17.05.2004

Il Manifesto 8.5.2004:

Der Kampf von Melfi

Es war einmal eine grüne Wiese – der Niedergang der integrierten Fabrik

Vittorio Rieser*

 

Der großartige Kampf der Melfiarbeiter hat einige wichtige Punkte mit der Explosion der Kämpfe 1962 in Turin gemeinsam.

Damals wie heute führte die Übermacht der Unternehmer dazu, dass diese 'den Bogen überspannten' und dadurch eine Rebellion der Arbeiter gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen provozierten. Damals wie heute bedienten sich die übermächtigen Unternehmer weitestgehend der Spaltung der Gewerkschaften und getrennter Vertragsabschlüsse, um bis zum letzten Moment zu versuchen, die Kämpfe zu blockieren: aber das hat sich an diesem Punkt nicht nur als inefffektiv, sondern auch als kontraproduktiv erwiesen. Damals wie heute haben sich die Kämpfe nicht spontan entzündet, sondern wurden lange vorbereitet: Bei Fiat in Turin mündete das zähe Vorgehen der Fiom in einigen Kampfepisoden (Fiat Spa 62), bei der Sata in Melfi entstanden aus einem ähnlich hartnäckigen Vorgehen der Fiom mehrere Streiks gegen die Arbeitsbedingungen.

Aber wenigstens auf den ersten Blick scheint der Kontext ein anderer.

1962 richtete sich der Aufstand bei Fiat gegen die tayloristische Arbeitsorganisation. 2004 richtet er sich bei der Sata gegen das Modell einer 'integrierten Fabrik', das eigentlich die Neubewertung der Rolle menschlicher Arbeit hätte einleiten und genau in Melfi zu seiner vollen Verwirklichung hätte kommen sollen.

In Wirklichkeit gibt es einen 'roten Faden'. In beiden Fällen hat Fiat dieselbe Strategie der Verwaltung der Arbeitskraft angewandt (typisch für Fiat, aber auch für den überwiegenden Teil des italienischen Kapitalismus): Ausgehend von dem, durch die Technologie und das Organisationsmodell ermöglichten Stand der Produktivität, versucht man diese durch ein weiteres Auspressen der Arbeitskraft noch zu steigern. Dabei wird auch das günstige Kräfteverhältnis ausgenutzt, das unter anderem durch die Spaltung der Gewerkschaften entsteht.

Trotzdem ist es sinnvoll, dieses Problem weiter zu vertiefen. Warum hat ein fortschrittliches 'post–tayloristisches' Organisationsmodell solch unerträgliche Bedingungen hervorbracht, dass die Arbeiter dagegen in Massen rebellierten?

Es wäre falsch, das Modell der 'integrierten Fabrik' als bloße propagandistische Mystifikation abzutun, die nur dazu dient, das Weiterbestehen des alten Modells zu verschleiern. Es ist sinnvoller, (und materialistischer) die Widersprüche genauer zu durchleuchten, die bei dem Aufbauprozess der Melfiniederlassung eine Rolle gespielt haben.

Die Voraussetzungen für diese Fabrik waren in einiger Hinsicht wirklich innovativ. Sicher, man war auf die 'grüne Wiese' gegangen und hatte massive staatliche Subventionen eingestrichen. Aber die ausgewählte 'grüne Wiese' hatte ihre Besonderheiten: eine Gegend, die nicht unter dem Einfluss der Mafia stand, wo ein Niveau an Grundausbildung über dem Durchschnitt verbreitet war und traditionell eher links orientiert. Aber der innovativste Aspekt betraf den Ausbildungsstand der Arbeitskraft: mehr als tausend der 6000 zukünftigen Beschäftigten hatten eine Ausbildung von 1–2 Jahren durchlaufen. Diese schloss sowohl eine Ausbildung an der ISVOR–Fiat mit ein, als auch ein Praktikum bei anderen Niederlassungen. Der Frauenanteil lag bei 10%, ein noch nie dagewesener Prozentsatz bei Fiat. Außerdem sollten die Führungsposten, bis auf einige Top–Manager, komplett 'neu' besetzt werden. Damit sollte verhindert werden, dass Personen aus anderen Fiatwerken die Kultur des alten Organisationsmodells wieder miteinführten. Natürlich schloss die Ausbildung alle Grundelemente der 'integrierten Fabrik' mit ein: Betonung der Qualität, aktive Einbeziehung der menschlichen Arbeit, etc.

