Wildcat Nr. 83, Frühjahr 2009, [w83_beilage_einleitung]



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Ein Kreis schließt sich

Die Beilage der Wildcat 83 befasst sich mit Debatten und Analysen der 70er Jahre – und ist gleichwohl hochaktuell. Die damaligen Versuche des italienischen Zeitschriftenprojekts Primo Maggio (»Erster Mai«), die kapitalistische Krisenpolitik seit 1971 zu erfassen, liefern eine Menge Stoff zum Analysieren der aktuellen Krise – und dafür, aus der Analyse zu politischen Schlussfolgerungen und einer angemessenen Praxis zu kommen.

In den zyklischen Krisen(-angriffen) während der »langen Welle von 1973-2008« (Karl-Heinz Roth) teilten sich die Linken immer wieder in zwei Lager: Die einen verstanden den Krisenangriff als Vorbereitung des nächsten produktiven Zyklus. Steve Wright zitiert in seinem Text »Revolution von oben« an einer Stelle Karl-Heinz Roth: »neue Fabriken ... warten auf neue Arbeiter«. Die anderen verstanden die jeweilige Konstellation bereits als neue Etappe: »Ende des Wertgesetzes«, »Postfordismus«, »Globalisierung«, »immaterielle Arbeit« usw. Diese »Modelle« blamierten sich in immer kürzeren Zeitabständen. Und im gesamten Zeitraum blieben das Wachstum des Welt-Bruttosozialprodukts und die Profitraten auf historischen Tiefständen, während sich Geldmenge und Kredit scheinbar grenzenlos ausweiteten. Aber diese Geldvermehrung ist an die Wand gefahren und es ist klar geworden, dass sie nicht die »neue gesellschaftliche Produktivität« war oder die Fähigkeit des Kapitals, Mehrwert aus der Zirkulation zu schöpfen», von der ein Teil der Linken fantasierte. Sie war selbst Symptom der Krise, – der aktuelle Einbruch gibt denjenigen recht, die nicht auf die diversen Moden abgefahren sind, sondern an der materiellen Kritik des Kapitals festgehalten haben. Die »neuen Fabriken«, von denen Karl-Heinz Roth vor über 30 Jahren sprach, sind entstanden, vor allem in China. Aber dort wiederholt sich nur im Schnelldurchlauf das bekannte Entwicklungsmodell des 20. Jahrhunderts: Fabrik heißt noch immer Fließband, Massenproduktion, Vernutzung menschlicher Arbeitskraft. Dieses Modell ist an eine gesellschaftliche Grenze gestoßen – und ein neues ist nicht in Sicht. Mehr denn je stellt sich heute die Frage nach dem historischen Ende des Kapitalismus. Vor uns liegt offenes Feld, alle Fragen – nach dem Entstehen eines neuen Subjekts, nach der revolutionären Überwindung des Kapitalismus – sind neu aufgeworfen. Das macht den »Operaismus der dritten Phase« aktuell so brisant.

»benedetta sconfitta«

In diesem Beitrag arbeitet Karl-Heinz Roth die »antizipatorische Kraft des Projekts

Primo Maggio« heraus. Diese bestand vor allem in zwei Arbeitsprojekten: Erstens den »dramatischen Umbruch der Klassenzusammensetzung zu Beginn der langen Welle von 1973 bis 2008« theoretisch verstehen und die »Arbeiteruntersuchung« weiterentwickeln. Zweitens; Da »auf dem Gebiet der Währungs- und Finanzpolitik die entscheidenden Waffen gegen die Rigidität der Klassenautonomie geschmiedet« wurden, musste man sich grundsätzlich mit den Funktionen von Geld, Kredit, Inflation usw. auseinandersetzen. Primo Maggio bildete eine Arbeitsgruppe zu diesen Fragen, um »den autonomen Betriebs- und Stadtteilkomitees die begrifflich-analytischen Instrumente für eine adäquate Krisenantwort zur Verfügung zu stellen«.

Karl-Heinz Roth geht auch auf das Verhältnis von Primo Maggio zur 77er Jugendbewegung ein. Diese war auf wenige Hochburgen beschränkt und trat gleichzeitig mit einer Radikalität an, die sich heutige Generationen innerhalb von Europa wohl kaum vorstellen können und die sehr schnell eskalierte: Auf den Straßen Tausende von Bewaffneten, mehrere Guerillagruppen entstanden, eine Guerilla diffusa blühte auf, alle Lebensbereiche – Fabrik, Sexualität, Drogen, Stadtplanung, massenhafte Aneignung usw. usf. – wurden thematisiert, die Debatte fand auf sehr hohem theoretischen Niveau statt. In diesen Jahren traute sich kaum jemand zu sagen, dass diese Bewegung nicht nur »das Neue«, sondern in vielem auch ein letztes Zucken war, dass sie weniger neue Utopien, und eher Angst verkörperte, dass ihre Radikalität »auf Sand gebaut« war, wie einer der Protagonisten es im Nachhinein zusammenfasste. Primo Maggio hatte den Mut, diese Diskussion zumindest zu versuchen und sowohl das Neue als auch die Sackgassen zu thematisieren.

