Wildcat Nr. 90, Sommer 2011 [Weiße Rose aus Athen]



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Weiße Rose aus Athen

Die Geschichte der Vereinigung Europas zerfällt in mehrere Etappen. Die ewg symbolisierte den Traum vom Ende der miteinander Krieg führenden europäischen Nationalstaaten. Sie war ein kapitalistisches Modernisierungsprojekt mit dem Ziel eines Großwirtschaftsraum mit einheitlichen Lebensbedingungen. Dieses Projekt zerbrach mit dem Ende von Bretton Woods und den beiden »Ölkrisen«. Die eu soll(te) Löhne, Arbeitsbedingungen und sozialstaatliche Leistungen zueinander in Konkurrenz setzen und nach unten angleichen. Die sogenannte »Eurokrise« ist eine Verfassungskrise genau dieser Konstruktion.

Die EWG – ein Modernisierungsprojekt

1951 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (»Montanunion«) gegründet; Mitglieder waren Belgien, die brd, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Mit den Römischen Verträgen von 1957 wurde daraus die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ewg), die in Schritten immer weiter integriert wurde, z.B. gilt seit 1968 die Zollunion.

Die ewg subventionierte die »Modernisierung der Landwirtschaft« und den »industriellen Strukturwandel«.

»Bauernlegen«

Zu Beginn waren die Bauern noch die Mehrheit in der ewg; von den etwa 500 Millionen EinwohnerInnen in den 27 eu-Ländern sind heute noch 12 Millionen Vollzeit-Landwirte (in der brd eine halbe Million). Die Agrarsubventionen der ewg haben zu gewaltigen Konzentrationsprozessen und Produktivitätssteigerungen geführt. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Freisetzung agrarischer Arbeitskräfte und dem Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre. Die Lohnabhängigen in West-Deutschland nahmen von knapp 14 Mio 1950 auf knapp 20 Millionen 1960 zu. Dieses Anwachsen v.a. der Industriearbeiterklasse ging einher mit »chinesischen« Wachstumsraten des bsp: 1950-54 im Durchschnitt 8,8 Prozent; 1955-58 7,2 Prozent, 1959-63 5,7 Prozent usw. (diese fallende Tendenz hat sich im übrigen seither fortgesetzt).

Einkesseln der Klassenkerne und »sozialverträglicher« Abbau.

Dieser Zusammenhang lässt sich am besten an den Bergarbeitern zeigen, nicht von ungefähr entstand die ewg aus der Montanunion! Bei Gründung der ewg 1957 gab es in der brd 153 Zechen mit 607 000 Beschäftigten, darunter 384 000 Bergarbeiter unter Tage. Durch billiges Erdöl wurden die Bergarbeiter beschleunigt abgebaut, gleichzeitig sorgten Subventionen, Sozialpläne, Umqualifizierung und Frühverrentungen dafür, dass dieser massive Prozess weitgehend ohne Kämpfe vonstatten ging. Von 1957 bis 1966 wurde die Anzahl der Zechen und der Bergarbeiter in etwa halbiert, bis zur deutschen Wiedervereinigung auf etwa ein Sechstel reduziert; 2006 war man bei etwas mehr als einem Zwanzigstel angekommen (acht Zechen mit 35 000 Beschäftigten). Die gleichen Zahlenverhältnisse gelten eu-weit: In den 50er Jahren arbeiteten z.B. noch über 1,8 Millionen im Steinkohlebergbau, 2000 (also vor den Osterweiterungen) waren es noch knapp 90 000 Bergleute.

Strukturell das gleiche passiert seit den 70er Jahren auf europäischer Ebene mit den AutoarbeiterInnen – nur dass es nun keine neue Industrie gibt, die sie aufnimmt; deshalb verfestigt sich die Massenarbeitslosigkeit seit den 80er Jahren.

Herausbildung der deutschen Hegemonie

Seit 1972 stimmten die ewg-Länder ihre Wechselkurse in einer Währungsschlange aufeinander ab, um die Schockwirkung der Aufkündigung von Bretton Woods durch die usa abzuwehren. 1973 traten das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark bei. Qualitativ stagnierte allerdings seit dem Kriseneinbruch 1973/74 die europäische Integration. Die Währungsschlange war von kurzer Dauer, nach ein paar Jahren war sie von zehn auf vier Mitglieder geschrumpft und somit gescheitert. Italien hatte sie während ihres Bestehens mit einem Mix aus Inflation und Abwertung geschickt ausgenutzt, um seine Exporte massiv zu steigern. Die ArbeiterInnen in Italien nahmen sich sehr viel mehr vom Kuchen, als ihnen zugestanden werden sollte, am Ende der Währungsschlange lagen die Löhne in Italien für ein paar wenige Jahre in etwa auf dem Niveau der brd.

Gegen diese »Abweichungen« tüftelte man in den 80er Jahren das Binnenmarkt-Konzept aus: ein gemeinsamer Markt mit freiem Kapitalverkehr, weit größer als der Binnenmarkt der usa, der das europäische Kapital vor den Krisenentwicklungen im Rest der Welt abschottet (z.b. von der in den 80er Jahren grassierenden »Schuldenkrise der Dritten Welt«).

Auf Druck der brd wurde nach dem Ende der Währungsschlange im März 1979 zunächst das ews gegründet (Europäisches WährungsSystem). Im Zentrum des ews stand die Währungseinheit ecu, die durch einen Währungskorb aus den wichtigsten europäischen Währungen gebildet wurde. Feste Wechselkurse sollten einen stabilen Absatzmarkt für die deutschen Exporte bilden, so sollte die Stagnation der brd-Ökonomie überwunden werden. Bereits mit der Süderweiterung in den 1980er Jahren – Aufnahme der drei ehemaligen Diktaturen Griechenland (1981), Portugal und Spanien (beide 1986) – war das ursprüngliche Ziel eines wirtschaftlich homogenen Großraums abgeschrieben, nicht erst mit den Osterweiterungen 2004 und 2007. Portugal und Griechenland wurden erst 1999 in das ews II aufgenommen.

Anfang der 80er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit in der brd auf über zwei Millionen. Neben Sozialkürzungen, Ausdehnung von Leiharbeit und befristeten Arbeitsverträgen wurde in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durch »Arbeitszeitverkürzung« die Arbeitszeit flexibilisiert und die Arbeit verdichtet, was die Arbeitslosigkeit in der brd, flankiert durch Frühverrentungen, aber relativ niedrig hielt. Trotzdem stagnierte die brd-Ökonomie auch in den 80er Jahren. Nach einer kurzen Aufschwungphase Anfang der 90er Jahre (»Wiedervereinigungsboom«) brachen die deutschen Exporte durch die Krise des ews 1992 erneut ein; dadurch wurden auch die 90er Jahre zum »verlorenen Jahrzehnt« für das deutsche Kapital.

Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und des rgw kamen weitere Dynamiken ins Spiel: die rasche Osterweiterung der eu befestigte den Trend zu einem Wirtschaftsraum mit »Kern« und »Peripherie«; 1994 brachten Wolfgang Schäuble und Karl Lamers den Begriff »Kerneuropa« ins Spiel (darunter sind im Moment die Staaten zu verstehen, die zur Eurozone gehören, das Schengener Abkommen unterschrieben haben und in der nato sind).

Erst die Einführung des Euro 1999/2002 führte auf der Basis noch weiter flexibilisierter Arbeitszeiten und eines stark gewachsenen Niedriglohnsektors zu einem gewaltigen take-off deutschen Exportindustrie, gefördert von den Hartz-Gesetzen des Schröder-Regimes.1 Gerade diese ökonomische Schieflage der eu hat zu einer beinahe zehnjährigen Blüte des Euroraums beigetragen.

Die institutionelle Entwicklung seit den 90er Jahren

1992 wurde im Vertrag von Maastricht die Europäische Union (eu) gegründet. Die ewg wurde 1993 in Europäische Gemeinschaft (eg) umbenannt, und am 1. Dezember 2009 mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon aufgelöst. 1995 traten Schweden, Finnland und Österreich in die eu ein. Auf der Grundlage der im Maastricht-Vertrag festgelegten Konvergenzkriterien (Inflation, Haushalt, Wechselkurs, Zinsen) und des Euro-Stabilitätspakts (Haushaltsdisziplin, Verschuldung)2 wurde der Euro – nicht in alle eu-Ländern! – als gemeinsame Währung eingeführt: 1999 für die Zentral- und Geschäftsbanken, 2002 als Bargeld.

Am 1. Mai 2004 wurden weitere zehn Staaten in die eu aufgenommen, Malta, Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei und Ungarn; am 1. Januar 2007 als 26. und 27. Mitgliedstaat Rumänien und Bulgarien. Diese 27 eu-Staaten haben insgesamt rund 500 Millionen Einwohner. Der Europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Markt der Welt, das bip der eu wird für 2011 auf 17 452 Milliarden Dollar geschätzt, das der vier Bric-Länder zusammen auf 12 536 Milliarden Dollar, das der usa liegt dazwischen.

Aktuell gibt es fünf Beitrittskandidaten zur eu: Kroatien, die Türkei, Mazedonien, Island und Montenegro. Albanien und Serbien haben Beitrittsanträge gestellt, sind aber noch nicht als Beitrittskandidaten anerkannt (die Verhaftung von Mladic hat kurzfristig dazu geführt, dass Serbien nun Kandidat wird – das zeigt die große Bedeutung politischer Motive; fast im gleichen Zug rückt Kroatien auf die Pole position und wird wohl das 28. Mitgliedsland werden). Norwegen und Liechtenstein sind wirtschaftlich, aber nicht politisch integriert.

