Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 39-46 [z59ejido.htm]


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El Ejido - ein Jahr danach

Im Wildcat-Zirkular 56/57 haben wir eine erste Einschätzung der Ereignisse im andalusischen El Ejido im Februar 2000 versucht. Da uns besonders interessiert hat, wie die marokkanischen Landarbeiter in dieser sehr schwierigen Lage einen Streik organisieren konnten, sind wir im Sommer und Herbst 2000 jeweils für einige Tage vor Ort gewesen und haben mit den kleineren Gewerkschaften und vor allem mit einer ganzen Reihe von Einwanderern (in den Treibhäusern dieser Region arbeiten hauptsächlich Männer) gesprochen. Die Kontakte ergaben sich auf der Straße, an der Bushaltestelle, am Strand, im Café. Fast alle wollen weiter nach Norden, mindestens nach Barcelona und Madrid, nach Frankreich, wo größere maghrebinische Communities auf sie warten oder nach Deutschland, was nach wie vor als das Traumziel gilt. Viele hatten schon mehrere Überfahrten über die Meerenge von Gibraltar hinter sich, viele hatten Familienangehörige in anderen europäischen Ländern oder hatten selber Erfahrungen dort gemacht. Wir haben auch AktivistInnen des Februar-Streiks getroffen, die teilweise eine längere politische Erfahrung in Andalusien hatten. Aus diesen Gesprächen, Zeitungsartikeln, Statistiken usw hat sich langsam das Bild präzisiert, von dem wir im ersten Artikel nur Umrisse sehen konnten. Im März 2001 haben wir zu unseren neuen Erfahrungen eine Veranstaltung in Köln gemacht und dabei einige Thesen vorgestellt.

Zwei Momentaufnahmen aus zwei verschiedenen »Epochen«

A. In diesem Monat beginnt in Berlin der Prozess gegen vier Leute, die in den 80er Jahren in den Revolutionären Zellen aktiv gewesen sein sollen. U.a wird ihnen vorgeworfen, an Aktionen gegen Institutionen und Repräsentanten der damaligen Einwanderungspolitik beteiligt gewesen zu sein.

Die damaligen Debatten waren, auch hier in Köln, auf die Bedingungen für soziale Revolution ausgerichtet, den MigrantInnen wurde die Rolle des revolutionären Subjektes zugesprochen. Auch wenn sich das eher als Wunsch der Linksradikalen herausgestellt hat, gab es zu dieser Zeit den Versuch, Migration und die sich daraus entwickelnden Kämpfe als Momente einer revolutionären Perspektive zu bestimmen.

B. In El Ejido (Andalusien) kam es im Februar 2000 zu einer massiven Konfrontation zwischen andalusischen Altbewohnern und eingewanderten Landarbeitern aus Marokko in der Provinz Almería. Die rassistischen Angriffe, die folgenden mehrtägigen Unruhen und die schlechte Presse über den Mangel an zivilgesellschaftlichem Verhalten in Spanien waren in den darauffolgenden Monaten die stärksten Argumente der Befürworter schärferer Einwanderungsgesetze in allen Parteien. Gleichzeitig öffnete der spanische Staat wie schon mehrere Male seit Ende der 80er Jahre das Ventil »Legalisierung«.

Der auf die Angriffe folgende Streik der 20 000 Landarbeiter hat aber auch gezeigt, dass die Einwanderer sehr wohl in der Lage sind, sich zu wehren. Solche zum grossen Teil selbstorganisierten Aktionen sind seit Oktober letzten Jahres nicht mehr abgerissen: Zu diesem Zeitpunkt wurde bekannt, dass von den 220 000 Legalisierungsanträgen von »sinpapeles« (die Illegalisierten »ohne Papiere«) ca. ein Drittel abgewiesen worden war. Seitdem kommt es vor allem in den Grossräumen Madrid und Barcelona sowie in einigen andalusischen Provinzen, vor allem in Almería, Cádiz und Huelva, sowie in der marokkanischen Enklave Ceúta zu Demonstrationen, Kirchenbesetzungen und Hungerstreiks von MigrantInnen, die auf diese Weise ihre Legalisierung durchsetzen wollen. Diese selbstbewussten Kämpfe beschäftigen die spanische Öffentlichkeit an vorderster Front, weil sie auch mit starker polizeilicher Repression nicht zu brechen sind und immer wieder an neuen Orten und mit neuen AktivistInnen aufflackern.