Revolution von oben?

Steve Wright hat sich mit großer Sorgfalt durch die operaistische Textproduktion zum Thema Geld gewühlt. Er will zeigen, »dass sich die Mühe lohnt [die schwer zugänglichen operaistischen Texte zu lesen], denn ein großer Teil der operaistischen Diskussion über Geld und Klassenzusammensetzung besitzt immer noch Relevanz». Auch er legt den Schwerpunkt auf Primo Maggio, vermeidet es aber leider weitgehend, selbst Position zu ergreifen und hält sich auch da zurück, wo Analysen im Rückblick vollkommen richtig lagen. So hatten Messori und Revelli darauf hingewiesen, dass die Inflation bestenfalls »kurz- bis mittelfristig« praktikabel sei, da das Wertgesetz nicht am Ende, sondern nur stärker verschleiert sei. »Diese Verschleierung ist noch aus einem anderen Grund notwendig, denn dadurch, dass es so aussieht, als seien die Mechanismen des Wertgesetzes nicht mehr gültig, fehlt der Arbeiterklasse ein entscheidendes Mittel zur Überprüfung der Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens und damit das wichtigste Medium der Vergesellschaftung ihrer eigenen Stärke.« Für einen Aufsatz von 1978 war das geradezu prophetisch: 1979 kam der Volcker-Schock und 1980 der Frontalangriff auf die Fiat-Arbeiter.[1]

Resümee

Das große Verdienst der beiden Texte ist es, dass sie die frühen Ansätze im Umfeld von Primo Maggio, die Geld- und Kreditpolitik als Versuch zum Aufbrechen der Klassenbeziehungen zu analysieren, umfassend und präzise darstellen. Eine solche Untersuchung lag unseres Wissens bisher in deutscher Sprache nicht vor.

Der Operaismus hat einen völlig neuen Ansatz in die linke Krisentheorie gebracht – insofern sie aus dem Verhältnis Kapital/Arbeit herrührt, ist Krise immer eine »gesellschaftliche« und muss als solche begriffen werden – »Lichtjahre« weiter als das mechanistische Gegeneinanderrechnen von Disporportion, Unterkonsumtion und/oder tendenziellem Fall der Profitrate (übrigens finden sich alle drei Elemente auch in der aktuellen Krise, die in ihrem Charakter eine Überakkumulationskrise ist). Mit dem Ende des langen neoliberalen Krisenangriffs stehen alle Fragen, die sie aufgeworfen und behandelt haben, aktuell und brennend auf der Tagesordnung.

Es gibt ein neuerwachtes Interesse an den Texten zur Krisendiskussion aus der amerikanischen Zeitschrift zerowork, die wir vor 20 Jahren übersetzt und als TheKla 10 herausgebracht haben. In der Wiener Zeitschrift grundrisse hat eine Kritik des Zirkulations-Marxismus etwa eines Michael Heinrich und am Überbordwerfen der Werttheorie durch Negri u.a. begonnen. Anläufe zu einer Debatte, zu der die Aufsätze in der Beilage sicherlich einen produktiven Beitrag leisten werden.

... eine Spirale nicht.


[1] Paul Volcker, Chef der Fed, knüppelte die Zinsrate von etwa 11 Prozent auf über 20 Prozent und löste damit einen weltweiten Anstieg der Massenarbeitslosigkeit aus; bezeichnenderweise ist Volcker heute Wirtschaftsberater von Obama. (Vgl. S. 47) Ende 1979 waren zum ersten Mal ArbeiterInnen gekündigt worden. Im September 1980 kündigte FIAT knapp 15.000 Entlassungen an. Die Arbeiter organisierten Demos, besetzten die Tore, streikten. Aber nach 35 Tagen organisierten die Kapos eine Demo durch Turin, die als »Marsch der 40.000« in die Geschichte eingehen sollte. Sie forderten das Ende des Streiks, das »Rechte auf Arbeit«. Am Tag darauf unterschrieb die Gewerkschaft einen Vertrag über »Kurzarbeit zu null Stunden« für 23.000 ArbeiterInnen. Damit ging der Kampfzyklus seit Mitte der 60er Jahre zu Ende. (Vgl. TheKla 15 und Bologna – beachte vor allem das »à propos« am Ende!




aus: Wildcat 83, Frühjahr 2009



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