Wildcat-Zirkular Nr. 50/51 - Mai/Juni 1999 - S. 12-15 [z50belli.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 50/51] [Ausgaben] [Artikel]

Linke Bellizisten

Die NATO ist »sozusagen der militärische Arm von amnesty international«, schrieb der Bürgergesellschaftsfanatiker Ulrich Beck, nachdem im Namen der Menschenrechte der Krieg »gegen Serbien« begonnen hatte.

Es ist nicht nur das geile Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, das solche Figuren dazu bringt, ihr theoretisches Lebenswerk in einen verräterischen Satz zu schmelzen. Der »nachdenkliche« Beifall der meisten Linken, Alternativen und Liberalen ist ihnen sicher: Endlich ein gerechter Krieg »zur Durchsetzung zivilisatorischer Standards«, so Thomas Schmid, Gründungsmitglied der TAZ im soeben erschienenen Sammelband zum »Krieg im Kosovo«. Aber aufgepaßt: »Die Anwendung militärischer Gewalt stellt für die zivilen Strukturen einer demokratischen Gesellschaft eine außerordentlich ernste Bedrohung dar«, schreibt der Kollege von der ZEIT im selben Buch (rororo aktuell).

Genau in dieser nachdenklichen Befürwortung des NATO-Kriegs kommt das jahrelange Geschwätz über Zivilgesellschaft auf den Punkt: Die NATO verteidigt die Errungenschaften der Weltbürgergesellschaft (Habermas in der ZEIT). Die 68er-Renegaten, die heute die Regierungsgeschäfte in den europäischen Kernländern besorgen, vereinigen »Pazifismus« und »Bellizismus«. Die »rechten Linken« an der Regierung führen den Krieg, die »linken Linken« protestieren dagegen und verwalten die Flüchtlinge. Beide Positionen können sogar in einer Person zusammenfließen: D'Alema, dessen frühere kommunistische Partei jahrzehntelang von der CIA mit allen Mitteln inkl. Bombenmassakern an der Zivilbevölkerung von der Regierung ferngehalten wurde, legt einen Friedensplan vor, der sich für das Ende der Bombenangriffe ausspricht und fordert bei dessen Scheitern Bodentruppen.

Bei den Grünen beherrschen besonders Parteilinke wie Ströbele, Buntenbach und Höhn diese staatstragende Einigkeit im herrschaftsfreien Dialog. Sie fordern einerseits Sanktionen (Ströbele wörtlich: »Erst nach sechs Wochen ein Ölembargo zu verhängen ist doch schlimm«) und verteidigen die internationale Bedeutung ihres Staates und ihrer Beteiligung daran: »Wir müssen in der Regierung bleiben, denn wir haben Verantwortung für den Krieg und müssen auch Verantwortung für den Wiederaufbau übernehmen«. Andererseits werden »Angebote zur Friedensarbeit innerhalb der Partei« gemacht, »um den Frust über die grüne Kriegsbeteiligung abzubauen«. Nur Renegatenschweine wie Fischer und Cohn-Bendit können dermaßen unverschämt an einer neuen Art von Auschwitzlüge stricken, Fischer geiferte sogar »No Pasarán« in die Kameras. Gegen die dreckigen ethnischen Säuberungen eines Miloževiž setzt Schily die militärisch organisierte soziale Säuberung per internationaler Flüchtlingspolitik. Hunderttausende werden in Gefängnislagern zwischengeparkt.

Flüchtlingsbusiness, Lagermanagement, Rückführung ...

»Verteidigung der Menschenrechte« war schon im Lateinamerika der 60er Jahre ideologischer Bestandteil der hochgelobten »Allianz für den Fortschritt« unter Kennedy. Counterinsurgency- und Programme des »Krieges der niedrigen Intensität« mit integrierten Menschenrechtsoffensiven wurden z.B. im Zentralamerika der 70er und 80er Jahre als Konseqenz aus dem Vietnam-Krieg erprobt. Die Schlächterarmeen El Salvadors und Guatemalas, deren sämtliche Kader in den 60er und 70er Jahren eine US-militärische Kriegsausbildung bekamen, wurden jetzt zu Friedensstiftern ergänzt. Wie normale humanitäre Hilfsorganisationen bauten die entsprechenden Einheiten Brücken, richteten Krankenstationen ein und halfen auch schon mal beim Legen einer Wasserleitung. »Civic action-Programme« war das Stichwort für diesen organischen Bestandteil (vorbeugender) Aufstandsbekämpfung.

Die Erzeugung von Flüchtlingsströmen mit nachfolgender humanitärer Hilfe des Militärs als effektivster Organisation vor Ort gehört ebenfalls zum Repertoire der Schweine. Internationale Hilfe bekommt die Funktion, solche Vertreibungsaktionen zu finanzieren und zu legitimieren. Die klassische Aufgabe »humanitärer Organisationen« im Falle von großen Flüchtlingsmassen, nämlich der Aufbau von Zeltstädten und die Versorgung der Vertriebenen, wird heute auf dem Balkan selbstverständlich von der NATO übernommen. Nach acht Wochen Krieg kam am 20. Mai ein schwacher Protest von »Ärzte ohne Grenzen« dagegen, daß die NATO sowohl Krieg führt, als auch die humanitären Operationen anleitet. Genau genommen müßten sie dagegen protestieren, daß die NATO sowohl den Bombenkrieg gegen die Bevölkerung in ganz Jugoslawien als auch den humanitären Krieg gegen die Vertriebenen und Geflüchteten führt. Zusammen mit internationalen Organisationen wie UNHCR und WHO sowie mit den vielen Hiwis von sog. Nicht-Regierungsorganisationen sorgen die NATO-Militärs vor allem dafür, daß die Opfer der Vertreibung auch Opfer bleiben: als politische Subjekte sollen sie nicht zu Wort kommen. Eigenorganisation wird verhindert oder unterbunden - eine Politik, die in der BRD auch gegen Asylbewerber bekannt ist. Unkontrollierte Übertritte über die grüne Grenze sollen verhindert werden. Die Flüchtlinge werden dorthin abgeschoben, wo man sie selber haben will; auch wenn sie sich dagegen wehren oder einige auf dem Transport sterben, wie zu Ostern bei der Räumung des Lagers in Blace an der serbisch-makedonischen Grenze.

