Wildcat-Zirkular Nr. 65 - Februar 2003 - S. 7-14 [z65firef.htm]


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Der Streik der Feuerwehrleute

und andere »hot spots« in Großbritannien

1. Bewegungen gegen den Krieg

Die Kriegsmaschine läuft, Anfang 2003 droht ein neuer Krieg am Golf. Aber die Kriegsvorbereitungen der USA und Großbritanniens mußten in den letzten Monaten nicht nur mit außenpolitischen Problemen kämpfen, sondern auch mit Klassenkonflikten im eigenen Land. Die US-Regierung mußte die Streiks bzw. Aussperrungen in den Häfen an der Pazifikküste im Herbst 2002 und die Streiks bei der New Yorker U-Bahn im November 2002 mit Gesetzesdekreten aussetzen. In Großbritannien sorgte der Streik der Feuerwehrleute Ende 2002 dafür, dass sich die Armee auf museumsreifen Löschfahrzeugen als Streikbrecher betätigte, anstatt sich ordentlich auf den Krieg vorzubereiten, womit Blair dann auf dem Prager NATO-Gipfel auch negativ auffiel.

Folgender Bericht über diesen Streik und seine Hintergründe macht Hoffnung darauf, dass die Klassenbewegungen an unerwarteter Stelle Sand ins Getriebe der Kriegsmaschine streuen können ...

2. Die Labour-Regierung hat ihren Kredit verspielt

Die britische Regierung steht vor ähnlichen Problemen wie Schröder & Co.: Die staatlichen Kassen sind leer, das Rentensystem ist angeschlagen, Privatisierungsprojekte z.B. beim Schienennetz mussten zurückgefahren werden, Unternehmenspleiten wie zuletzt die von British Energy häufen sich. Die anfänglichen Erwartungen auf Seiten der ArbeiterInnen sind breiter Desillusion gewichen. In der Krise verengen sich die Spielräume von Zugeständnissen: so hat die Regierung zwar einem Extra-Paket für Militärausgaben zugestimmt, muss den ArbeiterInnen im öffentlichen Sektor aber eine reale Null-Runde reindrücken. Das sorgt für Ärger, die Streiks im öffentlichen Sektor haben in der letzten Zeit zugenommen, die Medien sprechen von einem möglichen neuen »Winter of Discontent«, einer Wiederkehr der Situation des Winters von 1979, als ganz England von einer Streikwelle erfasst wurde. Allein im Winter 2002 kam es zu folgenden Streiks:

3. Der Streik der Firefighters

Der Hintergrund

Die Auseinandersetzung begann im Herbst 2002, als die Feuerwehrgewerkschaft FBU 40 Prozent mehr Lohn forderte, was das jährliche Einkommen von 21 000 auf 30 000 Pfund erhöhen würde. Diese Forderung steht auch im Licht der Tatsache, dass sich im letzten Jahr die Regierungsabgeordneten selbst eine 40-prozentige Lohnerhöhung verpassten, denn, so Regierungsvertreter Robin Cook: »Gute Arbeit sollte auch gut bezahlt werden«.

Mehr als 90 Prozent der ArbeiterInnen stimmten für Streik, in Nordirland waren es 97 Prozent, »die größte Zustimmung für einen Streik seit Einführung des union balloting law [ähnlich der Urabstimmung in der BRD]«, so verkündete die FBU. Seit dem letzten Streik der Feuerwehrleute 1977 wurden Lohn und Lohnerhöhungen an denen der Facharbeiter in der Industrie orientiert, was mit dem Niedergang in diesem Bereich auch ein Einfrieren des Lohns der Feuerwehrleute bedeutete. Dies führte dazu, dass sich viele Feuerwehrleute das Leben in den größeren Städten nicht leisten können, sie verbringen so täglich oft Stunden im Pendelverkehr oder müssen sich Zweitjobs suchen. Ein weiterer Grund für den Streik sind die angekündigten Umstrukturierungsmaßnahmen (s.u.).

Zu Anfang wurde der Streik verschoben, da die FBU mit den lokalen Behörden, sprich den offiziellen Arbeitgebern in Verhandlung trat. Schließlich kam es im Dezember 2002 zu zwei achttägigen Streikaktionen. Weitere geplante Aktionen wurden von der FBU in Aussicht auf Verhandlungen über eine 16prozentige Lohnerhöhung ausgesetzt, ohne die Mitglieder nochmals zu befragen.

