und die Büros für Industriedesign und Werbegrafik von Olivetti. In den sechziger Jahren hatte der Operaismus zu all diesen Orten mehr oder weniger Verbindung. Nach dem Ausbruch der spontanen Fiat-Kämpfe (Mai/Juni 1969) und dem Streikzyklus des »Autunno Caldo« (Heißen Herbstes) - vom September bis Dezember 1969 - war es kein Zufall, dass ausgerechnet in Mailand der folgenreiche Staatsterrorismus begann: am 12. Dezember 1969 explodierte die Bombe auf der Piazza Fontana. Wenige Wochen vorher war der verantwortliche Redakteur der Zeitung Potere Operaio festgenommen worden.

In den siebziger Jahren bezeichneten sich nur noch wenige der Begründer dieser Bewegung und Aktivisten als Operaisten. Der Operaismus durchlief jetzt eine paradoxe Entwicklung. Auf der Organisationsebene der politischen Bewegungen war seine Rolle entschieden reduziert. Jedoch verhalf die Dämonisierung von »Potere Operaio« und darauffolgend die der »Autonomia Operaia« seitens der Medien dazu, dass der Operaismus sich nicht selbst überlebte. Steve Wright konstatiert zu Recht die sich nun manifestierende theoretische und politische Schwäche von »Potere Operaio«. Die Gruppe der Aktivisten war durch die Fabrikkämpfe inzwischen an den Rand gedrängt. Sie drehte sich im Leerlauf und suchte nach neuen Bezugspunkten: so bei den Kämpfen der Afroamerikaner und den arbeitslosen Süditalienern. Da sie dabei aber keine wirkliche Verankerung fand, betonte sie mehr und mehr den selbstgewählten spätleninistischen Charakter ihrer militanten Aktionen. Zugleich kam es aber bei »Potere Operaio« zu einem Aufstand der Frauen, und aus den Reihen der Operaisten entstand die erste feministische Frauengruppe der siebziger Jahre in Italien. Sie gründete eine Zeitung, deren Titel Le operaie della casa (Die Hausarbeiterinnen) Programm war. Spätestens jetzt wurde die Krise der Organisation offensichtlich.

Aus nunmehr großem zeitlichen Abstand kann man sagen, dass die Gründung der Gruppe »Potere Operaio« eine enorme Forcierung der damaligen politischen Bewegung darstellte, für die ich selbst mitverantwortlich gewesen war. Und sie erscheint um so größer, wenn man die geringen Erfahrungen von »Potere Operaio« mit den vielfältigen Erfahrungen vergleicht, die in den siebziger Jahren gemacht wurden. Die Kreativität und der Optimismus, mit welchen man versuchte die Welt zu verändern - »vom Kopf auf die Füße zu stellen« -, bezogen sich auf die Bedeutung von Sachverhalten des beruflichen wie alltäglichen Lebens. An alledem hatte »Potere Operaio« nur wenig teil. Die Basisorganisationen in den Fabriken wurden von den Gewerkschaften akzeptiert und umfassten Zehntausende Arbeiter und Angestellte. Die sozialen und politischen Kämpfe in den Krankenhäusern, in den Schulen und im Transportwesen bestimmten das gesamte Jahrzehnt in Italien. Was bedeutete im Vergleich mit alledem eine kleine Gruppe, die zwar das Verdienst hatte, den revolutionären Elan beflügelt zu haben, aber nicht die Fähigkeit besaß, ihn dort zu sehen, wo er wirklich war, und sich auf diese Realität zu beziehen, die ungleich reicher war als alle Proklamationen?