Eurozone

Mit der Aufnahme Estlands am 1. Januar 2011 bilden nun 17 Staaten innerhalb der eu die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die sogenannte Eurozone: Belgien, brd, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Zypern. Sie koordinieren ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurogruppe, in der sich ihre Finanzminister treffen. Die Sitzungen der Gruppe sind informell und finden in der Regel am Vortag des Rats für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin-Rat) statt. Der Ecofin-Rat selber ist eines der mächtigsten Entscheidungsgremien der eu und tagt einmal im Monat.

Die Krise wurde benutzt, um durch weitere bürokratische Mechanismen die bisherigen wirtschaftspolitischen Strategien zu verschärfen. Neue Institutionen wie die efsf (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität – European Financial Stability Facility), eine Art Zweckgesellschaft für den Rettungsfonds (Chef Klaus Regling) und der efsm (European Financial Stabilisation Mechanism) wurden eingesetzt. Bereits im März 2010 wurde eine Task Force beim Europäischen Rat beschlossen; diese tagt seither unter Ausschluss der Öffentlichkeit und bringt die europäischen Finanzminister auf Linie. Herman van Rompuy, der Vorsitzende des Europäischen Rats, hat sich damit eine Konstruktion geschaffen, die ihn zum Vorsitzenden des Ecofin macht. Der eu-Gipfel im Dezember 2010 hat den esm (Europäischen Stabilitätsmechanismus) beschlossen, der 2013 den efsf ablösen soll. Am 2. Juni 2011 schlug der scheidende ezb-Präsident Trichet in seiner Rede zur Verleihung des Karlspreis ein europäisches Finanzministerium vor. Solche Pläne werden in Wirklichkeit schon seit längerem vorbereitet. Anfang 2011 haben neu errichtete europäische Aufsichtsbehörden ihre Arbeit aufgenommen, und ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken wurde errichtet. Wiederum soll die Zuständigkeit nicht bei der Europäischen Kommission liegen, sondern bei ihrer Generaldirektion und dem Kommissar für Wirtschafts- und Finanzfragen. Diesen bevorstehenden weiteren Machtzuwachs der europäischen Bürokratie nannte der Präsident der Europäischen Kommission, Barroso, in einer Rede im Juni 2010 triumphierend eine »stille Revolution«. Beim eu-Gipfel am 24. Juni sollen nun Nägel mit Köpfen gemacht und ein Paket mit Beschlüssen zur economic-governance verabschiedet werden. (more to come…)

Die EU – der »unsichtbare Fürst«

An der eu werden immer wieder zwei Aspekte kritisiert: gewählte Parlamente seien durch nicht gewählte Institutionen entmachtet worden; der Waren- und Kapitalverkehr sei liberalisiert worden, die Bewegungsfreiheit der ArbeiterInnen sei viel später – wenn überhaupt! – gekommen. Diese beiden Punkte sind keine zu korrigierenden »Fehler« oder »Probleme der Bürokratie« – sie sind so gewollt und konstitutiv.

Die Europäische Währungsunion sollte die Starrheit der Löhne nach unten durchbrechen, in eu-Sprech: »die Arbeitsmärkte zum Funktionieren« bringen, deshalb entscheidet der »Fürst«3 über die Geldpolitik, die einzelnen Nationalstaaten müssen konkurrenzfähige Arbeitsmärkte bereitstellen, das heißt dafür sorgen, dass die ArbeiterInnen die Konvergenzkosten tragen. Padoa-Schioppa herrsche der »kollektive Fürst« ohne zu »regieren«, die Währungsunion reduziere »Regierung« auf »Verwaltung« (»government to governance«). Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen werden von Bürokratien gefasst; umsetzen müssen sie die nationalen Parlamente, die keinen Einfluss auf die Entscheidungen haben. Die ezb ist eher wie ein Gerichtshof und nicht wie ein Instrument der Politik verfasst. Die Finanzpolitik ist im Zwischenraum zwischen den Nationalstaaten und der eu angesiedelt, um die Regierungen daran zu hindern, soziale Probleme mit steigenden Ausgaben befrieden zu wollen.

Die Maastricht-Verträge setzen die nationalen Arbeitsmärkte und Sozialpolitiken in ein Wettbewerbsverhältnis. Die Konvergenzkriterien und der Euro-Stabilitätspakt sind darauf gerichtet, eine gewaltige Umverteilung von der Arbeiterklasse zum Kapital durchzuführen. Die Hauptaufgabe der ezb ist das Bekämpfen der Inflation. Dazu äußerte sich ihr derzeitiger Chef Trichet sehr offen im Gespräch mit der zeit Mitte Februar 2011: Eine Zentralbank könne nichts dagegen machen, dass Lebensmittel, Heizung, Strom und Benzin teurer werden, aber die ezb könne und werde mit ihrer Zinspolitik dafür sorgen, »dass es nicht zu Zweitrundeneffekten kommt«. Das ist ein anderer Ausdruck für Lohnerhöhungen.

Warum kam es 1992 zur Krise im EWS?

Um zu verstehen, was in den letzten 20 Jahren passiert ist, und um heute neue Orientierung zu finden, müssen wir uns nochmal die Phase zwischen 1988 und 1992 angucken. Auch die Gegenseite diskutiert seit Monaten sehr heftig über drohende historische Parallelen zur ews-Krise 1992. Damals hatte die Bundesbank unter Schlesinger (den Tietmeyer 1993 ablöste) die Leitzinsen immer weiter erhöht – selbst dann noch, als der konjunkturelle Aufschwung in Rezession überging. Die D-Mark wertete dadurch immer stärker auf, andere europäische Währungen wurden zum Spekulationsobjekt. Im Herbst 1992 mussten nacheinander die Lira, das britische Pfund, die spanische Peseta und der portugiesische Escudo abwerten, im Februar 1993 schließlich das irische Pfund. Im August 1993 wurde die ursprüngliche Bandbreite, innerhalb derer die Währungen zueinander schwanken durften, von 2,25 auf 15 Prozent erhöht; damit war das ews faktisch außer Kraft gesetzt. Die deutschen Exporte stürzten ab, allein von 1992 auf 1993 um gut sieben Prozent – trotz Aufschwung in den usa. Auch die nächsten beiden Jahre blieben sie um elf Prozent hinter der globalen Importnachfrage zurück. Die deutsche Leistungsbilanz blieb von 1992 bis 2000 negativ.

Die Bundesbank fuhr diesen Kurs …

Die ganzen 80er Jahre über war die brd-Wirtschaft sehr langsam gewachsen; 1988 bis 1991 hingegen wuchs sie sehr stark. 1988/89 hatten wir in der Wildcat Hoffnungen auf eine neue Kampfwelle (Krankenschwesternbewegung, in vielen Betrieben wurden Nachschlagsforderungen durchgestetzt, wilder Streik sogar in Halle 54 bei vw, der lange Erzieherinnenstreik in Westberlin, Lohnforderung der ötv 1991: 10 Prozent; bereits 1990 Demos von Charité-Beschäftigten für gleiche Löhne in Ost und West; usw.). Als im Wiedervereinigungsboom Löhne und soziale Aspirationen massiv anstiegen, erhöhte die Bundesbank 1992 massiv die Zinsen. Steigende Löhne und hohe Binnennachfrage würden die deutsche Exportstrategie aufs Spiel setzen; höhere Zinsen sollten die Inflation eindämmen und die Konkurrenzfähigkeit nach außen durch eine erzwungene Umstrukturierung wieder herstellen. Damit versenkte die Bundesbank wissentlich das ews; Klassenkampf hat Vorrag vor internationalen Verträgen.

Im übrigen wurde auch die deutsche Wiedervereinigung als Währungsunion gestartet. Mit einem viel zu hohen Umtauschkurs für die Ost-Mark ruinierte man die Wirtschaft der ehemaligen ddr in kürzester Zeit und löste eine strukturelle Arbeitslosigkeit aus, die als industrielle Reservearmee noch viele Jahre lang die Löhne und Arbeitsbedingungen in der brd absenkte. Historisches Erfahrungswissen, das die Bundesbank in die Konstruktion der Europäischen Währungsunion einbrachte.

… um die strukturelle Arbeitslosigkeit der DDR in Angriff auf die Klasse umzumünzen

Erst mit der Einführung des Euro und mit der Deregulierung des Arbeitsmarkts in der brd kehrte die Exportstrategie des deutschen Kapitalismus in die Erfolgsspur zurück. 2001 erreichte die brd zum erstenmal wieder einen Leistungsbilanzüberschuss, der in den folgenden Jahren gewaltig anwuchs, denn der Außenhandelsüberschuss stieg von minus 17 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf plus 198 Milliarden 2007.

