Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 65-70 [z59nolog.htm]


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No Logo!

Buchbesprechung   (englische Version / english version)

Ja, ich habe es gelesen: »No Logo!« Von Naomi Klein. Ich weiß nicht, wann ich mich zum letzten mal so über ein Buch geärgert habe. Und das, obwohl ich zwischen den Seiten des aktuellen Standardwerkes zur Frage der Globalisierung der Marken und des Widerstandes dagegen noch »Blow Job« von Stewart Home gelesen habe, einen wüsten Trash-Roman um bisexuelle Anarchisten, dümmliche Trotzkisten, schwule und nichtschwule Nazis, üble männermordende Feministinnen und den revolutionären Strassenkampf des Lumpenproletariats, was auch nicht gerade ein erfreuliches Ereignis war.

Nicht, dass ich mich ärgern würde, es überhaupt gelesen zu haben. Manchmal ist es ja auch gut, etwas zu lesen, über das man sich dann ärgert. Da hat diese Frau, die inzwischen auch schon 30 Jahre alt ist, also mehrere Jahre recherchiert und hat dabei wahrscheinlich doppelt so viele interessante Leute getroffen, wie ich persönlich kenne [:-)]: Adbuster in San Francisco und New York, englische »Reclaim the streets«-Militante, holländische Hacker, philippinische Revolutionäre, indonesische Arbeiterinnen der Exportproduktionszonen (EPZ). Und dann das.

Nein - das Buch hat auch seine guten Seiten. Aber der Reihe nach.

Wie sich inzwischen halbwegs rumgesprochen haben dürfte, geht es in dem Buch, das samt Endnoten und statistischem Material immerhin über 500 Seiten umfasst, um die Globalisierung, wie sie die großen Markenkonzerne, also Nike, McDonalds, Shell, Adidas, Tommy Hilfiger, etc., betreiben. Es geht auch um den Widerstand dagegen und um die Frage, wie dieser am besten zu organisieren sei. Das alles ist nicht verkehrt. Das Meiste ist allerdings auch nicht wirklich neu. Wer in Naomi Kleins Buch zum ersten mal auf den Umstand stößt, dass seine Nikes in Indonesien oder in China in Sweatshops von minderjährigen Mädchen unter unmenschlichen Bedingungen geleimt und genäht werden, hat sich zumindest bisher nicht wirklich für das Thema interessiert. Aber ich würde sagen, dass es gerade diese Ebene der Fakten ist, die das Lesen des Buches überhaupt erträglich macht. Naomi Klein hat massenweise Interviews geführt und Material gesammelt. Einerseits wirkt ihr Buch deshalb etwas überladen, wenn etwa zehn Leute nacheinander zu Wort kommen, die alle in der einen oder anderen Form dasselbe sagen. Andererseits findet sich in der Fülle der Geschichten über die großen Marken und ihre Politik, über die Organisierung der Arbeiterinnen in den EPZ, über »Reclaim the streets« oder kreativen Umgang mit ungewollter Werbung sicher für die meisten Leute auch irgendetwas Neues. Nichts, das mich jetzt überrascht hätte oder gar mein Weltbild umgeworfen hätte, aber was habe ich erwartet?

Am Ende hatte ich das Gefühl, die These, die das ganze Buch getragen hatte, nämlich die aktuelle Welt sei das Produkt von einigen wenigen Markenkonzernen und Regierungen, die in der Regel ihre Handlanger sind, wäre soeben zurückgenommen worden. Das gehört auch zur Technik des Buches, wie es ja inzwischen zur Technik jedes gekonnten Diskurses gehört: die eigene Position durch Gegenargumente gleich wieder so relativieren, dass sie nicht mehr zu kritisieren ist. Nachdem seitenlang über die Kreativität des Adbusting (Benutzen oder Verfremden von kommerzieller Werbung oder deren Elemente, um eigene, kritische, Inhalte zu vermitteln) sinniert wurde, wird dieser speziellen Form des »Widerstandes gegen die Marken« am Ende bescheinigt, selbst schon wieder von der Marketing-Maschine aufgesaugt worden zu sein. Dabei geht es gar nicht darum, ob die einzelnen Aktivisten Frieden mit den Werbeagenturen schließen und sich ihnen letzten Endes verkaufen, sondern allein, dass die Industrie Wege gefunden hat, genau mit dieser Art Anti-Werbung auf sich aufmerksam zu machen.

