Wildcat-Zirkular Nr. 65 - Februar 2003 - S. 3-6 [z65edito.htm]


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Editorial

Bevor jetzt wieder alle über geostrategische Ziele, Kollateralschäden, NGOs, Giftgas und ähnlich ekliges Zeugs reden, ein paar Zahlen zu den harten Hintergründen, vor denen sich die ganze Scheiße abspielt.

Muddling through

Durchwurschteln, anders läßt sich die »Wirtschaftspolitik« der USA nicht mehr auf den Begriff bringen. Als die Börse im Oktober 2002 auf das niedrigste Niveau seit fünf Jahren fiel, versuchten die Fed und die Bushregierung den sofortigen Crash durch Liquiditätsmangel zu vermeiden. Das taten sie, indem sie dem Finanzsystem noch mehr Geld zur Verfügung stellten. Die US-Regierung warf die Notenpresse an, die Fed senkte noch einmal die Zinsen (sie liegen jetzt real - also in bezug zur Inflation - in der Gegend von 0%). Das muß als weiterer Wendepunkt in Richtung einer drohenden Inflationsblase gesehen werden. Es ist eine gigantische Neuauflage des Manövers, das man seit der Liquiditätskrise von 1970 mehrmals - und bisher mit Erfolg - benutzt hat. In der Tat sind nur zwei Alternativen offen geblieben: Inflationsblase und dann Zusammenbruch, oder sofortiger (deflationärer) Zusammenbruch.

»Greenspans Medikamentenkoffer ist leer« (Los Angeles Times)

Historisch niedrige Zinsen und ein Immobilienbubble kennzeichnen die wirtschaftliche Lage in den USA. Die Wertsteigerungen bei Eigenheimen haben etwa ein Drittel der gigantischen Verluste an den Aktienbörsen wettgemacht. Die Eigenheimbesitzer unter den hochverschuldeten US-amerikanischen »Konsumenten« (zu ihnen kommen wir gleich) konnten sich also reicher fühlen und mußten weniger Zinsen zahlen. Im Durchschnitt haben sie zwei Dinge daraus gemacht: den Kredit aufs Haus gekündigt und einen neuen zu niedrigeren Zinsen abgeschlossen und das »zusätzliche verfügbare Einkommen« nicht in den schnelleren Abbau der Schulden, sondern in mehr Konsum gesteckt! Zweitens haben sie weitere Schulden aufgenommen (die Banken nehmen Hypotheken als Sicherheiten und geben somit bei steigenden Immobilienpreisen auch höhere Kredite). Damit hatten die amerikanischen »Verbraucher« im letzten Jahr 170 Mrd. Dollar mehr in der Tasche. Das ist fast das Doppelte von dem, was Bush in den nächsten zwei Jahren mit seinem »Konjunkturprogramm« den Superreichen schenken will (auch das ein zusätzliches Anwerfen der Notenpresse).

Insgesamt bleibt unsere Analyse aus dem Wildcat-Zirkular 56/57 gültig, die von einem Kreditbubble sprach, will sagen: Internet- und Immobilienbubbles kommen und gehen, bzw. füllen sich und platzen, aber das darunterliegende Muster ist eine Kreditblase - die Schulden (der »Konsumenten«, der Unternehmen, der US-amerikanischen Volkswirtschaft) steigen ins Unermeßliche.

Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, die Investitionen sinken weiter, die Verschuldung steigt ... die »Konsumenten« werden immer wichtiger: statt wie üblich zwei Drittel machten die Konsumausgaben in den USA im Jahr 2002 vier Fünftel des Bruttosozialprodukts aus. Es wird also weniger Kapital akkumuliert, was wiederum an den nach wie vor niedrigen Profiten liegt. Bush verkauft seine Steuerpläne (Abschaffung der Besteuerung der Dividenden) mit der Hoffnung, das zusätzliche Geld werde dann investiert und Arbeitsplätze schaffen - aber aufgrund der sinkenden Profiterwartungen wird es irgendwohin fließen, nur nicht in die Produktion von Mehrwert.

Denn sie wissen was sie tun (Doug Noland)

Ein bekannter US-amerikanischer Börsenanalyst schrieb in seinem Jahresrückblick, er habe in den letzten Jahren immer gedacht, er müsse Greenspan & Co. erklären, in welch dramatischer Situation die US-amerikanische Volkswirtschaft sich befindet - er habe jetzt verstanden, daß Greenspan & Co. das wissen. Und daß sie das, was sie unternehmen, deshalb unternehmen, weil sie wissen: Deflation oder Inflation - deflationärer Krach oder Inflationsblase; jetzt die Rechnung präsentieren oder nochmal aufschieben - aber was ist der Preis?

... und wie steht der kommende Krieg dazu

Das englische »muddle« kommt aus dem Mittelniederdeutsch »Mudde«, was eine Bodenart, Moder bezeichnete, muddle trough heißt also auch sich durchwühlen - und könnte für die zweite krisenaufschiebende Maßnahme der US-Regierung stehen: Bodentruppen im irakischen Sand.

