Wildcat Nr. 83, Frühjahr 2009, [w83_indien.htm]



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Indien ist der subkontinentale Testfall für das Weltsystem, das Land durchlief all seine Entwicklungsmodelle, von Kolonialherrschaft, nachholender marktorientierter Planwirtschaft bis - nach Kollaps und Zahlungsunfähigkeit 1991 - zur neoliberalen Vorzeigeökonomie. Ein Testfall auch in Hinblick auf die Legitimation kapitalistischer Entwicklung: ob diese nicht nur die Klassenverhältnisse reproduziert, sondern dabei auch eine Verbesserung der Lage der verarmten Dorf- und Slumbevölkerung versprechen kann. Die aktuelle Krise stellt zumindest letzteres in Frage.

Die globale Krise in Indien

English version

In Indien basierte der Boom der letzten Jahre auf einem massiven Zufluss internationalen Kapitals und dem Export von IT-Dienstleistungen, was zu einer Überbewertung der Rupie, zu steigender Inflation und steigenden Zinsraten führte. Die klassischen und arbeitsintensiven Exportindustrien, wie z.B. Textilindustrie oder Agrarprodukte, wurden von der Last der Wechselkurse und den teuren Krediten erdrückt. Mit dem Einsetzen der globalen Krise im Herbst 2008 wurde deutlich, dass die Krise nicht auf die Aktienmärkte, die Währung oder die Immobilienblase reduzierbar ist, sondern alle Sektoren der indischen Wirtschaft erfasst.
Der Hauptaktienindex (Sensex) schrumpfte im Verlauf des Jahres 2008 um die Hälfte, von 20800 Punkten im Januar auf unter 10000 Mitte Oktober. Der Kollaps im Oktober betraf vor allem jene Firmen, die als Aushängeschilder des Booms der 1990er galten, wie z.B. der Immobilienriese DLF, die Unternehmensgruppe Reliance oder Firmen des Bio-tech Sektors wie Ranbaxy. Im Oktober verlor der indische Aktienmarkt rund eine Billion US-Dollar, mehr als das gesamte indische Bruttosozialprodukt des Jahres 2007-08. Der Hauptgrund für die massiven Verluste waren die Panikverkäufe von ausländischen Investorengruppen, die rund ein Viertel der umlaufenden Aktien hielten. Die Verkäufe lösten einen massiven Verlust an ausländischen Währungsreserven aus, diese fielen von 300 Milliarden Dollar im Juli 2008 auf 250 Milliarden im November. Regierungspolitiker hatten immer wieder auf diese Reserven verwiesen, wenn Kritiker vor Aufheizung und dem Gespenst der Zahlungskrise 1991 warnten. Jetzt zeigt sich, dass die hohen Reserven weniger den »gesunden Exporteinnahmen« als Spekulationsanlagen geschuldet sind. Indische Unternehmen reagierten auf den Kollaps, indem sie Extrakredite bei indischen Banken aufnahmen, um die geliehenen Rupie in Dollar-Funds zu sichern. Dies löste eine Kreditklemme aus, die sich unmittelbar bis in den ländlichen Raum auswirkte und Mikrokredite der Landwirtschaft austrocknete. Der massenhafte Tausch von Rupies in Dollar erodierte den Wert der Rupie, der Wechselkurs fiel von 40 Rupie - 1 US-Dollar im Frühjahr 2008 auf 50 Rupie - 1 US-Dollar im November. Da gleichzeitig die Auslandsmärkte einknickten, führte diese Abwertung nicht zu einer Atempause für die Exportindustrie, sondern verschärfte die Krisenlage angesichts der enormen Abhängigkeit der indischen Wirtschaft von Öl- und Düngerimporten. Diese Importe haben das Handelsbilanzdefizit im Verlauf des Jahres 2008 anwachsen lassen, für den Monat August 2008 stand es bei rund 14 Milliarden US-Dollar, doppelt so hoch wie im August des Vorjahres - ein weiteres Leck in den Währungsreserven. Die indischen Exporte knickten im Oktober um 20 Prozent ein, die Containerfracht um 50 Prozent, speziell Textilien für den US Markt und Eisenerz für die chinesische Stahlindustrie: mit dem Resultat, dass nach mehr als einem Jahrzehnt des Wachstums die indische Industrieproduktion im Oktober in die Rezession rutschte. Ab Oktober füllten sich die Wirtschaftsseiten mit Meldungen über Entlassungen und temporäre Produktionsstopps, von den Call Centern in Gurgaon über die Automontagewerke in Pune, die Teeplantagen West-Bengals bis zu den Sandsteinbrüchen Rajasthans.