Wenn wir diese beiden Hinweise mit der Praxis von »Flüchtlingsuntertützung« in der BRD seit Anfang der 90er Jahre konfrontieren, werden deren Grenzen erkennbar:

El Ejido und die Folgen für die spanische Einwanderungspolitik

1. Die rassistischen Angriffe in El Ejido waren eine Reaktion auf die beginnende Krise der Treibhauslandwirtschaft und auf die Stärke der Einwanderer.

Nach dem EG-Beitritt Spaniens 1986 und stärker noch nach dem Fall der Mauer zwischen Ost und West 1989 kamen tausende Einwanderer, zum großen Teil aus Marokko, nach Spanien. Allein in die Region von El Ejido kamen 20 000. Sie waren als Arbeitskräfte in der sich seit Anfang der 80er langsam entwickelnden Treibhauswirtschaft Almerías willkommen.

Aber es kamen Menschen, die in der Lage waren, sich zu organisieren: sie schufen sich Treffpunkte, eroberten die Strände und sorgten vor allem für eine gewisse Lohnrigidität nach unten (kaum jemand arbeitet heute in den Treibhäusern für weniger als 400 Pts in der Stunde, das entspricht 4,70 DM). Diese Starrheit der Löhne nach unten wurde teilweise mit Gewalt von »alteingesessenen« gegen neueintreffende Migranten durchgesetzt.

Zur Jahreswende 1999/2000 hatte ein Teil der lokalen Agrarunternehmer zusammen mit der PP und dem Madrider Innenministerium versucht, die allmählich zu widerspenstig werdenden Marokkaner massenhaft durch neue Arbeitskräfte vor allem aus Osteuropa zu ersetzen. Der Preis der Ware Arbeitskraft und ihre ungestörte Verfügbarkeit hatte einen zentralen Stellenwert bekommen, da die Treibhauslandwirtschaft Almerías in die Krise geraten war: starke Konkurrenz der Kleinunternehmer untereinander, sinkende Verkaufserlöse, Konkurrenz durch Tomaten aus Marokko, Versalzung des Wassers, Verschuldung vieler Kleinunternehmer ohne Perspektive auf Tilgung.

Der Austausch von Kontingenten war aber nicht mit einem Federstrich zu bewerkstelligen, und so wurde von oben (Unternehmer, Partido Popular, Polizei) ausgehend von der Tötung einer Frau auf dem Markt durch einen Marokkaner der latent vorhandene Rassismus in Anschlag gebracht - was auf einen grossen Resonanzboden traf:

Die Angriffe richteten sich gegen alles, was die Stärke der marokkanischen Einwanderer ausmachte: Treffpunkte, Geschäfte, Autos, Unterkünfte, Unterstützungsgruppen und »natürlich« gegen die Arbeitskräfte, die ironischerweise die Grundlage des relativen Reichtums der Stadt und ihrer rassistischen Schlägertrupps bilden.

Wie ist dieses Vorgehen zu erklären? Hier nur ein paar Stichworte zu den Hintergründen: Die Treibhausbesitzer kommen aus Familien, die in den 50er Jahren aus den Alpujarras und aus Murcia umgesiedelt wurden und 1 ha Land sowie ein cortijo (kleines Häuschen ohne Strom und Wasseranschluß) erhielten; viele (zumeist die Männer) gingen zum Arbeiten nach Norden (in die spanischen Zentren, nach Frankreich, Deutschland oder in die Schweiz) und kehrten Anfang der 70er zurück.

Mit ihren Ersparnissen, EG-Subventionen und Krediten wurden die ersten Treibhäuser hochgezogen; viele Familien wurden schnell reich, die Stadt El Ejido wuchs von 1000 auf 50 000 EinwohnerInnen. Es herrschte Goldgräber-Stimmung: Banken, Neubauten, dicke Autos ...

Seit Ende der 90er Jahre sind allerdings die ersten Vorboten einer wirtschaftlichen und sozialen Krise zu sehen: die Geschäfte laufen nicht mehr so gut wie früher ... um so agressiver richtet sich nun der Haß auf alles, was für die eigenen Probleme verantwortlich gemacht werden kann.

2. Von Anfang an haben sich die Einwanderer gegen die Angriffe gewehrt: in Schlägereien, durch Sabotage in den Betrieben, später mit Streik ...