Exkurs: Modell Deutschland

Zwischen der ersten und der zweiten »Ölkrise« war in der brd eine Kombination aus Neomerkantilismus, starker Währung und Ausdifferenzierung der Klasse entstanden, das die spd-Regierung unter Schmidt als »Modell Deutschland« propagierte. Auf die starken Lohnerhöhungen Anfang der 70er Jahre reagierte die Bundesbank mit wachstumsbremsenden Maßnahmen, die einseitig auf Preisstabilität zielten und die inländische Nachfrage bremsten. Die Gewerkschaften trugen diese Exportorientierung mit (Produktivitätssteigerung bei »maßvollen Lohnzuwächsen«). Somit blieben die Lohnstückkosten stabil. Sozial funktionierte dieses »Modell Deutschland« darüber, dass die Kernbelegschaften abgesichert wurden, während das Niveau der Ränder abgesenkt wurde. Von den Kohlregierungen bis Rot-Grün wurde diese Tendenz immer weiter verstärkt, Leiharbeit entgrenzt, die Steuern für Unternehmer gesenkt, Staatsausgaben und Sozialleistungen gekürzt. In der jetzigen Krise haben die Merkel-Regierungen und die Unternehmer diesen Kurs nochmals verschärft.

Seit dem Krisenangriff zu Beginn der 90er Jahre verschieben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen insgesamt. Die Lohnquote nimmt seit 1993 beständig ab, die Lohnsumme verteilt sich immer ungleicher (»Lohnspreizung«). Zunächst erklärte sich der Rückgang der Lohnquote hauptsächlich mit der Zunahme der Teilzeitarbeit, aber seit 2003 sinken auch die realen Stundenlöhne. Das hängt großteils mit der Ausweitung der sogenannten »atypischen Beschäftigungsverhältnisse« zusammen. Der Prozess lässt sich ganz gut in einem Satz zusammenfassen: »Zwischen 1998 und 2008 ist die Zahl der atypisch Beschäftigten um 2,4 Millionen Personen gestiegen, während die Normalarbeitsverhältnisse um 0,8 Mio. zurückgegangen sind.« (Logeay / Weiß) Aktuell geht man von 7,6 Millionen »atypisch Beschäftigten« aus, das ist ein Viertel der gesamten ArbeitnehmerInnen. Im Durchschnitt sind die Löhne bei Minijobs und in Leiharbeit fast um die Hälfte niedriger als in »Normalarbeitsverhältnissen«. Diese Lohnunterschiede »bleiben auch dann noch bestehen, wenn der Erklärungsbeitrag der üblichen sozialen, demographischen und ökonomischen Merkmale (Art der Tätigkeit, Betriebsgröße, Branche, Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Berufserfahrung, Region) in den Untersuchungen berücksichtigt wird.« (ebenda)

Das deutsche Exportmodell

Der Anpassungsdruck der euauf die Arbeitsmärkte führte zu einem race to the bottom in bezug auf Flexibilisierung, Löhne senken und Ausweitung der »atypischen Beschäftigungsverhältnisse«. Die Arbeiterklasse hat dabei überall an Boden verloren – aber das Rennen hat die brdgemacht: hier wurden die ArbeiterInnen am stärksten gedrückt. In Vollzeitstellen gerechnet fiel die Beschäftigung in der brd von 1996 bis 2006 um 1,36 Millionen. Von 2000 bis 2008 wuchs die Arbeitsproduktivität um 35 Prozent, während die Löhne nur halb so schnell wuchsen wie in der eu. Drei Gründe waren dafür ausschlaggebend. Erstens die Voraussetzung: Das starke Abbremsen der Bundesbank 1993 führte zu hoher Arbeitslosigkeit im Osten, die als industrielle Reservearmee wirkte. Zweitens der Euro: Die mit ihm verbundenen niedrigen Zinsen für alle Länder führten zu Booms in der europäischen Peripherie, deren Nutznießer vor allem die brd-Konzerne waren. Gleichzeitig sorgte die ezb für seine »Stabilität«, was ebenfalls der deutschen Industrie zugute kam. Deutsche Maschinenbau-Unternehmen müssen ihre Waren nicht über den Preis in den Markt drücken; ihre Beschäftigten können bei starker Währung günstig mit Billigtextilien und Billignahrungsmitteln versorgt werden; in Dollar bezahlte Rohstoffe wie Erdöl bleiben relativ billig. Drittens war aufgrund der deutschen Industriestruktur (Exportbranche!) das Absenkungsprogramm hier leichter durchzusetzen. Während die Löhne im Exportsektor weiter stiegen, wurde der Niedriglohnsektor sehr rasch ausgeweitet.

Ergänzt wurde das durch eine Wirtschaftspolitik, die für Deregulierung der Finanzbranche und umfangreiche Steuersenkungen für Unternehmer sorgte. Seit der Steuerreform des Schröder-Regimes ist Deutschland ein Steuerparadies für Kapitalisten, schon 2005 machten die Unternehmenssteuern nur noch 0,6 Prozent des bip aus (eu-Durchschnitt 2,4 Prozent). Mit der Unternehmenssteuerreform von 2008 fielen die Steuersätze für Unternehmer unter 30 Prozent und damit hinter diejenigen aus Belgien, Frankreich, Italien oder Malta zurück. Durch diese beiden Steuerreformen entgingen dem Staat bis heute gut 100 Milliarden Euro.

Das soziale Ergebnis fasste eine oecd-Studie im Oktober 2008 knapp zusammen: »Seit dem Jahr 2000 haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen oecd-Land. Der Anstieg zwischen 2000 und 2005 übertraf jenen in den gesamten vorherigen 15 Jahren (1985-2000)«. HartzIV wurde am 1. Januar 2005 eingeführt, es hat diese Entwicklung also nicht eingeleitet, sondern festgeschrieben und verschärft. Und es war politisch genau vor dem Hintergrund der mit der Exportstrategie zusammenhängenden Klassenspaltung durchsetzbar – die es wiederum flankierte.

Hartz IV und ein rasant wachsender Niedriglohnsektor, in dem inzwischen etwa ein Viertel aller Beschäftigten in der brd schuftet, drückte die Lohnquote weiter nach unten (während die Gehälter der Festeingestellten stabil blieben oder leicht stiegen). Die Lohnstückkosten waren in der brd 2005 niedriger als 1995. Von 2000 bis 2010 stiegen sie um sechs Prozent, in den Euroländern aber um 20 Prozent. In der hochproduktiven Industrie wuchsen sie in der brd sogar nur um ein Prozent gegenüber zehn Prozent in der Euro-Zone.

Von der unterdurchschnittlichen Lohnentwicklung profitiert besonders der Exportsektor. Heute werden ein Drittel der Arbeitsstunden in der Exportindustrie geleistet. Der Anteil der Warenexporte am deutschen bip hat sich seit 1993 mehr als verdoppelt! Die Industrie exportiert knapp die Hälfte ihrer Produkte. Nur hier steigen die Löhne so stark wie Inflation und Arbeitsproduktivität zusammen. Sie stehen mit 33,10 Euro pro Stunde (inkl. Abgaben) euweit an dritter Stelle. Konkurrenzvorteil der deutschen Exportwirtschaft beruht auf dem enormen Einkommensgefälle zum Dienstleistungsgewerbe. Es beträgt 20 Prozent, weit höher als im Rest Europas. Dadurch hat die Industrie einen Kostenvorteil, weil sie Dienstleistungen billig einkaufen kann. Sie profitiert am stärksten vom Niedriglohnsektor.

Die Exportstrategie der brd war eine effektive beggar-thy-neighbourPolitik4 gegenüber den meisten anderen eu-Ländern – auf der Grundlage, dass sie ihre ArbeiterInnen als erstes ausplünderte. Von Mitte der 90er Jahre bis 2008 wuchsen von allen eu-Ländern Spanien (3,8 Prozent), Griechenland (3,9 Prozent) und Irland (6,8 Prozent) am schnellsten. Auch Portugals bip wuchs mit durchschnittlich 2 Prozent jährlich in dieser Phase schneller als die brd (1,8 Prozent). Vor allem durch diese wachsenden Märkte kam die brd-Ökonomie aus der Stagnation der 90er Jahre. 2007 machten die Exporte der brd nach Portugal, Irland, Griechenland und Spanien mehr als 17 Prozent des deutschen Exportüberschusses aus; einschließlich Italien sogar 27,5 Prozent – für die ganze eu 63,4 Prozent. Den dauernden Handelsbilanzüberschüssen der brdentsprachen ständige Handelsbilanzdefizite der peripheren Länder. Deren Wachstum war aber nicht nur an Importe gekoppelt, es war zudem kreditfinanziert. Und nicht nur die Waren, sondern auch die Kredite kamen größtenteils von deutschen Unternehmen und deutschen Banken.

Ihre Überschüsse im innereuropäischen Handel waren die Voraussetzung für den Kapitalexport der brd nach China. Geopolitisch positioniert sich die brd zwischen Osteuropa (wohin sie viele Produktionskapazitäten ausgelagert hat) und dem Versuch, den austrocknenden Binnenmarkt durch den Warenexport an die Mittelschichten der Schwellenländer zu ersetzen. Der Vorteil des brd-Kapitals ist dabei, dass die deutsche Industriestruktur im Gegensatz zu Italien, Frankreich und Großbritannien konsistent geblieben ist, so dass sie auslagern können und trotzdem die Produktivitätsgewinne kassieren.

Neuzusammensetzung der Klasse in der Krise

Von Mai 2010 auf Mai 2011 stieg der Dax um 53 Prozent – das war sicherlich nicht durch reale Wirtschaftsdaten gedeckt, macht aber »die Stimmung« in der brd-Wirtschaft deutlich. Der bisherige Verlauf der Krise für die Reichen, die Unternehmer und die Banken war eindeutig Vförmig (der Nettogewinn nach Steuern der 30 Dax-Konzerne lag 2010 bei 63 Milliarden Euro, davon wurden 25 Milliarden als Dividende ausgeschüttet); für den Rest ist die Krise Lförmig (immer mehr Leiharbeit, hohe Inflation bei den Basislebensmitteln, Finanzkrise der Kommunen usw.). Die Tarifabschlüsse lagen 2010 im Durchschnitt bei 0,9 Prozent, die offizielle Inflation bei zwei Prozent.