Die Reaktion des Staats

Die große Frage ist, welche Resourcen der indische Staat mobilisieren kann, um die Krise abzufedern. Hier entblößt sich der neo-liberale Kurs der letzten Jahre - die Zoll und Steuersenkungen und wachsenden Privatkredite - als defacto Schuldenwirtschaft. Im Jahr 2007-08 betrugen die Staatseinnahmen rund 160 Milliarden US-Dollar. Von den 174 Milliarden US-Dollar Staatsausgaben wurden 45 Milliarden allein für die Zahlung von Zinsen und Schuldtilgung verwendet. Im Dezember 2008 schnürte die Weltbank ein Kreditpaket von 14 Milliarden US-Dollar für den indischen Staat. Dieser verkündete, im Laufe des Jahres 2009 rund 8,5 Milliarden für ein Konjunkturpaket auszugeben. In den Medien wurde diese Summe mit den 560 Milliarden US-Dollar verglichen, die China für die Binnenmarktankurbelung aufbringen will. Die finanziellen Mittel zur Abfederung der Krise sind also begrenzt, das Krisenregime in Indien muss an zwei Fronten Luft für eine grundlegende Umstrukturierung schaffen: erstens in der Auseinandersetzung mit der sozialen Unruhe auf dem Land, zweitens im Kampf mit dem Proletariat des urbanen industriellen Terrains. Für beide Umstrukturierungen braucht es billige Energie, die dritte Größe in der Krisenbewältigung. Die indische Wirtschaft muss 80 Prozent des Ölbedarfs importieren. Versuche, die eigene Ölförderungen zu steigern sind geo-politisch heikel, so liegen mehr als ein Fünftel der eigenen Ölvorkommen im Bürgerkriegsgebiet von Assam. Geo-politisch ähnlich prekär sind die Vorhaben der Gasversorgung durch den Iran via Pakistan oder das Nuklearabkommen mit den USA, an dem 2008 die Regierungskoalition auseinanderbrach. Auch die fallenden Ölpreis in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 führten nicht zu einer Aufbesserung des Staatshaushalts. Zwar hatte der indische Staat als zentrales Organ der inländischen Ölpreisbestimmung die fallenden Preise des Weltmarkts nicht sofort an den lokalen Markt weitergegeben, in der Hoffnung nach langer Zeit der Subvention von der Differenz profitieren zu können, aber dieser Versuch wurde bereits im Januar 2009 vom Generalstreik der LKW-Fahrer und Spediteure und massiven Lohnforderungen der ArbeiterInnen der staatlichen Ölgesellschaften unterbunden.

