Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 38 [w72_isw.htm]



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Weltordnungskriege und
Gewaltökonomien

»… neben der globalen ’Hauptgefahr‘ des ’islamistischen Terrorismus‘ dienen die afrikanischen Verhältnisse als zentrale Referenz des Diskurses der ’neuen Kriege‘«


Alnasseri / Azzelini / Jung / Kanzleiter / Seibert:
Weltordnungskriege und Gewaltökonomien.
Analysen & Reportagen zur Verwüstung des Sozialen.

isw-Report Nr. 58,
München 2004; 25 Seiten A4, 2.50 Euro.
www.isw-muenchen.de


Kurz vor Weihnachten 2004 gingen Meldungen durch die Presse, wonach im Osten der Demokratischen Republik Kongo eine neue humanitäre Katastrophe drohe. In wenigen Tagen seien Zehntausende Menschen vor Kämpfen zwischen der Armee und meuternden Soldaten geflohen. Ganze Dörfer an der Grenze zu Ruanda seien bereits entvölkert, mehr als hunderttausend Menschen auf der Flucht. Wegen der heftigen Kämpfe hatten sich die Hilfsorganisationen aus der Region zurückgezogen.

Die meisten der aufständischen Soldaten gehören ehemaligen Rebellengruppen an, die im Zuge früherer Friedensabkommen in die kongolesische Armee integriert worden waren. Kongos Präsident Joseph Kabila entsandte Tausende Soldaten zur Verstärkung in den Norden. Die in der Regel schlecht ausgerüsteten regulären Truppen seien selbst zu einer Bedrohung für die Zivilbevölkerung geworden: Häufig sei nicht zu unterscheiden, wer hinter den Plünderungen, Diebstählen und Vergewaltigungen in der Region stehe.

Bereits im Juni 2004 erschien der Report Nr. 58 des isw München Weltordnungskriege und Gewaltökonomien, . Die Broschüre ist entstanden aus dem Zusammentreffen von Leuten des isw mit Leuten von medico international im Rahmen der Proteste gegen die Münchner NATO-Konferenzen 2002 und 2003 und trägt den Untertitel: »Analysen & Reportagen zur Verwüstung des Sozialen«. Da man im ganzen Heft nichts über »das Soziale« erfährt, könnte man sagen: Thema verfehlt! Der im Editorial formulierte Anspruch, »den inneren Zusammenhang der Weltordnungskriege des globalen Nordens mit den Gewaltökonomien des globalen Südens« darzustellen, wird ständig wiederholt, doch nicht eingelöst. Teilweise lesen sich die Beiträge aber ganz spannend (z.B. Boris Kanzleiter zu »Kriegswirtschaften ohne Krieg. Tendenzen des Übergangs in Serbien-Montenegro und Kosovo«). Aber warum müssen fast 50 Prozent aller Substantive Fremdwörter sein?

Im Vorwort gibt Thomas Seibert einen Überblick über die Verelendung der Welt: »Binnen weniger Jahre kam es im Süden wie im Osten zur flächendeckenden Verelendung ganzer Gesellschaften, zur Desintegration ihres politisch-ökonomischen Systems und zu einer Massenmigration von mittlerweile 150 Millionen Menschen – drei Pozent der Weltbevölkerung und 30 Millionen mehr als noch 1990… Die Kaufkraft eines durchschnittlichen lateinamerikanischen Gehalts liegt mittlerweile um 27 Prozent niedriger als 1980 … In Asien und Afrika ist die Lage z.T. noch dramatischer … Während [die Lebenserwartung] zwischen 1975 und 1997 in den 31 reichsten Ländern der Welt um ein Fünftel gestiegen ist, fiel sie im selben Zeitraum in 18 Ländern der Welt … Am dramatischsten fällt diese Entwicklung in Afrika aus, wo die durchschnittliche Lebenserwartung in Botswana von 52 auf 47, in Simbabwe von 51 auf 44, in Sambia von 47 auf 40 Jahre gesunken ist.« (S. 5) »Weil der Zusammenbruch der Entwicklungsstaaten nirgends drastischer ausfällt als in Afrika, dienen neben der globalen ’Hauptgefahr‘ des ’islamistischen Terrorismus‘ die afrikanischen Verhältnisse als zentrale Referenz des Diskurses der ’neuen Kriege‘… Immer wieder berichten die Massenmedien über großflächige ethnische Säuberungen und scheinbar grund- und ziellose Massaker … Folgeerscheinungen der besonderen Geschichte der Dekolonisierung Afrikas.« (S.6)

Anne Jung (»Ein Alptraum im Wachzustand. Zur Transformation afrikanischer Bürgerkriege«) setzt genau an dieser Analyse an: das koloniale Erbe Afrikas sei der Schlüssel zum Verständnis der heutigen Situation. »Seit dem 11. September 2001 ändert sich der europäische Blick auf Afrika. Die neue EU-Verfassung zielt auf die Militarisierung der europäischen Außenpolitik … eine ’liberale‘ Form des Imperialismus, der durch ’humanitäre Interventionen‘ den drohenden Kontrollverlust über die Zusammenbruchsregionen verhindern und dabei ’Protektorate‘ einrichten soll, unter deren Regime die Elendsbevölkerungen im eigenen Land sistiert, wo möglich auch der Verwertung zugeführt werden können.« (S. 24) Vor diesem Hintergrund beleuchtet sie ganz kurz die drei Kriege im Kongo, in Angola und Sierra Leone.



aus: Wildcat 72, Januar 2005



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