Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 36–38 [w71_entwuerfe02.htm]


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»Je weniger Geld man hat, umso mehr Zeit braucht man, um sein Leben geregelt zu kriegen«

Alternatives Metallbau-Kollektiv

Wieviel arbeitest Du, was verdienst Du damit?

Ich arbeite von halb neun bis halb fünf, eigentlich haben wir Viertagewoche, das machen wir zur Zeit sehr konsequent, weil wir eh kein Geld kriegen. Früher haben wir, wenn viel Arbeit war, dann auch fünf Tage gearbeitet, aber jetzt haben wir viel Arbeit und machen trotzdem Viertagewoche. Wir schleppen seit Frühjahr ein totales Minus mit uns rum, den Winter über hatten wir überhaupt keine Arbeit. Erst jetzt haben wir wieder eine große Baustelle und hoffen, dass wir nach dem Sommer aus dem großen Loch raus sind. Das ganze Frühjahr haben wir praktisch überhaupt keinen Lohn gekriegt und haben uns nur das ausgezahlt, was an Schwarzgeld da war, meistens 50 Euro die Woche. In der Zeit haben alle von Freundin und Freund gelebt, einer hat in der Zeit einen Nebenjob bei 'nem Architekten gehabt, ich hab Geld von meinen Eltern gepumpt.

Wir haben eigentlich ein Lohnsystem, das funktioniert aber seit zwei Jahren nicht mehr. Als ich angefangen habe, hat das sehr gut funktioniert, deshalb hab ich ja auch angefangen. Ich hatte das Studium abgebrochen, ein kleines Kind und eigentlich gar kein Einkommen. Ich hab bei der Firma 'n Praktikum gemacht, weil ich eigentlich was anderes studieren wollte. Dann hab festgestellt, dass es mit den Arbeitszeiten gut klappt, außerdem habe ich aufgrund des Lohnsystems als Auszubildende genauso viel gekriegt wie alle anderen, das war mehr als doppelt soviel, wie man normalerweise während der Ausbildung kriegt: ich kam auf über 900 Euro.

Du hast dort angefangen, weil Du während der Ausbildung gut Geld gekriegt hast, inzwischen klappt das mit dem Geld nicht mehr. Warum machst Du trotzdem weiter?

Ich hatte wirklich überlegt aufzuhören, es gab ja nach den Monaten ohne Lohn die große Besprechung: gehen wir bankrott oder machen wir weiter? Im Endeffekt hab ich gedacht, man kann es ja nochmal versuchen, wenn wir viel sparen und es mit weniger Leuten machen, könnten wir vielleicht schon dahin kommen, dass wir Geld kriegen. Außerdem möchte ich gerne noch ein Kind, und das geht da am besten. Denn wenn man krank geschrieben ist, kriegt man das ganze Geld von der Krankenkasse.

Außerdem kann ich mir die Arbeit so einteilen, wie ich Zeit habe, ich muss mich nur mit den anderen absprechen. Ich muss nicht Punkt sieben auf der Matte stehen. Und wir haben 40 Tage bezahlten Urlaub und Viertagewoche.

Ein weiterer Grund, warum ich erstmal bleibe ist, dass es in unserem Bereich gar keine anderen Alternativbetriebe mehr gibt.

Was bringt Dir diese spezielle Art von Kollektiv, außer dass Du Zeit für Dein Kind hast?

Wenn ich am Wochenende wegfahren will, könnte ich das direkt die Woche vorher sagen. Allerdings muss ich das im Moment noch mit meinem anderen Job zusammenkriegen, den ich machen muss, weil ich ja zu wenig Lohn kriege. Je weniger Geld man hat, umso mehr Zeit braucht man, um sein Leben geregelt zu kriegen.

Ihr seid im Moment noch sieben, alle ausgelernt, eine Meisterin, Du bist als letzte dazugekommen … und alle verdienen das gleiche.

Ja, und wir holen halt Förderungen ran und teilen die unter uns auf, für mich gibt es grad ne Förderung für Betriebe, die nach der Ausbildung weiter beschäftigen, wir kriegen vom ersten Tag der Krankschreibung an das Geld von der Krankenkasse (Zusatzversicherung für kleine Betriebe), das heißt, es lohnt sich immer, krank zu sein… .