Die soziale Krise auf dem Land

Die Ökonomen kritisieren zudem, dass die Finanzspritzen des indischen Staats weniger in produktive Investitionen, sondern vor allem in »populistische Maßnahmen« fließen, wie z.B. in den Schuldenerlass für Kleinbauern, die Subventionen für Düngemittel, die ländlichen Beschäftigungsprogramme (NREGS) und die Erhöhung des staatlich garantierten Mindestpreises für Agrarprodukte wie Baumwolle. Allein für Schuldenerlass, Subvention und Beschäftigungsprogramm plant der Staat für 2009 Ausgaben von 48 Milliarden US-Dollar, also fast ein Drittel der gesamten Staatseinnahmen von 2007-08! Diese Ausgaben sind weder populistische Maßnahmen noch profitversprechende Investitionen. Sie sind ein verzweifelter Versuch, die massenhafte Proletarisierung und die wachsenden Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung einzudämmen. Der Staat weiß, dass Kleinbauern eher dazu geneigt sind ihre Misere zu individualisieren, was die steigenden Suizidraten in den Cash-Crop Gebieten zeigen, während die Bewegungen des ländlichen Proletariats unberechenbarer sind und tendenziell kostspielige sozialstaatliche und repressive Maßnahmen verlangen. Der indische Staat zahlt einen hohen Preis, um die Balance zwischen Agrarpreisen, also dem Reproduktionslimit der Millionen von Bauernfamilien, und den Nahrungsmittelpreisen für das wachsende Proletariat zu halten. Konnte der indische und chinesische Staat auf dem WTO-Gipfel 2008 die Agrarhandelsbarrieren noch hochhalten und dadurch die einheimischen ProduzentInnen vor der Überproduktion der Agrarwirtschaft des Nordens schützen, so stellt die aktuelle Krise eben diese Balance in Frage. Zum einen, da die Auslassventile für die ländliche Unterbeschäftigung, sprich die prekären Jobs im Bausektor und der Industrie, auf Grund der Krise verstopft sind, zum anderen, da die Preise für Agro-Produkte dramatisch fallen. Der Weltmarktpreis für Baumwolle ist im Laufe des Jahres 2008 um fast 40 Prozent gefallen, China ist von einem Hauptabnehmer indischer Baumwolle zu einem Konkurrenten auf dem Weltmarkt geworden, beide Länder gehen von einer Überproduktion von einem Fünftel der Jahresernte aus. Zwar hatte der indische Staat die garantierten Mindestpreise für Baumwolle im Herbst 2008 um fast 20 Prozent angehoben, um die Lobby der zehn Millionen Baumwollbauern ruhigzustellen, die Händler und Textilunternehmen weigern sich aber, diesen Preis zu zahlen. Im Punjab wurde der Staat zum defizitären Alleinabnehmer der gesamten Ernte - ähnlich sieht es im Tee- und Zuckeranbau aus. Ende 2008 hob die indische Regierung die Exportrestriktion für Mais auf und stellte die Erlaubnis für den Export von Reis in Aussicht - das geltende Exportverbot wurde als ein Grund dafür gesehen, dass Indien im Frühjahr 2008 Unruhen um die Nahrungsmittelpreise weitestgehend erspart geblieben sind.