Die registrierte Arbeitslosigkeit lag in der brd seit der Krise zu Beginn der 80er Jahre immer über zwei Millionen (mit Ausnahme von 1990; s.o. »Wiedervereinigungsboom«). Nun ist die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit unter 3 Millionen zurückgegangen; das geht zum einen auf die Zunahme von Teilzeit- und Minijobs zurück (das Arbeitsvolumen ist einfach auf mehr Personen verteilt worden), zum anderen weil die offizielle Arbeitslosenstatistik immer weiter umgestellt worden ist und nur noch einen Teil der Arbeitslosen erfasst – seriöse Berechnungen gehen aktuell von knapp fünf Millionen Arbeitslosen aus (»Beschäftigungslücke«). Rein rechnerisch kommen zehn Arbeitslose auf eine offene, sozialversicherungspflichtige Stelle. Die brd hat weltweit die meisten Langzeitarbeitslosen (laut ilo-Studie; zitiert in der Welt vom 21.3.2011): von den offiziell drei Millionen Arbeitslosen sind 1,4 Millionen ein Jahr oder länger arbeitslos; mehr als 900 000 sogar mehr als zwei Jahre.

In der Krise wurden Industriearbeitsplätze abgebaut und Jobs im »Dienstleistungsbereich« aufgebaut; das spiegelt teilweise die Umwandlung von festen Stellen in Leiharbeitsjobs wider. Die Leiharbeit hat stark zugenommen und lag im November 2010 bei 900 000 Leuten, ein Höchststand in der Geschichte der brd. Ein vollzeitbeschäftigter Leiharbeiter verdient in Westdeutschland 52 Prozent vom Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten. Knapp 100 000 LeiharbeiterInnen stocken ihren Lohn mit HartzIV auf. Die Zahl der Aufstocker insgesamt ist von 2005 bis 2009 um knapp 400 000 auf fast 1,3 Millionen Menschen gestiegen, darunter 390 000 mit Vollzeitjob.

Trotzdem müssen wir heute feststellen, dass der Kern des »Modell Deutschland«, die enge Kooperation zwischen Kapital, Gewerkschaften und Staat zugunsten der Exportwirtschaft, in der Krise sogar noch gestärkt wurde. 2009 arbeiteten 1,5 Millionen Menschen kurz und ungefähr 1,2 Millionen Arbeitsplätze wurden durch Arbeitszeitverkürzungen erhalten. Entlassen wurden vor allem die LeiharbeiterInnen. Merkel kümmerte sich nicht nur persönlich um die Opel-Arbeiter, sie verteidigte auch – gegen die Europäische Kommission– den vw-Konzern gegen den Versuch, ihn von staatlichem und gewerkschaftlichem Einfluss zu »befreien«. Aufgrund des staatlichen Anteils scheiterte die Strategie Porsches, die Übernahme von VW durch den Cash-Flow von vw zu finanzieren. Stattdessen übernahm vw Porsche, und der vw-Betriebsrat behielt seine starke Stellung. Seit Ende 2009 boomt vw – die Zusammenarbeit scheint sich zu bewähren. Seit dem Aufschwung werden Kernbelegschaften (z. B. bei Siemens) für ihre Loyalität mit Zusatzzahlungen belohnt – LeiharbeiterInnen und ArbeiterInnen außerhalb der Exportindustrie gehen leer aus, sozialstaatliche Leistungen werden weiter gekürzt.

Aber nicht nur die Kurzarbeit spaltete die Klasse in die »Geretteten« und die Leiharbeiter/Arbeitslosen, auch die Garantie aller Spareinlagen durch Merkel und Steinbrück im Oktober 2008 half denen, die was »gespart« haben, während HartzIV-EmpfängerInnen gar nicht mal sparen dürfen! Das gleiche galt für die Abwrackprämie.

Dass diese Klassenspaltung politisch so gut funktioniert, hängt am vorläufigen Erfolg der Exportstrategie.

Der Boom in der BRD

2010 wuchs die Weltwirtschaft real um fünf Prozent, das bip der brd um 3,6 Prozent. Im Sommer 2011 wird das bip von vor der Krise wieder erreicht sein. Allerdings hatten Regierung und Unternehmer hier mehr »Glück als System« (ftd). Denn die etwa 60 Milliarden Euro an Konjunkturprogrammen waren zwar sozial sehr wirkungsvoll (Kurzarbeit; das Handwerk päppeln; Abwrackprämie), quantitativ allerdings bei weitem nicht so bedeutend wie die Konjunkturprogramme der usa und vor allem von China, die 7 bzw. 14 Prozent vom jeweiligen bip ausgaben (die brd gerademal 2,5). Es waren deren staatliche Programme, die die brd aus der Krise holten. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die usa bereits so weitgehend de-industrialisiert sind, dass Konjunkturprogramme ins Ausland abfließen. Noch mehr kam das chinesische Konjunkturprogramm der deutschen Wirtschaft zugute: 2010 stiegen die deutschen Exporte nach China um 40 Prozent – obwohl sie auch in den Krisenjahren zuvor fast nicht eingebrochen waren. Der Boom der deutschen Autoindustrie hing 2010 fast ausschließlich an den Bric-Staaten, wiederum vor allem an China – während in Europa die Neuzulassungen um 5,1 Prozent zurückgingen.

Der Aufschwung der brd hängt ausschließlich am Export, während die Binnenkonjunktur lahmt. Er ist nicht »selbsttragend«. Das (kalenderbereinigte) Wachstum um 3,5 Prozent im Jahr 2010 schlüsselt sich nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts so auf: der Außenhandel trug 1,1 Prozentpunkte bei, der Lagerzyklus 0,8, der staatliche Konsum 0,4, Ausrüstungsinvestitionen und privater Konsum aber jeweils nur 0,3 Prozentpunkte. Lagerzyklus und Export machten also über die Hälfte aus – aber Lageraufbau geht nur einmal, und zweitens herrscht durch die Bank die Einschätzung, dass vom Außenhandel nur noch geringe Wachstumseffekte ausgehen werden.

Auch 2010 gingen 71 Prozent der deutschen Exporte in die eu, 40 Prozent in die Eurozone. Aber die Ausfuhren in das außereuropäische Ausland, vor allem nach China, Brasilien und Indien, erhöhten sich um 26 Prozent, während die Exporte in die von der Schuldenkrise belasteten Euro-Länder nur um 12,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zunahmen. Im März 2011 brachen die deutschen Exporte alle Rekorde und erreichten fast 100 Milliarden Euro, der höchste Wert in der seit 1950 geführten Statistik. Im April exportierte die brd mit Waren im Wert von 84,3 Milliarden Euro spürbar weniger. Inzwischen lässt sich feststellen, dass die Auftragseingänge in den Schlüsselbranchen zurückgehen.

Die sogenannte PIGS-Krise hat verschiedene Gesichter, aber strukturell dieselben Ursachen.

Im Boom hatten die Ungleichgewichte für die gesamte eu »funktioniert«, weil die Peripherieländer stark wachsen konnten. In der Krise führten die eu-Mechanismen (und direkter politischer Druck) dazu, dass jedes Land seine insolventen Banken retten musste. Dadurch explodierte die Staatsverschuldung der betroffenen Länder. Als Griechenland im November 2009 in Zahlungsschwierigkeiten geriet, senkten die Ratingagenturen ihre Noten für die pigs5, die Zinsen auf die Staatsanleihen der betroffenen Länder stiegen massiv, die »Eurokrise« war da. Sobald die Refinanzierungskosten der Staatsschulden so hoch werden, dass die Staaten ihre Regierungstätigkeit nicht mehr finanzieren können, müssen sie sich der brd (und dem iwf) unterwerfen – bzw. »unter den Eurorettungsschirm schlüpfen«, wie das offiziell genannt wird.

Obwohl die brd selber jahrelang die Maastricht-Kriterien verletzt hat, benutzt die Merkel-Regierung seither die Krise, um historisch einmalige Sparprogramme in ganz Europa durchzudrücken; nach innen hat die Große Koalition sogar eine Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben.

Der Euro ist für die Peripherieländer zu einem modernen Goldstandard geworden. Sie müssen ihre Schulden in einer Währung bezahlen, die auch außerhalb ihrer Landesgrenzen über Kaufkraft verfügt. (Um den New Deal überhaupt finanzieren zu können, hatte Roosevelt 1933 die Goldbindung des Dollar gelöst und ihn stark abgewertet. Der Währungsexperte Eichengreen sagt in seinem Buch über die Geldpolitik in den 20er und 30 Jahren, Golden Fetters, dass Wahlrecht für Arbeiter und Goldstandard nicht mehr zusammen passten, weil die ArbeiterInnen es nicht mehr hinnahmen, so wie zuvor durch hohe Arbeitslosigkeit die Anpassungskosten des Goldstandards zu tragen. Das ist die historische Parallele zu den aktuellen Kämpfen in Südeuropa.)