Ich werde auch bestimmt mal in einem anderen Betrieb arbeiten, ich hab wirklich nicht vor, das so lange zu machen, wie die Leute, die da jetzt nach 20 Jahren aufgehört haben: total abgegessen und können nicht mehr, weil sie ihr gesamtes Privatleben in das Kollektiv gesteckt haben. Ich hab aber nur das Gefühl: jetzt aufzuhören, wäre zu früh. Ich hab schon Lust, woanders zu arbeiten, aber nicht auf dem Level! Also nicht CallCenter oder so ‘n Scheiß, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, und auch nicht so als Gesellin ohne Erfahrung, die immer nur hinterherlaufen kann.

Was macht Ihr für Arbeiten?

Serien machen wir eigentlich wenig, entweder wir haben große Baustellen, wo man vier Wochen auf derselben Baustelle ist, irgendwelche Zäune macht, wo man 40 Meter das gleiche baut, oder es sind halt kleinere Sachen: hier 'n Fahrradständer, da ne Tür, 'n Fenstergitter oder so…

Was gefällt Dir am besten?

Mir gefällt am besten, so mittelgroße Sachen zu bauen, wenn einer kommt und hat ne Zeichnung … heute hab ich z.B. den ganzen Tag 'n Grillrost gemacht. Die haben einen Grill, der ist zu groß, als dass sie sich einen Rost dafür kaufen könnten, ob wir das nicht machen könnten. Hab ich gesagt »okay, kostet 100 Euro«, dann such ich zusammen, was wir da so haben und dann bau ich den. Das find ich echt am allerbesten, meinetwegen kann ich den noch einbauen … Ich hätte auch Lust, Möbel zu machen oder so. Ich denk mir in letzter Zeit auch öfter neue Sachen aus, die geben wir einer mit, die das auf dem Markt verkauft. Wir stellen so n bißchen Kleinscheiß dahin, auch damit Leute sehen, dass es uns gibt, irgendwelche Kerzenständer oder so… Ich denke, auch, dass so was gehen kann, da gibt's genügend Yuppies, die sie was kaufen, nur haben wir die nur noch nicht genügend aufgetan.

Ihr nehmt aber schon alle Aufträge an? Könnt Ihr die Preise machen?

Ja. Klar werden die Preise schlechter. Große Wohnungsbaugesellschaften zahlen für einen Meter Zaun soundsoviel und fragen dann: »Wollt Ihr's machen oder nicht?« Wir haben meistens Architekten, die mehrere Schlossereien anfragen. Es gibt welche, die nehmen ganz gerne uns, oft sind das ehemalige Hausbesetzer, die jetzt Geld haben, mit uns können sie reden, man spricht die gleiche Sprache, sie haben das Gefühl, dass man sich wirklich kümmert, sie haben keinen Ärger, dass wir nachher nicht fegen oder so … <lacht> Wir sind da schon sehr qualitätsbewusst.

Wir sind gleich teuer wie andere Anbieter – aber wir arbeiten wahrscheinlich nicht so rationell, was bei uns einfach an den Strukturen liegt, dass nicht einer die ganze Zeit im Büro sitzt und immer nur die Anweisungen in die Werkstatt weitergibt, deshalb müssen die Informationen immer wieder ausgetauscht werden, »wie machen wir das jetzt?«, oder einer war an dem Tag nicht da und muss nochmal alles erzählt kriegen usw. – da geht schon viel Zeit mit drauf.

Wenn Ihr ab Januar nur noch vier seid… dann seid Ihr meistens zu zweit in der Werkstatt, das ist dann ja schon anders….?

Ich mag auch echt ganz gern alleine arbeiten. Im CallCenter musst du Leute anrufen, die du nicht kennst, in Pflegeberufen musst du dich um Leute kümmern… Ich find es so einfach besser, da hat man was stehen, was man gemacht hat, der Kundenkontakt beschränkt sich aufs Bezahlen, man ist nicht dauernd mit seiner ganzen Persönlichkeit gefordert.

Ich hab so Vorstellungen, als Schmiedin in einem Freileicht-Museum, wo du deine Nägel machst, selbständig arbeitest und deine Ruhe hast… aber dafür musst du halt auch was können! Solange sich nichts Besseres bietet, mach ich halt das weiter, bis ich's richtig kann, denn ich möchte auch mal was richtig können!



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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