Bushs Politik steht für die Kontrolle über den Ölpreis und neue Militärausgaben. Auf kurze Sicht könnte mit einem niedrigen Ölpreis eine Erholung der westlichen Ökonomien 2004 erreicht werden (alle Wirtschaftsexperten, die jetzt mit zerfurchter Stirn vom »Aufschwung im Jahr 2004« sprechen, rechnen dabei schon mit extrem niedrigen Energiepreisen). Wobei ein niedriger Ölpreis lediglich die Krise dämpfen kann, und keinen neuen Zyklus wird ankurbeln können.

Bei der Kontrolle über das irakische Öl geht es für die USA nicht einfach um eine Bereicherung, die Aneignung der Ölrente. Auch ohne die unmittelbare Aneigung von Gewinnen aus der Ölförderung spielt der Ölmarkt eine entscheidende Rolle für die Fähigkeit der USA, weiter wie bisher die Notenpresse anwerfen zu können - womit sie den weiteren Zustrom von Kapital aus dem Ausland sicherstellen will. Dieser Zustrom beruht darauf, dass einige zentrale Waren - wie z.B. Öl - auf dem Weltmarkt in Dollar gehandelt werden. Solange dies so bleibt, behält der Dollar seine hegemoniale Stellung als das faktische Weltgeld. Alle Länder müssen unter diesen Bedingungen große Mengen an Dollarreserven halten, um ihre Importe finanzieren zu können. Und umgekehrt sorgen sich die Exportnationen um einen stabilen Dollar, intervenieren zu dessen Stützung, um ihren wichtigsten Exportmarkt - die USA - nicht zu verlieren.

Möglicherweise geht es daher bei dem geplanten Krieg gar nicht in erster Linie um die Eroberung Bagdads und den Sturz des Regimes. Ein anderer Börsenanalyst malte folgendes Szenario aus: die USA besetzen lediglich die Ölfelder und richten einen Fonds unter UN-Aufsicht zum »Wiederaufbau« des Iraks ein, der aus den irakischen Ölexporten unter US-Regie gespeist wird. Wo wird wohl dieser Fonds seine Gelder anlegen?

Egal welche Pläne tatsächlich hinter dem Irak-Feldzug stehen - die Dringlichkeit dieses Krieges ergibt sich daraus, dass es mittelfristig keinen Ausweg aus dem Krisendilemma gibt. Mit gigantischen Steigerungen der Militärausgaben setzt die US-Regierung auf das letzte Mittel, das ihr bleibt, um die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland sicherzustellen: ihre militärische Dominanz und die Fähigkeit, darüber die anderen Industrieländer hinter sich zu bringen (siehe Kommentar Nr. 105 von Immanuell Wallerstein). Den ökonomischen Niedergang forciert sie damit aber zugleich.

Bankenkrach in den USA?

Sollten die Zinsen wieder steigen, könnten jene »Konsumenten« Probleme kriegen, die die derzeit niedrigen Zinsen zu teuren Anschaffungen genutzt haben. Da aber die Banken über ihre aberwitzigen »Konsumentenkredite« tief in der Sache drinhängen, würde ein Zusammenbruch des Immobilienmarkts wie in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu einem Bankenkrach führen (Savings-&-Loans-Krise der 80er Jahre) - allerdings in einem vielfach stärkeren Ausmaß. Damals führte der Immobiliencrash direkt in die Rezession von 1991. Damals hieß der Präsident Bush und war gerade mit einem Krieg im Irak befasst. Die Rezession kostete ihn die Wiederwahl - das was diesmal an Krisendynamik möglich ist, würde seinen Sohn sicherlich stärker in Mitleidenschaft ziehen.

Zwischenzeitlich wird Lateinamerika zu einem Pulverfaß. Wir haben in diesem Heft zwei Artikel zur Situation in Venezuela und zur Bewegung in Argentinien; dazu kommt Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Uruguay ... Der Zusammenhang der anderen Artikel ist offensichtlich und muß hier nicht weiter erklärt werden. Hier soll ein anderer Zusammenhang aufgespießt werden: im Vergleich zur Situation in Amerika geht's uns doch noch spitze, sollte man meinen. Aber falsch gedacht: die Rechten rufen zum Aufstand gegen die »linke« Regierung, viele Großstädte sind pleite, die Arbeitslosigkeit steigt und steigt und insgesamt fühlen sich alle so richtig Scheiße:

»Deutschland Weltmeister in Sachen Pessimismus
(dpa 13.1.2003) - In keinem Land der Welt blickt die Bevölkerung so pessimistisch ins Jahr 2003 wie in Deutschland. Das habe eine Umfrage im Auftrag des Weltwirtschaftsforums in Davos ergeben, berichtet die Tageszeitung 'Die Welt'. Nur 13 Prozent der Deutschen glaubten, die Welt entwickle sich in eine positive Richtung. Damit liege Deutschland unter den 15 an der Umfrage beteiligten Ländern auf dem letzten Platz. Im Vorjahr hätten noch 23 Prozent der Deutschen optimistisch in die Zukunft geblickt.«

 

Übrigens wollten wir auch nicht länger hintanstehen: wir maddeln jetzt auch: in diesem Zirkular geht alte, neue und nicht so alte Rechtschreibung kreuz und quer durcheinander - oder wie neulich jemand sagte »wir müssen das Für und Wieder gründlich abwiegen!«


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