Dennoch zieht sich eine These durch das Buch: Am Anfang war die Krise der Marken. Was heißen soll, die derzeitigen aufgeblähten Supermarken, die sich über Megastores, Konzerttourneen, Lifestyle-Definitionen, etc. verkaufen, sind das Resultat einer Krise der Marken Anfang der 90er Jahre. Damals hatten einige Unternehmen die Flucht nach vorn angetreten und ihre Werbeetats vervielfacht, was die Voraussetzung für die Generierung einer Super-Marke war. Es wäre darum gegangen, sich von der profanen Welt der Produktion von Dingen zu lösen und nur noch die Marke zu verkaufen. Was dabei quasi notwendig und nebenbei passierte, war das Outsourcing und die Verlagerung der Produktion in Billiglohnregionen vor allem in Asien und Lateinamerika. Die Unternehmen flüchteten aus ihrer »unternehmerischen Verantwortung für die Arbeitskräfte im Norden« weil die Riesenwerbeetats es ihnen schlicht unmöglich machten, weiterhin Sozialleistungen oder US-amerikanische Stundenlöhne zu zahlen. Neben der naiven Idee von der »unternehmerischen Verantwortung«, »demokratischer Legitimation« und ähnlichem (links-)bürgerlichen Unsinn mehr, der uns zwischen den Deckeln des Buches anspringt, ist es vor allem die völlige Zentrierung auf den Markt und die Marken, die das Buch prägen. Selbst die wichtigsten Strömungen des Widerstandes, für den sich Naomi so herzerwärmend begeistert, beziehen sich auf diese Oberfläche: die Marken, oder den Kampf dagegen. Allerdings kann man auch in Amerika mittlerweile natürlich kein Buch mehr zum Thema Marken veröffentlichen, ohne auf Kinderarbeit und Sweatshop-Produktion hinzuweisen. Aber der Standpunkt der nordamerikanischen Konsumentin, die natürlich zuerst die Megastores wahrnimmt, macht die Verhältnisse in den Exportproduktionszonen der dritten Welt zur Folge einer falschen Markenpolitik, statt in ihnen grundsätzlich kapitalistische Verhältnisse zu erblicken.

Statt dessen bescheinigt sie der Idee EPZ, eigentlich eine gute zu sein, denn: »Im Prinzip könnten die Zonen ein genialer Mechanismus zur Umverteilung des globalen Vermögens sein. Natürlich kosten sie den Norden Arbeitsplätze, aber kaum ein fairer Beobachter würde bestreiten, dass es nur gerecht wäre, wenn die Arbeitsplätze, denen wir in den industrialisierten Ländern unseren Wohlstand verdanken, mit armen Ländern geteilt werden, sobald die Entstehung einer technisch weiter entwickelten Volkswirtschaft bei uns neue Arbeitsplätze schafft.«. Schade nur eben, dass das alles nicht so funktioniert, wie es sich die UNO 1964 angeblich dachte, als der Wirtschafts- und Sozialrat der UN eine Resolution verabschiedete, die sich für EPZ als Mittel zur Förderung des Handels mit Entwicklungsländern aussprach. Nicht eine Sekunde schimmert ihr der Gedanke, dass die EPZ genau so funktionieren, wie sie sollen: dass sich nämlich in ihnen Leute die Seele aus dem Leib arbeiten, während die Konzerne sich daran dumm und dämlich verdienen. Dass dieses überhaupt der ganze Sinn der Veranstaltung »Fabrik« sein könne, fällt ihr nicht ein, denn »im Norden« verdanken »wir« doch »unseren« Wohlstand den Arbeitsplätzen in den Fabriken, die ja nun aber leider alle der verfehlten Markenpolitik von Nike & Co zum Opfer gefallen sind. An solchen Stellen möchte man das Geld für das Buch zurückverlangen.