Als in der Fabrik die volle Produktion aufgenommen wurde, hat man recht schnell kapiert, worin diese 'integrierte Fabrik', die das hervorstechende Merkmal der Sata in Melfi sein sollte, in Wirklichkeit bestand. Vor allem unterlief diese 'neue Ausprägung' alle bisherigen bei Fiat erreichten Tarifverträge, was nicht nur den Lohn sondern auch die Arbeitsnormen betraf. So wurde das berüchtigte 'TMC 2' eingeführt, das eine Erhöhung des Arbeitsrythmus von 15–20% gegenüber dem Üblichen mit sich brachte. Die Anlagen wurden sechs Tage die Woche genutzt. Das schloss nicht nur eine harte und komplizierte Schichtorganisation mit ein (drei Schichten, mit gleitendem Pausensystem), sondern wurde noch durch ihre Struktur, die zwei aufeinanderfolgende Nachtschichten vorsah, verschärft (einer der Hauptgründe für den Protest der Arbeiter).

Es sollte daran erinnert werden, das all diese Aspekte durch einheitliche gewerkschaftliche Verträge sanktioniert wurden.

Unter diesen Vorraussetzungen kann man erahnen, welche Richtung Fiat bei der konkreten Leitung der neuen Niederlassung eingeschlagen hat. Die Ausbildung der 'einfachen Arbeiter', die das 'Aushängeschild' der neuen Fabrik hätte sein sollen, wurde auf 2–3 Tage reduziert. Die 'Flankierung' bei der Erlernung der verschiedenen Phasen des Arbeitsprozesses ist verschwunden. Die Qualitätszirkel, welche die Arbeiter 'aktiv miteinbeziehen' sollten, wurden als Zeitverlust erachtet. Die Arbeiter wurden mit einem befristeten Ausbildungsvertrag eingestellt, um sie erpressbar zu machen. Darüber hinaus hat man sie in die unterste Lohngruppe eingestuft (was fast noch nie vorgekommen war), um zusätzlich am Lohn zu sparen, der sowieso schon um ca. 20% tiefer liegt als in den anderen Fiatwerken. Und in dem Moment, als die Ausbildungszeit abgelaufen war, und die Arbeiter übernommen wurden (in der Zwischenzeit waren schon viele gegegangen oder entlassen worden), hat Fiat neue Kontrollmechanismen eingesetzt: die an das Betriebsergebnis gebundene Prämie (anfänglich zur Erneuerung der Lohnstruktur konzipiert), wurde größtenteils an die Fehlzeiten gekoppelt; es gab eine unglaubliche Zunahme von Disziplinarmaßnahmen, die auch diejenigen treffen, die sich aufgrund des untragbaren Arbeitsrythmus verletzen.

Die Folge all dessen? Die Arbeiter in Melfi arbeiten mindestens 30% mehr als die anderen Fiatarbeiter (hier summieren sich die Resultate des TMC 2 und die gewerkschaftlich sanktionierten Regeln, nach denen die Arbeiter teilweise technisch bedingte Arbeitsunterbrechung selbst wieder hereinarbeiten müssen), und sie bekommen 20% weniger Lohn. Grob gerechnet könnte man sagen, dass sie zu 50% mehr ausgebeutet werden. Ist es da noch verwunderlich, dass sie sich auflehnen? Aber der Aufstand entsteht nicht von einem Tag auf den anderen: das Vorgehen der Fiom innerhalb der Fabrik war entscheidend. Diese hat nun schon seit einiger Zeit Protestformen gegen die Arbeitsbedingeungen entwickelt und ist nicht ohne Grund – trotz Diskriminierung – in Melfi zur wichtigsten Gewerkschaft geworden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Melfi die Innovationen in der Arbeitsorganisation, die Fiat geplant hatte einzuführen, noch übertroffen wurden vom 'Fabrikdespotismus', und dass sich an ihm – mal wieder – der Klassenkonflikt entzündet hat.

 


* Vittorio Rieser arbeitet am IRES, dem wissenschaftlichen Institut der Gewerkschaft CGIL in Turin. Wir finden seine Betrachtungen äußerst interessant, vor allem seinen Vergleich mit den Kämpfen 1962 bei Fiat (Rieser war damals bei den Quaderni Rossi). Wir möchten Euch aber bitten, sein Beschäftigungsverhältnis und seine Lobhudeleien auf die CGIL–Gewerkschaft FIOM ins richtige Verhältnis zu setzen. Hier ist die kritische Leserin gefragt!

 

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