Strukturell stecken die Südländer (pigs) in einer »Sandwich«-Position zwischen dem Produktivitätsvorsprung der brd und den niedrigen Löhnen der asiatischen Länder. Spanien, Portugal, Italien, Griechenland (übrigens auch Frankreich!) nahmen die deutschen Exportüberschüsse auf, während ihre eigenen Exporte von chinesischen Waren niederkonkurriert (und ihre Binnenmärkte davon überflutet) wurden. Sie haben deshalb Defizitkonjunkturen mithilfe des niedrigen Zinsniveaus in der Eurozone ausgebildet. Die Schulden der privaten Verbraucher und der nichtfinanziellen Firmen sind in der Eurozone seit 1999 dreimal so schnell wie das nominale bip gestiegen (in den usa »nur« 2,4mal so schnell). Private Schulden werden durch die Maastricht-Kriterien allerdings nicht erfasst.

Die Vorgaben der eu sind: Unternehmenssteuern senken und Staatsausgaben abbauen. Allein zwischen 1997 und 2007 sanken die Unternehmenssteuersätze in den alten eu-15-Ländern von gut 38 auf knapp 29 Prozent. Die Nationen, die in diesem Zeitraum Mitglied der eu wurden, reduzierten noch effektiver, durchschnittlich von 32 auf 19 Prozent. In den letzten Monaten wurde des öfteren die Tatsache skandalisiert, dass Irland rekordniedrige Unternehmenssteuern von 12,5 Prozent hat und gleichzeitig den Rettungsfonds der eu in Anspruch nimmt – dabei wurde in der Regel vergessen darauf hinzuweisen, dass sie in der brd auch nur bei 15 Prozent liegen. Jahrelang wurden aber gerade die Länder, die nun als »pigs« tituliert werden, als Musterschüler hingestellt, weil sie es schafften, gleichzeitig ihr Staatsdefizit stark zu reduzieren. Die Schuldenquote der Eurozone fiel von 72 Prozent 1999 auf 66 Prozent im Jahr 2007. Irland und Spanien reduzierten im selben Zeitraum ihre Schuldenquote um 23,4 bzw. 26,2 Prozent – während die der brd um 4,1 Prozent anwuchs. Diese beiden Länder sind nicht durch übermäßiges Schuldenmachen in die Krise geraten, sondern weil ihr Wachstum an einer Immobilien-/Bankenblase hing. Das Platzen dieser Blase in Kombination mit der globalen Krise hätte ihnen nur die Möglichkeit des Schuldenschnitts und der Abwertung gelassen. Beide Möglichkeiten verstellt ihnen die eu. Deshalb stieg die Schuldenquote von 2007 bis 2010 in Irland von 25 auf 84,1 Prozent, in Spanien von 36,1 auf 97,4 Prozent. Das ist prozentual der stärkste Anstieg; er liegt noch über dem in Großbritannien (von 44,5 auf 77,8 Prozent) und der usa (von 62,1 auf 77,8 Prozent), wo ebenfalls Immobilienblasen geplatzt waren. Insgesamt hat sich das Staatsdefizit der Eurozonenländer seit 2007 versiebenfacht.

Irland wurde von den usa, der eu und dem iwf gezwungen, seine Banken zu retten – die irische Regierung hatte sie ursprünglich pleite gehen lassen wollen. Um nur die Anglo Irish über Wasser zu halten, mussten 25 Milliarden Euro, rund elf Prozent des irischen bip, versenkt werden. Allerdings waren die drei größten irischen Banken bankrott – diese hatten zwei Drittel ihrer Darlehen an irische Hotels, Büros und Einkaufszentren vergeben, dazu 15 Prozent für den Kauf irischer Grundstücke; diese langfristigen Kredite hatten sie am Finanzmarkt mit kurzfristigen Anleihen finanziert, im Sommer 2008 beliefen sich die Außenstände allein bei ihren 20 größten irischen Kunden auf 11,4 Milliarden Euro .

Zwischen 1996 und 2006 hatten sich die Immobilienpreise vervierfacht. Vom Sommer 2008 bis Ende 2010 fielen sie um 50-60 Prozent. Der Boden ist noch nicht erreicht, zudem stehen etwa 350 000 Gebäude leer… Die irischen Banken wären auch ohne Lehman kollabiert. Irland war bereits 2007 stark von der Krise gebeutelt. Die harten Sparprogramme, die die Regierung damals auflegte, galten bis Sommer 2010 noch als vorbildlich – bis Irland im Herbst 2010 ebenfalls unter die Räder geriet, und im November – das Haushaltsdefizit lag inzwischen bei 32 Prozent! – »unter den Rettungsschirm schlüpfen« musste.

Auch in Spanien waren die Immobilienpreise noch schneller als in den usa gestiegen, auch hier war die Immobilienblase in Relation zum bip größer als die in den usa. Nach deren Platzen stehen über 1,5 Millionen Wohnungen leer, darunter ganze Geisterstädte. Banken hatten an Immobilien-Entwickler geschätzte 325 Milliarden Euro Kredite vergeben, abgesichert mit Immobilien, die noch immer an Wert verlieren. Typisch für eine Immobilienblase ist, dass die Staatsschulden zunächst sehr niedrig sind, die Privatschulden sehr hoch; Spanien hatte bereits Ende 2009 eine Gesamtverschuldung von 390 Prozent des bip.

In Portugal begann schon Anfang 2007 eine industrielle Krise. Nach dem Ende der Militärdiktatur Mitte der 70er Jahre hatten multinationale Konzerne hier Textil- und Schuhfabriken aufgebaut, die vor allem auf die niedrigen Löhne in Portugal setzten. Am Ende waren aber Monatslöhne von 600 Euro eben viermal so hoch wie die in Vietnam, Bangladesch oder China. »Portugal erwies sich auf dem Zug der Billiglohnnomaden nur als Zwischenstation« kommentierte der Tagesspiegel am 22. November 2010.

Griechenland ist ein Spezialfall: Es wurde vor allem aus geostrategischen Erwägungen 1981 in die eg geholt, war aus dem ews rausgeflogen, und wurde trotzdem kurz danach in den Euro aufgenommen. Alle wussten, dass die Zahlen nicht stimmten, mit denen Griechenland die »Konvergenzkriterien« erfüllte. Zur enormen Staatsverschuldung haben mehrere Faktoren beigetragen. Griechenland ist mit elf Millionen EinwohnerInnen Europas größter Waffenimporteur. Bezeichnenderweise haben die französische und die deutsche Regierung zur Auflage für das erste »Rettungs«paket gemacht, dass Griechenland weitere deutsche U-Boote und französische Fregatten kauft. Das politische System funktioniert stark über Klientelbindung durch Jobs im Öffentlichen Dienst, dieser ist groß, kostspielig und unproduktiv. Korruption ist in Griechenland weit verbreitet, auch hier sitzen deutsche Konzerne in der ersten Reihe. Siemens soll für Aufträge zur Digitalisierung des griechischen Telefonnetzes, Kommunikationssysteme fürs griechische Militär und das Überwachungssystem für die Olympischen Spiele rund 1,3 Milliarden Euro an »ranghohe Politiker« gezahlt haben. Dazu kommt eine große Schattenwirtschaft, sie wird auf 25 bis 40 Prozent vom bip geschätzt. Das ginge aber alles als business as usual durch. Der Stachel im Fleisch der eu-Hardliner ist, dass Griechenland eine Art »Keynesianismus in einer nicht-keynesianischen Welt« durchgezogen hat und neben der ganzen Korruption eben auch Vollbeschäftigung und steigende Löhne finanzierte. Deshalb wird in der öffentlichen Debatte Griechenland in den Fokus gerückt.

Teufelskreis

Auch in der »Eurokrise« wird – wie nach dem Lehman-Kollaps im Herbst 2008 – den Banken unbegrenzt Liquidität zur Verfügung gestellt und die Sparpolitik verschärft. Das ist nicht der Versuch, die Probleme zu lösen, sondern ähnlich wie in der Schuldenkrise der 80er Jahre in Lateinamerika soll Zeit gewonnen werden. Zeit, in der u.a. die Banken ihre betroffenen Papiere an steuerfinanzierte Institutionen weiterreichen können (die deutschen Banken und Versicherungen haben zwischen Frühjahr 2010 und Frühjahr 2011 etwa die Hälfte ihrer griechischen Anlagen abgestoßen).

Die Sparprogramme verschärfen die ökonomischen Probleme, und die Zinssätze, die die Länder für die »Rettungskredite« zahlen müssen, liegen auch mittel- und langfristig höher als ihr mögliches Wirtschaftswachstum. Hohe Zinsen und drastische Sparprogramme führen zu jahrelanger Deflation und Massenarbeitslosigkeit, ohne die Chance, aus den Schulden »herauszuwachsen«. Die »Rettung« schiebt den Bankrott nur auf. Der iwf fordert »Reformen, die den Arbeitsmarkt effektiver machen, sozialpolitische Leistungen, die einer Arbeitsaufnahme im Weg stehen,« müssen abgeschafft, »die Lohnverhandlungen flexibilisiert und der Dienstleistungssektor weiter liberalisiert« werden.6 Also Mehr vom Gleichen!