Abgesehen von einigen, die zusammen mit mir nach wenigen Monaten aus »Potere Operaio« austraten, war es Toni Negri, der dieses Problem als einer der ersten sah. Ihm gelang es, einen bemerkenswerten Neuanfang an Kommunikation und Theoriebildung zu begründen, der sich in den Texten der Reihe »Materiali marxisti« des Feltrinelli-Verlags niederschlug. Texte wie Operai e Stato (Arbeiter und Staat), Crisi e organizzazione operaia (Krise und Arbeiterorganisation), L'operaio multinazionale (Der multinationale Arbeiter) und andere setzten wichtige Markierungspunkte. [6] Sie trugen dazu bei, dass die Gruppe »Potere Operaio« auch eine Reihe von Personen, die nicht an ihr teilhatten, entscheidend beeinflusste und zu einem Radikalismus des Denkens führte, der in keinen anderen Zusammenhängen zu finden war. Jedoch war »Potere Operaio« gewissermaßen eher eine »private« Sache, die politische Bewegung ging ohne die Operaisten weiter. Mit Recht sieht Wright darin eine Dynamik, die zur Bildung einer »politischen Klasse« als einer losgelösten Einheit führte. Die Konzeption des »Aufstands nach Tagesbefehl« und die Rückkehr »bolschewistischer« Einstellungen warfen »Potere Operaio« um 50 Jahre zurück und waren letztlich die Negation der Voraussetzungen des Operaismus selbst. Wäre »Potere Operaio« etwas länger als »linkste« Kraft im Spektrum der außerparlamentarischen Gruppen verblieben, hätte sie sich vielleicht einen Platz zurückerobern können. Doch sobald Gruppen wie die Brigate Rosse (Rote Brigaden) und andere zu handeln begannen, war ihre Zeit um. »The most valuable lesson of the 1960s - the attentive study of working-class behaviour - was to be sacrificed in a greater or lesser degree to political impatience and an increasingly rigid conceptual apparatus« (S. 151).

Die nächsten zwei Kapitel des Buchs sind Toni Negri und seinen Theorien des »sozialen Arbeiters« sowie den geschichtstheoretischen Arbeiten der Zeitschrift Primo Maggio gewidmet. Es ist bemerkenswert, dass der Verfasser die militanten Aktionen einer Gruppe, über die Toni Negri und die Herausgeber der Zeitschrift Rosso die Entwicklung des politischen Organisationsbegriffs vorantrieben, mit den Aktivitäten einer Gruppe, die sich selbst als einfache Zeitschriftenredaktion verstand, in einem großen Abschnitt untersucht. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Zeitschriftenkonzepte, da ihnen verschiedene politische Positionierungen zugrunde lagen. Inwieweit ein Leser dies bei der Lektüre von Steve Wrights Rekonstruktionen wahrzunehmen vermag, bleibt zweifelhaft.

Die Ausführungen über Toni Negri tragen durchaus zum Verständnis der »Autonomia Operaia« als Politikform und Revolutionstheorie bei. Aber man sollte die »Inkubationszeit« der »Autonomia Operaia« der Jahre 1973 bis 1975 von jener Phase trennen, in der sie auf eine »neue« Bewegung traf, die sich von der zehn Jahre zuvor entstandenen Generation der 68er grundlegend unterschied. Die Zeitschrift Rosso gehörte zur Bewegung von 1977 -dem Jahr, in dem es in Italien für kurze Zeit »knallte« -, so wie Classe Operaia zur 68er Bewegung gehört hatte. In Padua und seiner Peripherie bildete sich eine neue Organisationsstruktur, und zwar teilweise aus den Überresten von »Potere Operaio« und teils von einer neuen Generation militanter Aktivisten getragen, die sich als »Autonomia Operaia« definierte, sich aber zum großen Teil aus Studenten und jugendlichen Proletariern zusammensetzte. Auch wenn aus den Überresten der außerparlamentarischen Gruppen und der neuen Generation in anderen Städten analoge Strukturen entstanden, blieb jene von Padua und danach von Mestre-Venezia trotz der Verhaftungen fast aller Aktiven in den Jahren 1979 bis 1981 die stärkste und dauerhafteste Struktur, die bis heute eine Komponente der autonomen italienischen Bewegungen bildet. Im Verlauf der Jahre hat sie sich jedoch radikal verändert und lehnt insbesondere Gewaltanwendung und den bewaffneten Kampf ab.