Der industrielle Engpass

Hauptprofiteur der sozialen Krise auf dem Land waren bisher die industriellen Cluster, die Dank des massiven Zustroms an BauernarbeiterInnen die Löhne auf ein existenzielles Minimum drücken, die täglichen Arbeitszeiten auf einem Niveau von 12 Stunden festsetzen und Leute bei Marktschwankungen oder zu Saisonende entlassen und zurück aufs Land schicken konnten. Auch deshalb blieben proletarische Binnennachfrage und kapital-intensive Investitionen in der Industrie auf niedrigem Niveau. Diese physische Grenze der Ausbeutung wurde in den letzten Jahren durch eine weitere Grenze ergänzt, die Grenze der globalen Auslagerung. Die Auslagerungen der IT- und Textilindustrie - den indischen Exportschlagern - sind abgeschlossen, die Beschäftigtenzahlen wachsen nicht weiter und die Abhängigkeit von den Märkten der USA und Europas steht fest. Die aktuelle Krise traf diese Sektoren hart, die indische IT-Gewerkschaft Union of Information Technology Enabled Services (UNITES) geht davon aus, dass zwischen September und Dezember 2008 rund 10 000 Jobs verloren gingen und bis Mitte 2009 rund 50000 weitere auf dem Spiel stehen. Mit 1,5 Millionen direkt Beschäftigten macht der Sektor zwar kaum 0,3 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus, trägt aber rund 30 Prozent zum Gesamtexport bei. Ähnlich hoch ist der Exportanteil des Textilsektors, mit 35 Millionen offiziell beschäftigten ArbeiterInnen der größte Beschäftigungszweig nach der Landwirtschaft. Die ArbeiterInnen dieses Sektors waren in kurzem Abstand gleich zwei Entlassungswellen unterworfen, im Herbst 2007 weil US-Firmen auf Grund der aufgeblasenen Rupie ihre Aufträge nach Bangladesh und Vietnam vergaben, im Herbst 2008 weil der US-Markt einbrach. Die Zeit zwischen diesen Einbrüchen wurde mit 80-Stunden Wochen der ArbeiterInnen überbrückt. Ende 2008 rechneten die indischen Textilunternehmensverbände der Regierung vor, dass in der zweiten Hälfte des Jahres 500 000 Jobs in der Exportindustrie verloren gingen und dass im nächsten halben Jahr 700 000 weitere folgen könnten. Die Absatzmärkte der indischen Textilindustrie schrumpfen und der Binnenmarkt wird von der chinesischen Überproduktion überrollt, z.B. in Varanasi ist das Einkommen von 700 000 WeberInnen und ihrer Angehörigen durch billige Kunstseidenprodukte und Stickereimaschinen aus China gefährdet.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Eisenerzgewinnung und der Stahlindustrie. Im Herbst wurden tausende von Minenarbeitern in den Eisenerzabbaugebieten in Orissa und Jharkhand auf die Straße gesetzt, die Eisenerzpreise sind von 120 US-Dollar pro Tonne in 2007 auf 45 US-Dollar Ende 2008 gefallen. China plant Anfang 2009 seine Exportzölle für Stahlprodukte aufzuheben, die in Indien bereits um 20 Prozent gedrosselte Stahlproduktion würde weiter unter Druck geraten, insbesondere da mit der indischen Automobilindustrie der Hauptabnehmer selbst in arger Bedrängnis ist. Der Absatz von LKWs ging zur Jahreswende 2008/09 um 30 bis 40 Prozent zurück, Tata entließ hunderte von ZeitarbeiterInnen und reduzierte im LKW-Werk auf eine Drei-Tage Woche. Der Absatz der PKW-Produktion ging ebenfalls um durchschnittlich 20 Prozent zurück, allein Hyundai entließ 2000 ZeitarbeiterInnen zur Jahreswende. Seit Mitte der 1990er hat sich die Anzahl der PKW-Montagewerke in Indien auf über ein Dutzend erhöht, mit ähnlichen Belegschaftsgrößen und Jahreskapazitäten wie in Europa. Für eine rentable Auslastung müsste der Absatz in den nächsten Jahren von knapp 2 Millionen im Jahr 2008 auf mindestens 3,5 Millionen steigen. Der Boom der letzten Jahre ist auf eine bestimmte Kombination zurückzuführen: einerseits eine enorme Prekarisierung der AutoarbeiterInnen - ZeitarbeiterInnen stellen die Mehrheit der Arbeitskraft, ihrem Monatsverdienst von rund 7,000 Rs stehen Preise für Kleinwagen von 500,000 bis 700,000 Rs gegenüber; andererseits eine neue Mittelschicht von US-Markt abhängigen IT und Call Center Managern plus durch den Immobilienboom reich gewordene Großbauern. Diese Mittelschicht stellt seit Einsetzen der Krise kein vielversprechendes Klientel für zukünftige Absatzsteigerungen mehr dar.

Klassenspaltung oder Neuzusammensetzung

Angesichts schrumpfender Staatseinnahmen wird die Zentralregierung Schwierigkeiten haben, die Last der Krise zwischen den verschiedenen Bundesstaaten und Wirtschaftslobbies zu jonglieren und die politische Integration zu wahren. Seit Einsetzen der Krise gab es verschiedenste Anzeichen der Desintegration, die auch das ländliche und urbane Proletariat in soziale Abwässer zu ziehen droht. Im Oktober 2008 griffen Mitglieder der nationalistischen Maharashtra Navnirman Sena (MNS) ArbeiterInnen aus Nord-Indien an, die sich in Mumbai auf zentral ausgeschriebene Stellen bei der nationalen Eisenbahn bewerben wollten. In Folge kam es zu Riots im nord-indischen Bundesstaat Bihar und zu Spannungen zwischen den involvierten Regierungen. Auf dem Land drückt sich die Desintegration vor allem im Anwachsen der bewaffneten Maoistischen Bewegungen aus, die in einigen Bundesstaaten einen Parallelstaat der Unterentwicklung etabliert haben. Im Dezember 2008 kündigten Minister von sieben betroffenen Bundesstaaten einen koordinierten Feldzug gegen die Naxaliten an.