Die Konfrontation dauerte zunächst drei Tage. Längst nicht alle Marokkaner liefen in die Berge, sondern sie wehrten sich, teilweise handgreiflich: einige Treibhäuser brannten ab, später benutzen sie das Mittel, das die Treibhausbesitzer am schärfsten trifft:

Eine Woche lang streikten mitten in der Hochzeit einer der Tomatenernten fast sämtliche Erntearbeiter; weitgehend selbstorganisiert, teilweise unterstützt durch die Strukturen von marokkanischen Einwandererorganisationen - und das trotz der völlig aufgesplitterten Arbeitssituation: die durchschnittliche Betriebsgrösse liegt bei 1,7 ha (das entspricht ungefähr dem Umfang von zwei Fussballfeldern) und dort arbeiten jeweils nur zwei bis drei Arbeiter. Die Verständigung lief über die wenigen übriggebliebenen Treffpunkte; auch Handys spielten in der etwa 250 qkm großen Region eine wichtige Rolle.

Mit diesem Streik demonstrierten die Erntearbeiter ihre Macht. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu Verhandlungen, in denen sich die grossen Gewerkschaften (Comisiones Obrera und Union General de Trabajo) vordrängten, die sonst mit den ausländischen ArbeiterInnen nichts zu tun haben. Aber auch kleinere Organisationen witterten ihre Chance. Das schliesslich nach einer Woche geschlossene Abkommen legte fest: Einhaltung des Tarifvertrags (ca. 600 Pts Lohn), menschenwürdige Unterkünfte, Entschädigungen, Untersuchung der Vorfälle.

Der einzige Punkt des Abkommens, der eingehalten wurde, war die Beendigung des Streiks: viele der Landarbeiter konnten sich den Lohnausfall nicht länger leisten; sie standen unter dem Druck, Geld an ihre Familien jenseits der Meerenge von Gibraltar zu schicken. Ein Vertreter der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CGT (Abspaltung von der CNT) sagte uns, sie hätten dafür gesorgt, dass ihr Teil des Abkommens (also der, den sie »für die Arbeiter« ausgehandelt hatten) eingehalten wurde. Andere Organisationen (z.B. die marokkanische Einwanderervereinigung ATIME) betätigten sich in der Folgezeit (z.B. bei der mehrwöchigen symbolischen Besetzung eines Teils des Gewerkschaftshauses von Almería im April 2000) als Bremser gegen ihres Erachtens überzogene Forderungen (z.B. die nach der »Legalisierung für alle«).

Die Aktivisten des Streiks sind teilweise nach Norden gegangen, teilweise ins Visier der Gewerkschaften geraten, die sie als Kader rekrutieren wollen ...

Die Fähigkeit der Marokkaner zum Streik kann als Beleg dafür gelten, das mit den Angriffen von El Ejido aus Sicht der Unternehmer »die Richtigen« getroffen wurden. Andersherum mit den Worten eines schwarzen »subsaharianos« (der zu der zweiten großen Einwanderergruppe in Andalusien gehört) ausgedrückt: »Die Tatsache, dass sie UNS nicht angreifen, zeigt, dass wir uns viel zu viel gefallen lassen...«!

Es ist nicht überraschend, dass das gerade verabschiedete Einwanderungsgesetz in Spanien Versammlungen und gewerkschaftliche Organisierung von MigrantInnen zu verbieten versucht.

3. Seit dem Oktober 2000 reissen die Aktionen von EinwanderInnen für ihren Aufenthalt und ihre Lebensbedingungen nicht mehr ab.

Wir haben z.B. in der Stadt Almería Anfang Oktober ca. 100 Marokkaner und subsaharianos besucht, die einen Monat lang erst in, dann vor einer Kirche am Rand des Zentrums für ihre Legalisierung demonstrierten. In Ceúta traten im Februar 300 Migranten in einen Hungerstreik. Im Februar/Anfang März besetzten in Almería etwa 150 subsaharianos und Marokkaner einige Büros im Rektorat der Universität. Die Reaktion der Unileitung war das sofortige Einschalten der Bullen, die die Gebäude abriegelten. Recht schnell spielten sich die LandarbeiterInnen-Gewerkschaft SOC (Sindicato de Obreros del Campo) und ATIME als Vertreter der Aktivisten auf. Dieses Angebot wurde von offizieller Seite gerne angenommen, das Ergebnis waren Vertröstungen auf eine eventuelle weitere Einzelfallprüfung (ein Verfahren, was uns in Köln aus den langen Monaten des Kirchenasyls wohl bekannt ist).