Der Fall der Zeitschrift Primo Maggio hat hingegen eine völlig andere Geschichte. Es ist zwar richtig, dass Primo Maggio von einigen Mitgliedern der Gruppe »Potere Operaio« gegründet wurde (Lapo Berti, Franco Gori, Andrea Battinelli, Guido de Masi und mir selbst), aber typisch für sie war, dass sie sich mit einem Netz von selbstverwalteten Initiativen verband, für die sie aktiv war: »a servizio del movimento« (zu Diensten der Bewegung). Die Buchhandlung Calusca von Primo Moroni in Mailand war die originellste und wichtigste dieser Initiativen. Wäre die Redaktion von Primo Maggio nicht Teil dieses Netzes gewesen, dann hätte ihre Zeitschrift nie einen solchen Einfluss gewonnen, aufgrund dessen sie noch heute bekannt ist.

Es ist durchaus zutreffend, wenn Steve Wright Primo Maggio in die Tradition des italienischen Operaismus stellt. Während sich die Redaktionsgruppe explizit in diesem Erfahrungsspektrum verortete und dies auch in Zukunft wollte, war für Toni Negri der Operaismus bereits 1973 tot, denn für ihn war die Geschichte des Operaismus mit dem Ende von Classe Operaia abgeschlossen. Der zweite Grund, warum Primo Maggio neue Erkenntnisse bezüglich der Analyse des Finanzkapitals, des welfare state, der Geschichtsschreibung und der Klassenzusammensetzung hervorbrachte, liegt in der personellen Zusammensetzung der Redaktion. Ein Teil der Redaktionsmitglieder kam - auch aus Altersgründen - aus anderen Erfahrungszusammenhängen als dem des »klassischen« Operaismus, so Cesare Bermani, Bruno Cartosio, Marco Revelli, Christian Marazzi und Marcello Messori.

Darüber hinaus gab es einen weiteren fundamentalen Unterschied zwischen Primo Maggio und der »Autonomia Operaia«. Sie hatten eine unterschiedliche Auffassung von der eigenen Rolle als Intellektuelle. Die Mitglieder der Redaktionsgruppe von Primo Maggio wollten die Regeln der wissenschaftlichen Community verändern und die Methoden der historischen Wissenschaften, der Soziologie, der ökonomischen und politischen Wissenschaften erneuern. Wir fühlten uns Zeitschriften wie Sapere sehr nahe, die in Bezug auf die wissenschaftlichen Disziplinen wie Physik, Medizin etc. eine analoge Rolle einnahmen. Sapere konzentrierte sich darauf, die »gesellschaftliche Rolle« der Universitätsdozenten, der Ärzte, der Physiker, der Soziologen, der Rechtsanwälte und der Architekten kritisch zu thematisieren. So änderte sich auch für uns die gesellschaftliche Rolle des »politischen Intellektuellen«, der nicht ein neuer Lenin oder neuer Robespierre sein konnte und durfte, sondern ein »Dienstleister« für die soziale und politische Bewegung, um ihr ein besseres Verständnis von sich selbst anzubieten und ihr neue Horizonte zu eröffnen.

Aus diesem Selbstverständnis entstand frühzeitig die Erkenntnis, dass sich die fordistische Produktion bald erschöpfen würde, um einer neuen Produktionsweise Platz zu machen, die gleichermaßen Elemente größerer Freiheit im Arbeitsprozess und größerer kapitalistischer Ausbeutung in sich trägt. Diese komplexe Entwicklung wurde von der Zeitschrift Primo Maggio seit ihrer Gründung 1973 bis zu ihrem letzten Jahrgang 1986 fortlaufend diskutiert. Steve Wright zeigt einige wesentliche Aspekte dieser Debatte auf. Er unterstreicht insbesondere die charakteristische und originelle Arbeitsmethode der Redaktion, die die Problematik von Geschichte und Erinnerung zur Diskussion stellte und so ein Thema vorwegnahm, das einige Jahre später im Kontext des Geschichtsrevisionismus heftig diskutiert wurde.