Die Krisenpolitik verschärft den Hauptgedanken der eu: die Starrheit der Löhne nach unten aufzuweichen; einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Lohnentwicklung (wieder) herzustellen, der in den 70er Jahren verloren gegangen war. Was früher über Wechselkurse (»externe Abwertung«) ausgeglichen wurde, muss in der Eurozone durch »interne Abwertung« ausgeglichen werden, das heißt, Löhne, Renten und andere Sozialleistungen müssen sinken. Wenn die Arbeiterklasse nicht genügend »flexibilisiert« werden kann, führt das zu Arbeitslosigkeit und zum Emigrationszwang. Die Arbeitsmigration soll die unterschiedlichen Levels nach unten angleichen, »workers can move; wages can change« (Currie, Wirtschaftsprofessor an der London Business School). Dieser Mechanismus lässt sich aktuell auch an Irland beobachten: Bei etwas mehr als vier Millionen EinwohnerInnen und einer offiziellen Arbeitslosigkeit von 13,5 Prozent wanderten von April 2009 bis April 2010 65 300 IrInnen auf der Suche nach Arbeit ins Ausland ab, 2011 sollen es 100 000 werden, zu Beginn des Jahres lag die Arbeitslosigkeit nämlich schon bei 14,1 Prozent.

Griechenland raus aus dem Euro!?

»Nur mit neuen Krediten könnte in Griechenland … der soziale Frieden gewahrt werden. … Die Wirtschaftslage sei explosiv… Auch Brüssel scheint nicht mehr bereit zu sein, das griechische ›Faß ohne Boden‹ bedingungslos zu füllen.«
»Die geliehenen Gelder treiben die ohnehin drückenden Auslandsschulden weiter in die Höhe. Kredite werden benötigt, um den beim Staat Beschäftigten überhaupt noch Löhne, Gehälter und Pensionen garantieren zu können.«
»Griechenland taumelt auf den Abgrund zu. Streiks in der öffentlichen Wirtschaft drohen den Staat, der schon mit 150 Prozent des Bruttosozialprodukts verschuldet ist, in den Ruin zu treiben. … Die von der Regierung angekündigte Verfolgung von Steuerhinterziehung, die die Einnahmen des Staates um schätzungsweise 40 Prozent anheben könnte, scheint nahezu aussichtslos.«
»Der sich am Rande des Bankrotts bewegende Staat kann sich keine weiteren Verluste durch Arbeitsniederlegungen leisten. Deshalb will die Regierung jetzt das Streikrecht ändern.«

Klingt vertraut? Die Meldungen sind von 1990, der Reihe nach aus der faz vom 2.1., 26.3., 1.10. und 4.10. Von 1989 bis 1992 gingen Streikwellen durchs Land – gegen Privatisierungen, Lohnkürzungen und die allgemeine Anpassung Griechenlands an die bevorstehenden Maastricht-Kriterien der eu. Trotz dieser hohen Verschuldung, der Schattenwirtschaft, hoher Inflation, dauernder Abwertung, der Unfähigkeit des griechischen Staates, Steuern einzutreiben usw. wurde Griechenland 1999 mit einer erlaubten Währungsschwankung von 15 Prozent (!) in das 1996 geschaffene ews II aufgenommen, das die Einführung des Euro vorbereiten sollte. Als dieser kam, war ein 10 000-Drachmen-Schein, 2001 die größte Banknote, gerade mal 30 Euro wert. Die mit dem Euro verbundenen niedrigen Zinsen führten zu einem kreditfinanzierten Wachstum. Die Kreditblase platzte aber in der globalen Krise. Im Juli 2009 wies der damalge eu-Kommissar für Finanz- und Währungsfragen Almunia die Finanzminister der Eurozone darauf hin, dass der Regierung Karamanlis das Staatsdefizit aus dem Ruder zu laufen droht. Offiziell wurde das von der eu unter den Teppich gekehrt. Aber etwa zur selben Zeit trafen sich der spätere Wahlsieger Papandreou und der damalige iwf-Chef Strauss-Kahn, also bereits vor den Wahlen im Herbst, um den Gang Griechenlands zum iwf vorzubereiten.

Nach den Wahlen wurden Schritt für Schritt immer krassere Zahlen veröffentlicht. Obwohl im Frühjahr 2010 schon klar war, dass eine kapitalismusimmanente Lösung nur aus einer Kombination von Finanzhilfen und Schuldenschnitt bestehen kann, wurden Anfang Mai Notkredite von 110 Milliarden zugesichert, und dann ein Jahr lang betont, Griechenland werde auf keinen Fall pleite gehen. Hysterisch wurde über »Transferunion« oder Austritt Griechenlands aus dem Euro debattiert. Mit »Transferunion« wird das ständige Nachschießen zur Aufrechterhaltung des Status quo bezeichnet, es ist ein politischer Kampfbegriff, weil er die Parallele zu den Sozialtransfers aufmacht: »die faulen Griechen sind die Hartzer Europas«. In Wirklichkeit ist eine Rückkehr zur Drachme kaum machbar; wenn, dann müsste sie unangekündigt und über Nacht kommen. Sie ist in Griechenland völlig unpopulär (in Umfragen sind regelmäßig mehr als zwei Drittel dagegen), und sie wäre die krasseste Form des »Ausverkaufs« und eine historisch einmalige Vermögensumverteilung: Reiche Griechen, die große Eurobestände im Ausland haben, würden sich mit billig eingetauschten Drachmen »Notverkäufe« unter den Nagel reißen, das Auslandskapital würde sich die größten Brocken holen, zum Beispiel im Tourismussektor.

Aber auch der griechische Staat hängt weiterhin am Euro: durchschnittlich zahlt er 2011 etwas mehr als vier Prozent Zinsen für seine Schulden – während griechische Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zeitweise mit 25 Prozent gehandelt werden! Zu den aktuellen »Rettungs«konditionen bleibt die durchschnittliche Zinslast für den griechischen Staat noch bis 2016 bei etwa vier Prozent. Somit »verdienen« beide Seiten daran, denn die griechischen und europäischen Banken, die diese Staatsanleihen halten, zahl(t)en für die Gelder, die sie dafür bei der ezb aufnahmen, durchschnittlich weniger als ein Prozent Zinsen.

Eine Rückkehr zur Drachme würde zu weiteren Problemen führen: die Leute wissen, dass die Drachme stark abwerten würde und sich soviel Geld wie möglich bei der Bank holen, um es weiterhin in Euro aufzubewahren. Zweitens lauteten die Staatsschulden weiterhin auf Euro, diese abzuzahlen, wäre völlig unmöglich – ein Austritt aus dem Euro wäre somit zwingend mit einer Abschreibung von mehr als 50 Prozent der Staatsschulden verknüpft. Das würde zum Kollaps der meisten griechischen Banken führen, sie halten fast ein Drittel der ausstehenden griechischen Staatsanleihen.

Im Januar 2011 drang an die Öffentlichkeit, dass die griechische Regierung selber einen Schuldenschnitt will. Nun verschob sich die Debatte auf »ungeordnete Pleite« oder »sanfte Umschuldung«. Die Schockwellen einer ungeordneten Pleite werden für gefährlicher als die der Lehman-Pleite im Herbst 2008 gehalten. Eine »sanfte Umschuldung« soll den »Default«-Fall verhindern, keine cds-Versicherungen sollen fällig werden, die Ratingagenturen sollen die griechischen Staatsanleihen nicht weiter runterstufen usw. Mit anderen Worten: sie müsste dermaßen »sanft« sein, dass sie keins der Schuldenprobleme löst und nur noch einmal Zeit gewinnt. Am Ende wird so oder so eine Mischung aus massiven Kapitalspritzen (Bailout) und Umschuldung (Default) stehen.

Die Troika regiert

Um das »Rettungs«paket so weit wie möglich aus politischen Auseinandersetzungen rauszuhalten, war es der Bundesregierung im Frühjahr 2010 sehr wichtig, den iwf daran zu beteiligen. Damit war nicht nur »know how«, sondern ein weiterer bürokratischer Mechanismus eingezogen. Zum Beispiel darf der iwf die nächste Tranche einer Kreditzusage jeweils nur dann auszahlen, wenn auf der Gegenseite die Finanzierung für die nächsten zwölf Monate steht. Somit wird ein regelmäßiger Druck vor jeder neuen Tranchenzuteilung erzeugt.

eu, iwf und ezb ziehen den »Anpassungsprozess« möglichst lange, um Druck auf Löhne und Renten und für weitere Privatisierungen aufzubauen. Ende April warnte der damalige Chefunterhändler Griechenlands bei der Euro-Einführung, Yannis Stournaras in der Süddeutschen Zeitung ganz offen vor den Konsequenzen eines Schuldenschnitts: Die griechischen Banken wären sofort bankrott, die Sozialversicherungen würden 15 Milliarden Euro verlieren, die sie in Staatsanleihen angelegt haben, ein Dominoeffekt drohe (Irland, Portugal…) vor allem aber hätte man kein Druckmittel mehr gegen die »Reformmüdigkeit«! Das Land müsse von der ezb, dem iwf und der eu weiter unter »Reformdruck« gesetzt werden. Sehr gut brachte es die Financial Times auf den Punkt: »Manche klagen, die bisherigen Maßnahmen hätten nur Zeit gekauft. Na und? Schließlich hat Griechenland im letzten Jahr viele Reformen durchgeboxt, was kaum passiert wäre, hätte man direkt das eu-Scheckheft gezückt.« (ftd, 15.5.2011)

In ihrem Bericht vom Juni 2011 bescheinigte die »Troika« (eu-Kommission, ezb und iwf) Griechenland, das Staatsdefizit so stark gedrückt zu haben, wie es vor einem Jahr ausgehandelt worden war. Kein Industrieland hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs binnen eines Jahres härter gespart als Griechenland. Zugleich verkündete sie, Griechenland werde 2012 nicht an die Finanzmärkte zurückkehren können, deshalb könne die nächste Auszahlung nicht stattfinden. Wie passt das zusammen?