Humanitäre Hilfe ist heute in allererster Linie business. Gerade auf dem Balkan muß jede Hilfsorganisation mit zivilen und militärischen staatlichen Organen zusammenarbeiten, schon allein wegen der riesigen Dimension (es geht immerhin um 100 000e) und aus Sicherheitsgründen. Das Gebiet ist von mehreren Seiten vollkommen militarisiert. Schließlich soll Albaniens nicht weiterhin als Drehscheibe nach Europa für Flüchtlinge aus der Türkei, und asiatischen Ländern dienen.

Das humanitäre NGO-Business ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern im besten Fall dessen Anhängsel, strukturell seine Absicherung. NATO-Militärs, Journalisten und UNO-Funktionäre bilden gemeinsam das Publikum in albanischen Hotels. Hilfsorganisationen stehen untereinander in Konkurrenz um Einfluß, finanzielle Mittel und den besten Ruf.

Moralische Kriege

Spätestens seitdem Napoleon stehende Heere aus Freiwilligen rekrutierte, werden Kriege den eigenen Untertanen gegenüber moralisch legitimiert. Gerade das Gemetzel des Ersten Weltkriegs wäre anders nicht zu veranstalten gewesen. Der hohe moralische Druck, mit dem sich Figuren wie Scharping und Schröder zu Kriegstreibern aufblasen, ist historisch also nicht besonders einzigartig. Aber wieso, verdammt, wirkt diese Scheiße weit bis in das Umfeld der Linksradikalen hinein??!

20 Jahre grün-alternative Politik; 20 Jahre Illusionen der Autonomen, man könne über diese parlamentarische Bande spielen; der Antifaschismus, der den Staat ruft: all das hat die Linke als Antikriegskraft beinahe ausgelöscht. Fischer konnte auf dem Grünen-Parteitag in Erinnerung an den Anschlag von Solingen und die Skins sagen: »Ich frage mich, wenn wir innenpolitisch dieses Argument immer wieder gemeinsam verwendet haben, warum verwenden wir es dann nicht, wenn Vertreibung, ethnische Kriegsführung in Europa wieder Einzug halten...« Klartext: Gegen die Skinheads haben wir die Bullen geholt, nachdem unter staatlicher Kontrolle und erfolgreicher Mobilisierung rassistischer Reserven in der Bevölkerung die Asylgesetze abgeschafft waren. Warum also jetzt keine »internationale Polizeiaktion« gegen Miloževiž?

Die Linke klatschte Beifall, als Pinochet in London festgesetzt wurde. Für manche begann damit sogar eine neue internationale Ära für »die Menschenrechte«. Öcalan war der nächste. Jetzt ist Miloževiž dran. Die Bombardierung Serbiens ist pure Menschlichkeit aus ureigenstem Interesse. Weltinnenpolitik!

Die Empörung über die »Kollateralschäden« (Bomben und Raketen auf Krankenhäuser, Knäste und Altersheime und in Wohngebiete) vergißt, daß die gewollte, systematische Zerstörung der Infrastruktur (Elektrizitäts- und Wasserwerke, Straßen, Brücken, Gleise, Raffinerien) mittel- und langfristig viel schlimmere Schäden für die Menschen anrichtet (siehe Irak). Jugoslawien wird gegenwärtig weit stärker zerstört als während des Zweiten Weltkriegs.

Massenhafte Begeisterung für diesen Krieg der NATO fehlt genauso wie breiter Protest. Eine allgemeine Kriegsbereitschaft ist auch nicht erforderlich, Stillschweigen reicht. Kriegsdienstverweigerung ist kein besonderes Thema mehr, denn die Krisenreaktionskräfte der NATO-Länder bestehen aus lauter Freiwilligen. Eine High-Tech-Armee bombt aus der Luft, fast ohne jeden Verlust (wie im Golfkrieg, wo am Ende den 150 000 Toten im Irak offiziell 124 Verluste bei den Allierten gegenüberstanden).

Die UÇK hat die Rolle des niedrigentlohnten Söldners mit den stärksten Verlusten bekommen. Die Internationalisierung militärischer menschlicher Arbeitskraft ist hier wörtlich zu nehmen: die UÇK rekrutiert sich inzwischen zu großen Teilen aus Proletariern kosovarischer und albanischer Herkunft, die in den letzten 10 Jahren nach Westeuropa ausgewandert oder geflohen waren.

Kick für den Aufschwung, die Proleten in ganz Europa bezahlen »Krieg und Wiederaufbau« (mit den freiwilligen Spenden für das täglich im TV vorgeführte Flüchtlingselend ging es los, jetzt hat Eichel hier die ersten Sparpläne auf den Tisch gelegt), der Marshallplan für den Balkan liegt in der Schublade, das Kapital in den Sektoren Rüstung, Bau und Stahl reibt sich zufrieden die Hände.

Carl Bildt, schwedischer Ex-Premier und von UNO-Chef Annan eingesetzter Vermittler im Kosovo-Konflikt ist Realist: »Der Balkan wird zur neuen Zentralfront der NATO werden. Eine internationale Militärpräsenz wird jahrzehntelang erforderlich sein.«


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 50/51] [Ausgaben] [Artikel]