Die spanische Presse ist täglich voll mit Berichten über alles, was mit Migration zu tun hat. Es ist durchaus möglich, auf ein und derselben Seite von El País eine rührselige Geschichte über die illegale Einreise von zwei armen Marokkanern zu lesen, daneben Hetzartikel gegen böse Schleuserbanden, darunter den Appell eines Unternehmerverbandes an die Regierung, mehr ausländische Arbeitskräfte ins Land zu lassen und wieder daneben das Foto eine Unternehmers, der sich freudestrahlend mit seinen neuen Arbeitern in deren Unterkunft zeigt, die er ihnen gegen Miete zur Verfügung stellt ...

4. Der spanische Staat befindet sich in einem Dilemma: um die Migration kontrollieren zu können, muß er neben der Abschiebung »überflüssiger« MigrantInnen einigen Gruppen irgendeinen Aufenthaltsstatus zuerkennen, womit sich für sie Möglichkeiten der Organisierung und der Bewegungsfreiheit ergeben.

In Spanien läuft seit etwa einem Jahr die politische Debatte um Einwanderung und Einwanderungspolitik auf Hochtouren. Bis Mitte der 70er Jahre war Spanien Auswanderungsland. Spätestens seit dem EG-Beitritt 1986 ist es zum Einwanderungsland geworden. Seit Anfang der 90er ist Andalusien bzw. die Meerenge von Gibraltar zu einer der Haupteinwanderungsrouten in die EU geworden. Inzwischen gibt es auch Routen über die Kanaren und über die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla.

Aktuell leben etwa eine Million Menschen ohne spanischen Pass in Spanien; das sind 2,5 Prozent der Bevölkerung, hinzu kommen mehrere Hunderttausend »sinpapeles«. Jedes Jahr ertrinken in der Meerenge von Gibraltar ungefähr 1500 Menschen, 15 000 werden direkt bei der Einreise geschnappt. Die Zahl der erfolgreichen illegalen Einreisen über diese Route dürfte bei 30 000 liegen.

Die mehrere 100 km lange Küste ist nicht zu bewachen, der Zugang wird durch die Behörden je nach den Erfordernissen erleichtert oder erschwert: Kontingentregelungen, Razzien, Abschiebungen und Legalisierungen.

Der spanische Staat hat in den Jahren 1986, 1991, 1996 und 2000 zur Entspannung der Situation sogenannte Regularisierungskampagnen durchgeführt: die Voraussetzungen waren jeweils eine bestimmte Aufenthaltsdauer sowie der Nachweis von Arbeit. Formell gibt es eine Einzelfallprüfung, real handelt es sich um regionalspezifische politische Entscheidungen: in Almería war z.B. die Anerkennungsquote sehr niedrig, weil es die Befürchtung gab, dass Leute mit Papiere eher die Provinz verlassen würden ...

Diese Legalisierungen dienen auch immer zur Aufrechterhaltung des Status »illegal« für einen großen Teil der bereits Eingewanderten und ihre NachfolgerInnen; sie produzieren und sichern eine politisch wichtige Spaltung der Migranten. Als Ergebnis der letzten Legalisierungskampagne leben zum Beispiel mehrere 10 000 Menschen in Spanien mit der ständigen Gefahr ausgewiesen zu werden.

Das spanische Kapital hat vor allem in den Branchen Bau, Gastronomie, Gesundheitswesen und Landwirtschaft Interesse an einer Arbeitskraft, die ohne Kampferfahrungen und von Repression bedroht ist.

Besonders in der Landwirtschaft spielen die Unternehmer öffentlich mit dem Arbeitskräftebedarf: der Vertreter einer landwirtschaftlichen Kleinunternehmerorganisation (UPA - Unión de Productores Agrícolas) hat uns gegenüber die klassische Haltung des Kapitals auf den Punkt gebracht: als Unternehmer ist er an möglichst billiger Arbeitskraft interessiert, die immer dann verfügbar ist, wenn er sie braucht - ob diese Arbeitskräfte Papiere haben oder nicht, interessiert ihn erst in zweiter Linie; als Staatsbürger sieht er die »sozialen Folgeprobleme« und fordert von seiner Regierung eine Kontrolle der Einwanderung.


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