Der Rationalisierungsangriff

Die Regierung hat eine sogenannte »Bain-Kommission« beauftragt, sich Gedanken über die Modernisierung des Sektors zu machen. Dabei kam heraus, dass die Feuerwehrleute in Zukunft auch Aufgaben der Not-Ambulanz übernehmen, sich die Notzentralen mit der Ambulanz teilen und auch nach Schichtende abrufbereit sein sollen. Das Schichtsystem und damit über Jahre bestehende soziale Zusammenhänge sollen generell zerrupft werden. Auch sollen schlechter bezahlte Teilzeitkräfte eingestellt werden können. Die Regierung will erst dann über eine Lohnerhöhung sprechen, wenn die geltenden Verträge hinsichtlich dieser »Modernisierungsschritte« geöffnet werden. Die Umsetzung dieser Maßnahmen würde den Weg für die Streichung von 20 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze freimachen. Die Feuerwehrleute an den Feuertonnen betonten, dass sie auch aus Sicherheitsgründen gegen die Vorschläge der Bain-Komission streiken würden. Bain will einige Stationen nachts schließen lassen, ihre Dienste müssten von anderen Stationen dann zusätzlich übernommen werden. Die Feuerwehrleute schätzen das als Sicherheitsrisiko ein. Sie sagten, dass die Medienhetze (»Feuerwehrstreik gefährdet Leben« etc.) auch deshalb an die Nieren geht. Erstens sei ihnen die Entscheidung für den Streik nicht leichtgefallen, und zweitens würden sie gerade gegen Einsparungen bei der Sicherheit streiken.

Die Organisierung

Die Organisierung vor Ort wird von den lokalen Gewerkschaftsgruppen übernommen, was zu recht unterschiedlichen Resultaten führt, je nach »Militanz« der örtlichen Funktionäre. Ausschlaggebend für die Geschlossenheit unter den Feuerwehrleuten ist ihre enge Zusammenarbeit. Sie arbeiten seit Jahren in denselben Schichten zusammen, oft entsteht auch ein enger Kontakt zu anderen Feuerwehrstationen.

Die Feuerwehrstationen wurden zum Anlaufpunkt für die Streikenden und für viele Solidaritätsbekundungen. Die Feuerwehrleute stehen an Feuertonnen vor den meist an Hauptstraßen gelegenen Stationen, viele Leute kommen vorbei, andere drücken ihre Unterstützung im Vorbeifahren aus. Eine große Tageszeitung veröffentlichte eine Art Hitparade »Beeps per minute«, soll heißen: an welcher Feuerwehrstation hupen die meisten vorbeifahrenden AutofahrerInnen als Zeichen der Solidarität. Die Streikenden zu besuchen ist angesichts der Medienhetze besonders wichtig. Der Streik entwickelte seine eigenen Geschichten: ein Mädchen feierte seinen dreizehnten Geburtstag in einem Restaurant neben einer bestreikten Feuerwehrstation, die Party zog samt Geburtstagstorte zur Station, die Feuerwehrleute sangen »Happy Birthday« und das Mädchen bekam ein Foto zusammen mit ihren »Helden«. Apropos »Helden«: die Schokoladensorte »Heroes« avancierte zu einem der Hauptmitbringsel der Streik-BesucherInnen. In kurzer Zeit entstanden auch viele lokale »Unterstützungsgruppen«, wobei diese Initiative vor allem von lokalen Vertretungen verschiedener Gewerkschaften und der Socialist Workers Party ausging. Die picket-lines wurden bisher nicht in feindlicher Weise übertreten. Die Regierung verkündete zunächst, dass die Armee sich der Gerätschaften der Feuerwehr bemächtigen solle, ließ dann aber von diesem Plan ab (s.u.).

Die Auswirkungen

Um den Streik zu diskreditieren, stürzten sich einige Medien auf jedes zu beklagende Brandopfer. Es sei dahingestellt, ob während des Streiks tatsächlich mehr Menschen ums Leben oder die Gesundheit kamen. Auch die Regierung änderte ihre Strategie dahingehend, dass sie nach der anfänglichen Hysteriekampagne behauptete, die 19 000 Soldaten mit antiquierten Feuerlöschzügen würden den Dienst ebenso effizient verrichten, wie die 55 000 Feuerwehrleute zuvor. Die Medien berichteten von folgendem Ereignis in Manchester, das sich ähnlich vielleicht auch an anderen Orten abspielte: in unmittelbarer Nähe einer bestreikten Feuerwehrstation geriet ein Lager mit Feuerwerkskörpern in Brand, die streikenden Feuerwehrleute rückten aus, um einem Lagerarbeiter das Leben zu retten, überließen das Gebäude dann aber den Flammen bzw. einem unfähigen Militäreinsatz.