Im letzten Kapitel (»The collapse of workerism«) betrachtet Wright, wie »Autonomia Operaia« und Primo Maggio sich mit der 1977er Bewegung auseinander setzten. Dies war die letzte Anstrengung einer politischen Generation, die aus den Entwicklungen der sechziger Jahre entstanden war. Sie versuchte, mit den Ereignissen Schritt zu halten - mit Mühe zwar -, aber wenn ich wieder lese, was wir damals schrieben, auch mit Würde. Doch die Ereignisse überschlugen sich und rissen uns fort. Die Entführung Aldo Moros durch die Brigate Rosse im Jahr 1978 veränderte das Klima innerhalb der Gruppen der »Autonomia Operaia«, die sich jetzt zwischen dem Staat, der sich aufrüstete, um auf den terroristischen Anschlag zu antworten, und den bewaffneten Gruppen, die nunmehr auf einem höheren, »professionelleren« Level operierten, erdrückt fühlten. 1979 wurden Toni Negri und die meisten, die bis 1973 Teil von »Potere Operaio« gewesen waren, verhaftet, andere flüchteten ins Ausland (und befinden sich teilweise noch immer im Exil). Ungefähr 5000 Aktivisten der Bewegung wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. Etwa 1000 von ihnen wurde der Prozess gemacht, sie wurden im Durchschnitt zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Hinzu kamen die Ereignisse bei Fiat. Als die Leitung des Fiat-Konzerns im Herbst 1980 Massenentlassungen durchsetzte, begann ein Kampf, der von Anbeginn verloren war. Der Streik dauerte 35 Tage und endete mit der tiefsten Niederlage der italienischen Arbeiter seit 1950. Um zu verstehen, mit welcher Dramatik die Arbeiter bei Fiat diese Niederlage erlebten, sollte man wissen, dass in den folgenden Monaten die Zahl der Selbstmorde innerhalb der Fiat-Belegschaft um etwa hundert anstieg. Anstatt sich mit dieser Problematik, über die eine umfangreiche Literatur existiert, zu beschäftigen, geht Wright ausführlich auf die Dynamik ein, die in den Jahren 1978 bis 1980 zum letzten Zusammenstoß bei Fiat führte: »The family Gasparazzo goes to Fiat«.

Abschließend geht Wright auch auf die Schwächen des Operaismus ein, die möglicherweise der Grund für sein Ende als politische Theorie der Gegenwart sind: »The first of these consists in its penchant for all-embracing categories that, in seeking to explain everything, too often would clarify very little ... another of the more obvious weaknessess of Italian workerism ... would be a too narrow focus upon what Marx termed the immediate process of production as the essential source of working-class experience and struggle« (S. 225). Und eine weitere Schwachstelle sei die »political impatience« gewesen. Diesen Einschätzungen kann man nur zustimmen. Zutreffend sind aber auch die von Wright zitierten Bemerkungen eines englischen und eines italienischen Zeitgenossen, dass »the questions that it posed then, as two decades before, stubburnly refuse to go away«, und dass »the best way to defend workerism today is to go beyond it« (S. 227).

Dem Autor ist es bestens gelungen, den Geist (und den Wortlaut) der Schriften des Operaismus zu verstehen - ein für einen Fremdsprachigen erstaunliche Leistung. Darüber hinaus hat Steve Wright diese Schriften auf die Ereignisse, durch die sie bestimmt wurden, bezogen. Vor allem aber sollten alle ehemaligen Operaisten Wright dafür dankbar sein, dass er die Komplexität ihrer gesellschaftspolitischen Theorie erkannt und dadurch mit der vorherrschendem Tendenz gebrochen hat, den Operaismus entweder zu diskreditieren oder zu idealisieren, ohne seinen Motivationen nachzugehen.

Selbstverständlich gibt es auch viele Lücken, hauptsächlich bezogen auf den sozialen und politischen Kontext des Operaismus. Aber das ist verständlich, denn von den reichen Ausdrucksformen und Erfahrungen der sozialen Bewegungen im Italien der siebziger Jahre ist nur wenig als schriftliches Zeugnis greifbar; was aber erhalten blieb, ist entweder zu subjektiv gefärbt oder zu schematisch. Es gibt keine guten Bücher über die Geschichte der siebziger Jahre in Italien, dafür aber Entstellungen im Überfluss, und über allem schwebt die offizielle Version, es sei ausschließlich eine »bleierne Zeit« gewesen.