Zu den interessanteren Teilen des Buches gehört Naomi Kleins Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte als linke, studentische Identitätspolitikerin. Hier spricht sie recht offen und angenehm unverkrampft über die pseudoradikalen »Political-Correctness-Kriege« der späten 80er und der frühen 90er Jahre. Gerade während der Diskussionen über die Frage, warum denn das Komitee für rassische Gleichberechtigung gleichzeitig mit dem Lesben- und Schwulenausschuss tagen musste, fand die große McDonaldisierung der Universitäten statt, und die Pharmakonzerne fingen an, Professoren zu »sponsern«. Nun ist es schade für Naomi Klein, dass sie ihre Studienzeit auf diese Art verschwendet hat, allerdings habe ich den Eindruck, sie hat seitdem nicht viel an Radikalität gewonnen. Nachdem ihr zunächst die Augen überquollen, als die verhassten Marken anfingen, in ihrer Vermarktung alle Symbole des alten, rassistischen, patriarchalen, homophoben Denkens hinter sich zu lassen, sich progressiv gaben und mit der scheinbaren Radikalität der Identitätspolitik provozierten, gehen ihr heute die Augen über, wenn sie sieht, wie all diese ehemals zerstückelten Bewegungen um die Ausbeutung der Natur, der Dritten Welt, der Tiere, der Frauen, der Schwarzen in einem Thema zusammen kommen: gegen die Macht der Konzerne. Dabei hat sich die »freischaffende Chefredakteurin« ein Faible für »Studenten« erhalten, die fast überall an der vordersten Front zu finden sind: ob beim Adbusting, bei »Reclaim the streets«, bei der Organisierung der aktuellen Anti-...-Kampagne oder sogar an den Universitäten: überall sind sie zu finden, diese flinken, immer vernetzten und stets auf dem neuesten Stand stehenden jungen Menschen, die es schaffen, die gewollte Präsenz der Konzerne an den Unis gegen sie zu wenden. Man spürt auch den Schauer, der durch Naomis Fingerspitzen geht, wenn sie von »langhaarigen Anarchisten« schreibt, die an irgendwelchen Treffen oder Gerichtsverhandlungen gegen McDonalds teilnehmen. Es gibt ihr das Gefühl, sich mitten im Zentrum einer globalen Bewegung zu befinden, und das ist ja auch gar nicht so falsch. Allerdings, und das zeigt Naomi Kleins Buch überdeutlich, ist diese globale Bewegung zumindest gespalten. Für Naomi und ihre Freunde geht es darum, den Konzernen die Kontrolle zu entreißen, »demokratisch gewählte Regierungen«, die UNO und ihre Menschenrechtsorganisationen zu stärken. Zur Frage, wie etwa die unmenschlichen Bedingungen in den EPZ verbessert werden könnten, fabuliert sie ewig über »Verhaltenskodizes«, wie sie inzwischen von zahlreichen Konzernen, Universitäten, Regierungen etc. aufgestellt wurden, und wie diese zu kontrollieren seien. Den Einwand einer philippinischen Arbeiterin, »Der beste Weg, diese Probleme zu lösen, liegt bei den Arbeitern selbst, in der Fabrik.« (S. 454), lässt sie in ihren Begriffen gelten: »Für manche klingt diese radikale Ablehnung trotzig und undankbar, eine unfaire Zurückweisung all der wohlmeinenden Arbeit, die in den Sitzungssälen Washingtons, Londons und Torontos geleistet wird. Doch das Recht, selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen, selbst wenn kein perfektes Ergebnis dabei herauskommt, ist ein fundamentales Recht, für das die internationale Gewerkschaftsbewegung seit ihrer Entstehung kämpft; ihr ist es schon immer um Selbstbestimmung gegangen.« (ebenda). Dabei macht sie implizit schon alle die Übersetzungen, die für linke Politiker/innen notwendig sind: Dass das Problem in der Fabrik zu lösen sei, heißt für sie, mit am Verhandlungstisch zu sitzen; dass die Leute selber nach der Lösung ihrer Probleme suchen wollen, bedeutet, dass das Ergebnis dann wohl kein perfektes sein wird; wenn die Arbeiter/innen über ihre Bedingungen reden wollen, kommt sie schon mit der internationalen Gewerkschaftsbewegung; und einen Schluss weiter ist ihr der Verhandlungstisch mit den Unternehmern schon gleichbedeutend mit Selbstbestimmung - mehr Selbstbestimmung ist eben leider nicht zu erwarten. Die geradezu auf der Hand liegende Idee, ihre Verbindungen in die EPZ dieser Welt dazu zu nutzen, ein globales Netzwerk der Produzenten möglich zu machen, kommt ihr einfach nicht. Sie möchte politisch beraten, kontrollieren, verwalten...

Dabei ist ihr natürlich jede Art von »Gewalt« ein Greuel. Angewidert dreht sie sich weg, wenn in London Flaschen gegen Bullen geworfen werden und in Prag »die berechtigte Kritik hinter dem Klirren der Fensterscheiben unhörbar wird«. Wenn in Berkeley die Scheiben einer lokalen Buchhandlung eingeworfen werden, findet sie, das sei kein wirksamer Protest gegen die Übeltäter in den Großkonzernen. Immer wieder schimmert die Romantik kleinbürgerlicher Verhältnisse durch, als man noch seine Brötchen um die Ecke kaufen konnte und den Kaffee nicht bei Starbucks schlürfen musste. Es ist ihr nicht zuwider, dass sie sich ihre Klamotten überhaupt kaufen muss. Nein, es geht ihr eher um das wo und wie. Auf welche Art bestimmen die Konzerne über ihr Leben? Wie viel Wahlfreiheit lässt ihr das System?

Insofern stellt das Buch kein Standardwerk für die globale Revolution dar, sondern eher einen Ratgeber für die globalisierte Sozialdemokratie, in welchen NGOs, »Basis-Bewegungen«, lokalen Verwaltungen oder Kommissionen sie sich auch immer organisieren mag.

Ich fürchte, das Buch, das die weltweiten Bewegungen auf ihre Tendenz zur globalen Revolution untersucht, muss erst noch geschrieben werden. Just do it...


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