Während des Streiks bestand für viele ArbeiterInnen die rechtliche Möglichkeit, die Arbeit in »unsicheren« Arbeitsbereichen zu verweigern, insgesamt machten aber wohl nur wenige von diesem Streikangebot Gebrauch. Die Gewerkschaft der TransportarbeiterInnen TUC rief dazu auf, während der Streiktage einige Stunden für Sicherheitsunterweisungen zu verwenden. In London wurden 19 U-Bahn-Stationen geschlossen, gegen den Willen des Managements. Die Feuerwehrakademie in Moreton weigerte sich, Soldaten für den Feuerwehrdienst anzulernen. Zum jetzigen Zeitpunkt nach den ersten beiden Streikaktionen wird deutlich, dass sich die anfänglichen zeitgleich ablaufenden Streiks in anderen Teilen des »öffentlichen Sektors« wohl nicht ausdehnen werden, wozu auch die Strategie der Gewerkschaft FBU ihren Teil beigetragen hat.

Die Army

Wie bereits angedeutet, befand sich die englische Armee vor und während des Feuerwehrstreiks in Vorbereitung auf einen Angriff auf den Irak. Die Regierung erhöht die Militärausgaben, hat für die ArbeiterInnen im öffentlichen Sektor keine Kohle und setzt dann die Armee als Streikbrecher gegen sie ein ... das ist schon eine brisante Konstellation! Zudem fand im November in London die größte Anti-Kriegsdemo seit Anfang der 80er Jahre statt, vielleicht auch ein Zeichen einer allgemeinen Unruhe, die über die »pazifistische« Forderung »Kein Angriff auf den Irak« hinausgeht. Dass sich die Herrschenden der Brisanz der Lage bewusst sind, verdeutlicht folgendes Zitat aus der Financial Times: »Beunruhigend ist auch, dass ein ausgedehnter Streik in die Vorbereitungsphase eines Irak-Einsatzes fallen und die Feuerwehrleute so einen größeren Lohnzuwachs erreichen könnten. Die Armeespitze fürchtet, dass dann die Lohnunterschiede zwischen Feuerwehr und Armee deutlich zu Tage träten, was wiederum einige Soldaten dazu bewegen könnte, ihren Dienst zu quittieren, wie es schon während des letzten Streiks vor 25 Jahren der Fall war«. Auch Admiral Sir Michael Boyce ließ verlauten: »Ich kann keine 19 000 Soldaten für solche Einsätze [Streikbruch] aus dem Hut zaubern«.

Insgesamt setzte die Regierung 19 000 Soldaten als Feuerlöscher ein. Anfänglich wurde in den Medien noch darüber spekuliert, ob die Soldaten die Streikkette durchbrechen und sich die modernen Löschfahrzeuge aus den Stationen holen sollten. Dabei kam es in den Fernsehnachrichten zu interessanten Diskussionen über das Wesen des Eigentums: »Formal gehören die Fahrzeuge privaten Unternehmen, die diese an die lokalen Behörden verleasen. Im Sinne der abstrakten Allgemeinheit und für ihren Dienst gehören sie aber dem Staat, die Armee hätte also das Recht, sich die Fahrzeuge zu holen. Im praktischen alltäglichen Sinne gehören sie aber den Feuerwehrleuten, denn nur sie wissen, wie die Fahrzeuge und Gerätschaften zu bedienen sind«. Neben der Angst der Regierung vor einer Zuspitzung der Situation angesichts eines tatsächlichen militärischen Einsatzes gegen Teile der Arbeiterklasse entschied auch die Haltung der Feuerwehrleute, dass die Armee letztendlich die Finger von den Feuerwehrstationen ließ. Vertreter der Feuerwehrleute machten klar, dass sie die Fahrzeuge nicht mehr benutzen würden, wenn die unqualifizierten Soldaten einmal daran herumgepfuscht hätten. So musste die Army weiter mit ihren 50er Jahre Vehikeln Dienst schieben. Im Fernsehen sah mensch Soldaten in Liverpooler Vororten, wie sie verzweifelt versuchen, einen brennenden Kleinwagen zu löschen, umringt von amüsierten Kids ...

Die Regierung und die Medien

Die Regierung muss also aus verschiedenen Gründen eine harte Linie fahren. Eine 40prozentige Lohnerhöhung wäre einfach zu ansteckend, kämpfen darf sich nicht lohnen. Sie erklärt die FBU zum schwarzen Schaf der Gewerkschaftsbewegung, was auch zur Folge hat, dass der Konflikt in der öffentlichen Diskussion nicht als Auseinandersetzung zwischen ArbeiterInnen und Bossen gehandelt wird, nicht als Kampf für mehr Geld und gegen verschärfte Ausbeutung, sondern als Schaukampf zwischen »veralteter Gewerkschaftshaltung« und einer verhandlungsunwilligen Regierung. Die in den liberalen Medien gezogenen Parallelen zum »Winter of Discontent« 1979 und dem Bergarbeiterstreik 1984 gehen in die gleiche Richtung: die »Englische Krankheit« Ende der 70er brachte uns den Thatcherismus ein, also bitte zurück an den Verhandlungstisch.