Steve Wright konnte auch die Zeugnisse von etwa 50 ehemaligen Operaisten noch nicht benutzen, die inzwischen auf einer dem Buch Futuro Anteriore beigegelegten CD-Rom enthalten sind. [7] Wenn man bedenkt, dass sich unter ihnen Personen befinden, die seit Jahrzehnten nicht miteinander diskutiert und aufgrund ihrer unterschiedlichen individuellen Entwicklungen keinen persönlichen Kontakt mehr hatten, dann weiß man diese CD-Rom zu würdigen: Erst im Jahr 2000 akzeptierten sie, sich ihrer gemeinsamen Tradition zu erinnern, ihre Erfahrungen zu hinterfragen, ohne dabei die eigene Vergangenheit zu verleugnen.

Heute befinden sich viele von ihnen unter jenen, die die »neuen Bewegungen« initiiert haben, die in Seattle und Genua ihren Anfang genommen hatten. Ausgerechnet in dem Moment, in dem - Rache der Geschichte! -Fiat als Autohersteller kollabiert, geht das Vermächtnis des Operaismus auf eine neue Generation über. Fiat aber wurde nicht von den Operaisten, sondern von einem unfähigen und unverantwortlichen Management zerstört. Das Unternehmen war gezeichnet von den Anstrengungen einer passiven und subalternen Arbeit. Es hatte sich die politische und gewerkschaftliche Linke zu Komplizen gemacht, die die strategischen Entscheidungen der italienischen Finanzelite mittrug und sich darauf beschränkte, gewisse Vorteile für sich herauszuschlagen. Aus mehr als elf Jahren Arbeiterkampf (1969-1980) war der Fiat-Konzern voller innovativer Energien hervorgegangen. Nach zweiundzwanzig Jahren sozialem Frieden (1980-2002) war Fiat am Ende. Waren es nicht die Operaisten, die sagten, der Arbeiterkampf beschleunige die kapitalistische Entwicklung?

Zum Schluss möchte ich noch einige Fragen stellen, die vielleicht diejenigen, die zukünftig an der Geschichte des Operaismus wieder anknüpfen, interessieren könnten. Wird es möglich sein, dieser Bewegung die Kategorie der Kontinuität nahe zu bringen? Ist die Kontinuität nicht Teil der traditionellen Art und Weise, Geschichte zu machen? Oder ist sie nur für die Geschichte der Dynastien und der Parteien geeignet? Haben auch diejenigen, die sich von Anfang an von der Perspektive der Partei ferngehalten haben, und die die Revolution eher als eine Lymphe als ein Ereignis betrachteten, nicht auch ein Recht auf Kontinuität? Vielleicht war die Debatte über die geschichtswissenschaftlichen Methoden und die Tätigkeit des Historikers, die Primo Maggio begonnen hatte und in den neunziger Jahren von der Zeitschrift Altre Ragioni sowie der LUMHI-Initiative (Libera Università di Milano e del suo Hinterland - Freie Universität von Mailand und seinem Hinterland) - wieder aufgenommen wurde, zunächst ein totgeborenes Projekt. Vielleicht ist das Experiment aber auch noch nicht abgeschlossen und wird im neuen politischen Klima Italiens wieder auferstehen.

 


Fußnoten:

[1] Vgl. dazu Centri sociali: geografle del desiderio. Dati, statistiche, mappe, progetti, divenire, Milano 1996.

[2] London 2002.

[3] Milano 2002.

[4] Michael Hardt /Antonio Negri, Empire, Cambridge (Mass.)/London 2000; deutsche Ausgabe Frankfurt a.M./New York 2002.

[5] Siehe den Nachruf von Rinaldo Manstretta und Pierpaolo Poggio in: PrimoMaggio, Nr.19/20, Winter 1983/84.

[6] Sergio Bologna u. a., Operai e stato. Lotte operaie e riforma dello stato capitalistico tra rivoluzione d'Ottobre e New Deal, Milano 1972; Sergio Bologna/ Paolo Carpignano/Antonio Negri, Crisi e organizzazione operaia, Milano 1974; A. Serafini u. a.. L'operaio multinazionale in Europa, Milano 1975.

[7] Wie Anm 3.

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