2009 war das griechische bip um zwei Prozent geschrumpft, mit den harten Sparauflagen 2010 dann um weitere 4,5 Prozent. Somit sinken die Steuereinnahmen 2011 stärker, als es der Rettungsplan vorsah, im ersten Quartal 2011 lagen sie acht Prozent unter den Vorjahreseinnahmen (veranschlagt war nur ein Minus von drei Prozent). Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen sank im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 62 Prozent, der Verkauf von Neuwagen um 50 Prozent, usw. Die meisten Leute haben heute ein Drittel weniger Geld zur Verfügung als vor dem Ausbruch der Krise. Im Privatsektor sind ausbleibende Lohnzahlungen längst die Regel, im öffentlichen Dienst beträgt der Gehaltsrückstand durchschnittlich zwei Monate. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 16 Prozent. Vom Antrag auf bis zur Bewilligung vergehen durchschnittlich 18 Monate, in denen nur eine Abschlagszahlung geleistet wird. Die Energiepreise sind massiv angestiegen. In Folge dessen ist der Konsum massiv eingebrochen – und der macht in Griechenland 75 Prozent des bip aus (zum Vergleich: in den usa 70, in der brd 56 Prozent).

Das Rettungsprogramm der »Troika« hat die Situation massiv verschlechtert.

In der eigenen Schlinge?

Spätestens seit das »Geheimtreffen« am 6. Mai 2011 in Luxemburg bekannt wurde, bei dem Papandreou angeblich über den Austritt Griechenlands aus der Eurozone verhandeln wollte, hat der Countdown für die Umschuldung begonnen. Mitte Mai sagte der Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, die Schulden Griechenlands müssten »neu geordnet« werden. Selbst Klaus Regling, der Chef des efsf, sprach nun erstmals öffentlich von der Möglichkeit eines Staatsbankrotts im Euroraum. »Es ist unabdingbar: Wenn eine Insolvenzsituation vorliegt, werden natürlich auch die privaten Gläubiger miteinbezogen.« (auf einer Podiumsdiskussion am 13. Mai 2011 in München)

Da der iwf die nächste Tranche nicht auszahlte, drohte Zahlungsunfähigkeit Griechenlands innerhalb weniger Wochen, die »ungeordnete Pleite«. Um diese zu verhindern, gab es zwei Optionen: Die eu übernimmt den iwf-Anteil. Das hätte die griechische Zahlungsunfähigkeit nur um drei Monate bis zur nächsten Tranche rausgeschoben. Trotzdem wollte die Bundesregierung diese Variante, weil dann keine Zustimmung der nationalen Parlamente nötig gewesen wäre. Sie hätte aber die Finanzmittel des efsm bank run wegen der bereits verplanten Hilfen für Irland und Portugal aufgebraucht. Also blieb nur Variante zwei: ein neues »Rettungs«- bzw. »Anpassungs«-Programm muss her.

Bundesregierung, eu und ezb sind sich prinzipiell einig, mit einer Kombination aus »freiwilliger« Umschuldung und einem weiteren »Rettungspaket« nochmal ein, zwei Jahre Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, einen richtigen Schuldenschnitt in eine weniger dramatische Phase legen zu können. Trotzdem tobte von Mitte Mai bis Mitte Juni ein heftiger, auch öffentlicher, Kampf zwischen Bundesregierung, ezb und anderen europäischen Regierungen darüber, wie freiwillig die Abschreibung von Schulden sein müsse. Die Bundesregierung hat Probleme, die eigene Fraktion hinter sich zu bringen und im Bundestag eine Mehrheit zu bekommen. Schäuble forderte deshalb eine »sanfte Umschuldung«. Gebraucht werden in etwa 100 Milliarden Euro; eu und iwf sollen jeweils etwas mehr als ein Drittel zuschießen, der Rest solle durch »freiwillige Stundung der privaten Gläubiger« aufgebracht werden, indem ihre Kredite einfach verlängert werden. Die ezb kritisierte diese Forderung als »großen Fehler«, denkbar sei lediglich ein »Roll-over« (beim Auslaufen alter Anleihen willigen Gläubiger ein, neue Anleihen mit den gleichen Bedingungen zu kaufen). Sie selber würde nach einer Umschuldung keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheit akzeptieren, somit bräche die »Versorgung mit Liquidität« zusammen, und »das Kapital der griechischen Banken (werde) ganz oder teilweise ausradiert.«

Die »üblichen Marktreaktionen« (üm) setzten ein: Die Zinsen auf griechische Staatsanleihen schossen auf 25, Mitte Juni sogar auf 30 Prozent, Anleger stießen ihre griechischen Papiere ab – und erhöhten damit den Druck weiter; Ratingagenturen stuften Griechenland auf Ramschstatus herunter – und erhöhten den Druck noch weiter, die cds auf griechische Staatsanleihen gingen durch die Decke (Mitte Juni kostete es zeitweise mehr, eine griechische Staatsanleihe auf zehn Jahre zu versichern, als diese nominal wert war!), der bank run auf griechische Banken verschärfte sich, der Interbankenmarkt drohte einzufrieren, der Euro gab nach…

Man drohte sich in der eigenen Falle zu fangen, denn eine ungeordnete Pleite oder eine richtige Umschuldung soll ja auf jeden Fall hinausgezögert werden! Die Konstruktion der eu mit einer Zentralbank, die ihre Geldpolitik völlig unabhängig von politischen Erwägungen hält und mit Maastrichtkriterien, die als einzigen Ausweg immer nur noch schärfere Einsparungen vorsehen, war vor aller Augen gescheitert. Und die neoliberale Beschwörung der Märkte und ihrer Sachzwänge in Form von Zinsen, Ratingagenturen usw. hatte sich erneut blamiert. Der unsichtbare Fürst war sichtbar geworden, und er war nackt. (»Tritt ein Kreditereignis ein, das nicht als solches bezeichnet wird, (sind) die Banken ›nackt‹; (und) noch mehr nackte Banken will niemand« – in ftd vom 17.6.2011: »Finanzmarkt gibt Griechenland auf«)

Die EZB

steht mit dem Rücken zur Wand. Sie ist inzwischen Griechenlands größter Gläubiger, man kann fast sagen, das ganze griechische Bankensystem gehört ihr. Die griechischen Banken haben, geschätzt, 91 Milliarden Euro über die ezb refinanziert, zusätzlich soll die ezb griechische Staatsanleihen im Wert von 50 Milliarden Euro in ihren Beständen haben. Ende Mai wurde zudem bekannt, dass Banken aus Griechenland, Irland, Portugal und Spanien Risiken von mehreren Hundert Milliarden Euro bei ihren jeweiligen Notenbanken abgeladen hatten auf der Grundlage von »subprime« Sicherheiten. Auch die ezb selber hatte Anfang 2011 – gegen die Vorschriften – Schuldverschreibungen im Wert von 480 Milliarden Euro als Sicherheiten angenommen. Sie ist zu einer riesigen »Bad Bank« geworden, bei der überschuldete Staaten und insolvente Banken ihre Giftpapiere als Sicherheiten gegen frisches Geld eingetauscht haben. Damit ist ihr Spielraum so eng geworden, dass sie künstlich verlängerte Kredite, wie es Schäubles Vorschlag vorsieht, tatsächlich nicht mehr als Sicherheit akzeptieren kann. Im Gegensatz zum iwf hat sich die ezb nicht abgesichert und müsste bei einem Zahlungsausfall selbst (»vom europäischen Steuerzahler«) refinanziert werden – ein gau für das Ansehen einer Zentralbank.

Die Politik

Die »Troika« arbeitet vertrauensvoll mit Teilen der griechischen Regierung zusammen. Wenn der Widerstand in Griechenland gegen die Sparpakete wächst, können aber Politiker um ihre Wiederwahl fürchten und panisch vor die Presse treten, um etwas von »Bankrott« oder »Drachme« zu faseln (was in den letzten Monaten ein paarmal passiert ist). Oder Politiker in den eu-Ländern, deren »Steuerzahler« den Bailout finanzieren müssen, machen beim Versuch, eben denen das beizubiegen, wirre Äußerungen in der Öffentlichkeit (das passiert z.B. in der brd mehrmals täglich). Ihr Spielraum ist extrem eng geworden, »dem Wähler« ist es immer schwieriger zu vermitteln, dass immer wieder mit Steuergeldern die Banken gerettet werden, während diese riesige Profite machen und Boni wie vor der Krise zahlen. Die politische Klasse hat regelrecht verkackt.