Die Gewerkschaft

Die FBU nimmt das Image des awkward squad an und reproduziert es. Als awkward squad werden die »rigideren« Sektoren und ihre weniger »flexiblen« Gewerkschaften bezeichnet, besonders die des öffentlichen Sektors, wo der gewerkschaftliche Organisierungsgrad mit 65 Prozent rund 45 Prozent über dem des privaten Sektors liegt. Zu Anfang des Streiks tat der Bezug auf die Tradition des awkward squad auch seine symbolische Wirkung, war Teil des Gefühls der Solidarität: »Die mutigen Jungs zeigen es Blair, sie fordern mehr Geld, was wir alle brauchen« . Gleichzeitig werden bereits die Grenzen dieser »Militanz« sichtbar: sie ist die »Militanz« einer bestimmten Berufsgruppe. Wie schon 1984 die NUM (Bergarbeitergewerkschaft) so verbreitet die FBU heute die Illusion, dass sich »ihre besondere Berufsgruppe« zusammen mit der »öffentlichen Unterstützung« durchsetzen kann.

Die »öffentliche Unterstützung« in Form von Unterschriften und »Solidaritätsstreiks« anderer Gewerkschaften ist aber bereits Zeichen und Akzeptanz der notwendigen Isolation des Streiks, notwendig im Hinblick auf Anerkennung als gewerkschaftlicher Vertreter und Partner für zukünftige Verhandlungen. In Gesprächen mit Feuerwehrleuten während der ersten Streikaktion erklärten diese die 40-Prozent-Forderung mit den hohen Lebenshaltungskosten, mit dem Elend, nach der Schicht noch zum Nebenjob gehen zu müssen. Diese Situation teilen sie mit den meisten ArbeiterInnen. Die FBU hingegen rechtfertigte die Forderung mit der besonderen Qualifikation und Stellung des Berufsstands, den sie mit dem von Polizisten und Ärzten vergleicht. Dann begann das übliche Spiel: angekündigte Streikaktionen wurden von der Gewerkschaftsspitze abgeblasen, die 40 Prozent schmolzen auf 16 Prozent verteilt über drei Jahre, auch wurden durch die Verhandlungen über »Modernisierungsschritte« die Spaltungen innerhalb der Feuerwehr verstärkt, z.B. zwischen »Reservefeuerwehrleuten« und permanenten, zwischen ArbeiterInnen in den Anrufzentralen und denen auf den Löschtrupps. Auch »politisch« griffen die diversen »militanteren« Gewerkschaftsführer der FBU und TUC das gesellschaftliche Unbehagen des Winters auf ihre Weise auf. So sprach Gilchrist von der FBU des öfteren von der Notwendigkeit einer »Real Labour« -Regierung und ähnlichen Vorstellungen aus dem trotzkistischen Nähkästchen.

Wie geht's weiter?

Trotz aller Symbolik und Begrenzungen hat der Feuerwehrstreik etwas aufgebrochen, in ihm schien der Zusammenhang von Krise, Krieg, Politikverdrossenheit und sozialen Auseinandersetzungen greifbar zu werden. Es wird sich zeigen, ob ArbeiterInnen in anderen Bereichen sich in dem Feuerwehrkonflikt wiederentdecken können - so tauchte die 40-Prozent-Forderung zumindest verbal auch während eines Streiks von Straßenreinigern in London auf. Ein Problem der momentanen Situation finden wir auch in den Auseinandersetzungen in anderen europäischen Ländern: die Beschäftigten im öffentlichen Sektor kämpfen, aber im privaten Sektor bleibt es bis auf einzelne Abwehrgefechte ruhig.

Wir sollten sowohl die Möglichkeit diskutieren, dass diese Streiks durch den Konflikt mit dem Staat als Arbeitgeber unmittelbar »politische« Auswirkungen haben und der vagen »Politikverdrossenheit« einen offensiveren Drive geben können, als auch die Gefahr, dass sie im Sinne der gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Illusion als Druckmittel für einen »besseren Sozialstaatsumbau« instrumentalisiert werden, so wie wir es während der 2002-»Generalstreiks« in Italien, Spanien und Portugal oder bei den ver.di-Warnstreiks im Dezember sehen konnten.

Entgegen diesem Sinne: Angry New Year


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