Hauptproblem aller Fraktionen der herrschenden Klasse wird die politische (Des-)Integration der ArbeiterInnen auf dem durch die Krise aufgewühlte Terrain der Klassenauseinandersetzung sein. Der erste Schritt des Staats und einiger Großunternehmen nach Einsetzen der Krise war die existierende Hierarchie innerhalb der ArbeiterInnenklasse zu bestätigen. Im Spätherbst sicherte die Zentralregierung und einige Bundesstaaten den Staatsbediensteten versprochenen Lohnerhöhungen zu, Tata gewährte den festangestellten ArbeiterInnen der Stahlwerke Einkommenszuwüchse und entließ zur gleichen Zeit hunderte von ZeitarbeiterInnen. Die ersten Ankündigungen von Massenentlassungen bei Jet Airlines im Oktober 2008 wurden in ein politisches Schauspiel verwandelt, nach einigen symbolischen Gewerkschaftsprotesten und Intervention des Arbeitsministers nahm Jet Airline die 1 500 Entlassungen zurück. Tatsächlich hatte Jet Airline bereits im September hunderte von Angestellten entlassen und Air India schickte kurz darauf rund 14 000 Beschäftigte in unbezahlten Urlaub. In einigen Industrien, z.B. der Textilexportindustrie in Bangalore oder der Diamantindustrie in Surat, vereinen sich Unternehmerverbände mit den offiziellen Gewerkschaften, um im gemeinsamen Interesse des Sektors Druck auf die Regierung auszuüben. In der Autozulieferindustrie häufen sich zeitgleich die Aussperrungen, so z.B. beim Reifenherstelle Appolo oder bei Bosch in Jaipur. Aussperrungen als Mittel der Umstrukturierung der Belegschaft sind in Indien weit verbreitet.

Die Krise wird die drei Hauptszenerien des Klassenkampfs der letzten Jahre umwälzen - die neuen industriellen Cluster, die Bewegungen gegen industrielle Großprojekte und die Bewegungen des ländlichen Proletariats.
In den Industrieclustern trifft die Krise die ZeitarbeiterInnen der Auto- und Textilindustrie und die akademisch-proletarisierte Mittelschichtjugend der Call Center zur gleichen Zeit. In den letzten Monaten hat es viele selbstbewusste Auseinandersetzungen in den noch boomenden Sektoren gegeben - von wilden Fabrikbesetzungen durch ZeitarbeiterInnen bei Hero Honda zu Riots für mehr Lohn der Diamantpolierer in Surat. Es stellt sich die Frage, wie sich die Krise auf ihre explodierenden Bedürfnisse und Kampferfahrungen auswirken wird. Dies auch auf dem Hintergrund ihres prekären Aufenthalts als migrantische Arbeitskraft in der Stadt.
Die Bewegungen gegen industrielle Großprojekte - z.B. gegen Bauxitminen in Kashipur/Orissa, Sonderentwicklungszonen in Maharashtra oder Autofabriken in Singur/West-Bengal - wurden von lokalen Kleinbauern getragen. Die Bewegungen laufen Gefahr zwischen den Versprechungen von Arbeitsplätzen für die ländlichen (landlosen) Armen und der Gewalt des Staats aufgerieben zu werden. Die Krise hat nun vor allem die Versprechungen relativiert - in den Minengebieten und Exportzonen sitzen tausende entlassener ArbeiterInnen auf der Straße. Andernorts wird die staatlichen Gewalt in Frage gestellt. So kam es im November und Dezember 2008 in den verarmten ›tribal-areas‹ des Distrikts Lalgarh in West-Bengal zu einem Massenaufstand gegen Polizeigewalt. Die Bewegung besetzte Zufahrtsstraßen und hungerte Polizeikasernen aus und konnte dadurch ihre Forderungen nach Abzug der Polizei und Entschädigung durchsetzen.
Auf dem Land stellt sich die Frage, ob die Krise die fatale Teilung der proletarisierten Bevölkerung in verschuldete suizidgefährdete Kleinbauern und saisonale migrantische Arbeitskraft der Plantagen- und Steinbruchökonomie zerrütten wird. Mit der Ausweitung des arbeitsintensiven Beschäftigungsprogramms NREGS auf über 50 Millionen ländliche Haushalte und dem durch die Krise mehr oder minder verstaatlichten Markt für Cash-Crops und Kredite könnten die ländlichen Kämpfe in der Auseinandersetzung mit dem Staat zusammenkommen.



aus: Wildcat 83, Frühjahr 2009



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