Zuspitzung Mitte Juni 2011

Die Krise der eu ist nicht geklärt und schaukelt sich deswegen immer wieder gegenseitig hoch. Als z.B. Portugal Anfang April »unter den Rettungsschirm schlüpfte«, kam es wieder zu »üm« bzgl. Griechenland. Sie haben keine Lösung und spielen nur auf Zeit. Dabei rollen sie allerdings einen Schneeball aus ungelösten Problemen den Abhang runter. Kenneth Rogoff, der selbst von 2001 bis 2003 Chefökonom des iwf gewesen war, gebrauchte Mitte Juni dieses Bild (»Vom Euro-Schneeball zur Lawine«). Am selben Tag schlug der iwf Alarm und warnte vor der »Finanzkrise II«; die Griechenlandkrise und die Wachstumsschwäche der usa »bedrohen die gesamte Weltwirtschaft«. Denn nun kulminierte die Situation: Am 15. Juni titelte die ftd »Aufruhr gegen Sparkurs – Griechenland im politischen Chaos« und »Merkels zerrüttete Koalition«. Während in der brd aber nur die »Wählerzustimmung« weiter ab- und die internen Regierungskonflikte weiter zunahmen, lief in Griechenland ein Generalstreik, und in Athen hinderten tausende DemonstrantInnen die Regierung daran, überhaupt das Parlament zu betreten, um das nächste Sparpaket zu beraten. Eine »Regierung der nationalen Einheit« sollte gebildet werden – schließlich hatte das der iwf ja implizit verlangt – dann weigerte sich aber die Opposition, sich daran zu beteiligen. Gerüchte über die Ausrufung des Notstands machten die Runde…

Als alle Optionen blockiert sind, wird am 16. Juni eine »Kehrtwende« vermeldet. »Offenbar soll es spätestens am Montag [20. Juni] einen Beschluss geben, die zwölf Milliarden Euro an Athen auszuzahlen – auch ohne Einigung auf ein zweites Hilfspaket und die damit verbundene Gläubigerbeteiligung. »Damit vermeiden wir das Szenario eines Zahlungsausfalls«, sagte Währungskommissar Olli Rehn. »Wir möchten Zeit kaufen, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen«, sagte ein eu-Beamter in Brüssel.«

Am 20. Juni ist dieses Heft bereits in Druck – uns bleibt an der Stelle nur ein kleines Resümee und ein Ausblick.

Der unsichtbare Fürst ist nicht reformierbar!

Private Schulden (der Banken, Versicherungen, Konzerne usw.) wurden in Staatsverschuldung überführt, das hat die sogenannte Eurokrise ausgelöst. Die Rettungsprogramme setzen diesen Prozess fort: die ezb kauft den Banken ihre Anleihen ab, die europäischen Staaten vergeben Kredite. So dass am Ende nicht die Frage sein wird: müssen bei einem Schuldenschnitt die Sparer (= Banken) oder bei weiteren Krediten die Steuerzahler bluten? Sondern in beiden Fällen werden die Steuerzahler (= die Proleten) bluten.

Griechenland wird ein zweites »Rettungs«paket bekommen – im Gegenzug werden die Daumenschrauben weiter angezogen. (Nicht nur) in Griechenland wird sich in irgendeiner Form eine »Regierung der nationalen Einheit« bilden. Die Banken werden versprechen, die Laufzeiten ihrer griechischen Anleihen freiwillig zu verlängern… Damit ist keins der Probleme gelöst. Systemimmanent gibt es nur zwei Optionen: Eurobonds oder weitere Sparprogramme, während die aufgelaufenen Schulden weiterhin »vom Steuerzahler« beglichen werden. Die Merkel-Regierung sperrt sich mit aller Macht gegen die Ausgabe von Eurobonds zur Finanzierung der Staatsschulden, die der Euro-Gruppen-Chef Juncker schon 2010 in die Debatte brachte, weil sie am Horizont dann bereits die griechischen Arbeitslosen ihr alg aus Brüssel beziehen sieht.

Wahrscheinlich werden sie beim eu-Gipfel nächste Woche einen großen Schritt in Richtung Barrosos »stiller Revolution« machen. Aber ihr großes Problem ist, dass diese nicht mehr unbemerkt verläuft. Die Bewegungen in Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland… haben sie zum Gegenstand einer lauten und öffentlichen Debatte gemacht. Sie richten sich gegen den Europakt und die Abwälzung der Krise auf die ArbeiterInnen: Gegen Kürzungen im öffentlichen Dienst, Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeitsplätzen, Erhöhung des Renteneintrittsalters und der indirekten Steuern sowie Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Wenn die Bewegungen stärker werden, wächst die Wahrscheinlichkeit einer »ungeordneten Staatspleite«. Das zeigt uns auch der Blick in die Geschichte, z.B. der Schuldenkrise der 80er Jahre: Das Interesse der ArbeiterInnen ist der schnellstmögliche Bankrott. Wie wir an Argentinien 2001 gesehen haben, ist das noch keine Revolution, aber die sozialen Auswirkungen sind deutlich geringer als bei einer langgezogenen Konkursverschleppung.

Argentinien zeigt aber auch, dass kapitalismusimmanent die Krise nur durch Wachstum überwunden werden kann. Der aktuelle Kapitalismus kann Wachstum nur über das Aufpumpen von Blasen erzeugen. Sowohl das Wachstum in der eu hing an den Immobilienblasen der europäischen Peripherie, als auch der momentane Exportboom der brd hängt an solchen Mechanismen (»Schwellenländerblase«).

Die eu differenzierte sich in der Krise noch stärker aus. Anfang 2011 zeigte sich deutlich »ein Europa der drei Geschwindigkeiten« (faz). Die Peripherie versinkt in Stagnation, die Mittelzone (Frankreich und Italien) profitiert kaum vom globalen Wachstum; ist auf den ostasiatischen und osteuropäischen Wachstumsmärkten kaum vertreten und leidet im eigenen Binnenmarkt unter der Konkurrenz der billigen Waren aus Asien. Wenn das deutsche Kapital seine europäischen Absatzmärkte auf Dauer durch asiatische ersetzen wollte, würde der eu die Grundlage entzogen – diese Strategie hätte zudem kurze Beine, da sich z.B. Chinas Wachstum bereits deutlich verlangsamt. Die usa können die Exporte der brd nicht mehr im bisherigen Umfang aufnehmen (die Menschen müssen erstmal ihre Schulden abbauen und können nicht mehr so viel Geld für Konsum ausgeben; die us-Ökonomie kann nur aus der Krise kommen, indem sie mehr exportiert). So oder so: nirgends ist eine Perspektive sichtbar, wie die europäische Peripherie »aus den Schulden herauswachsen« könnte.

Die Krise der eu ist – innerhalb des Kapitalismus – unlösbar. Dabei wären die Schulden schnell zurückgezahlt, man müsste bloß die griechischen Milliardäre enteignen. Dies erforderte allerdings eine Revolution – und warum sollte man dann noch Schulden zurückzahlen? »Linke« Forderungen nach einer einheitlichen europäischen Sozial- und Lohnpolitik sind demgegenüber völlig utopisch. Die Herrschenden hätten das ja gerne gehabt – der Klassenkampf hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein keynesianisches Europa zu fordern, verlangt von der Arbeiterklasse in Europa, sich den entsprechenden Produktivitätsansprüchen diesmal wirklich unterzuordnen.

Die Krise hat die Inkonsistenz der europäischen Konstruktion offengelegt. Die eu sieht keinen Mechanismus vor, der gesellschaftliche Forderungen in Geld-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik übersetzen könnte. Keine Institution, an die Forderungen zu richten wären. Aber gerade das wird ihnen nun zum Verhängnis! Deshalb sollten wir uns nicht an Bemühungen beteiligen, die eu zu »demokratisieren«, sondern mithelfen, die ganze Scheiße umzustürzen!

P.S.

Im Rahmen dieses Artikels konnten wir auf die anderen Ebenen (der polizeilichen, geheimdienstlichen, militärischen usw. Zusammenarbeit) der eu nicht eingehen. Die Bewegungen thematisieren und attackieren auch diese, erwähnt sei nur das Beispiel Frontex, Abwehr der MigrantInnen aus Afrika und die zeitweiligen Überlegungen, Schengen deswegen auszusetzen.

Fußnoten:

[1] Nicht zufällig steht der erste Angriffskrieg, an dem die Bundeswehr beteiligt war, der Kosovokrieg, ebenfalls am Beginn dieser Zäsur. Von heute aus ließe sich sagen, Jugoslawien wurde eu-kompatibel geschossen, im Sinne der schiefen Kern-Peripherie-Ebene.

[2] Die wichtigsten Kriterien waren drei: die Schuldenquote (Verhältnis von Staatsschulden zu BIP) sollte unter 60 Prozent, die Neuverschuldung (Haushaltsdefizit) unter 3 Prozent und die Inflation unter 2 Prozent liegen.

[3] Padoa-Schioppa, einer der Architekten des Euro, Gründungsmitglied der ezb, 2006-2008 Wirtschafts- und Finanzminister unter Prodi, hatte in seinem Buch von 1994 The Road to Monetary Union die eu einen »kollektiven Fürsten« genannt. Werner Bonefeld änderte das passend in »unsichtbaren Fürst«; vergleiche Werner Bonefeld: http://rcci.net/globalizacion/2002/fg261.htm

[4] beggar thy neighbour bedeutet »den Nachbarn ausplündern« und ist ein Begriff für den Versuch eines Landes, mit Exportüberschüssen Einkommen und Beschäftigung im Inland zu erhöhen. Da die Zunahme der Exporte eines Landes eine Zunahme der Importe für das Ausland darstellt, ergeben sich dort komplementäre Wirkungen, z.B. steigende Arbeitslosigkeit.

[5] Es geht um die Länder Portugal, Irland, Griechenland, sowie Italien und Spanien, die evtl. von Staatspleiten bedroht sind. Das wurde zu »PIGS« = Schweinen zusammengezogen, obwohl es richtigerweise PIIGS heißen müsste. Inzwischen sind PIG »unter den Rettungsschirm geschlüpft«, Spanien, Italien und Belgien werden als mögliche Kandidaten gehandelt.

[6] IWF, Concluding Statement on Euro-Area Politics, 2010



aus: Wildcat 90, Sommer 2011



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